Aktuelle Urol 2004; 35(3): 178-180
DOI: 10.1055/s-2004-829475
Referiert und kommentiert

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Erfolge mit Polypropylenschlinge

Inkontinenzchirurgie
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Publication Date:
03 August 2004 (online)

 
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Der Einsatz von Schlingen hat heutzutage einen festen Stellenwert in der Inkontinenzchirurgie. Einige Studien konzentrieren sich darauf, diese Verfahren zu optimieren. L.V. Rodriguez und S. Raz stellten jetzt eine weitere Methode vor, die sie an 301 Patientinnen mit Stressinkontinenz erprobten (J Urol 2003; 170: 857-863).

Unter der distalen Urethra platzierten sie ein 10x 1 cm großes Polypropylen-Netz, das - anders als bei der TVT-Plastik - nur im retropubischen Raum zu liegen kommt. Das Band wird vorübergehend von 2 absorbierbaren Nähten gehalten. Für die kostengünstige Operation sind keine speziellen Instrumente erforderlich. Die Patientinnen bewerteten vor und nach dem Eingriff auf Fragebogen ihre Beschwerden sowie ihre Lebensqualität. Zusätzlich befragten Ärzte sie zu ihren Symptomen und führten urodynamische Untersuchungen durch, um objektivierbare Ergebnisse zu erhalten.

Von den 301 Patientinnen mussten nach der Operation 2,3% wegen persistierender Inkontinenz-Beschwerden behandelt werden. Bei 92 Frauen mit einem Follow-up von mindestens 12 Monaten betrug der objektivierbare Heilungserfolg 92%. Die von den Patientinnen berichtete subjektive Erfolgsrate (Heilung oder Verbesserung um mehr als 50%) lag bei 89%. In den Fragebogen teilten 69% der Frauen mit, nach der Operation niemals mehr Symptome der Stressinkontinenz beobachtet zu haben. Der gleiche Anteil berichtete zwar über Beschwerden, die allerdings nicht beeinträchtigten. Die Ärzte kamen zu anderen Ergebnissen: Abhängig von den Symptomen lagen die Erfolgsraten zwischen 10 und 50% höher, wenn sie die Patientinnen befragt hatten.

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Fazit

Nach Ansicht der Autoren stellt die Behandlung der Stressinkontinenz mit einer Polypropylenschlinge eine sichere, einfache und kostengünstige Methode dar. Sie führe zu hohen objektiv nachweisbaren Heilungsraten, wobei die durch die Patientinnen berichteten Erfolgsraten niedriger lägen.

Dr. Johannes Weiß, Bad Kissingen

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Erster Kommentar

Dem vorliegenden Artikel sind 2 grundlegende Aussagen zu entnehmen, deren wissenschaftlicher Wert zumindest partiell zweifelhaft ist.

Zum einen wird eine weitere Modifikation des ”klassischen TVT-Verfahrens“ bezüglich ihrer Effektivität, Sicherheit und kostengünstigen Verfügbarkeit hervorgehoben. Ein Vergleich, dem es in mehreren Punkten an Objektivität fehlt. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Praxis wird dem mit der Problematik vertrauten Leser offensichtlich.

Zum anderen ist die Feststellung der Autoren, dass die Bewertung einer Therapieeffizienz durch objektive und subjektive Kriterien zu unterschiedlichen Ergebnissen führt und dass die Form der Datenerhebung (Selbstbewertung vs. Untersucherbefragung der Patienten) eine wesentliche Rolle spielt, mehr Bestätigung eines bekannten Bias, denn eine neue Erkenntnis.

Grundlage der Publikation ist eine unizentrische prospektive Untersuchung zur Sicherheit und Effektivität einer im Bereich der distalen Urethra platzierten Polypropylenschlinge (DUPS). Eine Auswertung erfolgt durch Selbstbewertungsfragebogen.

Die inhomogene Patientenpopulation (63% kombinierte Inkontinenzformen, 49% mit erfolgloser Voroperation der Inkontinenz) sowie die simultane Durchführung einer Prolapschirurgie (Kolporrhaphia anterior 6%, Kolporrhaphia posterior 33%; vaginale Hysterektomie 10%, Urethrolyse 16% u.a.) werfen die Frage auf, wie trotz undifferenzierter Auswertung die Beurteilung der DUPS-Operation möglich ist.

Die Vordiagnostik umfasst u.a. eine Videourodynamik (Indikation zur Videotechnik muss hinterfragt werden), jedoch keine Bildgebung mit sagittaler Darstellung der anatomischen Winkelverhältnisse (Kettchenzystographie/Introitussonographie). Ausschlusskriterien für das DUPS Verfahren werden in der prospektiven Untersuchung nicht erwähnt - oder gibt es sie nicht?

Die Operationstechnik sollte der Leser dem Originalartikel entnehmen und selbst entscheiden, ob Invasivität (Doppelinzision der Vaginalvorderwand) und konsekutiv die Verletzungsgefahr benachbarter Strukturen im Vergleich zur TVT-Operation einen überzeugenden Vorteil darstellen. Die Autoren betonen, dass es sich im Gegensatz zum TVT nicht um ein blindes Verfahren handelt und hierdurch die Verletzungsgefahr minimiert wird. Dass die Zystoskopie dennoch obligat durchgeführt wird, bietet dem operativ tätigen Leser verschiedene Interpretationsmöglichkeiten. Die Platzierung des Bandes wird bei 1,5 cm distal des Meatus externus urethrae angegeben. Bei einer durchschnittlichen Gesamtlänge der Urethra von 25-27 mm ergibt sich die Frage, ob dies tatsächlich der distalen Urethra entspricht.

Zur Auswertung kommen von den 301 Patientinnen nur 92 Patientinnen der inhomogenen Population mit einer mittleren Nachbeobachtungsdauer von 12,3 Monaten. Das Interesse an den Ergebnissen der Untersuchung reduziert sich für den Leser hierdurch mehr auf die Aussage, denn auf absolute Zahlen und Prozentwerte. Die objektive Heilungsrate ist mit 92% (negativer Stresstest stehend und in Steinschnittlagerung) wie zu erwarten signifikant besser als die subjektive Heilungsrate mit 89% (keine Inkontinenz oder Besserung der Symptomatik um > 50% im Selbstbewertungsfragebogen).

Weiterhin wurde festgestellt, dass die befragenden Ärzte die Inkontinenzsymptome der Patientinnen um durchschnittlich 10-50% unterbewerten und somit zu besseren Ergebnissen kommen, als wenn Patientinnen entsprechende Fragebogen in Eigenregie ausfüllen.

Die Diskussion der Untersuchung wird durch die pathophysiologische These eingeleitet, wonach durch das DUPS-Verfahren die Urethra an die Symphyse angenähert und hierdurch bei Belastung einem effektiveren Einfluss der Levatormuskulatur unterliegt. Als dorsales Widerlager soll die Polyprophylenschlinge (DUPS) einen zusätzlichen Kontinenzmechanismus bilden.

Da die Kosten für die hier genutzte Polypropylenschlinge mit 15 Dollar weit unter dem europäischen Kostenaufwand liegen, öffnet sich der amerikanische Markt (sinngemäß laut Herausgeberkommentar) auch der Dritten Welt.

Die Schlussfolgerung reduziert sich u.E. auf die Aussage, dass die Bewertung eines Verfahrens zur Therapie der Inkontinenz multimodal und standardisert erfolgen muss und subjektive Bewertungskriterien hierbei integraler Bestandteil sein sollten. Sollten Kosten und Effektivität der DUPS in der Praxis ihre Bestätigung finden, wird der hart umkämpfte Markt für Polypropylenschlingen sich dem Kostendruck nicht entziehen können. Die inhomogene Patientinnenpopulation mit und ohne Veränderungen der Blasen-Genitalanatomie lässt doch erhebliche Zweifel an den Ergebnissen bei sehr kurzer Beobachtungszeit aufkommen.

Dr. Mike Lenor, Prof. Udo Rebmann, Dessau

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Zweiter Kommentar

Die operative Therapie der weiblichen Stressharninkontinenz zielt auf verschiedene Komponenten, die am Verschlussmechanismus des Blasenauslasses ansetzen, ab. So reicht das Spektrum der Techniken in der Wiederherstellung eines suffizienten, suburethralen Widerlagers, in einer Stabilisierung des urethrovesikalen Überganges und des urethralen Aufhängemechanismus und letztlich in der Imitation der urethralen Schließmuskelfunktion.

Die abdominale Kolposuspension stellt das klassische Standardverfahren bei weiblicher Stressharninkontinenz mit seinem Therapieansatz am urethrovesikalen Übergang, dar. Die Erfolgsraten liegen nach 10 Jahren subjektiv bei 78%, objektiv bei 65%. Die Kolposuspension ist die am längsten nachbeobachtete Operationsmethode. Untersuchungen von Stanton beschreiben sogar Erfolgsraten nach 20 Jahren von 78%. Als Hauptprobleme der Kolposuspension werden Blasenentleerungsstörungen bis zu 20%, De-Novo-Urgency Beschwerden zwischen 10 und 15%, sowie die Bildung von Enterozelen in 7 bis 35% berichtet.

Zahlreiche Untersuchungen zielen darauf ab, die endoskopische Kolposuspension als minimalinvasive Variante der offenen Technik gegenüberzustellen. Die Cochrane Database hat im Jahr 2002 acht randomisierte Studien (233 laparoskopische Eingriffe vs. 254 offene Kolposuspensionen) analysiert und einen 10%igen Heilungsunterschied zugunsten der offenen Methode aufzeigen können.

Die klassischen Schlingenoperationen ebenfalls an der proximalen Urtehra ansetzend, werden neben der offenen Kolposuspension als äquieffektives Verfahren dargestellt. Die 5-Jahres-Erfolgsraten liegen um die 90%, jedoch sind unmittelbare, postoperative Komplikationen wie Blasenentleerungsstörungen, Dysurie, Infektionen und Fistelbildungen, wie auch postoperative Spätkomplikationen in Form von Ulzerationen, Narbenschmerzen, Hernien und Fistelbildungen vergleichsweise Ausdruck der doch höheren Invasivität. Aufgrund der hohen Erfolgsraten (nach 5 Jahren: 90%) sollten diese Verfahren (alloplastische Schlingen, Faszien-Zügel-Plastik nach Narik-Palmrich), insbesondere in der Therapie der Rezidiv-Stressharninkontinenz, nicht in Vergessenheit geraten.

Mitte der 90er-Jahre wurde, allen voran durch die Entwicklung der spannungsfreien Urethraschlinge der Tension- free-vaginal-Tape-Technik von Ulmsten eine neue Ära der operativen Therapie der weiblichen Stressharninkontinenz eingeleitet. Der wesentliche Unterschied zu den herkömmlichen Verfahren liegt im kurativen Ansatz an der mittleren beziehungsweise distalen Urethra und dem Umstand, dass diese Technik in Lokalanästhesie erfolgen kann. Mittlerweile wurden 13 weitere Techniken mit unterschiedlichen Materialien entwickelt. Neue Verfahren sind in klinischer Erprobung - eine wahre Flut an Urethrabändern, die den Markt überschwemmen, ist heute zu beobachten. Es liegen mittlerweile weit über 200 Publikationen und Erfahrungsberichte über die TVT-Technik vor. In einer Zusammenstellung der Ergebnisse 38 klinischer Studien mit einem Nachbeobachtungszeitraum von 12 bis 56 Monaten lässt sich eine objektive und subjektive Heilungsrate von 90 bzw. 86% nachweisen.

Die heute vorliegenden Erfahrungen und Daten über die TVT-Technik sind vor allem den skandinavischen Arbeitsgruppen zu verdanken, die mittlerweile Ergebnisse nach 56 Monaten veröffentlicht haben. Diese Untersuchungen zeigen Heilungsraten von knapp 85% bei primärer Stressharninkontinenz, 82% bei Rezidivinkontinenz und 74% bei Stressinkontinenz mit hypotoner Urethra.

Mit dem Anspruch auf hohe Daten- und Ergebnisqualität bedarf es freilich auch hier der Durchführung von Studien zur Erlangung eines hohen Evidenzniveaus. Hierzu sind für die TVT-Technik derzeit 2 prospektiv, randomisierte Untersuchungen durchgeführt worden. Die von Hilton in Großbritannien erfolgte Phase-III-Studie an der 14 Zentren mit 344 Patientinnen teilnahmen, zeigte bei subtiler Aufarbeitung der postoperativen Ergebnisse gleiche Heilungsraten der Kolposuspensions-Methode gegenüber der TVT-Technik (Ergebnisse nach 2 Jahren: 59 vs. 65%). Eine weitere Phase-III-Studie läuft in den Kliniken Halle, Prag und Schwerin. Die derzeit erhobenen Daten beschäftigen sich mit dem Vergleich der Komplikationsraten zwischen Kolposuspension und der TVT-Schlingen-Methode, ohne signifikante Unterschiede zwischen den beiden Techniken. Der Unterschied dieser Phase-III-Studie zu der britischen Untersuchung liegt in der Tatsache, dass diese lediglich an 3 Zentren unter Teilnahme ausschließlich, erfahrener urogynäkologischer Operateure, erfolgte. Die mittlerweile vorhandenen Daten lassen den Schluss zu, dass in der Hand des erfahrenen Operateurs die TVT-Methode im Vergleich zur Kolposuspension eine ebenso sichere Operationstechnik darstellt. Untersuchungen zur Lebensqualität von Patientinnen nach Inkontinenzoperationen sind bis dato nur gering veröffentlicht. In einer eigenen Untersuchung an 70 Patientinnen zwischen 40 und 76 Jahren konnten wir Heilungsraten, 1 Jahr nach TVT, von 87,5% erheben.

Die TVT-Technik eröffnet gerade in der kombinierten Behandlung vaginal-rekonstruktiver Eingriffe am Beckenboden zur Sanierung von Deszensus und Prolaps die Option des gleichen Zuganges zur Behandlung der Stressharninkontinenz. Eigene Erfahrungen zeigen Kontinenzraten nach 24 Monaten von 96% bei simultaner Durchführung der TVT-Operation mit unterschiedlichen, rekonstruktiven Eingriffen am Beckenboden (Vaginaefixatio sacrospinalis, vordere, hintere Kolporraphie etc.). Die bis dato vorliegenden Berichte über Komplikationen sind relativ klar definiert. So sind De-Novo Urgency-Beschwerden in 15%, Blasenentleerungsstörungen in bis zu 10%, Hämatomentwicklungen in 4%, Blutungen in 16%, Blasenperforationen zwischen 0 und 23%, vaginale Bandarrosionen in 2% recht einheitlich überliefert. Kasuistische Berichte über Obturatoriusläsionen, Darmperforationen, Läsionen der Iliakalgefäße, Urethraarrosionen sind ebenfalls veröffentlicht worden.

Demgegenüber fallen bis dato vorliegende Erkenntnisse über andere Urethraschlingen eher bescheiden aus. Die intravaginale Schlingentechnik (IVS) ist ein ähnliches Verfahren wie die TVT-Operation mit Erfolgsraten von 81%, 4 Jahre postoperativ nachuntersucht. Die Technik unterscheidet sich im Wesentlichen von der TVT-Methode durch das Equipment und die Beschaffenheit des Prolenebandes (Band, Applikator).

Die Sparc-Methode (Supra pubic arc) ermöglicht sowohl den abdomino-vaginalen wie vagino-abdominalen Zugang und unterscheidet sich von der TVT- Technik in der Beschaffenheit des Netzes, der dünneren Nadeln. Uratape, Uretex, Sabre, Safyre, stellen weitere Urethraschlingen dar, die sich in Form, Netzbeschaffenheit vom TVT-Band unterscheiden. Die bis dato, lediglich in Abstractform, überlieferten Ergebnisse, an 30-50 Patienten erprobt, zeigen ähnlich hohe Heilungsraten wie die TVT-Methode. Allerdings liegen noch ungenügende Nachbeobachtungszeiträume für diese Techniken vor. Neben dem retropubischen Zugang der TVT-Technik wurden neue Verfahren mit transobturatorsichem Zugang (Monarc, Obtape, TVTO) entwickelt. Der Vorteil soll hier in der schonenderen suburethralen Platzierung des Bandes, vor allem unter Aussparung des Cavum Retzii (Gefahr der Blasenperforation, Hämatomentstehung) liegen.

Die in der Arbeit von Rodriguez und Raz vorgestellte Technik stellt eine durchaus plausible Modifikation der TVT-Technik dar. Der retropubische Zugangsweg ist dem TVT-Verfahren gleich. Vor allem erscheint hier der Verzicht auf das aufwändige und teure Einmal-TVT-Trokarsystem als vorteilhaft. Allerdings liegen hier wie auch in vielen anderen Publikationen ebenfalls lediglich Kontrolldaten nach 12 Monaten mit 92% Erfolgsraten bei immerhin 302 Patienten vor, und weitere Untersuchungsergebnisse nach 3 und 5 Jahren bleiben abzuwarten.

Ähnlich wie für die TVT-Methode ist aber auch für alle diese neuen Methoden zu fordern, dass sie sich an validierten Verfahren vergleichen zu haben - dies, wenn möglich, im Rahmen von prospektiv kontrollierten Studien.

Prof. Dr. Heinz Kölbl, Mainz

Literatur beim Autor