Aktuelle Urol 2004; 35(3): 155-160
DOI: 10.1055/s-2004-829469
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

CD9-Expression prognostisch nützlich?

Harnblasentumoren
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Publication Date:
03 August 2004 (online)

 
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Das Motility-Related Protein 1 (MRP-1/CD9) gehört zur Transmembran-4-Superfamilie, die an der Proliferation, der Adhäsion und dem Bewegungsvermögen der Zellen beteiligt ist. CD9 hat eine hohe prognostische Aussagekraft bei verschiedenen soliden Tumoren.

Bisher ist die Bedeutung von CD9 als prognostischer Marker beim Urothelkarzinom der Harnblase noch nicht bewertet worden. Paulette Mhawech von der Pathologischen Klinik der Universitätskliniken Genf, Schweiz, u. Mitarb. haben in einer Studie die Beziehung der CD9-Expression zum Tumorgrad und -stadium des Urothelkarzinoms bestimmt und die Bedeutung von CD9 als Vorhersagewert bei oberflächlichen papillären Tumoren definiert. 118 Patienten mit pTa-, 111 mit pT1- und 91 mit pT2-Tumoren wurden auf eine CD9-Expression mittels immunhistochemischer Methoden untersucht (Cancer 2003; 98: 1649-1657).

Eine negative (< 5% positive Zellen) CD9-Expression war signifikant mit Urothelkarzinomen in einem hohem Grad und Stadium assoziiert. Eine verringerte (5-50% positive Zellen) bzw. negative CD9- Expression war mit einer Progression oberflächlicher papillärer Harnblasentumoren verknüpft, aber nicht mit einem Rezidiv.

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CD9-Expression unabhängiger Prognosefaktor

Patienten mit Tumoren im Stadium pTa oder pT1 und einer verminderten CD9- Expression hatten ein relatives Risiko von 5,59 für eine Progression verglichen mit denjenigen, die Tumoren mit positiver CD9-Expression (> 50% positive Zellen) hatten. Eine positive CD9-Expression war signifikant mit einer langsameren Tumorprogression verbunden. Eine negative CD9-Expression stellte sich als ein unabhängiger prognostischer Faktor für die Vorhersage einer Tumorprogression heraus. Bei der Vorhersage eines Rezidivs erwies sich nur der pathologische Grad als statistisch signifikant.

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Urothelkarzinom. Bei dieser papillären Form zeigt das Karzinom Anaplasie- oder Invasionszeichen und eine Urotheldicke von mehr als 7 Zelllagen; es bilden sich makroskopische Zotten (Bild: Taschenatlas der Allgemeinen Pathologie, Thieme, 1998).

In der Studie war eine reduzierte bzw. negative CD9-Expression signifikant mit dem Tumorgrad und der Invasionstiefe des Harnblasenkarzinoms assoziiert. Zusätzlich erwies sich eine negative CD9- Expression als ein unabhängiger Vorhersagewert für eine Progression bei Patienten mit oberflächlichen Tumoren.

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Fazit

Aus diesen Gründen scheint die immunhistochemische Bestimmung der CD9-Expression dazu geeignet zu sein, das biologische Verhalten eines oberflächlichen Harnblasenkarzinoms einzuschätzen. Wenn dadurch Patienten mit einem hohen Progressionsrisiko identifiziert werden, können sie frühzeitig einer effizienten Therapie zugeführt werden.

Dr. Ralph Hausmann, Frankfurt

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Erster Kommentar

Mhawech u. Mitarb. haben in einer retrospektiven Analyse die Expression des motilitätsassoziierten Preoteins-1 (MRP-1/CD9) beim Harnblasenkarzinom untersucht. Die Expression wurde dabei immunhistochemisch an 320 paraffinfixierten pathologischen Harnblasenkarzinompräparaten vorgenommen. Die Arbeitsgruppe aus Genf konnte dabei erstmals eine Assoziation einer fehlenden Expression von CD9 mit fortgeschrittenem lokalen Tumorstadium und schlechter Kerndifferenzierung des Blasenkarzinoms demonstrieren. Darüber hinaus war eine verminderte CD9-Expression in der vorliegenden Untersuchung der einzige unabhängige Prognosefaktor für das Auftreten eines Tumorprogresses und hatte damit mehr Vorhersagekraft als das pathologische Tumorstadium und der Differenzierungsgrad des Primärtumors (p = 0,007; 95% Cl, 0,11-0,70).

Die immunhistochemische Bestimmung der CD9-Expression stellt eine einfache und möglicherweise sehr effiziente Methode zur Prognosebeurteilung dar.

Das auf Chromosom 12p13 lokalisierte MRP-1/CD9 wird der ”Transmembrane-4-Superfamily“ (TM4SF), einer Gruppe von Oberflächenglykoproteinen, die für Zellwachstum, -adhäsion und -motilität verantwortlich ist, zugerechnet. Dabei hat das CD9 eine wichtige Aufgabe bei der Regulation der Zellmotilität. Obwohl für andere Tumorentitäten bereits ein Zusammenhang einer verminderten Expression von CD9 mit ungünstigen Tumoreigenschaften hergestellt werden konnte, ist dieser interessante Sachverhalt beim Harnblasenkarzinom bislang noch nicht untersucht worden. Erste Untersuchungen zur CD9-Expression bei anderen Malignomen datierten bereits 10 Jahre zurück. In jüngerer Zeit wurde dieses Thema jedoch wieder aufgegriffen, was sich in aktuellen Publikationen niederschlägt. Dass Mhawech u. Mitarb. die CD9-Expression beim Harnblasenkarzinom untersuchten, ist als sehr innovativ und originell zu werten, obwohl das Analyseverfahren, die Immunhistochemie, ein einfaches und in der Routine-Pathologie bereits etabliertes Standardverfahren darstellt. Aber gerade in dieser Tatsache lässt sich auch die Attraktivität der Studie begründen, da diese Analyse jedem pathologischen Institut zur Verfügung steht und somit ohne größere Verzögerungen in die Klinik übernommen werden könnte. Allerdings müssten zuvor die Ergebnisse von anderen Arbeitsgruppen und vorzugsweise unter prospektiven multizentrischen Stu- dienbedingungen noch bestätigt werden.

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Die meisten einzelnen oder multipel auftretenden exophytischen Tumoren werden transurethral reseziert (Bild: Thieme, Urologie, 2002).

Wegen des unizentrischen Studiendesigns und der Tatsache, dass keine Referenzpathologie für die Überprüfung der histopathologischen Diagnosen miteinbezogen wurde, müssen die vorgelegten Ergebnisse dennoch vorsichtig kritisch bewertet werden. Darüber hinaus ist in der Studie ein weiteres Problem der immunhistochemischen Bewertung einer Genexpression offenkundig geworden. Es ist das Dilemma mit den sogenannten ”Cut-offs“. Während in der vorliegenden Arbeit 3 Gruppen einer Expression bestimmt wurden (keine Expression: < 5% der Zellen, erniedrigte Expression: 5-50% CD9-positive Zellen und erhöhte Expression: > 50% positive Zellen) hatte man sich beim p53 zum Beispiel eines ”Cut-off“ von ca. 20% bedient, um zwischen erhaltener oder reduzierter Tumorsuppressorgenfunktion zu unterscheiden. Das Problem mit den ”Cut-offs“ ist von Mhawech u. Mitarb. nicht direkt angesprochen worden, wird aber bei genauem Studium der Ergebnisse deutlich. So ließ sich für die Gruppen mit einem klaren Unterschied in der Immunreaktivität (< 5% und > 50%) der Unterschied im biologischen Verhalten der Blasenkarzinome auch klar erkennen, während in der Gruppe mit ”reduzierter Expression“ > 5% bis < 50%) keine Risikozuordnung zu treffen war. Demnach sollte bei genauer Betrachtung der Ergebnisse die Empfehlung gegeben werden, nur bei Präparaten mit einer eindeutig vorhandenen (> 50% CD9-positive Zellen) oder eindeutig fehlenden (< 5% CD9-positive Zellen) Expression eine zusätzliche Beurteilung des Progressionsrisikos über die histopathologische Diagnose hinaus zu erlauben. Durch diese klarere Stratifizierung des CD9-Expressionsverhaltens lassen dann zwar ca. 25% der Harnblasenkarzinompräparate keine Aussage mehr zu, gleichzeitig würde es aber auch bedeuten, dass die Beurteilung des Expressionsverhaltens nicht zeitaufwändig quantitativ, sondern semiquantitativ/qualitativ und zeitsparend ohne einen Verlust an Aussagekraft erfolgen könnte. Unter Beachtung der genannten Kritikpunkte stellt die immunhistochemische Bestimmung der MRP-1/CD9 Expression beim Harnblasenkarzinom eine einfache und möglicherweise sehr effiziente Methode zur genaueren Prognosebeurteilung des oberflächlichen als auch des invasiven Harnblasenkarzinoms dar und könnte dem Kliniker bei der Wahl einer risikoadaptierten Nachsorge und Therapie hilfreich sein.

PD Rolf von Knobloch, Marburg

Literatur beim Autor

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Zweiter Kommentar

In der Initiierung der Metastasierungskaskade sind die Auflösung des Zellverbandes durch Verlust von Zelladhäsionsmolekülen sowie die Stimulation der Zellmotilität durch extrazelluläre Moleküle wichtige Faktoren. In den meisten epithelialen Zellverbänden stellt E-Cadherin ein wichtiges Zelladhäsionsmolekül dar. In verschiedenen menschlichen Karzinomzelllinien sowie Primärkulturen menschlicher Harnblasenkarzinome kon nte eine verminderte E-Cadherin-Expression festgestellt werden, die mit einer gesteigerten In-vitro-Tumorzellinvasion und damit gesteigerter Progression verbunden war. Auch in normalem Prostatagewebe, bei benigner Prostatahyperplasie und gut differenziertem Prostatakarzinomen, zeigt sich eine positive E-Cadherin-Expression, während die E-Cadherin-Expression bei schlecht differenzierten und lokal fortgeschrittenen Prostatakarzinomen zu 90 bzw. 93% reduziert ist. Die Zellmotilität der Tumorzellen kann u.a. durch den in Zellkulturüberständen von

Melanom- und Fibrosarkomzellinien nachgewiesenen autokrinen Motilitätsfaktor (AMF) stimuliert werden. Das zellmembranständige Glykoprotein gp- 78 ist als PTX-sensitiver, G-Protein-gekoppelter Rezeptor für AMF identifiziert worden. Dass die inverse Expression von E-Cadherin und gp78 in Harnblasenkarzinomzellen einen Prognosefaktor darstellt, berichten Otto et al. 1994. In normalem Urothelgewebe zeigt sich eine 100 %ige E-Cadherin-Expression bei fehlender gp78-Expression. Patienten mit einem oberflächlichen Harnblasenkarzinom, das eine positive E-Cadherin-Expression bei fehlender gp78-Expression aufweist, haben ein niedriges Risiko, eine klinische Progression zu entwickeln. Demgegenüber haben Patienten mit einer reduzierten E-Cadherin-Expression, kombiniert mit einem inversen Anstieg der gp78-Expression, eine ungünstige Prognose; 71% dieser Patienten zeigen eine rasche Tumorprogression und 32% dieser Patienten sind tumorbedingt nach 2 Jahren verstorben.

Die vorliegende Markerstudie der Phase II eignet sich nicht, CD9 als Prognosefaktor des Urothelkarzinoms zu postulieren

Die Motilität von Tumorzellen kann, neben der Stimulation durch EGF oder AMF, generell zum einen durch extrazelluläre Matrixmoleküle wie Kollagen und andererseits durch lösliche extrazelluläre Signalmoleküle stimuliert werden. Dabei erfolgt die Aktivierung der Zellen über plasmamembranständige Rezeptoren, wie Rezeptoren für Adhäsionsmoleküle oder Rezeptoren mit intrinsischer Tyrosinkinaseaktivität. Eine weitere Gruppe von Rezeptoren, die die Zellmotilität und -proliferation regulieren können, koppelt an heterotrimere G-Proteine. Die Charakterisierung der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren der hochmalignen menschlichen Urothelkarzinomzellinie J82 zeigte, dass die beiden Rezeptoragonisten LPA und Thrombin zu einer starken Stimulation der Zellmotilität führten. Die weitere Charakterisierung der Signalkaskade des LPA- und Thrombin-Rezeptors ergab, dass der LPA-Rezeptor über ein PTX-sensitives Gi-Protein koppelt und der Thrombin-Rezeptor über ein PTX-insensitives G-Protein der Gq- oder G12-Klasse. Interessanterweise war die J82 Zelllinie hochsensitiv auf eine PTX-Vorbehandlung, da bereits eine PTX-Konzentration von 100 pg/ml zu einer kompletten Hemmung der durch LPA induzierten Zellmotilität führte.

Vergleichbar zu E-Cadherin oder dem EGF- oder AMF-Rezeptor hat CD9+ in der immunhistochemischen Bestimmung und semiquantitativen Bewertung einen prognostischen Stellenwert, wobei CD9+ und klinische Prognose invers korreliert sind. Studienbezogene Mängel aus der vorliegenden Publikation sind wie folgt begründet:

  • die Daten sind retrospektiv erhoben

  • ie semiquantitative Messung von CD9 bezieht sich auf ein Labor und ist nicht interinstitutionell abgesichert

  • ein Kontrollkollektiv ohne maligne Erkrankung fehlt!

Eigene Erhebungen an 63 Nierenzellkarzinomen, 6 Metastasen und 20 Kontrollen (normale Nierenparenchym) belegen einen positiven CD9-Nachweis in allen Kontrollen (20/20), 93% der Primärtumoren und allen Metastasen (6/6).

Die vorliegende Markerstudie der Phase II eignet sich nicht, CD9 als Prognosefaktor des Urothelkarzinoms zu postulieren.

Dr. Thomas Otto, Prof. Herbert Rübben, Essen

Literatur bei den Autoren

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Dritter Kommentar

Die Autoren untersuchten an einer großen Patientengruppe (n = 320) mit Blasentumoren, welches über einen langen Zeitraum behandelt wurde (11 Jahre) die immunhistochemische Expression des Motility related protein 1 (MRP-1/CD9) und prüften die Korrelation zum T- Stadium, zur Differenzierung und zur Progression und Rezidivneigung.

Eine geringe oder fehlende Expression (< 5% angefärbte Zellen) fand sich signifikant häufiger bei invasiven Tumoren und schlechter Differenzierung. Erfreulicherweise haben sich die Autoren mit dieser rein pathologischen Betrachtungsweise nicht zufrieden gegeben und die Expression auch mit dem biologischen Verhalten des Tumors korreliert. Tumoren von Patienten mit einer positiven Expression von CD 9 (> 50%) hatten demnach ein geringeres Risiko einer Tumorprogression.

Die Expression von CD 9 ist bei einer Reihe solider Tumoren auf die immunhistochemische Expression und eine Korrelation zum Tumorstadium und das Progressionsverhalten hin untersucht worden, aber bisher nicht an einer größeren Serie von Patienten mit einem Blasenkarzinom. Die Autoren schließen diese Lücke nun für das Blasenkarzinom und finden in Übereinstimmung mit den Untersuchungen an anderen soliden Karzinomen eine Korrelation von niedriger Expression, schlechterer Differenzierung und aggressiverem biologischen Verhalten. Dieses Ergebnis erscheint logisch, denn CD9 gehört zu der Transmembran-4-Superfamilie, die maßgeblich die Adhäsion, Proliferation und Motilität von Zellen mitbestimmt. Bei kritischer Betrachtung dieser Arbeit fallen einige Punkte auf, die man im Hinblick auf das Ergebnis diskutieren würde: 115 von 320 Patienten hatten kein Follow-up. Dies betraf zwar meist Patienten mit Tumoren des Stadium pT2 (87 von 115) aber eben auch 19 von 111 Patienten mit Tumoren des Stadiums pT1, und das sind nahezu 20%. In dieser Studie erlitten 58 von 118 Patienten mit einem pTa-Tumor (49%) ein Rezidiv, aber nur 29 von 111 mit einem Tumor des Stadiums pT1 (26%). Dies würde man so nicht erwarten.

Vermutlich hängt dieses Ergebnis mit der Indikationsstellung zur radikalen Zystektomie an der untersuchenden Klinik zusammen. Wenn Patienten mit einem pT1 Tumor nach der initialen TUR mit einer Zystektomie behandelt werden, ist der Anteil progredienter Patienten naturgemäß gering. Solche kritischen Aspekte lassen sich in jeder Studie finden, die retrospektiv ein großes Krankengut aus einem langen Zeitraum aufarbeitet und sind damit ein immanenter Fehler solcher retrospektiver Untersuchungen, der sich kaum ausschließen lässt.

Ein weiterer immanenter Schwachpunkt aller Studien, die die Expression eines oder mehrerer Faktoren mit der Rezdivhäufigkeit und der Progression beim Blasentumor untersuchen, liegt in der spezifischen Behandlung des Blasentumors. Zahlreiche Studien haben prospektiv den Wert der Nachresektion beim oberflächlichen Blasenkarzinom untersucht und übereinstimmend festgestellt, daß bei pTa-Tumoren bis zu 30 % und bei pT1-Tumore in fast 50% Tumorgewebe in der Nachresektion (nach 6-8 Wochen) gefunden wird. Eine im letzten Jahr publizierte Untersuchung konnte nachweisen, dass eine routinemäßig durchgeführte Nach- resektion einen erheblichen Einfluss auf die Rezidivhäufigkeit hat. Wenn also heute die Expression eines immunhistochemisch nachgewiesenen Faktors die Rezidivhäufigkeit vorhersagen soll, müsste dies an einem Patientengut untersucht werden, welches konsequent nachreseziert wurde, um diesen chirurgischen Faktor auszuschließen. Würde man in der hier diskutierten Studie annehmen, dass die Hälfte der Rezidive durch eine unvollständige transurethrale Resektion bedingt ist, verliert das Ergebnis seine Bedeutung, da das Rezidiv dann nicht durch das biologische Verhalten des Tumors sondern durch eine unvollständige Erstresektion bedingt wäre.

Es gibt einen weiteren wichtigen Kritikpunkt, der nahezu alle Arbeiten betrifft, die die Expression eines Faktors mit dem Grading und dem Tumorstadium korrelieren. Alle diese Untersuchungen basieren auf der Annahme, dass die Differenzierung des Tumors und die pathohistologische Aufarbeitung und Stadieneinteilung unabänderliche harte Merkmale sind, auf die man neue Faktoren beziehen kann. Dies ist jedoch eine höchst trügerische Annahme. In der Studie von Oosterlinck et al. aus dem Jahr 1993 wurde bei einer prospektiv randomisierten Studie über die Wirksamkeit einer Frühinstillation beim oberflächlichen Blasentumor die lokale Pathologie einer Review-Pathologie unterzogen. Das Ergebnis zeigte erhebliche Differenzen insbesondere bei der Eingruppierung in das Stadium pT1. Wissend um diese Differenzen müsste man für jede Studie, die das oberflächliche Blasenkarzinom betrifft, eine solche Review-Pathologie fordern, da eine 20%ige Differenz jede statistische Auswertung zunichte machen würde.

Unabhängig von den oben angeführten Punkten handelt es sich um eine ansonsten sauber durchgeführte wichtige Untersuchung, die die Expression eines neuen Faktors beim Blasentumor beschreibt. Der nächste Schritt wäre nunmehr die Überprüfung in einer prospektiven Studie, und hier muss man heute einige grundlegende kritische Gedanken äußern. Die Anzahl der in den letzten 20 Jahren durchgeführten Studien zur Korrelation immunhistochemisch oder molekularbiologisch analysierter Faktoren mit dem Differenzierungsgrad, Tumorstadium sowie Rezidiv- und Progressionsverhalten von Blasentumoren ist Legion. Als Beispiel sei auf einen Übersichtsartikel im Journal of Urology von Stein et al. verwiesen, wo eine Auswahl dieser Arbeiten kritisch bewertet wurde. Bis heute hat mit einer Ausnahme (p53) kein Einzelfaktor Eingang in eine prospektive Studie gefunden. Lediglich die von Skinner initiierte und noch laufende Studie zur Wertigkeit der adjuvanten Chemotherapie beim invasiven Blasentumor benutzt die Expression von p53 als Selektionskriterium für die Einteilung der Patienten in den Therapiearm und wird in Kürze wichtige Ergebnisse liefern. Es erscheint daher höchst unwahrscheinlich, dass nach nunmehr 20 Jahren ein einzelner Faktor gefunden und in einer prospektiven Studie geprüft wird, mit dessen Hilfe dann eine Entscheidung über eine Therapie beim Blasentumor getroffen wird. Bisher hat sich kein Urologe dazu entschließen können, die Entscheidung für oder gegen eine Zystektomie bei Tumoren des Stadiums pT1 von einem solchen Faktor abhängig zu machen, auch wenn seine prognostische Aussagekraft weit über 50% lag. Die Zeit der immunhistochemischen Evaluierung solcher Einzelfaktoren neigt sich (meiner persönlichen Meinung nach) dem Ende zu. Progression, Rezidivverhalten und Metastasierung von Tumoren sind höchst komplexe biologische Vorgänge, die sich logischerweise nicht auf einen oder zwei Faktoren reduzieren lassen. Es war letztlich die zur Verfügung stehende Technologie (Immunhistochemie und Molekularbiologie), die die bisher vorliegenden Untersuchungen generiert hat. Seit einigen Jahren stehen nun Technologien zur Verfügung, die in einem Arbeitsschritt die Expression des gesamten Genoms (DNA-Chiptechnologie) oder des Proteosoms eines Tumors untersuchen kann. Erste Untersuchungen beim Blasentumor liegen vor und diese Untersuchungen sind offensichtlich in der Lage, das biologische Verhalten eines Tumors vorhersagen und zwischen oberflächlichen und invasiven Tumoren differenzieren zu können. Diesen Untersuchungen gehört die Zukunft und sie hat schon begonnen. Die Urologen sind gut und dringend beraten, sich diese neuen Technologien zu eigen zu machen, denn ansonsten wird man Kompetenz in wichtigen onkolgischen Kernbereichen verlieren. Wer das nicht glaubt, sei daran erinnert, dass die Untersuchung über das sogenannte 6-gene Modell beim Prostatakarzinom, publiziert im Journal of Urology, letzten Jahres nicht von Urologen, sondern von Onkologen durchgeführt wurde.

Prof. Thomas Vögeli, Würselen-Badenburg

Literatur beim Autor

 
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Urothelkarzinom. Bei dieser papillären Form zeigt das Karzinom Anaplasie- oder Invasionszeichen und eine Urotheldicke von mehr als 7 Zelllagen; es bilden sich makroskopische Zotten (Bild: Taschenatlas der Allgemeinen Pathologie, Thieme, 1998).

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Die meisten einzelnen oder multipel auftretenden exophytischen Tumoren werden transurethral reseziert (Bild: Thieme, Urologie, 2002).