Die subkutane spezifische Immuntherapie (SCIT) wurde vor fast 100 Jahren erstmals
für die Behandlung allergischer Erkrankungen dokumentiert [1] und das erste Mal 1954 in einer plazebokontrollierten Studie untersucht [2]. Sie darf heute als etablierte Standardtherapie für die allergische Rhinitis und
das beginnende allergische Asthma gelten. Die möglichen systemischen Nebenwirkungen
schränken die breite Anwendung der SCIT ein, denn sie birgt ein zwar nur geringes,
aber doch vorhandenes Risiko für schwere Nebenwirkungen; die Inzidenz für schwere,
nicht-fatale, systemische Nebenwirkungen [3] liegt zwischen 0,02 und 0,007 % pro verkaufter Packung nativer Allergenextrakte
bzw. Allergoide.
Auf der Suche nach besser verträglichen Behandlungsformen wurden lokale Applikationswege
für die Hyposensibilisierung untersucht. Die bronchiale Immuntherapie ist ungenügend
dokumentiert. Zudem besteht ein relevantes Risiko für schwere Sofortreaktionen und
verzögert auftretende Nebenwirkungen. Die orale Immuntherapie ist für den Gebrauch
in der klinischen Routine ebenfalls ungenügend dokumentiert, es besteht keine Evidenz
für ihre Wirksamkeit. Die in Deutschland nicht gebräuchliche nasale Immuntherapie
ist hinsichtlich ihrer Wirksamkeit gut dokumentiert, es kommt jedoch bei der Mehrheit
der Patienten zu nasalen Nebenwirkungen wie Juckreiz, Niesen und Irritation.
Eine ausreichende Datenlage existiert heute nur für die sublinguale Immuntherapie
(SLIT), bei der der Allergenextrakt für zwei Minuten im Mund behalten und danach geschluckt
wird.
Die immunologischen Grundlagen der SLIT sind wenig bekannt. Es existieren aber bereits
Modelle zum Wirkmechanismus. Aus mehreren Studien lässt sich ableiten, dass sich die
immunologischen Effekte in Abhängigkeit von der applizierten Dosis deutlich unterscheiden.
So führt die Gabe hoher Antigendosen (Ovalbumin) in sensibilisierten Ratten zu einer
Verringerung der IgE-Produktion [4] und damit zu einer Toleranzinduktion. Die Gabe niedriger Allergendosen führt dahingegen
zu einer Erhöhung [5]. Eine Studie an Patienten konnte zeigen, dass die sublinguale High-Dose-Therapie
den saisonalen IgE-Anstieg in der nasalen Mukosa vermeiden kann, nicht aber die Gabe
einer niedrigen Dosis [6]. Eine große Menge Allergen steigert die Allergenaufnahme durch die dendritischen
Zellen in der oralen Mukosa und somit den Grad der T-Lymphozyten-Stimulation. Auch
die T-Zell-Antwort wird durch die Antigenmenge beeinflusst [7]. So lösen niedrige Dosierungen eher eine Th2-Antwort mit der Produktion von IL-4
und IL-13 und somit einer bevorzugten IgE-Produktion durch B-Lymphozyten aus, während
große Antigenmengen eher eine Th1-Antwort mit der Produktion von IFN-γ auslösen und
wahrscheinlich regulatorische CD4- und CD25-positive T-Zellen stimulieren, so dass
die Produktion von TGF-β und IL-10 gesteigert wird [5]
[8].
Die erste randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte Studie zur SLIT wurde
1986 publiziert [9]. Heute existieren mehr als 20 kontrollierte Studien [10]
[11]. In den meisten Studien wurde die Wirksamkeit der SLIT auf die allergische Rhinitis
untersucht.
Bereits 2001 kam die WHO-Arbeitsgruppe ARIA in einem nach den Kriterien der Evidence-Based
Medicine durchgeführten Review zu dem Schluss, dass die SLIT bei Erwachsenen wie auch
bei Kindern zur Behandlung der allergischen Rhinitis indiziert sein kann. Diese Schlussfolgerung
erreichte gemäß den Kriterien zur Evidenzbewertung nach AHCPR und SIGN den Härtegrad
„Ib”. Die Effektivität konnte demonstriert werden für die Leitallergene aus allen
klinisch relevanten Aeroallergen-Gruppen (Baum-, Gräser- und Kräuterpollen, Milben).
Nach der aktuellen Meta-Analyse der Cochrane Collaboration von 22 Studien mit 979
Patienten ist die SLIT wirksam bei Erwachsenen mit allergischer Rhinitis mit einer
hoch signifikanten Reduktion der Symptomscores (SMD - 0,42; 95 %-CI - 0,69 bis - 0,15;
p < 0,002) sowie der Medikationsscores (SMD - 0,43; 95 %-CI - 0,63 bis - 0, 23; p
< 0,00003) versus Plazebo bei gleichzeitig guter Verträglichkeit, welche die sichere
Einnahme durch den Patienten zuhause erlaubt [11]. Durch diese Meta-Analyse erreicht die Evidenz für die Wirksamkeit der SLIT bei
allergischer Rhinitis somit jetzt den höchsten Härtegrad „Ia”, der für die Evidenz
der SCIT bereits seit langem, allerdings ausschließlich für das allergische Asthma,
besteht.
Eine interessante Therapieoption für saisonale Allergene stellt die Ultra-Rush-Titration
zu Beginn des Pollenflugs dar, bei der die Erhaltungsdosis innerhalb von 2 Stunden
erreicht wird. Erste Daten aus kontrollierten Studien an Erwachsenen zeigen eine gute
Verträglichkeit und Wirksamkeit.
Auch wenn die Datenlage für das allergische Asthma nicht so eindeutig ist wie für
die Rhinitis, so konnte eine Wirksamkeit der SLIT bei Asthma bereits in mehreren Studien
demonstriert werden. In einer Studie an 66 Kindern mit einer Baumpollenallergie war
der Dyspnoe-Score in der Verumgruppe in beiden Behandlungsjahren um ca. 50 % niedriger
als in der Plazebogruppe [12]. In einer weiteren Studie zeigte sich eine Verringerung der Tage mit Asthmabeschwerden
um mehr als 70 % im Vergleich zur Plazebogruppe. Nicht nur die Zahl der Asthma-Tage
verringerte sich, auch die Zahl der Patienten, die überhaupt noch Asthma-Symptome
hatten, war mit 15 % in der Verumgruppe deutlich geringer als in der Plazebogruppe
mit fast 40 % (p < 0,005) [13]. Dies wurde bereits vorher in einer Untersuchung ebenfalls an Patienten mit einer
Gräserpollenallergie gezeigt. Hier persistierte das Asthma unter der Therapie bei
10 % der behandelten Patienten vs. 50 % der Patienten ohne SLIT (p < 0,02) [14]. In einer zweijährigen Untersuchung an Patienten mit Milbenasthma zeigten sich auch
Einflüsse der SLIT auf Lungenfunktionsparameter. So verbesserten sich der morgendliche
und abendliche Peak-Flow, Vitalkapazität, FEV1 und unspezifische Hyperreagibilität im Vergleich zur Ausgangssituation in der Verumgruppe
signifikant, während in der Plazebogruppe keine signifikanten Veränderungen zu beobachten
waren. Dies stand in Übereinstimmung mit der beobachteten Verbesserung der Lebensqualität
in den Items allgemeiner Gesundheitszustand, Schmerzen und Rollenverhalten wegen körperlicher
Funktionsbeeinträchtigung (alle p = 0,01) in der Verumgruppe [15]. Es besteht aber eine Inkonsistenz der Studienergebnisse bei allergischem Asthma,
zumindest teilweise verursacht durch Studien mit niedrig dosierter SLIT, bei denen
überwiegend nur geringe oder nicht signifikante Veränderungen dokumentiert wurden
[z. B. 16].
In der Cochrane-Metaanalyse zur SLIT wird explizit darauf hingewiesen, dass diese
Therapie aufgrund ihrer guten Verträglichkeit für die Behandlung zu Hause geeignet
ist [11]. Dies wird durch mehrere Publikationen unterstützt. So zeigten sich in einer Analyse
zur Sicherheit der SLIT in den 8 untersuchten DBPC-Studien ebenfalls keine schweren
unerwünschten Ereignisse oder gar anaphylaktische Reaktionen. Leichte lokale Reaktionen
im Mundbereich und Gastrointestinaltrakt traten bei Erwachsenen und Kindern gleich
häufig auf [17].
Besonders interessant ist natürlich die Frage, ob SIT und SLIT gleicht gut sind. In
einer randomisierten doppel-blinden, plazebokontrollierten Double-Dummy-Studie wurden
SLIT und SIT verglichen. Sowohl SLIT als auch SCIT zeigten eine signifikant bessere
Wirkung im Vergleich zu Plazebo; diese Scorereduktionen um 30 % (SLIT-Gruppe) und
um 50 % (SCIT-Gruppe) waren im direkten Vergleich nicht signifikant unterschiedlich
waren [18]. In der SCIT-Gruppe kam es zu mehreren schweren systemischen Reaktionen, während
in der SLIT-Gruppe nur leichte bis mäßige Lokalreaktionen im Mundbereich sowie einige
leichte rhinokonjunktivitische Reaktionen zu beobachten waren. Die sublinguale Dosis
war etwa 200-fach höher als die subkutane.
Noch nicht vollständig geklärt sind die Fragen zur Dosierung der SLIT, zur Langzeit-Wirksamkeit
und zum präventiven Effekt. Klassische Dosisfindungsstudien für die SLIT sind derzeit
noch nicht publiziert, aber die Evidenz für eine Relation zwischen Dosierung und Wirksamkeit
verdichtet sich. Da die Dosisangaben der einzelnen Hersteller arbiträr und nicht vergleichbar
sind, wurde von der ARIA-Workinggroup als Bezugsgröße die Relation zwischen der sublingualen
und der subkutanen kumulativen Dosis gewählt. Als minimale sublinguale Dosis für die
Wirksamkeit wird hier das mindestens 50- bis 100-fache der im gleichen Zeitraum applizierten
Subkutandosis angegeben.
Hinsichtlich des Langzeiteffekts konnte in einer kontrollierten Studie an 60 Kindern
mit allergischem Milbenasthma gezeigt werden, dass die über vier bis fünf Jahre durchgeführte
Behandlung mit SLIT zu einer deutlichen und signifikanten Reduktion des Asthma-Schweregrads
führte, welche über die folgenden fünf Jahre unverändert bestehen blieb [19].
Insgesamt lässt sich also festhalten, dass die Wirksamkeit und Sicherheit der sublingualen
Hyposensibilisierung zur Behandlung der allergischen Rhinokonjunktivitis gegen Pollen-
und Milbenallergene mittlerweile gut belegt ist. Die Daten für das allergische Asthma
bedürfen noch der Überprüfung. Somit stellt die SLIT (noch) keinen Ersatz der SIT
dar, sondern ist eine relevante Option für definierte Patientengruppen.
Die Therapie kann prä- oder kosaisonal sowie perennial erfolgen, bei Pollenallergikern
kann die SLIT während der Saison begonnen werden, das ist ein weiterer praktischer
Vorteil.