Anamnese
Ein 28-jähriger Mann stellte sich in der Notfallambulanz eines Kreiskrankenhauses vor. Beim Krafttraining habe er plötzlich einen kurzen, stechenden Schmerz im Bauch verspürt und habe daraufhin eine kinderfaustgroße „Schwellung” (Durchmesser ca. 6 cm) am Bauchnabel bemerkt. Bei Ankunft im Krankenhaus klagte der Patient über keinerlei Schmerzen mehr. Der aufnehmende Chirurg stellte zunächst die Indikation zur Herniotomie noch am Aufnahmetag bei reponierbarer Nabelhernie mit relativ kleiner Bruchpforte.
Befunde
Der Anästhesist stellte bei dem Patienten auskultatorisch einen 3. Herzton sowie eine relativ hohe und unregelmäßige Herzschlagfolge von ca. 110 Schlägen/min fest. Bei fehlenden Schmerzen oder Blutungszeichen konnte sich der Anästhesist die Ruhetachykardie bei dem Sportler zunächst nicht erklären. Im EKG zeigte sich ein tachykarder Sinusrhythmus mit gehäuften polymorphen ventrikulären Extrasystolen bei einem kompletten Linksschenkelblock. Der nun zur präoperativen Risikoevaluation hinzugezogene Internist konnte anamnestisch wesentliche Vorerkrankungen und kardiovaskuläre Risikofaktoren ausschließen. Vielmehr sei der Patient aktiver Fußballspieler in der Regionalliga und bis vor etwa 4 Monaten „topfit” gewesen. Nach der Winterpause habe er nach „übergangener Grippe” jedoch nicht mehr zu seiner alten Leistung zurückgefunden und übe daher nun vermehrt Krafttraining aus. Auf gezielte Nachfrage des Internisten berichtet der junge Patient über eine Belastungsdyspnoe bereits nach einer Treppenetage, verbunden mit Herzrasen und -stolpern. Auch habe er etwa 8 kg an Gewicht zugenommen. Laborchemisch zeigten sich sämtliche Werte im Normbereich, insbesondere keine Entzündungszeichen. Röntgenologisch war das Herz linksverbreitert bei diskreten, auch auskultatorisch nachweisbaren Stauungszeichen. Zudem zeigte sich eine deutliche Halsvenenstauung sowie eindrückbare Ödeme an beiden Unterschenkeln.
Therapie und Verlauf
Unter der Verdachtsdiagnose einer beginnenden globalen kardialen Dekompensation wurde die zunächst geplante Herniotomie zurückgestellt, eine intravenöse diuretische Therapie eingeleitet und der Patient auf die Innere Station aufgenommen. Echokardiographisch zeigte sich ein erheblich dilatierter (linksventrikulärer enddiastolischer Diameter (LVEDD) 76 mm), nicht hypertrophierter linker Ventrikel mit global hochgradig eingeschränkter systolischer Funktion. Der Patient wurde einen Tag später einer invasiven Diagnostik in der kardiologischen Abteilung der nahegelegenen Universitätsklinik zugeführt. In der Linksherzkatheteruntersuchung zeigte sich eine hochgradig eingeschränkte systolische Funktion mit einer linksventrikulären Ejektionsfraktion von 22 % bei freiem Kranzgefäßsystem. In der Rechtsherzkatheteruntersuchung mit Myokardbiopsie konnte eine Parvovirus B19-Persistenz im Sinne einer abgelaufenen Myokarditis nachgewiesen werden. Nach kardialer Rekompensation mit Schleifendiuretika und Initiierung einer Herzinsuffizienztherapie (β-Blocker, ACE-Hemmer, Schleifendiuretikum+Spironolacton) wurde der Patient eine Woche später nach Hause entlassen. Die Dosierung von β-Blocker und ACE-Hemmer wurde nachfolgend über einen Zeitraum von mehreren Monaten blutdruck- und herzfrequenzadaptiert bis zur jeweils maximal effektiven Dosierung gesteigert. Zuletzt lag die Ruheherzfrequenz bei etwa 55 Schlägen/Minute bei im Langzeit-EKG kaum noch vorhandener Extrasystolie. Auch kam es im Verlauf zu einer deutlichen Zunahme der körperlichen Belastbarkeit (zuletzt NYHA-Klasse I). Der Patient wurde 4 Monate nach dem Nabelbruch komplikationslos operiert.
Fazit
Ein relativ kleiner chirurgischer Routineeingriff bei einem vermeintlich gesunden, sportlichen jungen Mann wurde Dank sorgfältiger perioperativer Risikoevaluation und Therapie zunächst zurückgestellt. Je nach verwendetem Risiko-Score [1]
[2] ergibt sich bei dem genannten Patienten mit einer bisher nicht diagnostizierten und behandelten postmyokarditischen Herzinsuffizienz ein perioperatives Sterberisiko von bis zu 20 %! Der vorliegende Fall veranschaulicht, dass auch Patienten, die primär nicht einer der klassischen Risikogruppen für einen chirurgischen Eingriff zuzurechnen sind, möglicherweise schwerwiegende Gesundheitsstörungen aufweisen können, welche unbehandelt mit einem erheblichen perioperativen Risiko verbunden sind.