Pneumologie 2005; 59(8): 562-567
DOI: 10.1055/s-2004-830218
Historisches Kaleidoskop
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Lungenheilstätten der Landesversicherungsanstalt Berlin in Beelitz (1898 - 1998)

The Tuberculosis Care Institutions of the Landesversicherungsanstalt Berlin in Beelitz (1898 - 1998)W.  Frank1 , M.  Hubenstorf2
  • 1CA Klinik III, Pneumologie. Johanniterkrankenhaus im Fläming, Treuenbrietzen
  • 2Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin der Medizinischen Universität Wien Josephinum, Wien Austria
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Dr. Wolfgang Frank

CA Klinik III, Pneumologie · Johanniterkrankenhaus im Fläming

Johanniterstr. 1

14929 Treuenbrietzen

Email: schuermann@johanniter-treuenbrietzen.de

Publication History

Publication Date:
18 August 2005 (online)

Table of Contents

Über Jahrzehnte wies die Autobahnausfahrt „Beelitz-Heilstätten” am süd-westlichen Berliner Ring die Reisenden darauf hin, dass Beelitz nicht nur etwas mit dem traditionellen Spargelanbau, sondern sehr wohl auch mit Gesundheit, Medizin und Heilung zu tun hat. (Kliniken mit eigener Autobahnabfahrt dürften hierzulande sicher zu den absoluten Raritäten zählen!). Die Nutzung der Heilstätten Beelitz durch sowjetische Truppen von 1945 bis 1994 ließ aber die medizinische Tradition dieses Ortes aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts so stark dem Vergessen anheim fallen, dass über die imposanten Heilstätten- und Sanatoriengebäude hinaus heute kaum Kenntnisse und Zeugnisse von jener medizinischen Arbeit existieren. Nur die Fachklinik für Lungenkrankheiten in der 1943/44 errichteten „Krankenhaus-Sonderanlage Beelitz” hat noch die ursprüngliche Widmung dieses größten deutschen Heilstättenkomplexes bis in die jüngste Vergangenheit tradiert.

Vor über hundert Jahren, im Frühjahr 1898, begann die Geschichte von Beelitz-Heilstätten mit dem Ankauf von 560 Morgen (140 Hektar) Land durch die Landesversicherungsanstalt Berlin aus dem Besitz der Stadt Beelitz. Bereits 1890 hatte der Berliner Kliniker Ernst von Leyden (1832 - 1910) „die Errichtung von Heilstätten für Tuberkulöse für die brennende soziale Frage” erklärt. Das Prinzip der hygienisch-diätetischen Anstaltsbehandlung der Tuberkulose hatte erstmals Hermann Brehmer (1826 - 1889) 1854 im schlesischen Görbersdorf umgesetzt. Sein Patient und Schüler Peter Dettweiler (1837 - 1904) hatte daraus seit 1876 am Sanatorium Falkenstein im Taunus die Freiluftliegekur entwickelt. Anlässlich des 7. Internationalen Hygiene-Kongresses in Budapest trieb von Leyden diese Frage mit einem Aufsehen erregenden Vortrag „Über die Versorgung der tuberkulösen Kranken seitens großer Städte” weiter voran. Der Berlin-Brandenburger Heilstättenverein gründete damals eine Heilstätte in Belzig, aus der ab 1902 noch viele Ärzte nach Beelitz wechseln sollten. Während von Leyden 1895 seine Gedanken „Über die Notwendigkeit der Errichtung von Volksheilstätten” im dichtgefüllten Saal des Berliner Langenbeckhauses sogar dem damaligen Reichskanzler Fürst von Hohenlohe nahe brachte, hatte die Landesversicherungsanstalt Hannover unter Ausnützung des Paragraphen 12 des alten Invalidenversicherungsgesetzes über die vorbeugende Heilbehandlung bereits die erste LVA-Lungenheilstätte in Königsberg bei Goslar eröffnet. Bis 1913 sollten noch 41 weitere LVA-Heilstätten folgen. Die Finanzfonds der Invalidenversicherung ermöglichten Deutschland das größte Heilstätten-Bauprogramm in Europa, das 1928 mit rund 60 Anstalten seinen Höhepunkt erreichte.

1902 war es schließlich auch in Beelitz so weit. Am 5. Mai und 17. Juni gingen die beiden Sanatorien für Männer bzw. Frauen südöstlich der Wetzlarer Bahnlinie in Betrieb, am 15. Juli und 11. August folgten die beiden Lungenheilstätten nordöstlich der Bahn; die Potsdam-Beelitzer Chaussee trennte jeweils die Einrichtungen für Männer und für Frauen (Abb. [1] [2] [3] [4] [5]). Für die Wahl des Standorts der Anlage im damaligen „Beelitzer Wald” spielten sowohl logistische Faktoren - wie etwa die optimale Straßen- und Schienenanbindung an den Großraum Berlin - eine Rolle, insbesondere aber auch das als überaus günstig erachtete, geschützte und schadstoffarme Mikroklima der 1837 - 41 systematisch mit Kiefern aufgeforsteten „Beelitzer Heide”. Nicht zuletzt gaben auch in Anbetracht des enormen Flächenbedarfs die seitens der Stadt Beelitz gewährten, günstigen Grundstückerwerbskonditionen den Ausschlag. Innerhalb des durch die Verkehrsachsen entstehenden Vier-Quadrantensystems war es das vorrangige Bebauungsprinzip, den Bettenhäusern, Krankenzimmern und Liegehallen eine in der Heilstättenbewegung für essenziell erachtete Orientierung nach Süden zu geben (siehe Lageplan Abb. [2]). Darüber hinaus wies das Gelände ein auf die Wohngebäude, Kliniken und Funktionsgebäude funktionell optimal abgestimmtes komplexes Wegesystem auf. Die entsprechende Park- und Gartengestaltung lehnte sich dabei an historische Entwürfe von Joseph Peter Lenné für die nahe Potsdamer Seenlandschaft an und erfüllte so auch die hohen garten-architektonischen Ansprüche der Architekten. Ein Spezifikum der Anlage war die nahezu vollständige Einbeziehung logistischer Einrichtungen, was sowohl die Lebensmittelversorgung über eigene angeschlossene Güter mit Obst-/Gemüseplantagen und Viehhaltung als auch die Energie- und Wasserwirtschaft betraf. Die Heilstätten waren so als quasi-autonome und geschlossene medizinische Kommune gekennzeichnet, die in technischer Hinsicht mit einer Reihe von industriegeschichtlich zukunftweisenden und Aufsehen erregenden Konzepten neue Wege ging. Hierzu zählten das (neben Dresden) erste Fernheizkraftwerk in Deutschland (1902), welches unter der zeitgenössischen Bezeichnung „Heiz- und Lichtwerk” erstmals das Prinzip der Koppelung von Energie- und Wärmewirtschaft („Kraft-Wärmekopplung”) mit einem Leistungsvermögen bis zu 1000 kW/Stunde realisierte. Des Weiteren besaßen die Heilstätten ein ausgefeiltes Belüftungs- und Wasserversorgungssystem, wobei der zentrale Wasserturm auf architektonisch höchst eindrucksvolle Weise in den Technikkomplex des Kessel- und Maschinenhauses integriert war (Abb. [6]). Heute ist dieses einmalige, vollständig erhaltene und bis Anfang der 1990er Jahre sogar noch funktionsfähige technische Monument ein zentraler Bestandteil des denkmalgeschützten Gesamtensembles Beelitz-Heilstätten. Ein weiterer technischer und architektonischer Glanzpunkt dieser Versorgungssysteme war auch die in einer exquisiten, zeittypischen „fin-de-siecle”-Ästhethik gestaltete monumentale, kuppelüberwölbte Zentralbadeanstalt (Abb. [7]).

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Abb. 1 Gesamtansicht Beelitz-Heilstätten um 1904.

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Abb. 2 Übersicht Gesamtanlage Beelitz-Heilstätten um 1904.

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Abb. 3 Lungenheilstätte für Frauen um 1910.

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Abb. 4 Lungenheilstätte für Männer um 1910.

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Abb. 5 Lungenheilstätte für Männer, Hausliegehalle 1910.

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Abb. 6 Der zentrale Wasserturm überragt den Technikkomplex („Heiz- u. Lichtwerk”) (aktueller Zustand).

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Abb. 7 Die Zentralbadeanstalt (aktueller Zustand).

Als man mit Vollendung der ersten Baustufe am 24. Oktober 1902 die neue Einrichtung den Teilnehmern der Internationalen Tuberkulose-Konferenz vorstellte, sprachen französische Delegierte von einer „institution gigantesque”. Bis in die französische Nationalversammlung war das Beben zu spüren, das ganz im Sinne des zeittypischen wilhelminischen Geltungsdrangs jene neuen „Flaggschiffe” der deutschen Kampagne zur Bekämpfung der Tuberkulose auslösten. Aber Beelitz war keineswegs nur eine Lungenheilstätte. Die beiden Sanatorien mit der erwähnten riesigen Zentralbadeanstalt und den medikomechanischen und physiotherapeutischen Einrichtungen verkörperten zugleich die Prinzipien der um die Jahrhundertwende propagierten modernen Nervenheilstätte, die hier auch auf Verdauungs-, Stoffwechsel- und Herzkrankheiten angewendet wurden. Mindestens bis zum 1. Weltkrieg sollte sich die Zahl der Sanatoriums- und der Lungenheilstättenpatienten die Waage halten. Bereits mit der zweiten Ausbauphase, der Eröffnung neuer Pavillons und der Erweiterung auf 1200 Betten im Jahr 1907 begann aber die Lungenheilstätte mehr und mehr zu überwiegen, bis dann in den 1930er Jahren nur mehr 400 der 1400 Beelitzer Betten dem Sanatoriumsbetrieb gewidmet waren. Mit Willi Pielicke, dem bisherigen Leiter des Sanatoriums Gütergotz im Kreis Teltow, kam der Beelitzer Sanatoriums-Chefarzt aus Brandenburg, während der Direktor der Lungenheilstätte Martin Pickert zuvor die Lungenheilstätte im hessischen Oberkaufungen geleitet hatte. Der zentralen Heilstätte in Beelitz arbeiteten sechs Lungenfürsorgestellen der Landesversicherungsanstalt im Berliner Stadtgebiet zu, die einerseits die Patienten für den Anstaltsaufenthalt auswählten und andererseits mit in Beelitz ausgebildeten Ärzten besetzt wurden. Zusammen mit Martin Pickert wirkte und forschte 1908/09 in Beelitz auch der Bakteriologe und Chemotherapeut Ernst Loewenstein (1878 - 1950) über die diagnostische Bedeutung des Koch'schen Tuberkulins, der 1923 mit seinem „Handbuch der gesamten Tuberkulose-Therapie” den Kenntnisstand der Zeit zusammenfasste. Löwensteins ehemalige Tätigkeit als ärztlicher Abteilungs-Dirigent in Beelitz schlug sich hier unter anderem darin nieder, dass der Beelitzer Oberarzt und mittlerweile stellvertretende Direktor Gerhard Frischbier (1880 - ?) das Kapitel „Schwangerschaft und Tuberkulose” übernahm, dem schon seine Freiburger Dissertation gewidmet war; Tuberkulose stellte damals eine der wesentlichen medizinischen Indikationen für einen Schwangerschaftsabbruch dar und war insofern ein brisantes Thema der Zeit. Während aber Löwenstein als Leiter der Tuberkulose-Abteilung des Serotherapeutischen Instituts in Wien 1938 vor „rassischer” Verfolgung in die USA flüchten musste, stieg Frischbier 1934 - 39 in Beelitz zum Direktor der Heilstätte auf.

Der 1. Weltkrieg setzte dem friedlichen Ausbau der Beelitzer Heilstätten eine Ende: Die Sanatorien dienten als Vereinslazarett des Roten Kreuzes der Verwundetenversorgung, während der übrige Teil als Militärlungenheilstätte fungierte. Bis 1919 wurden insgesamt 12 586 Soldaten in Beelitz versorgt, während ab 1917 auch wieder jährlich rund 400 Frauen die Dienste des Sanatoriums in Anspruch nahmen. Kaum waren 1920 die Friedensverhältnisse und die Vorkriegs-Belegungszahlen wiederhergestellt, wobei die Bildung von Groß-Berlin die potenzielle Patientenzahl bedeutend vermehrte, setzte 1922/23 die Hyperinflation eine neue Zäsur. Immer mehr Pavillons mussten in Beelitz geschlossen werden, bis am 1. Oktober 1923 der Lungenheilstättenbetrieb vollständig zum Erliegen kam. Bereits 1918 waren in Beelitz 379 Kinder versorgt worden; nun wurden 1922/23 im Rahmen der Vereinigten Krankenkassenhilfe in Wien über 2000 Kinder jährlich in Beelitz untergebracht. Neben einer ärztlich-pädiatrischen Ausrichtung entstand in Beelitz deshalb auch eine Anstaltsschule. Erst 1925 begann sich der Anstaltsbetrieb wieder zu normalisieren. Direktor war mittlerweile trotz Friedensbedingungen der ehemalige Absolvent der Kaiser-Wilhelm-Akademie und Generalarzt Richard Graessner (1863 - ?) geworden, der medizinisch-fachlich kaum hervortrat. Aber sowohl die Ausrichtung der Tuberkulosebehandlung wie auch die Umfeldbedingungen hatten sich inzwischen entscheidend verändert. Schon vor dem Krieg waren sowohl unter Klinikern wie Sozialhygienikern deutliche Kritiker des Lungenheilstättenbaus hervorgetreten, die eine soziale Neuorientierung der Tuberkulosebekämpfung verlangten und gerade unter Hinweis auf den baulichen Luxus und die horrenden Kosten am Beispiel Beelitz eine Umlenkung der finanziellen Ressourcen in Richtung Fürsorge und Vorbeugung forderten [1]. Auf der anderen Seite wandte sich die Tuberkulosebehandlung selbst von der diätetisch-physikalischen Heilstättentherapie ab und der chirurgischen Behandlung in neuen Tuberkulose-Krankenhäusern zu.

Bereits 1926 wurde in Beelitz ein neuer großer Chirurgiepavillon geplant, der 1928 - 30 auch zur Ausführung kam (Abb. [8]). Der neue Leiter dieses Tuberkulose-Krankenhauses, Wilhelm Kremer (1886 - 1952), [2], [3] war sowohl Chirurg wie Tuberkulosespezialist und kam aus dem 1914 von der Stadt Charlottenburg geschaffenen „Waldhaus Charlottenburg” in Beetz-Sommerfeld, das unter seinem energischen Leiter Hellmuth Ulrici (1874 - 1950) die neue Orientierung der Tuberkulosebehandlung im Berlin-Brandenburger Raum zu dominieren begann. Die technisch-chirurgische Orientierung und der aggressive therapeutische Eingriff lagen im Zuge der Zeit [4]. Dass sie im Lichte der Ende der Vierziger Jahre rasch einsetzenden Chemotherapie der Tuberkulose dann selbst bald schon historisch wurden, steht allerdings auf einem anderen Blatt [5]. Kremer, der bereits 1927 in Beelitz die neue Orientierung aufzubauen begann, wurde schließlich 1939 - 45 der letzte Leiter der Beelitzer Heilstätten vor der Übernahme durch die sowjetische Armee.

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Abb. 8 Chirurgiegebäude, Südfassade um 1930.

Aber auch auf der Sanatoriums-Seite ging Beelitz neue Wege. Mit Rudolf Cobet (1888 - 1964) wurde in den Jahren 1930 - 34 erstmals ein aus dem Universitätsbetrieb in Jena und Breslau kommender Internist Direktor der Anstalt, der die Fragen der spezifischen Tuberkulosebehandlung wieder in allgemeinere Beziehung zu Problemen der Inneren Medizin setzte [6] [7] [8]. Allerdings war sein Beelitzer Wirken nur kurz, denn nach 1933 boten sich durch die Entlassung jüdischer oder politisch missliebiger Ärzte sehr rasche Karrieremöglichkeiten, die Cobet über die Chefarztstelle im Berliner Rudolf-Virchow-Krankenhaus 1936 - 57 auf den Direktorenposten der Hallenser Medizinischen Klinik brachten, während sein ehemaliger Jenenser und dann Beelitzer Mitarbeiter Armin de Veer nun Nachfolger als Chefarzt des Sanatoriums wurde.

Architektonisch lässt sich die Entwicklung der historischen Beelitzer Heilstätten in die bereits angesprochenen drei Abschnitte gliedern: die Gründungs- und Aufbauphase von 1898 - 1902 bzw. von 1905 - 1908 unter der Leitung der seinerzeit führenden Krankenhausarchitekten Heino Schmieden (1835 - 1913) und Julius Boethke, sowie die Erweiterungsphase von 1926 - 1930, die unter dem Architekten Fritz Schulz im Wesentlichen der Entwicklung der Thoraxchirurgie gewidmet war. Die Gesamtanlage greift konzeptionell das dezentrale Pavillonsystem auf, wie es exemplarisch für Großkliniken erstmals von Heino Schmieden in Partnerschaft mit Martin Gropius in Berlin Friedrichshain 1868 - 74 realisiert worden war. Weitere wie das Berliner Wenckebach- oder Virchow-Krankenhaus sollten folgen. Die Gesamtbauzeit von über 30 Jahren schlug sich naturgemäß in einer deutlichen Variabilität der Baustile und architektonischen Anleihen nieder. Die Heilstätten waren durchaus von Anfang an unter konsequenten, auch heute noch gültigen funktionellen Gesichtspunkten angelegt, folgten jedoch in der Ausführung und architektonischen Ausgestaltung dem jeweiligen Zeitgeist, so vor allem einem in der wilhelminischen Gründungsphase verbreiteten detail- und ornamentorientierten Repräsentationsbedürfnis. Der materielle Aufwand und die Wertigkeit der Baumaterialien waren zum Teil spektakulär. Sie sind die Grundlage des unter Berücksichtigung jahrzehntelanger Vernachlässigung oftmals frappierend guten Erhaltungszustands der meisten Objekte. Entgegen des angesichts zahlreicher Erker, Türmchen, Giebel, Vorsprünge, Kolonnaden und Maßwerk spontan aufkommenden Eindrucks des Jugendstils vereint der originäre Heilstättenstil heterogene Elemente großbürgerlicher preußischer Villen- wie auch gründerzeitlicher Industriearchitektur, die sich augenfällig an hauptstädtisch-berlinische Vorbilder à la Siemens und Borsig anlehnt. Strengere und nüchterne klinkerbetonte Bauelemente setzten sich nach dem ersten Weltkrieg - inspiriert von Alfred Messel - durch, die in den Heimatstil der 20er Jahre und später noch in den funktionell-expressionistischen Stil der frühen 30er Jahre einmünden.

Die letzte, ausschließlich der Not der Zeit geschuldete bauliche Erweiterung erfuhren die Beelitzer Heilstätten während des 2. Weltkrieges, als ab 1942 mit der Eskalation des Bombenkrieges im gesamten Reichsgebiet im Zuge der „Aktion Brandt” dringend benötigte Krankenhausausweichkapazitäten im Umfeld der luftgefährdeten Ballungsräume geschaffen werden mussten. Dieser Umstand verhalf den Heilstätten 1943/44 zur Errichtung jener auch unter Tarnungsgesichtspunkten konzipierten Flachbauanlage, wie sie durch den namhaften Architekten Egon Eiermann (1904 - 1970) primär unter kriegswirtschaftlichen Zwängen aber ästhetisch-funktional deutlich am Bauhaus orientiert realisiert wurde. Insofern ist auch dieser Trakt heute ein Teil des denkmalgeschützten Heilstätten-Gesamtkomplexes [9]. Nach dem Kriege, als die Rote Armee das Stammgelände durch ein Militärhospital belegte, sollte dieser Flachbau zum Standort der neu zu begründenden Lungenheilkunde werden. Der Kontakt und Austausch zwischen dem russischen Militärhospital und der Lungenklinik blieb freilich rudimentär und beschränkte sich wechselseitig auf kasuistische, fachspezifische Konsultationen und Hilfeleistungen. Vereinzelt kam es zu persönlichen Kontakten; ein organisatorischer Verbund stand zu keinem Zeitpunkt zur Diskussion. Die generelle Knappheit der Ressourcen musste über die Zeit absehbar zu erheblichen baulichen Erhaltungsdefiziten führen. Kriegsbeschädigte Teile der Anlage wie der Chirurgietrakt wurden meist vollständig aufgegeben, andere zum militärischen Gebrauch umdefiniert, was bis zur politischen Wende zu einem Teilverfall und einen kritischen Zustand der Gesamtanlage führte. Immerhin blieben aus konservatorischer Sicht das Konzept und die Grundbaumasse des Ensembles authentisch erhalten. Kurze Publizität erlangten die „alten” Heilstätten, als 1993 der ehemalige Staatsratsvorsitzende der DDR Erich Honecker vor seiner Ausreise nach Chile der letzte prominente Patient des Militärhospitals war. Erst 1996 konnte jedoch die Einrichtung mit der Übernahme durch einen privaten Träger aus treuhänderischer Landesverwaltung aus ihrem jahrzehntelangen Dämmerzustand zumindest partiell erweckt werden und damit die sorgfältige denkmalgerechte Rekonstruktion - zumindest der ehemaligen Lungenheilstätte für Männer im nordöstlichen Quadranten - unter Umwidmung in eine neurologische Rehabilitationsklinik eingeleitet werden. Für weite Teile der Gesamtanlage bleibt indes bis auf weiteres ein tragfähiges, zumal ein dem originären Heilstättencharakter und dem enormen Rekonstruktionsbedarf der Anlage angemessenes Konzept offen.

Eine eigenständige Entwicklung nahm die Lungenklinik im ehemaligen Behelfskrankenhaus, für deren energischen Wiederaufbau über mehr als 24 Jahre der Name OMR Dr. Herbert Herrmann steht. Er prägte von 1953 - 1987 das Profil der Klinik mit dem Schwerpunkt der Atemwegserkrankungen und Tuberkulose und konnte damit an die renommierte Vorkriegseinrichtung anknüpfen. Unter der Leitung von OMR Dr. Herwig Dürschmied konnte sich die pneumologische Klinik schließlich von 1987 - 1993 weiter zu einem voll integrierten modernen internistischen Zentrum mit den Schwerpunkten Onkologie und COPD/Asthma entwickeln. Allerdings erwies es sich im Zuge der nach der Wiedervereinigung revidierten Landeskrankenhausplanung, aus der Nähe zum Großraum Berlin/Potsdam und aus den langfristig inadäquaten baulichen Verhältnissen heraus als notwendig, die chirurgische Abteilung zu schließen. Bereits zu diesem Zeitpunkt sah die Planung jedoch langfristig die Ortsverlagerung der gesamten Lungenklinik in das ca. 25 km weiter südlich im Herzen des „Niederen Fläming” gelegene Treuenbrietzen vor. Maßgeblich für diese regional bedeutsame gesundheitspolitische Entscheidung waren einerseits die angesichts begrenzter Ressourcen fehlenden Rekonstruktions- und Entwicklungsoptionen des immensen, denkmalgeschützten Traditionskomplexes, die die Klinik beim Verbleib zu einer administrativ bei weitem unterdimensionierten akutmedizinischen Solitäreinrichtung gemacht hätten. Zum anderen stand am neuen Standort nach Rekonstruktion und Übertragung an die Johanniter eine großzügige, baulich und technisch hochwertige Anlage bereit, um die Lungenklinik als Teil eines brandenburgischen Fachklinikensembles aufzunehmen mit den Komponenten eines rheumatologischen, eines psychiatrischen und eben eines pneumologischen Zentrums. Der entsprechende historische Gebäudetrakt kam dem Konzept nicht zuletzt dadurch entgegen, dass er bereits in den 1920er Jahren (wie auch im nahen Belzig) tuberkulose-bezogen konzipiert und auch genutzt worden war. Der schwierige Schritt der Ortsverlagerung und lokalen Integration wurde 1998 unter der Leitung von Chefarzt Dr. Wolfgang Frank vollzogen, der die Klinik 1995 übernommen hatte. Für die Klinik erbrachte der Umzug einen erheblichen räumlich-qualitativen aber auch inhaltlichen Zugewinn, z. B. durch eine moderne internistische Intensivstation und darauf aufbauend die Entwicklung der nicht-invasiven Beatmung bzw. das Management der akuten und chronischen respiratorischen Insuffizienz. Es ist nur konsequent, wenn kürzlich auch wieder die Komplettierung der Fachklinik zum regionalen vollintegrierten pneumologischen 150-Betten-Zentrum zunächst durch die Wiedereröffnung einer thoraxchirurgischen Abteilung im nahen Johanniterkrankenhaus Jüterbog gelang. Ab 2005 wird diese dann mit dem Neubau eines Operations-, Intensiv- und Bettentrakts auch baulich im örtlichen Klinikkontext Treuenbrietzen vollendet sein. (Abb. [9])

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Abb. 9 Beelitz-Heilstätten, Lageplan Gesamtanlage 1945.

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Literatur

  • 1 Grotjahn A. Die Lungenheilstättenbewegung im Lichte der sozialen Hygiene, Zschr, Soz. Med. 2 (1907), 5. 196 - 233; ders.: Die Krisis in der Lungenheilstättenbewegung, Med. Reform 15 (1907), S. 219 - 233, bzw. die Debatte in der Gesellschaft für soziale Medizin, Hygiene und Medizinalstatistik, ebda., S. 281 - 86, 297 - 99, 332 - 335; ders.; Krankenhauswesen und Heilstättenbewegung im Lichte der Sozialen Hygiene. Leipzig: Ulrici, Tuberkulosekrankenhäuser 1908: S.135
  • 2 Lemberger A. Wilhelm Kremer 65 Jahre.  Der Tuberkulosearzt. 1952;  6 S. 66f
  • 3 Wiese O. In memoriam Wilhelm Kremer, ebda (2). S. 509f
  • 4 Bochalli R. Entwicklung der Tuberkuloseforschung. S. 107
  • 5 Bochalli R. Entwicklung der Tuberkuloseforschung. S. 99-120
  • 6 Bochalli R. Entwicklung der Tuberkuloseforschung. S. 97-99
  • 7 Cobet R, Apitz G. Kreislauf und Atmung bei Lungentuberkulose. Die Blutgase bei Kranken mit Lungentuberkulose.  Zschr klin Med. 1933;  126 S. 361-372
  • 8 Cobet R. Kreislauf und Atmung bei Lungentuberkulose und ihre Bedeutung für die Indikationsstellung zur Kollapstherapie. ders: Tuberkulose und Kreislauf. Berlin-Wien.  Münch med Wschr. 1933;  80 S. 1461-1466
  • 9 Die Beelitzer Heilstätten . Arbeitshefte des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege Nr. 7 (Potsdamer Verlagsbuchhandlung. 1997)

Dr. Wolfgang Frank

CA Klinik III, Pneumologie · Johanniterkrankenhaus im Fläming

Johanniterstr. 1

14929 Treuenbrietzen

Email: schuermann@johanniter-treuenbrietzen.de

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Literatur

  • 1 Grotjahn A. Die Lungenheilstättenbewegung im Lichte der sozialen Hygiene, Zschr, Soz. Med. 2 (1907), 5. 196 - 233; ders.: Die Krisis in der Lungenheilstättenbewegung, Med. Reform 15 (1907), S. 219 - 233, bzw. die Debatte in der Gesellschaft für soziale Medizin, Hygiene und Medizinalstatistik, ebda., S. 281 - 86, 297 - 99, 332 - 335; ders.; Krankenhauswesen und Heilstättenbewegung im Lichte der Sozialen Hygiene. Leipzig: Ulrici, Tuberkulosekrankenhäuser 1908: S.135
  • 2 Lemberger A. Wilhelm Kremer 65 Jahre.  Der Tuberkulosearzt. 1952;  6 S. 66f
  • 3 Wiese O. In memoriam Wilhelm Kremer, ebda (2). S. 509f
  • 4 Bochalli R. Entwicklung der Tuberkuloseforschung. S. 107
  • 5 Bochalli R. Entwicklung der Tuberkuloseforschung. S. 99-120
  • 6 Bochalli R. Entwicklung der Tuberkuloseforschung. S. 97-99
  • 7 Cobet R, Apitz G. Kreislauf und Atmung bei Lungentuberkulose. Die Blutgase bei Kranken mit Lungentuberkulose.  Zschr klin Med. 1933;  126 S. 361-372
  • 8 Cobet R. Kreislauf und Atmung bei Lungentuberkulose und ihre Bedeutung für die Indikationsstellung zur Kollapstherapie. ders: Tuberkulose und Kreislauf. Berlin-Wien.  Münch med Wschr. 1933;  80 S. 1461-1466
  • 9 Die Beelitzer Heilstätten . Arbeitshefte des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege Nr. 7 (Potsdamer Verlagsbuchhandlung. 1997)

Dr. Wolfgang Frank

CA Klinik III, Pneumologie · Johanniterkrankenhaus im Fläming

Johanniterstr. 1

14929 Treuenbrietzen

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Abb. 1 Gesamtansicht Beelitz-Heilstätten um 1904.

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Abb. 2 Übersicht Gesamtanlage Beelitz-Heilstätten um 1904.

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Abb. 3 Lungenheilstätte für Frauen um 1910.

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Abb. 4 Lungenheilstätte für Männer um 1910.

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Abb. 5 Lungenheilstätte für Männer, Hausliegehalle 1910.

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Abb. 6 Der zentrale Wasserturm überragt den Technikkomplex („Heiz- u. Lichtwerk”) (aktueller Zustand).

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Abb. 7 Die Zentralbadeanstalt (aktueller Zustand).

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Abb. 8 Chirurgiegebäude, Südfassade um 1930.

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Abb. 9 Beelitz-Heilstätten, Lageplan Gesamtanlage 1945.