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DOI: 10.1055/s-2004-830940
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Pro und Contra der perioperativen Chemotherapie des fortgeschrittenen Urothelkarzinoms
Pro
Prof. Dr. Axel Heidenreich
Klinik und Poliklinik für Urologie, Universität zu Köln,
Joseph-Stelzmann-Str. 9
50931 Köln
Email: axel.heidenreich@uk-koeln.de
Publication History
Publication Date:
03 August 2004 (online)
- Pro
- Die perioperative Chemotherapie des fortgeschrittenen Urothelkazinoms
- Prognostische Faktoren
- Contra
- Neoadjuvante Chemotherapie beim muskelinvasiven Blasenkarzinom - ein neuer Standard?
- Ziele einer neoadjuvante Chemotherapie vor radikaler Zystektomie
- Nachteile einer neoadjuvanten Chemotherapie vor radikaler Zystektomie
- Ergebnisse der radikalen Zystektomie im Vergleich mit einer zusätzlichen Systemtherapie
- Fazit
Pro
Das Blasenkarzinom stellt mittlerweile den 5. häufigsten bösartigen Tumor des Mannes dar. Aktuellen statistischen Erhebungen zufolge weisen ca. 30% der Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose bereits ein muskelinfiltratives Blasenkarzinom auf, ca. 50% dieser Patienten präsentieren sich bereits mit lokoregionären Lymphknotenmetastasen. In diesem klinischen Szenario ist eine Kuration durch alleinige radikalchirurgische Maßnahmen nicht mehr möglich und es konkurrieren die Therapieoptionen der adjuvanten und der neoadjuvanten systemischen Chemotherapie. Nachdem die Metaanalyse des Medical Research Council (MRC) zu den bisher publizierten Daten der neoadjuvanten Chemotherapie des lokal fortgeschrittenen Blasenkarzinoms einen Überlebensbenefit von 5% beschreibt, hat diese therapeutische Variante neuen Aufwind bekommen. Ziel der beiden vorliegenden Beiträge ist es, sich kritisch mit den vorliegenden Daten und den Interpretationen der Daten auseinander zu setzen, um klinisch relevante Schlussfolgerungen ziehen zu können.
#Die perioperative Chemotherapie des fortgeschrittenen Urothelkazinoms
Patienten mit lokal fortgeschrittenem Harnblasenkarzinom oder lymphogener Metastasierung haben trotz lokaler Tumorkontrolle durch operative Maßnahmen ein erhöhtes Risiko für ein systemisches Fortschreiten der Erkrankung. Trotz radikaler Zystektomie und erweiterter Lymphadenektomie sind die Überlebensraten für Patienten mit lymphogen metastasiertem und/oder fortgeschrittenem Urothelkarzinom der Harnblase bei 10-Jahres-Überlebensraten von ca. 30% schlecht.
Um die Prognose und das Überleben der Patienten zu verbessern, erfolgt der perioperative Einsatz der systemischen Chemotherapie unter neoadjuvanter oder adjuvanter Zielsetzung. Besondere Beachtung bedürfen prognostische Faktoren, die unabhängig vom Tumorstadium und der Tumorlokalisation das Überleben der Patienten beeinflussen.
#Prognostische Faktoren
Die Prognose von Patienten mit fortgeschrittenem Harnblasenkarzinom wird wesentlich vom Allgemeinzustand des Patienten bestimmt. Unabhängig von der Tumorlokalisation und unabhängig von der Wahl der systemischen Therapie ist die Prognose bei gleichzeitigem Vorliegen einer tumorbedingten Kachexie und Anämie mit 7,9 Monaten mittlerem Überleben im Vergleich zu normgewichtigen und nicht anämischen Patienten (mittleres Überleben 42,3 Monate) signifikant schlechter.
Patienten, die nach induktiver Chemotherapie eine komplette Remission entwickeln, weisen eine 2-Jahres-Überlebensrate bis zu 71% auf. Diese Patienten profitieren somit auch in Bezug auf die Überlebenszeit. Sternberg et al. 1988 ermittelten für Patienten mit kompletter Remission eine mediane Überlebenszeit von mehr als 33 Monaten; die komplette Remission hielt für mehr als 28 Monate an. Im Gegensatz dazu fand sich für Patienten mit partieller Remission eine mittlere Überlebenszeit von 11 Monaten; eine Tumorprogression trat nach ca. 8 Monaten auf.
Die Ansprechrate der induktiven Chemotherapie bei metastasiertem Harnblasenkarzinom korreliert mit der Metastasenlokalisation. Die größte objektive Ansprechrate konnte mit 41% kompletter Remissionen für Lungenmetastasen ermittelt werden. Lebermetastasen weisen in nur 9% der Fälle komplette Remissionen auf.
Ohne prognostische Bedeutung ist die Tatsache, ob die Metastasen von einem Nierenbeckenkarzinom, Harnleiterkarzinom oder Harnblasenkarzinom ausgehen. Hier sind die Ergebnisse der systemischen Chemotherapie gleich ungünstig .
Neoadjuvante Chemotherapie
Es liegen 11 randomisierte Studien mit einer Gesamtzahl von mehr als 3000 Patienten vor. Im Rahmen einer Metaanalyse der MRC-Gruppe sind die Studienergebnisse von 2688 Patienten aus randomisierten Untersuchung erfasst worden. Im Vergleich zur Kontrollgruppe besteht ein 5-Jahres-Überlebensvorteil von 5% zu Gunsten der chemotherapierten Patienten. In der Kontrollgruppe sind 636 von 1054 Patienten verstorben; in der neoadjuvanten Therapiegruppe sind 588 von 1062 Patienten tumorbedingt verstorben. Die Polychemotherapie ist der Monochemotherapie überlegen (p = 0,044). Trotz unselektionierten Patientenkollektivs besteht im Vergleich zur alleinigen Zystektomie ein Unterschied von ca.7% .
Dieser Unterschied wird unter den günstigen Selektionskriterien der SWOG signifikant höher. In Rahmen dieser Studie wurden 317 Patienten mit einem pT2a-pT4-Blasenkarzinom rekrutiert und in den Arm der alleinigen radikalen Zystektomie oder in den Arm der neoadjuvanten Chemotherapie mit 3 Zyklen MVAC gefolgt von der radikalen Zystektomie randomisiert. Entsprechend den Resultaten einer Intention-to-treat-Analyse war das mediane Überleben mit 77 Monaten gegenüber 46 Monaten deutlich, aber nicht signifikant verlängert (p = 0,06). Ein signifikanter Prognosefaktor für ein verlängertes tumorspezifisches Überleben stellte ein pT0-Stadium nach radikaler Zystektomie in beiden Gruppen dar; dieser Befund wiederum war signifikant häufiger in dem Patientenkollektiv der Kombinationstherapie zu finden (38% versus 15%, p < 0,01).
Adjuvante Chemotherapie
Die adjuvante Chemotherapie hat zum Ziel, den Erfolg vorangegangener kurativer lokaler Maßnahmen zu konsolidieren. Vorhandene nicht sichtbare Tumorresiduen sollen erfasst werden, um ein Tumorrezidiv zu verhindern und das Überleben der Patienten zu verbessern.
Im Rahmen prospektiv randomisierter Studien wurde der Einfluss der adjuvanten Chemotherapie auf das lokal fortgeschrittene Harnblasenkarzinom geprüft. Zielgröße war in beiden Studien die Überlebensrate. Im Gegensatz zu Skinner et al. (1991) konnten Studer et al. (1991) keinen Einfluss der adjuvanten Chemotherapie auf das Überleben der Patienten feststellen. Ursache dafür ist die Anwendung einer Monochemotherapie (Cisplatin) in der Schweizer Arbeitsgruppe, die nachweislich einer Polychemotherapie in der Behandlung des fortgeschrittenen Urothelkarzinoms unterlegen ist.
Stöckle et al. untersuchten 1995 den Einfluss der adjuvanten Chemotherapie auf die Tumorprogressionsrate nach radikaler Zystektomie und pelviner Lymphadenektomie für Patienten mit lokal fortgeschrittenem Harnblasenkarzinom und/ oder pelvinen Lymphknotenmetastasen. Im Rahmen dieser Studie fand sich nach adjuvanter Chemotherapie eine niedrigere Tumorprogressionsrate. Trotz der kleinen Fallzahl lässt sich ein Vorteil der adjuvanten Chemotherapie mit verbesserter Langzeitüberlebensrate gegenüber der Kontrollgruppe ableiten.
Im Rahmen einer prospektiven vergleichenden Untersuchung hatten Stöckle et.al 1991 den Einfluss der adjuvanten Chemotherapie auf die Überlebenszeit von Patienten mit lymphogen metastasiertem Harnblasenkarzinom analysiert. Die Autoren konnten zudem die besondere prognostische Bedeutung der lymphonodulären Tumorlast darstellen: Patienten mit nur einem tumorbefallenen Lymphknoten profitierten hinsichtlich der 3-Jahres-Überlebensrate im Vergleich zur Kontrollgruppe. In einer weiteren randomisierten Untersuchung zum gleichen Patientenkollektiv wurden 108 Patienten rekrutiert. 53 Patienten wurden ausschließlich zystektomiert und lymphadenektomiert, 55 Patienten erhielten adjuvant 3 Zyklen einer M-VEC Chemotherapie. Obwohl kein signifikanter Unterschied bezüglich des mittleren Gesamtüberlebens zwischen den beiden Gruppen erzielt werden konnte (43 Monate [Kontrollgruppe] versus 48 Monate), scheint die Subgruppe der Patienten mit lymphonodulärer Metastasierung unabhängig von der Anzahl der befallenen Lymphknoten von der adjuvanten Chemotherapie zu profitieren (Abb. 1).
Die Effektivität einer systemischen, perioperativen Polychemotherapie wird von der Arbeitsgruppe um Stöckle bereits postuliert, weshalb zwei unterschiedliche Chemotherapieregime ohne Kontrollgruppe unter adjuvanter Zielsetzung bei lokal fortgeschrittenen oder lymphogen metastasierten Urothelkarzinomen randomisiert geprüft wurden. Die Phase-III-Studie erfolgte mit den beiden Behandlungsarmen Methotrexat, Cisplatin (CM) und M-VEC. Gemessen an der progressionsfreien 5-Jahres-Überlebenszeit bestehen mit exzellenten 45 vs. 50% keine signifikanten Unterschiede bei besserem Nebenwirkunsprofil bei CM-therapierten Patienten.
Neue Konzepte in der Systembehandlung
Die Kombination methotrexat- und cisplatinhaltiger Schemata weist eine Remissionsrate von 56-65% auf. Das Langzeitüberleben ist mit weniger als 20 % ungünstig. Unter Bezug auf die erzielten objektiven Remissionen hat sich die Polychemotherapie nach dem M-VAC-Schema bis 2001 als Standard etabliert.
Ungünstige Remissionsraten in Kombination mit einer hohen Frequenz therapieassoziierter Nebenwirkungen haben zur Suche nach neuen Systemtherapien geführt. Aktive Substanzen stellen in diesem Zusammenhang Gemcitabine und Taxanabkömmlinge wie Paclitaxel oder Docetaxel dar.
Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Kombination aus Gemcitabine und Cisplatin erlangt. Im randomisierten Vergleich von 405 Patienten weist die Kombination Gemcitabine/Cisplatin eine signifikant geringere Morbidität bei signifikant verkürzter Krankenhausverweildauer und signifikant verbesserer Lebensqualität auf. Allerdings haben sich die Überlebens- und Progressionsraten nicht verbessern lassen.
Im Rahmen klinischer Phase-II-Prüfungen beträgt die objektive Remissionsrate unter der Kombination von Paclitaxel und Carboplatin, Gemcitabine und Paclitaxel, Docetaxel und Gemcitabine 48-63%, so dass diese Substanzen einer weiteren Prüfung unter neoadjuvanten und adjuvanten Bedingungen bedürfen.
Prof. Dr. med T. Otto
Urologische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Essen,
Hufelandstr. 55, 45417 Essen
Literatur beim Autor
#Contra
#Neoadjuvante Chemotherapie beim muskelinvasiven Blasenkarzinom - ein neuer Standard?
Das invasive Harnblasenkarzinom ist eine Erkrankung mit signifikanter Morbidität und Mortalität. In Verbindung mit einem orthotopen Harnblasenersatz ist die pelvine Lymphadenektomie und radikale Zystektomie als idealer Standard der Therapie des invasiven Harnblasenkarzinoms etabliert. Dies konnte insbesondere durch Verbesserungen des perioperativen Managements mit Senkung der Mortalität und Morbidität bei gleichzeitigem Erhalt der Lebensqualität erreicht werden. Die Überlebenswahrscheinlichkeit des Patienten mit Harnblasenkarzinom wird insbesondere vom pathologischen Tumorstadium und dem Lymphknotenstatus bestimmt. Mit steigendem Tumorstadium sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit zunehmend ab.
#Ziele einer neoadjuvante Chemotherapie vor radikaler Zystektomie
Das Harnblasenkarzinom ist prinzipiell ein chemosensibler Tumor. Das Konzept einer neoadjuvanten Chemotherapie ist für Patienten mit operablen Tumoren der klinischen Stadien T2 bis T4a vorgesehen. Für Patienten mit primär nicht resektablem Tumor gelten andere Voraussetzungen der zum Teil nicht kurativen Therapieplanung. Ziel einer neoadjuvanten Therapie vor geplanter Zystektomie ist es, das Überleben von Patienten mit potenzieller Mikrometastasierung zu verbessern. Die Rationale einer neoadjuvanten Therapie gründet sich auf die systemische Behandlung einer Frühmetastasierung mit geringer Tumorlast und birgt den potenziellen Vorteil, dass eine Systemtherapie vor definitiver chirurgischer Therapie besser toleriert wird. Die Toxizität einer neoadjuvanten Therapie ist bei diesen selektierten, operablen Patienten in gutem Allgemeinzustand und mit ansonsten lokalisierter Erkrankung reduziert. Allerdings hat dieses Argument auch umgekehrt Gültigkeit, da Patienten einen ausgedehnten abdominellen Eingriff wie die radikale Zystektomie mit nachfolgender Harnableitung vor einer Systemtherapie besser tolerieren. In der aktuell publizierten Intergroup-Studie der SWOG [6] wurden nach vorausgegangener neoadjuvanter Chemotherapie letztlich nur 82% der für eine Zystektomie geplanten Patienten tatsächlich operiert. Es darf spekuliert werden, weshalb bei 18% der Patienten nach Chemotherapie keine geplante operative Therapie erfolgte.
#Nachteile einer neoadjuvanten Chemotherapie vor radikaler Zystektomie
Wichtige Nachteile der neoadjuvanten Therapiestrategie sind in dem unsicheren präoperativen Staging mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von etwa 30% sowie in der Verzögerung der definitiven operativen Therapie zu sehen. Diese Nachteile gelten insbesondere für die Non-Responder als auch für die ca. 35% der Patienten, die eine Toxizität Grad 3/4 erleiden.
Darüber hinaus zeigt vor diesem Hintergrund eine Vielzahl der publizierten neoadjuvanten Chemotherapiestudien auch keinen oder nur einen minimalen Trend zum Überlebensvorteil. Obwohl inzwischen mehr als 3000 Patienten in prospektiven Studien zur neoadjuvanten Chemotherapie randomisiert wurden, existiert keine definitive Antwort bezüglich des wahren, klinischen Vorteils einer solchen Strategie für den individuellen Patienten. In einer aktuellen Metaanalyse von 10 Studien, die 88% aller Patienten aus verfügbaren, publizierten Studien erfasst, ergab sich bezüglich des Gesamtüberlebens der ganzen Gruppe und für Patienten mit alleiniger Cisplatingabe kein Vorteil. Lediglich in einer Subgruppenanalyse zeigte sich ein Gesamtvorteil von 5% für die Patientengruppe mit neoadjuvanter Therapie. Der Vorteil entspricht einer absoluten Verbesserung des Überlebens von 45 auf 50 %.
Erhebliche methodische Nachteile der zugrunde liegenden Studien liegen in der Tatsache, dass in etwa 35 % Patienten ein T0- bis T2-Tumorstadium vorlag und andererseits der Lymphknotenstatus in 48-55 % der eingeschlossenen Patienten unklar blieb, da dieser nur in 6 von 10 Studien berücksichtigt wurde. Damit ergibt sich zwanglos, dass die exakte pathologische Staging-Information unabdingbar ist, um Patienten zu selektieren, die eine organbegrenzte Erkrankung aufweisen, und wahrscheinlich sowieso keine Chemotherapie benötigen. Die 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit dieser prognostisch günstigen Patientengruppe liegt in aktuellen Zystektomieserien zwischen 64 und 83% . Somit scheint sich zumindest für diese Patienten, der zusätzliche Vorteil einer neoadjuvanten Therapie, die begleitende Toxizität nicht zu rechtfertigen.
#Ergebnisse der radikalen Zystektomie im Vergleich mit einer zusätzlichen Systemtherapie
Eine aktuelle Analyse von fast 700 Zystektomie-Patienten einer Institution, die weit gehend ohne jegliche Chemotherapie behandelt wurden ergab ein 5-JahresÜberleben von 78% für pT2a/b-, 56,6% für pT3a/b- und 53,8% für pT4a/b-Tumoren, sofern kein Lymphknotenbefall vorlag. Die Verbesserung des Überlebens mit neoadjuvanter Chemotherapie lag demgegenüber in der Metaanalyse des Medical Research Councils bei lediglich 55 auf 60 % für T1-2-, bei 40 auf 45% für T3- und bei 25 auf 30% für T4-Tumoren. Dieser Vergleich von Überlebenswahrscheinlichkeiten relativiert die Sinnhaftigkeit einer neoadjuvanten Chemotherapiestrategie weiter, da der zunehmende Anteil von Patienten die eine orthotope Neoblase erhalten, die definitive Entscheidung für eine Zystektomie erleichtert und damit die Therapieergebnisse für Patienten mit organbegrenztem Tumor offensichtlich weiter verbessert werden. Demgegenüber haben Patienten mit histologisch gesicherter Lymphknotenmetastasierung mit alleiniger Chirurgie eine deutlich schlechtere Prognose. Die 5-Jahres-Überlebensraten liegen hier abhängig vom Primärtumorstadium bei lediglich 20 - 36%. Letzterer Umstand liefert im Zusammenhang mit den Beweisen prospektiver Studien zur prinzipiellen Wirksamkeit (neo)adjuvanter Therapien ein starkes Argument zur weiteren Verfolgung des Konzepts der risikogesteuerten, adjuvanten Chemotherapie nach definitiver pathologischer Festlegung des Tumorstadiums am Zystektomiepräparat. Diese Erkenntnis sowie die Möglichkeit der zusätzlichen Evaluierung molekularer Marker wie p53 haben aktuell zur Aktivierung weiterer adjuvanter Chemotherapiestudien geführt und lassen den Sinn einer präoperativen Chemotherapie als Standard trotz des gezeigten, geringen Überlebensvorteils recht fragwürdig erscheinen.
Prof. Dr. Jürgen Gschwend
Klinik für Urologie und Kinderurologie
Urologische Universitätsklinik Ulm
Prittwitzstr. 43, 89075 Ulm
Literatur beim Autor
#Fazit
Die Beiträge von Otto und Gschwend setzen sich kritisch mit dem Konzept der neoadjuvanten Chemotherapie vor geplanter radikaler Zystektomie auseinander. Die Rationale der neoadjuvanten Chemotherapie liegt in der Eradikation systemischer Mikrometastasen mit dem Ziel einer langfristigen Überlebensverbesserung für die Patienten. Zudem wird oftmals die Ansicht vertreten, dass die neoadjuvante Chemotherapie bei minimaler Tumorlast zu besseren Langzeitergebnissen führt und von den noch nicht operativ sanierten Patienten besser toleriert werde als eine adjuvante Chemotherapie bei voroperierten Patienten mit postoperativ durchlaufener Immunsuppression. Die Metaanalyse des MRC scheint diese Sichtweise der Dinge zu bestätigen. Um die Bedeutung der Metaanalyse für den klinischen Alltag vornehmen zu können, ist es sinnvoll sich intensiv mit den vorliegenden Daten zu befassen.
Trotz vermeintlich positiver Daten erscheint mir aus verschiedenen Gründen keine generelle Indikation zur neoadjuvanten Chemotherapie bei vermeintlich lokal fortgeschrittenem Blasenkarzinom gegeben: (1) es ergibt sich zwar ein Benefit bezüglich des Gesamtüberlebens nach 5 Jahren von 5%, allerdings ist auch eine chemotherapieassoziierte Mortalität von 3% zu berücksichtigen. (2) Insbesondere in die Rezidivrate des Kontrollarms fließt die Operationstechnik ein, die erheblich zwischen den verschiedenen Zentren differiert. Die Southwest Oncology Group (SWOG) hat in diesem Zusammenhang für die prospektiv randomisierte Studie SWOG8710 (neoadjuvant MVAC plus radikale Zystektomie versus radikale Zystektomie) eindrücklich demonstrieren können, dass die Erfahrung des Operateurs und die Art der pelvinen Lymphadenektomie entscheidenden Einfluss sowohl auf die Überlebensrate als auch auf die lokale Rezidivrate haben und unabhängige Prognosefaktoren darstellen. Auch Leissner und Mitarbeiter konnten kürzlich zeigen, dass die Prognose der Patienten abhängig von ”ihrem“ Operateur als unabhängige Variable ist. Diese Parameter bedürfen sicherlich einer prospektiven Prüfung, verdeutlichen jedoch, dass der 5%-Benefit der neoadjuvanten Chemotherapie durch eine optimierte Operationstechnik als weniger toxische Therapievariante bei geeigneter Patientenselektion kompensiert werden kann. (3) Die radikale Zystektomie nach neoadjuvanter Therapie ist mit einer höheren Rate an operativen Komplikationen, einer signifikant längeren Gesamttherapiedauer sowie einer höheren perioperativen Mortalitätsrate verbunden wie Hall et al. in einer Fallkontrollstudie darstellen.
Eine Verbesserung der in der Metaanalayse dargelegten Daten lässt sich aus meiner Sicht nur durch effektivere und nebenwirkungsärme Kombinationstherapie wie z. B. Gemcitabin/Cisplatin sowie durch eine angepasste Operationstechnik erreichen. Auch nach der neoadjuvanten Chemotherapie sollte eine ausgedehnte pelvine Lymphadenektomie den Standard darstellen, nachdem Dodd et al. eine tumorspezifische 5-Jahres-Überlebensrate von 33% für dieses Patientenkollektiv darstellen konnten.
Aus meiner Sicht scheint eine Subgruppenanalyse nötig, um Patienten mit dem größtmöglichen Benefit einer neoadjuvanten Therapie identifizieren zu können. In dem Nordic Cystectomy Trial wiesen Patienten mit T3/4-Blasenkarzinom eine um 15% bessere tumorspezifische 5-Jahres-Überlebensrate nach neoadjuvanter Therapie auf als die Kontrollgruppe. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Kolaczyk et al., die 8 Jahre nach neoadjuvanter Chemotherapie eine tumorspezifische Überlebensrate von 36 versus 0% bei T3/4-Karzinom, aber nicht bei Lymphknotenbefall beschreiben. Auch die SWOG8710 beschreibt ein medianes Überleben von 6,2 versus 3.8 Jahren im Wesentlichen für die T3/4-Karzinome.
Molekulare Marker könnten Patienten mit hohem Progressionsrisiko identifizieren. Shariat et al. haben kürzlich nachgewiesen, dass die Expression des mutierten p53-Proteins in Kombination mit einer alterierten Expression von p16 mit einem signifikant erhöhten Progressionsrisiko und einem signifikant schlechteren Langzeitüberleben assoziiert.
Zusammenfassend ergibt sich aus meiner Sicht keine generelle Indikation zur neoadjuvanten Chemotherapie bei lokal fortgeschrittenem Blasenkarzinom. Aus unserer Sicht erscheinen junge Patienten mit einem T3/4-Karzinom ohne makroskopische Lymphknotenbeteiligung bei fehlenden kardiopulmonalen Komorbiditäten am besten geeignet. Die nachgeschaltete radikale Zystektomie sollte in jedem Falle mit einer extendierten pelvinen Lymphadenektomie erfolgen. Nachfolgende prospektive Studien - wie von der AUO geplant - müssen den therapeutischen Stellenwert der extendierten Lymphadenektomie ± adjuvanter Chemotherapie untersuchen.
Prof. Dr. Axel Heidenreich
Klinik und Poliklinik für Urologie, Universität zu Köln,
Joseph-Stelzmann-Str. 9
50931 Köln
Email: axel.heidenreich@uk-koeln.de
Prof. Dr. Axel Heidenreich
Klinik und Poliklinik für Urologie, Universität zu Köln,
Joseph-Stelzmann-Str. 9
50931 Köln
Email: axel.heidenreich@uk-koeln.de