Aktuelle Urol 2004; 35(3): 176-177
DOI: 10.1055/s-2004-829474
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Seitengetrennte Clearancebestimmung präoperativ empfehlenswert

Nierenlebendspende
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Publication Date:
03 August 2004 (online)

 
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In vielen Ländern stammen Transplantatnieren hauptsächlich von Lebendspendern. Arbeiten beide Organe unterschiedlich, könnte der Spender die bessere Niere verlieren und so Nachteile erleiden. A.A. Shokeir u. Mitarb. veröffentlichten eine Studie, in der sie versuchten, diesem Problem zu begegnen (J Urol 2003; 170: 373-376).

In ihre Arbeit schlossen sie 300 konsekutive potenzielle Lebendspender ein, bei denen sie neben den üblichen präoperativen Untersuchungen zusätzlich szintigraphisch die seitengetrennte Clearance für jede Niere bestimmten. Die ersten 100 Spender dienten dazu, das Verfahren zu standardisieren und Normalwerte zu erhalten, die darauf folgenden 200 bildeten die Studiengruppe.

Bei der Gesamtheit der Kontrollen zeigte sich für rechte und linke Niere kein Unterschied in der glomerulären Filtrationsrate (GFR), die durchschnittlich 57,7 ± 9,09 bzw. 58,09 ± 8,93 ml/min betrug. Für die Einzelpersonen differierte die Clearance beider Organe jedoch um bis zu 14,25 ml/min, wobei der Mittelwert bei 6,12±0,42 ml/min lag. Dies entsprach 5,31%±0,27% der durchschnittlichen Gesamt-GFR. Daher betrachteten die Autoren in der Studiengruppe einen Funktionsunterschied beider Nieren, der mehr als 5,31% der GFR betrug, als signifikant. Von den 200 potenziellen Spendern hatten aufgrund dieser Annahme 116 (58%) eine seitengleiche Nierenfunktion, bei 49 (24,5%) arbeitete die linke und bei 35 (17,5%) die rechte Niere besser. Somit unterschieden sich bei 84 (42%) von ihnen beide Nieren in ihrer Leistung. In diesen Fällen wurde zur Transplantation das Organ mit der geringeren Funktion entnommen, ungeachtet anatomischer Gegebenheiten.

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Fazit

Da bei rund 40% der potenziellen Nierenlebendspender Funktionsunterschiede beider Organe bestehen, sollte nach Ansicht der Autoren die seitengetrennte szintigraphische Clearancebestimmung fester Bestandteil der präoperativen Untersuchungen sein.

Dr. Johannes Weiß, Bad Kissingen

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Erster Kommentar

Lebendnierenspende ist ein immer häufiger angewendetes Verfahren in der Nierentransplantationsmedizin, zum einen wegen der herrschenden Organknappheit, zum anderen wegen besserer Ergebnisse bezüglich der Transplantatfunktion. Oberstes Gebot muss jedoch immer der Schutz der Gesundheit und der Nierenfunktion des Spenders sein. In der Regel wird die Frage, welche Niere entnommen werden sollte, von anatomischen Gegebenheiten abhängig gemacht. Wünschenswert wäre eine sichere und schonende Methode zur Bestimmung der seitengetrennten Clearance, um eine Aussage über die Funktion der Nieren machen zu können.

In der vorliegenden Arbeit wurden 300 potenzielle Lebendnierenspender im Transplantationszentrum der Mansoura-Universität, Ägypten im Zeitraum zwischen Januar 2000 und September 2002 zusätzlich zu den üblichen Untersuchungen (wie Sonographie und Abdomenleeraufnahme z.A. einer Nephro-/Urothrolithiasis mittels einer seitengetrennten Nierenfunktionsszintigraphie mit 99m- Technetium untersucht. Die GFR wurde mittels einer validierten Formel berechnet, der Vergleich mit der 24-h-Clearance zeigte keine signifikante Abweichung. Die ersten 100 Probanden dienten als Kontrollgruppe zur Etablierung der Methodik.

Im Mittel zeigte sich ein Seitenunterschied von 6,12 ml/min, entsprechend 5,31% Abweichung von der Gesamt-GFR, Abweichungen darüber hinaus wurden als signifikant gewertet. 84 Spender (42%) zeigten einen signifikanten Seitenunterschied. Bei diesen Spendern wurde die Niere mit der schlechteren Funktion ausgewählt, bei den Spendern mit gleicher Funktion wurde nach anatomischen Gesichtspunkten ausgewählt (z.B. linke Niere wegen der längeren Nierenvene).

Aus ethischen Gründen ist es wünschenswert, dem Spender bei einer Lebendnierentrasplantation die jeweils bessere Niere zu belassen. Bisher spielten vor allem anatomische Gesichtspunkte eine Rolle bei der Auswahl der Niere, wobei v.a. in europäischen Ländern bereits seit längerem Methoden zur seitengetrennten Funktionsdiagnostik vor Lebendnierenspende etabliert sind. Die hier vorliegende Arbeit zeigt, dass immerhin 40% der potenziellen Spender eine signifikante Seitendifferenz in der Nierenfunktion aufweisen und daher von einer vorangestellten seitengetrennten Funktionsdiagnostik profitieren. Des Weiteren zeigte sich in der vorliegenden Arbeit, dass die Transplantatfunktion im Verlauf vergleichbar war zwischen Nieren mit gleicher Clearance und Nieren mit niedrigerer Clearance, so dass auch dem Empfänger keine Nachteile zu entstehen scheinen, hier sind jedoch sicherlich Langzeitbeobachtungen nötig.

Zusammenfassend ist eine seitengetrennte Funktionsdiagnostik vor geplanter Lebendnierenspende sinnvoll, dem Spender sollte das jeweils bessere Organ belassen werden.

Dr. Wiebke Kaluza-Schilling, Mainz

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Zweiter Kommentar

Aufgrund ihrer exzellenten Ergebnisse ist die Transplantation nach Nierenlebendspende in Deutschland zu einem weit verbreiteten Verfahren geworden. In den vergangenen Jahren konnte der Lebendspendeanteil an der Gesamtzahl der Nierentransplantationen auf ca. 18% angehoben werden. Dabei kommt jedoch, wie aus ethischer Sicht zu fordern und auch im Transplantationsgesetz festgelegt, dem Schutz des freiwilligen Organspenders eine herausragende Bedeutung zu. Dies gilt in Hinsicht auf frühe postoperative Komplikationen aber auch mit Blick auf mögliche Langzeiteffekte des Organverlustes. Neben der Entwicklung einer Hypertonie und Proteinurie ist hierbei im Einzelfall eine spätere Dialysepflichtigkeit des Spenders (in ca. 0,12% der Fälle) als dramatische Folge zu beachten.

Vor diesem Hintergrund erscheint es zwingend erforderlich, präoperativ die Nierenfunktion des potenziellen Organspenders exakt zu evaluieren. Neben der laborchemischen Clearancebestimmung zur Erfassung der Nierengesamtfunktion wird in deutschen Transplantationszentren seit Jahren routinemäßig die Bestimmung der seitengetrennten Clearance mit Technetium markierten MAG3 eingesetzt, da im Zusammenhang mit der Organspende primär die Funktionsleistung der Niere, nicht aber morphologische Kriterien, wie zum Beispiel der Nachweis von Vernarbungsarealen, interessiert. Prinzipiell erscheint eine Nierenszintigraphie mit Technetium-markiertem DTPA, welche die glomeruläre Filtrationsrate erfasst, aber ebenfalls geeignet. Die Autoren der vorgestellten Arbeit fanden in 42% der evaluierten Spender einen - nach den zuvor in der Kontrollgruppe ermittelten Parametern - signifikanten Unterschied der glomerulären Filtrationsrate beider Nieren. Dies deckt sich mit eigenen Untersuchungen zur seitendifferenten MAG3-Clearanceleistung. In einer Patientengruppe von 47 Spendern, welche in unserem Zentrum vor Nierenlebendspende untersucht wurden, variierte die Partialfunktion der rechten Niere von minimal 38 bis max. 58% der Gesamtfunktion (links 42 bis 62%). Ein Funktionsunterschied der Nieren größer 6% der Nierengesamtfunktion wurde bei 18/47 (38%) Spendern ermittelt. Analog der vorgestellten Arbeit wurde in diesen Fällen ausschließlich das funktionell schwächere Organ entnommen und transplantiert. Die Erfassung der Verlaufsdaten nach Nierentransplantation ergibt bei einem mittleren Nachbeobachtungszeitraum von 26,5 Monaten und einer nach Kaplan-Meier errechneten 5-Jahres-Transplantatfunktionsrate von 91% ein sehr gutes Outcome.

Entsprechend der gegenwärtigen Praxis kann somit in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der o.g. Arbeit die seitengetrennte szintigraphische Evaluierung der Nierenfunktion von potenziellen Nierenspendern als unverzichtbarer Bestandteil der präoperativen Diagnostik vor Nierenlebendspende gefordert werden.

Dr. Thomas Steiner, Prof. Jörg Schubert, Jena