Aktuelle Urol 2004; 35(3): 173-175
DOI: 10.1055/s-2004-829473
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Gute operative Langzeitergebnisse bei urethralen Strikturen

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Publication Date:
03 August 2004 (online)

 
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Mit allen urethroplastischen Techniken werden bei Patienten mit urethralen Strikturen exzellente Langzeitergebnisse erzielt, berichten Urologen des Allgemeinkrankenhauses Hamburg-Harburg (J Urol 2003; 170: 840-844).

Dr. Friedhelm Schreiter und seine Kollegen haben 238 Patienten, bei denen in der Hamburger Klinik zwischen 1993 und 1999 eine Urethroplastie erfolgte, prospektiv weiter untersucht. Bei 100 Patienten wurde die Läsion mit einem Hautlappen (”flap“) versorgt, bei 68 Patienten, vor allem mit komplexen Strikturen, wurden Mesh grafts angewandt, bei 40 Patienten erfolgten Anastomosen und 30 erhielten ein Transplantat.

Die Erfolgsraten aller Urethroplastien waren mit 82 % nach 7,5 Jahren sehr gut, berichten die Urologen. Am besten schnitten ”Flap“- und Anastomosentechnik ab mit einer Erfolgsrate von jeweils 86 % nach 6,5 Jahren, gefolgt vom Mesh graft (79 %) und der Graft-Urethroplastie (56 %). Die Unterschiede waren aber nicht signifikant, betonen die Autoren.

Zu berücksichtigen sei, dass nur bei 4 Patienten mit einem Transplantat die Beobachtungszeit länger als 3 Jahre betrug, und dass Mesh grafts vor allem bei ausgedehnten komplexen Strikturen verwendet worden waren. Bei unkomplizierten Strikturen empfehlen die Autoren zunächst eine Behandlung mit einem der anderen Operationsverfahren, das nach Ätiologie und Art der Läsion auszuwählen sei.

In der weiteren Analyse zeigte sich, dass eine Vorbehandlung mit urethralen Stents das Risiko für ein Versagen der Urethroplastie fast vervierfachte und eine zwei- oder mehrmalige Urethrotomie das Risiko mehr als verdoppelte.

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Fazit

Aufgrund der sehr guten Langzeitergebnisse der Urethroplastien empfehlen die Hamburger Wissenschaftler, die Indikation für eine operative Versorgung bei urethralen Strikturen großzügig zu stellen.

Roland Fath, Frankfurt

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Erster Kommentar

Die Arbeit wertet die Ergebnisse an 267 Patienten aus, die zwischen März 1993 und Dezember 1999 an einer komplizierten Harnröhrenstriktur in Hamburg-Harburg operiert wurden. Letztmals verifiziert waren die Daten im November 2000.

Verwendet wurden End-zu-End-Anastomosen, Schwenklappen, Mundschleimhaut-Transplantate und das Mesh-graft- Verfahren. 29 Patienten konnten nicht ausgewertet werden. Um valide Ergebnisse zu bekommen, wurde besonderer Wert auf eine gute und differenzierte Statistik gelegt, die - wie die Autoren zu Recht bemängeln - in vielen Arbeiten fehlen.

Komplexe Harnröhrenstrikturen sind - wie ihre Bezeichnung aussagt, komplex, d.h. Ursachen, Ausdehnung, Vorbehandlung, Entwicklung von Lichen, Vorhandensein von Haaren und Harnwegsinfektionen beeinflussen die Situation. Komplizierte Harnröhrenstrikturen lehren den Operateur Bescheidenheit. Es bedarf jahrzehntelanger Erfahrung, um einigermaßen zuverlässig gut Erfolge zu erzielen. Dabei gibt es kein Idealverfahren, sondern verschiedene Techniken, die für die eine oder andere Situation geeigneter sind und die von Operateur zu Operateur individuell eingesetzt und variiert werden.

Die Aussage der Arbeit, dass mit allen eingesetzten Techniken exzellente Ergebnisse erreicht wurden, reizt zur Analyse der Arbeit ebenso wie die Schlussfolgerung, dass die Ergebnisse nach Sichturethrotomie eher schlechter würden und dass Indikationen zur offenen Korrektur eher großzügig gestellt werden sollten.

Um diese Folgerung nachzuvollziehen, fehlen allerdings Informationen. Beispielsweise wäre es für die Beurteilung aufschlussreich zu erfahren, wie häufig sonst an der Klinik im Beobachtungszeitraum Meatotomien, Sichturethrotomien und Bougierungen auch bei komplexen Strikturen durchgeführt wurden und wie diese im Vergleich abschnitten.

Dass Sichturethrotomien und Bougierungen durchgeführt wurden, gibt die Arbeit wieder. Neunmal wurden Rezidivstrikturen aus dem Kollektiv mit Sichturethrotomie und siebenmal mit Bougierungen behandelt. Interessant wäre es auch, in diesem Zusammenhang zu erfahren, wie die Effizienz dieser 9 Sichturethrotomien und 7 Bougierungen bei diesem komplexen Krankengut bewertet wurde.

Kopfzerbrechen bereiten die nicht auswertbaren 29 Fälle. Sie könnten entweder per Zufall nicht auswertbar gewesen sein oder aber sie waren wegen schlechter Ergebnisse an andere Kliniken abgewandert. Dies hätte natürlich eine große Auswirkung auf die Ergebnisse.

Die Patienten mit komplizierten Harnröhrenstrikturen haben lange, z.T. eindrucksvolle Anamnesen, die sich über Jahre und Jahrzehnte hinziehen. Die Analyse mit der Kaplan-Meier-Kurve ist dabei originell. Schwer einzuschätzen ist allerdings die Beurteilung einer Nachkorrektur auf den Kurvenverlauf, ein Ereignis, welches bei Sterbekurven ja nicht vorkommt. Ohne Nachkorrekturen würden die Kaplan-Meier-Kurven dieses Patientenkollektivs nach weiteren 5 und 10 Jahren vermutlich sehr viel ungünstiger ausfallen. Die Arbeit erliegt der Versuchung durch eine statistische Analyse von Daten, die nicht vollständig sind, die Ergebnisse nicht nur zu evaluieren, sondern auch aus diesen die gezogene Schlussfolgerung abzuleiten. Z.B. war der größte Teil der Patienten voroperiert. Zur Beurteilung der Effizienz der angewandten Methoden wäre die Information wichtig, welche Methoden und Techniken primär erfolglos vorangingen. Nur damit ließe sich die Aussage prüfen: ”Mit allen Methoden wurden exzellente Ergebnisse erzielt.“

Genauso gut könnte gefolgert werden, dass mit allen Methoden auch schlechte Ergebnisse erzielt wurden, s. die Voroperationen und die in der Gruppe aufgetretenen Komplikationen. Dabei muss allerdings das Wort schlecht in Anbetracht der klinischen Situation relativiert werden, denn nur exzellente Ergebnisse sind nicht zu erzielen, sondern realistisch gesehen nur gute, wobei real auch immer Fehlschläge vorkommen.

Aus den angegebenen Zahlen zu postulieren, dass die Ergebnisse nach Sichturethrotomie schlechter würden, ist zwar eine mögliche Annahme und würde in etwa meine klinische Beobachtung unterstützen, lässt sich durch die Daten aber nicht belegen. Die vorangegangenen erfolglosen Sichturethrotomien hätten auch deshalb erfolglos sein können, weil es sich um komplexe Strikturen gehandelt hatte, die für die Behandlung mit einer Sichturethrotomie ungeeignet waren. Waren sie aber komplexer, dann war zu erwarten, dass das anschließende Ergebnis mit einer offenen Operation auch primär ungünstiger ausfallen würde.

Meines Erachtens zeigt die Arbeit, dass ein fähiger, erfahrener Operateur bei dem komplexen Krankengut recht beachtliche Erfolge dadurch erzielte, dass er die korrekte Indikation zur offenen OP stellte und der Situation angepasste Verfahren einsetzte. Die guten Ergebnisse sagen mehr über den Operateur als über die Techniken aus.

Ob daraus abgeleitet werden darf, dass offene operative Verfahren großzügiger zum Einsatz kommen sollten und damit auch unerfahrene Operateure sich an diese Korrekturen herantrauen, muss hinterfragt werden, denn die Ergebnisse sind nicht davon abhängig, dass ein Operateur die im Lehrbuch vorgegebenen Methoden nachvollzieht, sondern davon, dass ein erfahrener Operateur sich einer Technik bedient, die ihm für diesen Fall Erfolg versprechend erscheint.

Martin Westenfelder, Krefeld

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Zweiter Kommentar

Ziel der vorgelegten Arbeit war es, mittels einer statistischen Analyse unter anderem unter Anwendung von Kaplan-Meier‘schen Überlebenskurven die Langzeitergebnisse verschiedener offener operativer Methoden zur Behandlung von Harnröhrenstrikturen zu vergleichen. Die Analyse basiert auf einer prospektiven Untersuchung aller Männer, die zwischen 1993 und Dezember 1999 in der urologischen Abteilung des Krankenhauses Hamburg-Harburg einer offenen Harnröhrenplastik unterzogen worden sind.

Von der Analyse wurden ausgeschlossen Patienten mit Anastomosenstrikturen nach radikaler Prostatektomie, einfache Meatotomien und primäre Hypospadie-Operationen. Erfasst und analysiert wurden die Daten von 238 Patienten der insgesamt 267 behandelten Patienten (89%), in dem o.g. Behandlungszeitraum.

Die angewandten operativen Techniken beinhalteten die von Turner Warwick beschriebene End-zu-Endanastomose, die von Orandi, Quarley, Jordan und Devine beschriebene Anwendung von Insellappen, die von Bürger und Barbagli beschriebene Anwendung der Mundschleimhaut und die von Schreiter und Noll inauguierte Technik der Meshgraft-Urethroplastik.

Als Träger von komplexen Harnröhrenstrikturen wurden Patienten mit multiplen Voroperationen (> 3), mit langstreckigen Harnröhrenstrikturen, mit fehlender Penisschafthaut und Patienten mit einer Balanitis xerotica obliterans bezeichnet.

Als Endpunkt der Untersuchung war die Strikturfreiheit zum Zeitpunkt der letzten Untersuchung bezeichnet, gemessen an einem Uroflow von mehr als 15 m/s, an einer unauffälligen retrograden Urethrographie oder einer Zystoskopie und dem fehlenden Hinweis auf rezidivierende Harnwegsinfekte.

Die statistische Analyse wurde nach der Methode von Kaplan und Meier und dem Cox‘schen Regressions-Modell durchgeführt.

Die mittlere Beobachtungszeit betrug 48 Monate für die End-zu-End-Anastomose, 31 Monate für die Mesh-graft-Plastik, 20 Monate für die Insellappen-Plastik und 18 Monate für die mit freiem Transplantat behandelten Patienten. 100 Patienten wurden mit einer Insellappen-Plastik behandelt, eine Mesh-graft-Plastik in 2 Sitzungen wurde bei 68 Patienten angewandt, eine End-zu-End-Anastomose bei 40 der Patienten, und ein freies Transplantat fand die Anwendung bei 38 Patienten. Eine komplexe Striktur wiesen alle mit Mesh-graft behandelten Patienten auf, (22 von 100) 22% der Patienten bei denen eine Insellappen-Plastik angewandt wurde, 37% der Patienten, die mit einem freien Transplantat behandelt wurden und 75% der Patienten die einer End-zu-End-Anastomose unterzogen wurden. Hochgerechnet war die Operation nach 6,5 Jahren bei 79% mit Mesh-graft, bei 5&% mit freiem Transplantat und bei 86% mit Insellappen bzw. End-zu-End-Anastomose behandelten Patienten erfolgreich. Eine Rest-Striktur trat bei 17% der Patienten mit einem freien Transplantat, bei 16% der Patienten mit Mesh-graft, bei 11% der Patienten mit Insellappen und bei 8% der Patienten mit einer End-zu-End-Anastomose behandelten Patienten auf. Die statistische Analyse maß diesen Ergebnissen keinen signifikanten Unterschied zu.

Eine de novo aufgetretene erektile Dysfunktion wurde bei 5% der Patienten mit einer End-zu-End-Anastomose, bei 11% der Patienten mit Mesh-graft und bei 3% der Patienten mit Insellappen beobachtet. Bei 9% der Patienten mit Mesh-graft und bei 3% bzw. 1% der Patienten, die mit einer End-zu-End-Anastomose und mit einem Insellappen behandelt wurden, trat eine penile Verkrümmung auf.

Als prognostisch ungünstig erwiesen sich mehr als 2 vorausgegangene interne Urethrotomien und die Anwendung von Harnröhren-Stents. Die Autoren betrachten die angewandte statistische Analyse, unter Zuhilfenahme der Kaplan-MeierŽschen Überlebenskurven, als geeignetste Methode zur Beurteilung des Erfolges der oben beschriebenen operativen Verfahren im zeitlichen Verlauf. Die Idee ist sicherlich sehr interessant, aber stößt nach Meinung des Kommentators, bei kleiner Anzahl mit freiem Transplantat behandelten Patienten und insbesondere wegen der sehr kurzen Beobachtungszeit von 18 Monaten für diese Gruppe der Patienten, an seine Grenzen. So traten bei den mit freiem Transplantat behandelten Patienten 3 von 5 beobachteten Rest-Strikturen innerhalb der ersten Monate nach der Operation auf und scheinen so eher durch die Lernkurve einer neuen operativen Technik bedingt zu sein. Darüber hinaus erscheint mir die Zahl von 75% (30 von 40) als komplex bezeichnete Strikturen in der Gruppe der End-zu-End-Anastomosierten behandelten Patienten als zu hoch.

Die Schlussfolgerung der Autoren, aus einem der Weltzentren of Excellenze für die rekonstruktive Urologie, dass eine offene Harnröhrenplastik frühzeitig angewandt werden soll, muss sicherlich bekräftigt werden. Dieses würde unter anderem die Möglichkeit bieten, bei Anwendung der End-zu-End-Anastomose möglichst kurze Segmente der bulbären Urethra zu resezieren und die damit postoperativ aufgetretenen penilen Verkrümmungen zu vermeiden. Darüber hinaus könnten dadurch bei vielen Patienten komplexe zweitzeitige Harnröhrenrekonstruktionen unter Anwendung der Mesh-graft-Technik begleitet mit einer relativ hohen Komplikationsrate vermieden werden.

Zu dem oben genannten Thema empfiehlt der Kommentator das Lesen eines weiteren wichtigen Beitrages aus der gleichen Klinik (Kessler TN et al. J Urol 2002; 167: 2507-2511). In dieser Arbeit wurde als Endkriterium des Erfolges der Operation die Zufriedenheit der Patienten festgesetzt. Die Patienten bewerteten die Ergebnisse der offenen Harnröhrenchirurgie anders als die behandelnden Ärzte und empfanden insbesondere die operationsbedingte Verkürzung oder die Verkrümmung des Penis und eine neu aufgetretene erektile Dysfunktion als sehr störend. Es scheint angezeigt zu sein, auch diese Überlegungen bei der Indikationsstellung für bestimmte Formen der offenen Harnröhrenchirurgie in Betracht zu ziehen.

Prof. Darko. Kröpfl, Essen