In dieser Ausgabe der Psychiatrischen Praxis erscheinen 64 Artikel aus Fachkrankenhäusern
mit psychiatrischen und neurologischen Kliniken, also Einrichtungen, die sich nicht
traditionell als forschende und lehrende Institutionen verstehen. Dies bedarf einer
Erklärung. Durch die traditionell enge Kooperation zwischen den bayerischen Fachkrankenhäusern
und durch einen, in den letzten Jahren regelmäßig stattfindenden, wissenschaftlichen
Austausch im Rahmen der regionalen Tagungen im Bildungszentrum Irsee wurde dieses
beachtliche Forschungspotenzial aus diesen Versorgungskrankenhäusern gefördert.
Die hier berichteten Forschungsaktivitäten aus den Fachkrankenhäusern haben naturgemäß
ihren Schwerpunkt in der anwendungsorientierten Forschung. Versorgungskrankenhäuser
bieten für dieses Forschungssegment besonders gute Voraussetzungen. Die bisherigen
Publikationen aus der Forschung von Fachkrankenhäusern fanden eine beachtliche Resonanz;
dies zeigte sich nicht zuletzt in der Entwicklung der Zitierhäufigkeit dieser Zeitschrift.
Forschung aus traditioneller Quelle, wie den Universitäten und Max-Planck-Instituten
wird häufig kritisch entgegengebracht, sie sei durch den dort gegebenen Wettbewerb
und durch den Karrieredruck - „publish or perrish” zu kurzatmig und zu wenig an den
Bedürfnissen der Patienten orientiert. Die grundsätzlich anderen Rahmenbedingungen
für Forschung an Versorgungskrankenhäusern dürften dazu beitragen, dass Forschungsergebnisse
publiziert werden, die so großen Anklang finden.
Sehr erfreulich ist auch die wachsende Zahl der Beiträge aus dem Fachbereich der Neurologie.
Die Forschungsfelder von Psychiatrie und Neurologie rücken umso näher aneinander,
je weiter sich die beiden Fachbereiche zu den aktuellen Forschungsfronten hinbewegen.
Im Bereich z. B. der Neurodegeneration, der molekularen Genetik, der Neuroendokrinologie
und der Neurophysiologie unterscheiden sich die Forschungsobjekte und die Forschungsmethoden
zwischen Neurologie und Psychiatrie kaum mehr. Die Neurologen stimulieren Stammganglien
Parkinsonkranker elektrophysiologisch, die Psychiater behandeln Depressive durch Vagusnervstimulationen.
Die Neurologie nutzt elektromagnetische Felder, um nervale Leitungsbahnen funktionell
zu prüfen, die Psychiatrie nutzt die elektromagnetischen Felder zur Neuromodulation
bei Depression und bei Tinnituspatienten und beginnen die mittels elektromagnetischer
Doppelimpulstechnik funktionelle Störungen im Thalamus bei schizophrenen Erkrankungen
zu evaluieren. Unsere amerikanischen Fachkollegen haben das jährliche Meeting ihrer
Fachgesellschaft kürzlich unter das Motto gestellt, „Mind Meets Brain”; sie haben
damit treffender als man es in deutscher Sprache sagen könnte, den Konvergenzprozess
von Psychiatrie und Neurologie hin zum gemeinsamen Feld der Neurowissenschaften thematisiert.
Im Beginn der medizinischen Ausbildung der meisten von uns war es noch rein hypothetisch,
dass Fühlen, Denken, Wollen sich in Form fassbarer biologischer Prozesse und in umschriebenen,
morphologisch definierbaren Substraten des ZNS abspielen würde. Wer sich damals zu
dieser Hypothese bekannte, machte sich als ideologisch verbohrter Somatiker verdächtig.
Funktionelles NMR, PET und SPECT ermöglichen es uns heute, dass das in der ICD-10
definierte Kriterium für Persönlichkeitsstörungen, „das herzlose Unbeteiligtsein an
Gefühlen für andere” sichtbar gemacht und abgebildet werden kann. Die „Decade Of The
Brain” war der Zeit von 1991 - 2001 gewidmet. Auch wenn dieses Jahrzehnt längst um
ist, so ist doch auch für die weitere Zukunft der Forschungsperspektive für die Psychiatrie
und für die Neurologie im gemeinsamen Feld der Neurowissenschaft eine Herausforderung
von höchster Priorität.