Bedeutenden Persönlichkeiten ein öffentliches Denkmal zu setzen, ist nicht ungewöhnlich.
In Berlin stellen sie meist Künstler, Politiker oder Militärs dar. Denkmäler von Medizinern
muss man eher suchen. Im Berliner Stadtzentrum findet man beispielsweise Robert Koch
(1843 - 1910) auf dem nach ihm benannten Platz an der Charité, unweit davon Albrecht
von Graefe (1828 - 1870), das wohl schönste unter ihnen, und Rudolf Virchow (1821
- 1902) sowie vor der Humboldt-Universität Hermann von Helmholtz (1821 - 1894). Ihre
Grabmäler gleichen mitunter ebenfalls Denkmälern (v. Graefe, v. Helmholtz).
Gibt es aber einen Nekrolog, der am Ende der Würdigung der Lebensarbeit des Verstorbenen
auf die Grabstelle hinweist? Eine derartige Darstellung hat hohen Seltenheitswert!
Der Tod gehört aber zu Leben!
Auch in den Nekrologen für Edmund Lesser (u. a. Erich Hoffmann, Abraham Buschke) ist
der Ort der Grabstelle nicht erwähnt. Heute ist es die Regel, dass kaum jemand die
letzte Ruhestätte selbst berühmter Persönlichkeiten, nicht nur unserer Fachdisziplin,
kennt. So dauerte es gerade im „Falle Lesser” jahrelang, ehe der Verfasser das Grabdenkmal
fand.
Das Curriculum vitae des ersten Berliner Ordinarius für Dermatologie und Venerologie
an der damaligen (1911) Friedrich-Wilhelms-, der heutigen Humboldt-Universität, und
des zweiten in Deutschland nach Albert Neisser (1907), ist wahrscheinlich nur den
älteren Dermatologen bekannt, weniger aber oder gar nicht den heute jüngeren: deshalb
hier eine Kurzdarstellung seines Lebenslaufs und seiner Bedeutung für die deutsche
Dermatologie und Venerologie [1]
[2]
[3]
[5]
[6]
[9].
Johann Edmund Anton Lesser (Abb. [1]) wurde am 17. Mai 1852 in Neiße (Oberschlesien) als Sohn einer Juristenfamilie geboren.
Das Zeugnis der Reife erhielt er am Wilhelm-Gymnasium in Berlin. Er studierte Medizin
in Berlin, in Bonn (1872 - 1874), wieder in Berlin (1874 - 1875), schließlich in Straßburg
(Staatsexamen) und promovierte zum Dr. med. am 28. Juli 1876 („Beiträge zur Pathologie
und Therapie der Hypospadie”). Im Jahre 1877 war Lesser Assistent bei Ferdinand von Hebra (1816 - 1880) in Wien, der sein Interesse für die Dermatologie weckte. Wichtige medizinische
Kenntnisse erwarb er bei Hermann Senator (1834 - 1911), dem Chefarzt des Augusta-Hospitals in der heutigen Scharnhorststraße
nahe der Charité, der später Direktor der III. Medizinischen Klinik der Charité wurde.
Im Oktober 1879 war Lesser Assistent bei Oskar Simon (1845 - 1882) in Breslau, während dessen Krankheit Lesser die Klinik stellvertretend
leitete. Simon starb am 2. März 1882.
Abb. 1 Edmund Lesser (1852 - 1918) (aus: M. Stürzbecher u. H. Wagner).
Im Mai 1882 wechselte Lesser nach Leipzig, wo er sich am 24. Juli desselben Jahres
mit der Schrift „Abhandlungen über Syphilis maligna” habilitierte. In Leipzig trat
er als Privatdozent in die Medizinische Fakultät ein und eröffnete eine Privatpraxis,
die u. a. der Sicherung seines Lebensunterhalts diente. Auf die Leipziger Zeit geht
seine größte Leistung auf dem Gebiet des Lehrens zurück, die ihn mit einem Schlage
berühmt machte: die erste, 1885 erschienene Auflage des „Lehrbuchs der Haut- und Geschlechtskrankheiten”,
das bis 1914 weitere 13 Auflagen erfuhr und in mehrere Sprachen übersetzt wurde [8]. In diesem Lehrbuch wies er als Erster auf die „Ischias gonorrhoica”, den intermittierenden
Fiebertyp bei allgemeiner Gonorrhoe und die „Tripperehe”, die Einkinderehe, hin. Im
Jahre 1891 erfolgte Lessers Aufnahme in die Deutsche Akademie der Naturforscher (Leopoldina).
Von 1892 bis 1896 leitete Edmund Lesser die neue Universitäts-Hautklinik in Bern.
Die Berufung Lessers auf den Lehrstuhl in Berlin nach dem Tode von Georg Richard Lewin (April 1896) ist mit einer turbulenten Vorgeschichte verbunden [9]. Friedrich Althoff (1839 - 1908), Ministerialdirketor im preußischen Kultusministerium,
wünschte sich A. Neisser als Nachfolger Lewins. Neisser lehnte jedoch ab.
Im August 1896 wurde Lesser zum außerordentlichen Professor und ab 1. Oktober zum
Direktor der Klinik für syphilitische Krankheiten ernannt. Der Hautklinik stand der
von Otto von Bismarck protegierte Schweninger vor, bis 1902 beide Kliniken unter der Leitung von E. Lesser wieder vereinigt wurden.
Sie führte ab 1. Oktober 1902 die Bezeichnung „Königliche Universitätsklinik und Poliklinik
für Haut- und Geschlechtskrankheiten” [7]. Am 1. April 1897 war bereits eine Poliklinik für Syphiliskranke eröffnet worden.
Im Juli 1901 gründete Lesser das Institut für Lichtbehandlung.
Sein Organisationstalent bewies Lesser bei der Vorbereitung und Durchführung des V.
Internationalen Dermatologenkongresses in Berlin, bei der ihm Oskar Rosenthal (1852 - 1937) als Generalsekretär zur Seite stand.
Ein wichtiger Teil der wissenschaftlichen und praxisnahen Arbeit galt der Bekämpfung
der Geschlechtskrankheiten, als deren Hauptursache Lesser die Prostitution ansah. Die Gründung der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten durch A. Neisser, E. Lesser und A. Blaschko (1858 - 1922) am 19. Oktober 1902 war ein Meilenstein in der Geschichte der Venerologie,
ebenso wie die Entdeckung des Syphiliserregers, der Spirochaeta pallida, durch Fritz Richard Schaudinn (1871 - 1906) und Erich Hoffmann (1968 - 1959), dem Oberarzt Lessers, im Jahre 1905.
Eine Würdigung Lessers muss selbstverständlich den Umbau des alten chirurgischen Sommerlazaretts
zur „neuen” Universitäts-Hautklinik am 11. 6. 1906 sowie die Eröffnung der neuen dermatologischen
Poliklinik am 1. Oktober 1906 berücksichtigen. Die Klinik verfügte nun über 112 Betten
für Geschlechtskranke und 38 Betten für Hautkranke.
Erich Hoffmann schrieb 1952 über die Bedeutung Lessers als Begründer der Berliner Dermatologenschule:
„Rechnet man ihm neben den eigenen auch die Leistungen seiner Schüler in nunmehr zwei
und mehr Generationen an, so tritt sein bedeutender Einfluss erst voll hervor.” Vier
seiner Schüler wurden später seine Nachfolger auf dem Berliner Lehrstuhl: Georg Arndt (1874 - 1929), Franz Blumenthal (1878 - 1971) kommissarisch, Walter Frieboes (1880 - 1945) und Heinrich Löhe (1877 - 1961). Seine ersten Habilitanden waren Carl Alexander Bruhns (1900), Abraham Buschke (1900). Als weitere Schüler sind Erich Hoffmann, Erich Tomascewski (1874 - 1922), Marie Kaufmann-Wolf (1877 - 1922) und Felix Pinkus (1868 - 1947) zu nennen.
Edmund Lesser war an allen Fortschritten auf dem Gebiet der Dermatologie interessiert und erwarb
sich bei der Entwicklung dieser Disziplin große Verdienste. Er beschäftigte sich vorwiegend
mit klinischen Beobachtungen.
Erich Hoffmann beginnt seinen Nekrolog (Derm. Zschr. 26, 1918) auf Edmund Lesser mit den Worten:
Am 5. Juni (1918) starb in seinem schönen Heim in Berlin-Grunewald der ordentliche
Proffesor der Dermatologie Edmund Lesser, nachdem er eben das 66. Lebensjahr vollendet hatte. Wussten wir auch seit einigen
Monaten, dass seine Gesundheit durch eine typhusartige Erkrankung (A. Buschke: wahrscheinlich
eine Nahrungsmittelintoxikation), die er sich im Dezember 1917 zugezogen hatte, erschüttert
war, so ahnten wir doch nicht, dass er, der so gut erholt und hoffnungsfreudig aus
Baden-Baden zurückgekehrt war, so bald von uns gehen würde... Ist uns doch mit ihm
nicht nur ein ausgezeichneter Kliniker, ein hervorragender Arzt und edler Mensch,
ein treuer und bewährter Freund entrissen worden, sondern auch der älteste und führende
deutsche Dermatologe gerade in den Tagen, da unser Fach durch Einführung der Prüfung
nach vielen Kämpfen endlich die ihm im Universitätsunterricht gebührende Stellung
errungen hat.
Wo befindet sich die letzte Ruhestätte dieses verdienstvollen und im In- und Ausland bekannten und berühmten Wissenschaftlers?
Niemand der zahlreichen, dem Autor in dieser Frage kompetent erscheinenden Kollegen
konnte Auskunft über die Grabstelle Lessers geben. Edmund Lesser starb in seinem Haus
in der Wernerstr. 17 in der Grunewald-Kolonie nahe der Grunewald-Kirche. Lesser war
vom jüdischen zum christlichen Glauben konvertiert. So lag es nahe, das Kirchenbuch
der Grunewaldkirche einzusehen. Unter Nummer 10 der Liste der Beerdigten im Jahr 1918,
Mai bis Juli, findet man Anmerkungen zu Edmund Lesser (Abb. [3]). Stand: Geh. Medizinalrat, Universitäts-Prof. Dr. med., Alter 1852 - Mai - 12. -, hinterlassene Familienmitglieder: die Ehefrau, 3 Töchter, Tag und Stunde des Todes: 5. Juni - 3 Uhr n., Begräbnis: Name des Geistlichen: Priebe, Tag: 8. Juni (Trauerfeier im Haus), Kirchhof und Grabstelle: Einäscherung am 10. Juni in Berlin, Urne mit Lesser Friedhof von Grunewald, Todesursache:
Herzneurose und Herzschlag. Alle Eintragungen erfolgten 1918 natürlich (noch) in der
Sütterlinschrift.
Abb. 3 Kopie eines Auszuges aus dem Kirchenbuch der Grunewald-Kirche in Berlin (Evang. Landesarchiv
Berlin).
Welcher der Wilmersdorfer Friedhöfe war gemeint? Der Friedhof von Grunewald ist in
der Bornstedter Straße, wo auch Heinrich Löhe begraben ist. Das zentrale Friedhofsamt im Rathaus Berlin-Wilmersdorf konnte keine
Auskunft geben; keine Eintragung! Nach einer viel zu langen Pause fragte der Verfasser
bei einem Besuch auf dem Stahnsdorfer Südwestfriedhof in der Verwaltung nach dem Grab
von Edmund Lesser und erhielt die erhoffte Auskunft! Die jahrelange Suche wurde belohnt.
Sie war damit aber noch nicht beendet.
Der Südwest-Kirchhof der Berliner Stadtsynode [4] an der Bahnhofstraße in Stahnsdorf wurde am 28. März 1909 eröffnet. Die Friedhöfe
am Rande der hinsichtlich der Bevölkerungszahl rasch wachsenden Großstadt Berlin,
so auch der Ostfriedhof in Ahrensfelde, wurden wegen des zu befürchtenden Mangels
an Begräbnisplätzen um die Jahrhundertwende 1900 geplant. In Stahnsdorf fand die erste
Beistzung am 9. April 1909 statt, die im Stil einer norwegischen Stabkirche errichtete
Kapelle 1911 geweiht. Diese Kirche kann als Orientierungshilfe dienen, wenn man sich
auf dem Friedhof (ohne Plan) verirrt. Zahlreiche Sichtachsen geben den Blick auf die
Kapelle frei.
Am 13. Juni 1913 wurde die „Friedhofsbahn”, im Volksmund die „Leichenbahn” genannt,
mit eigenem Bahnhof eröffnet, die seit 1928 elektrifiziert als S-Bahn-Abzweig von
Wannsee nach Stahnsdorf fuhr: für die Berliner eine wichtige Verbesserung der Verkehrsverhältnisse.
Das Bahnhofsgebäude wurde 1977 gesprengt, die S-Bahn-Verbindung kam mit dem Mauerbau
ohnehin zum Erliegen. Der Friedhof schien auf lange Zeit isoliert.
Die vergebliche Suche nach dem Grabstein (Erbbegräbnis) im Block Trinitatis verlief
zunächst ergebnislos. Das Grabdenkmal war völlig von kleineren Bäumen und viel Strauchwerk
verdeckt (Abb. [2]). Zudem waren, wie sich später herausstellte, die auf dem Grabmal verzeichneten
Namen nur mit Mühe zu erkennen, wenn man wusste, wer dort begraben war. Der Friedhofsverwalter
führte den Verfasser schließlich anhand einer Art „Generalstabskarte” an Ort und Stelle.
Abb. 2 Grabdenkmal E. Lesser, Friedhof Stahnsdorf (Foto K. Harnack).
Es bot sich ein insgesamt gut erhaltenes Grabdenkmal (Abb. [2]), an dessen Vorderseite der Name von Edmund Lesser und dessen Titel eingemeißelt war, an zwei Seiten die Namen von den mit ihm bestatteten
Familienangehörigen. Die Grabstätte ist in Form eines Pollack mit zahlreichen Verzierungen
und Naturelementen gestaltet.
Die Suche ist beendet, die Arbeit nicht. Nächstes Ziel ist die Restaurierung des Denkmals
einschließlich notwendiger gärtnerischer Gestaltung. Beides wird nur mit Hülfe von
Sponsoren möglich sein, wenn der Senat von Berlin nicht dem Status eines Ehrengrabes
wie bei A. Blaschko und G. Benn zustimmt. Edmund Lesser hätte ein Ehrengrab verdient!