Aktuelle Urol 2004; 35(2): 90
DOI: 10.1055/s-2004-829455
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Keine signifikanten Vorteile

Laparoskopische radikale Prostatektomie
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15 July 2004 (online)

 
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Walter Artibani von der Universität Verona, Italien, u. Mitarb., haben die Komplikationshäufigkeit der radikalen retropubischen Prostatektomie (RRP) und der extraperitonealen laparoskopischen radikalen Prostatektomie (LRP) nicht randomisiert miteinander verglichen. Die beiden Gruppen waren bezüglich des mittleren präoperativen PSA-Wertes und des durch Biopsien ermittelten Gleason-Scores vergleichbar (European Urology 2003; 44: 401-406).

Die radikale retropubische Prostatektomie (RRP) gilt seit Jahrzehnten als der Goldstandard bei der chirurgischen Therapie des lokalisierten Prostatakarzinoms. Eine Alternative dazu ist die extraperitoneale laparoskopische radikale Prostatektomie (LRP). Ihre Befürworter betonen, dass durch die LRP Komplikationen verringert und der Krankenhausaufenthalt verkürzt werden kann. Außerdem bestehe wegen der optischen Vergrößerung des Operationsfeldes potenziell die Möglichkeit, die Kontinenz und die erektile Funktion besser zu erhalten. Ob diese neue Technik jedoch wirklich Vorteile bringt, konnte bisher nicht bestätigt werden.

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Operationszeit unter retropubischer Prostatektomie deutlich kürzer

50 Patienten wurden retropubisch radikal operiert und 71 laparoskopisch. Auch postoperativ waren die beiden Gruppen im Hinblick auf das pathologische Stadium und den definitiven Gleason-Score ähnlich. Die durchschnittliche Operationszeit ohne Lymphadenektomie war bei der retropubischen Prostatektomie signifikant kürzer: Sie betrug 105 ± 17 Minuten bei der RRP und 180 ± 20 Minuten bei der Laparoskopie. Bezüglich der Komplikationsrate wurden keine signifikanten Unterschiede beobachtet. In der Laparoskopiegruppe kam es bei 2 Patienten (2,8%) zu rektalen Verletzungen. Die minimalinvasiv operierten Patienten benötigten auch häufiger Bluttransfusionen.

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In 3 Ebenen dargestelltes kleines, hypoechogenes Prostatakarzinom (Pfeil) in der peripheren Zone (Bild: Praxis der Urologie, Thieme, 2003).

Der durchschnittliche postoperative Krankenhausaufenthalt lag in der OP-Gruppe bei 10,2 ± 2 Tagen und in der Laparoskopiegruppe bei 7,2 ± 3,4 Tagen. Die Dauer der Katheterisierung betrug 8,4 ± 0,9 Tage in der OP- und 8 ± 2,8 Tage in der Laparoskopiegruppe. Nur 34 Patienten - 20 in der LRP und 14 in der RRP-Gruppe - wurden länger als 12 Monate nachbeobachtet. Nach diesem Zeitraum wurden 9 Patienten (64%) in der OP- und 8 (40%) in der minimalinvasiv operierten Gruppe als komplett kontinent bewertet. Die Sexualfunktion stellte sich unter der Therapie mit Sildenafil bei 4 von 40 RRP-Patienten (10%) und bei 5 von 57 LRP-Patienten (8,8%) nach einer Nachbeobachtungszeit von über 6 Monaten wieder ein.

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Fazit

Die Autoren kommen aufgrund ihrer Ergebnisse zu dem Schluss, dass die laparoskopische radikale Prostatektomie im Vergleich zur konservativen chirurgischen Vorgehensweise bis jetzt keine signifikanten Vorteile bezüglich der perioperativen Komplikationsrate bietet.

Dr. Ralph Hausmann, Frankfurt

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Erster Kommentar

Unbestritten ist die Fragestellung der Arbeit hochinteressant: Bietet die laparoskopische radikale Prostatektomie wirklich Vorteile für den Patienten? Dies könnte theoretisch die perioperative Morbidität, die postoperativen funktionellen Ergebnisse (Kontinenz, Potenz, Spätkomplikationen) und die onkologische Effizienz betreffen.

Artibani u. Mitarb. befassen sich mit der perioperativen Morbidität, wobei Operationszeit, Transfusions- und perioperative Komplikationsraten sowie Dauer der Katheterisierung und des stationären Aufenthalt analysiert wurden. Es handelt sich dabei um eine prospektive nicht randomisierte Studie zweier Kliniken in Verona, wobei die im Jahr 2001 durchgeführten Operationen, 50 offen operative retropubische Prostatektomien in der Universitätsklinik (Operateur Artibani) mit 71 laparoskopischen Eingriffen im Villafranca Hopital (Operateur Grosso) verglichen wurden.

Dieses Studiendesign kann aus folgenden Gründen leider kaum valide Aussagen zu der gestellten Fragestellung liefern:

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1. Die Ausgangssituation beider Chirurgen ist vollständig unterschiedlich.

Auf der einen Seite liegen bezüglich der offenen aszendierenden retropubischen Prostatektomie langjährige Erfahrungen mit mehreren Hunderten von Walter Artibani operierten Patienten vor, wobei es sich um ein in allen Bereichen standardisiertes Verfahren handelt. Demgegenüber bestehen maximal 2-jährige Erfahrungen mit gerade mal 60 transperitoneal nach der Montsouris-Technik laparoskopisch deszendiert operierten Kranken, wobei aber in der vorliegenden Vergleichstudie eine extraperitoneale Modifikation eingesetzt wurde, die sich in grundlegenden Schritten (z.B. transperitoneale Präparation der Samenblasen) von der Montsouris-Technik unterscheidet. Es ist evident und entspricht auch eigenen Erfahrungen, dass ein derartiges Umsteigen immer mit einer gewissen Lernkurve begleitet ist. Diese drückt sich vor allem in der Operationszeit aus, kann sich aber auch in gewissen seltenen Komplikationen (z.B. Rektumverletzung, Blutverlust) widerspiegeln. Auch die absolute Zahl von 60 Patienten als Grundlage bedeutet aufgrund eigener publizierter Erfahrungen keinerweise ein Plateau der Lernkurve. Dies findet sich frühestens nach mehr als 200 Patienten. Da sich die laparoskopische Technik (extraperitoneal deszendierend) von der offenen Operation (extraperitoneal aszendierend) grundlegend unterscheidet, kann auch eine möglicherweise vorbestehende offen operative Erfahrung von Gaetano Grosso nur wenig hilfreich sein

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2. Fallzahl ist unzulänglich

Abgesehen von der Operationszeit sind theoretisch nur geringe Unterschiede hinsichtlich der evaluierten Parameter (Komplikationsrate, Katheterzeit, positive Resektionsränder, stationärer Aufenthalt) zwischen beiden Gruppen zu erwarten. Insofern genügen 50 bzw. 70 Patienten nicht, um valide Aussagen zu machen. Beispielsweise ist die Komplikationsrate nach offener Operation um immerhin 17% niedriger (20 vs. 37%), aber der Unterschied nicht signifikant. Bezüglich der Transfusionsraten muss bemerkt werden, dass sie in beiden Gruppen (34 vs. 63%) relativ hoch sind, gerade für das laparoskopische Vorgehen wurden deutlich niedrigere Werte (unter 10%) publiziert. Dies dokumentiert anschaulich, die noch nicht abgeschlossene Lernkurve der Operateurs (G.G.). Korrekterweise hätte man auch nur allogene Transfusionsraten miteinander vergleichen sollen (34 vs. 52%), wobei dann der Unterschied fraglich signifikant geblieben wäre.

Die Arbeit belegt nur, dass unabhängig von der Technik die operative Erfahrung den entscheidenden Erfolgsparameter darstellt.

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3. Die evaluierten Parameter sind unvollständig

Betrachtet man bisher publizierte Vergleichstudien, die den Autoren zumindest als Abstract hätten vorliegen müssen, so findet sich immer eine Überlegenheit der offenen Operation bezüglich der Operationszeit, während sich die Vorteile der Laparoskopie naturgemäß im geringeren Transfusionsbedarf, Analgetikabedarf, stationärem Aufenthalt (unter gleichem mediko-sozialen Umfeld), kürzerer Katheterzeit, früherer Rehabilitation und weniger Spätkompli- kationen (Anastomosenstrikturrate) widerspiegeln. Einige diese wesentlichen - vorher bekannten Parameter (Analgetikabedarf, Rehabilitation, Spätkompliktionen) wurden von den Autoren nicht erfasst bzw. nicht berücksichtigt. Hier hätten sich, wie schon beim kürzeren stationären Aufenthalt (10 vs. 7 Tagen) trotz der vergleichsweise fehlenden chirurgischen Erfahrung schon deutliche Vorteile für die Laparoskopie aufzeigen lassen.

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Offene Enukleation bei Prostatahyperplasie (Bild: Urologie, Thieme, 2002).

Zusammenfassend belegt die Arbeit nur, dass unabhängig von der Technik (offen operativ vs. laparoskopisch) die operative Erfahrung den entscheidenden Erfolgsparameter darstellt. Angesichts der zahlreich erhobenen Daten, die letztendlich nur als Qualitätskontrolle der beiden Zentren dienen können, ist es bedauerlich, dass die Autoren die genannten Faktoren beim Design ihrer Studie nicht beachtet haben.

Prof. Jens Rassweiler, Heilbronn

Literatur beim Autor

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Zweiter Kommentar

Die Entwicklungen im Bereich der minimalinvasiven Chirurgie hat dazu geführt, dass die laparoskopische radikale Prostatektomie in das Spektrum der laparoskopischen Urologie aufgenommen werden konnte. Zurzeit existieren ausreichende Daten, um zu behaupten, dass dieser Eingriff in vielen Kliniken standardisiert werden konnte. Dabei steht der transperitoneale und der extraperitoneale Zugang zu Verfügung.

Die vorliegende Arbeit nennt die minimalinvasive Variante als die extraperitoneale laparoskopische Prostatektomie, auch wenn dieser Begriff hier fälschlicherweise als laparoskopisch definiert ist. Im deutschen Raum hat sich diese Methode unter dem Namen endoskopische extraperitonale radikale Prostatektomie (EERPE) durchgesetzt.

In dieser Arbeit werden gleich große Patientenzahlen mit identischen präoperativen Parametern verglichen. Die Operationen wurden in 2 verschiedenen Kliniken durchgeführt. Die Eingriffe erfolgten in jeder Gruppe durch einen Operateur. Diese Arbeit zeigt anhand der peri- und postoperativen Parametern, dass die Methoden sich nicht wesentlich unterscheiden.

In dieser Arbeit werden in meinen Augen einige wesentlich wichtige Punkte nicht diskutiert. In der Aufschlüsselung der Komplikationen bleibt leider unklar, wie es bei einem Patienten, der mit einer extraperitonealen Technik operiert wurde, zu einem Ileus gekommen ist Diese Methode trägt die Behauptung, dass intraperitoneale Komplikationen nicht vorkommen. Weiterhin ist es nicht eindeutig, warum doppelt so viele Patienten in der EERPE-Gruppe Temperaturen entwickelt haben.

Diese Arbeit bringt für mich eigentlich eine ganz andere Diskussion und Schlussfolgerung ans Licht. Wenn man sich die Operateure genau anschaut, erkennt man, dass man einen erfahrenen Operateur für die retropubische Prostatektomie (wobei nicht erwähnt ist, was seine persönliche Erfahrung ist) und einen Operateur, der vorher 60 endoskopische extraperitoneale Prostatektomien durchgeführt hat, gegeneinander stellt. Unter diesem Erfahrungsunterschied kommen beide Methoden auf gleichwertige Ergebnisse, so dass eigentlich gezeigt wird, dass diese junge Methode jetzt schon in der Lage ist, sich mit den Meistern zu messen. Man hat leider diese Gelegenheit nicht genutzt, um diese Frage anzudiskutieren.

Es ist anhand der heutigen Datenlage vollkommen klar, dass die laparoskopische oder endoskopische radikale Prostatektomie in erfahrenen Händen zu den gleichen guten Ergebnissen wie die offene retropubische Prostatektomie führt. Man sollte nur nicht vergessen dass die minimalinvasive Technik erst Ende der 90er-Jahren standartisiert wurde, so dass noch Entwicklungspotenzial vorhanden ist. Dagegen ist die retropubische radikale Prostatektomie technisch fast ausgereizt. Es ist nicht anzunehmen dass Parameter wie Blutverlust, Operationszeit, Krankenhausverweildauer, Katheterverweildauer oder endgültige Kontinenzrate sich voneinander unterscheiden werden. Diese Methoden werden sich wohl nur anhand von Parametern wie Zeit zur Kontinenzerlangung, Zeit zur Arbeitrückkehr oder Geschlechtsverkehrsrate nach potenzerhaltenden Maßnahmen wie nerverhaltende Operationstechnik, N.-suralis-Interposition messen müssen, weil dort ist es zu erwarten, dass die Vorteile der laparoskopischen bzw. endoskopischen Operation, wie z. B. Vergrößerung, subtile Präparation bei besserer Sicht etc. zur Geltung kommen können.

Serdor Deger, Berlin

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Dritter Kommentar

Die Autoren vergleichen prospektiv 2 Operationsmethoden zur Behandlung des lokal begrenzten Prostatakarzinoms. Es wurden die klassische retropubische radikale Prostatektomie (RRP) und die von den Autoren als extraperitoneale laparoskopische radikale Prostatektomie (LRP) bezeichnete Operationsmethode angewendet. Es wurden 50 konsekutive Patienten mit der klassischen retropubischen und 71 Patienten mit der extraperitonealen Technik operiert.

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Radikale Prostatektonie beim Prostatakarzinom. Die Prostata wird zusammen mit der Kapsel und den Samenblasen vollständig entfernt (Bild:Urologie, Thieme, 2002).

Auffallend sind die insgesamt schlechten Ergebnisse der Patienten der LRP-Gruppe, die in erheblichem Widerspruch zu publizierten Daten zahlreicher anderer Gruppen stehen. Hervorzuheben ist hier eine nahezu unglaubliche Transfusionsrate von 64%. In der eigenen Leipziger Klinik liegt die Transfusionsrate bei der endoskopischen extraperitonealen radikalen Prostatektomie (EERPE) unter 1% (4 Patienten mit Transfusion bei 440 Eingriffen). Warum 21% der Patienten nach LRP länger als 2 Tage Fieber hatten, bleibt ebenso unklar wie andere Komplikationen. Auch hinsichtlich der funktionellen Ergebnisse sind die Ergebnisse als nicht repräsentativ für die minimalinvasiven Eingriffe (laparoskopische/endoskopische extraperitoneale Prostatektomie) anzusehen. Hier sind beispielsweise lediglich 40% der Patienten 12 Monate postoperativ komplett kontinent. Andere Gruppen (Guillonneau, Abbou, Tuerk, Rassweiler, Stolzenburg) berichten über Kontinenzraten um die 90% 6 bis 12 Monate postoperativ. Offensichtlich liegt diese Studie“ in der Lernkurve der laparoskopischen Prostatektomie, was einen exakten Vergleich mit einem seit Jahrzehnten etablierten Verfahren wie der RRP insgesamt verbieten würde.

Der abschließende Satz der Autoren Die Ergebnisse dieser nicht randomisierten Studie zeigen, dass bis heute die LRP keine signifikanten Vorteile hinsichtlich der perioperativen Morbidität im Vergleich zur traditionellen RRP besitzt“ basiert lediglich auf Erfahrungen dieser Gruppe am Beginn des Erlernens einer operativen Technik und ist bezogen auf die präsentierten Daten eher tendenziös als wissenschaftlich exakt.

PD Jens-Uwe Stolzenburg, Leipzig

 
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In 3 Ebenen dargestelltes kleines, hypoechogenes Prostatakarzinom (Pfeil) in der peripheren Zone (Bild: Praxis der Urologie, Thieme, 2003).

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Offene Enukleation bei Prostatahyperplasie (Bild: Urologie, Thieme, 2002).

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Radikale Prostatektonie beim Prostatakarzinom. Die Prostata wird zusammen mit der Kapsel und den Samenblasen vollständig entfernt (Bild:Urologie, Thieme, 2002).