Veränderungen von Versorgungsstrukturen an einem Psychiatrischen Landeskrankenhaus

Zusammenfassung

Die Veränderungen von Versorgungsstrukturen der zurückliegenden Jahrzehnte an einem Psychiatrischen Landeskrankenhaus lassen sich wahrscheinlich am besten im Zusammenhang mit Erschütterungen und Veränderungen der klinischen Psychiatrie insgesamt verstehen: ihrer furchtbaren Verstrickung im NS-Regime, den folgenden Jahren der Vernachlässigung und des Stillhaltens, sowie der nachfolgenden Psychiatergeneration, die sich mit den unhaltbaren und unwürdigen Zuständen der klinischen Psychiatrie, insbesondere an den Landeskrankenhäusern, nicht mehr abfinden konnte und wollte. Die Psychiatrieenquete stellte den ersten und entscheidenden Schritt hin zu einer Reorganisation der vormals hauptsächlich von psychiatrischen Großeinrichtungen getragenen Versorgung dar. Einhergehend mit Enthospitalisierungsbemühungen und einem massiven Bettenabbau in den PLK wurden gemeindenähere Versorgungsstrukturen, hauptsächlich durch komplementäre Dienste, aber auch durch den Ausbau von psychiatrischen Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern realisiert. Die PsychPV ließ erstmals transparente und halbwegs akzeptable personelle Ressourcen in den traditionell eher schlicht ausgestatteten PLK entstehen. Innerhalb der (verkleinerten) PLK erfolgte eine Reorganisation unter den Gesichtspunkten der Binnendifferenzierung, Spezialisierung und Sektorisierung, sowie dem Ausbau teilstationärer und ambulanter Versorgungsangebote, auch in Form so genannter Satellitenstrukturen. Ein weiterer Schritt wird wahrscheinlich die Entwicklung weg von einer institutionsorientierten hin zu einer patientenorientierten Versorgungsstruktur sein. Trotz dieser teils parallelen Entwicklungen von Krankenhaus- und Abteilungspsychiatrie bestehen die ideologiegeführten Kontroversen der letzten Jahrzehnte fort. Erst in jüngster Zeit könnte die gerade im deutschsprachigen Raum wenig entwickelte Versorgungsforschung dazu beitragen, einen rationaleren Diskurs zu erreichen, der die weiteren Perspektiven von Landeskrankenhäusern im Kontext der Versorgungsstrukturen erkennbar macht.

Abstract

Changes in the provision of psychiatric services within the last decennials are probably best understood if the impact of national socialism on clinical psychiatry is regarded. Many psychiatrists took part in the „Aktion T4” the organised killing of their patients, at least they did not resist campaigns directed to killing or sterilisation patients. After WW II, a period of silence and acceptance of inhuman circumstances in the large mental state hospitals appeared, when in the sixties a new generation of psychiatrists was no longer willing to continue the traditional system of mental health care delivery. The Expert Commission on Mental Health Care reported a comprehensive agenda on reformation of service delivery in 1975, which was influential in the development of alternative structures of psychiatric services. Most mental state hospitals reduced their capacities and parallel to this process smaller units, devoted to principles of community psychiatry, associated to general hospitals were created. Overall, the number of hospital driven beds decreased at about 33 %, but in the large hospitals at two thirds within the last 25 years in Baden-Württemberg. This process of deinstitutionalization was accompanied by the development of structures for community care, internal reorganization and modernization, and important steps in budget development, which lead to better treatment opportunities for all kinds of psychiatric institutions. The concrete and historical reality of these circumstances and changes, and possible future directions are exemplified for the psychiatric hospital in Weinsberg.

Literatur

• 1 Sozialministerium Baden-Württemberg .Psychiatrieplan 2000 Baden-Württemberg Teil 1 - Rahmenplanung - Beschluss der Landesregierung vom 25. Juli 2000. 
• 2 Deutscher Bundestag .Bericht über die Lage der Psychiatrie in der BRD zur psychiatrischen, psychotherapeutischen und psychosomatischen Versorgung der Bevölkerung. Bundesdrucksache 7/4200. Bonn; Bonner Unversitätsdruckerei 1975
• 3 Dietz D. Die Königliche Heilanstalt Weinsberg.  Psychiatrisch-Neurologische Wochenschrift. 1904;  6 1-5
• 4 Willis E. Geschichte des Psychiatrischen Landeskrankenhauses Weinsberg. In: Reimer F (Hrsg) 75 Jahre Weissenhof. Psychiatrisches Landeskrankenhaus Weinsberg 1978
• 5 Neumer F. Die Behandlung von Psychisch Kranken in der königlichen Heilanstalt Weinsberg 1903 - 1913. Mannheim; Diplomarbeit am Lehrstuhl Psychologie II 1983
• 6 Jahresbericht Königliche Heilanstalt Weinsberg,. 1920
• 7 Seitz P G. Zur Geschichte und Entwicklung der Heilanstalt Weinsberg vom 3. Reich bis 1975. Mannheim; Diplomarbeit am Lehrstuhl Psychologie II 1988
• 8 Reimer F, Willis E. 75 Jahre Weissenhof. In: Reimer F (Hrsg) Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Krankenhauspsychiatrie - 10. Weinsberger Kolloquium 1978. Weinsberg; Weissenhof-Verlag, Dr. J. Kunow 1981
• 9 Chorover S L. Die Zurichtung des Menschen (Org.: From Genesis to Genocide). Frankfurt; Campe 1982
• 10 Binding K, Hoche A. Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form. Leipzig; F. Meiner-Verlag 1920
• 11 Kraepelin E, Lange J. Psychiatrie. Neunte, vollständig umgearbeitete Auflage. Bd. I, Allgemeine Psychiatrie, von Johannes Lange. Bd. II, Klinische Psychiatrie, Erster Teil, von Emil Kraepelin. Leipzig; Barth Verlag 1927
• 12 Klee E. Euthanasie im NS-Staat. Frankfurt; S. Fischer Verlag 1983
• 13 Reimer F, Lorenzen D. Moderne Psychiatrie gestern und heute - PLK Weinsberg. Karlsruhe; Braun-Fachverlag 1996
• 14 Reimer F. Die psychiatrische Versorgung der Region Franken. PLK Weinsberg 1990
• 15 Jahresbericht Psychiatrisches Landeskrankenhaus Weinsberg,. 1980
• 16 Jahresbericht Psychiatrisches Landeskrankenhaus Weinsberg,. 1965
• 17 Kisker K P. Klinische und gemeinschaftsnahe psychiatrische Behandlungszentren heute und morgen.  Nervenarzt. 1964;  35 233-237
• 18 Häfner H. Dringliche Reformen in der psychiatrischen Krankenversorgung der Bundesrepublik.  Helfen und Heilen. 1965;  4 1-8
• 19 Panse F. Das psychiatrische Krankenhauswesen. In: Strahlau J, Zoller, BE (Hrsg) Schriftenreihe aus dem Gebiete des öffentlichen Gesundheitswesens, Bd. 19. 1964
• 20 Häfner H. Die Entwicklung der klinischen Psychiatrie in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts.  Krankenhauspsychiatrie. 2000;  11 145-157
• 21 Jahresbericht Psychiatrisches Landeskrankenhaus Weinsberg,. 1970
• 22 Reimer F. 30 Jahre Weinsberger Hilfsverein. Weinsberg;
• 23 Gebhardt R, Steinert T. Innere Struktur der stationären psychiatrischen Krankenversorgung 22 Jahre nach der Psychiatrie-Enquete.  Nervenarzt. 1998;  69 791-798
• 24 Jahresbericht Psychiatrisches Landeskrankenhaus Weinsberg,. 1975
• 25 Dörner K. Ende der Veranstaltung. Anfänge der Chronisch-Kranken-Psychiatrie. Gütersloh; Verlag Jakob van Hoddis 1998
• 26 Strathdee G, Thornicroft G. Community sectors for needs-led mental health services. In: Thornicroft G, Brewin CR, Wing J (eds) Measuring Mental Health Needs. London; Gaskell 1992: 140-162
• 27 Jahresbericht Psychiatrisches Landeskrankenhaus Weinsberg,. 1985
• 28 Jahresbericht Psychiatrisches Landeskrankenhaus Weinsberg,. 1990
• 29 Jahresbericht Psychiatrisches Landeskrankenhaus Weinsberg,. 1995
• 30 Kruckenberg P, Kunze H. Personenbezogene Hilfen in der Psychiatrischen Versorgung. Tagungsbericht APK, Bonn. Köln; Rheinlandverlag 1997
• 31 Schmidt-Zadel R, Kunze H. Mit und ohne Bett. Personenzentrierte Krankenhausbehandlung im gemeindepsychiatrischen Verbund. APK. Bonn; Psychiatrie-Verlag 2002
• 32 Hansson L. Sectorization. In: Thornicroft G, Szmuckler G (eds) Textbook of Community Psychiatry. Oxford; Univ. Press 2001: 215-222
• 33 Munk-Jorgensen P. Has deinstitutionalization gone too far?.  Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci. 1999;  249 136-143