Aktuelle Urol 2004; 35(3): 199
DOI: 10.1055/s-2004-830945
Aus der Rechtsprechung

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BGH: Untreue bei nichtwirtschaftlicher Verordnungsweise

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Publication Date:
03 August 2004 (online)

 
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Der Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 25. November 2003 - 4 StR 239/03 (Landgericht Kaiserslautern) veröffentlicht in NJW 2004; 7: 4 ff. kann für alle, die kassenärztliche Funktionen in der Verordnung wahrnehmen, extreme strafrechtliche Schlussfolgerungen haben. Zum ersten Mal nimmt der Senat eine Vermögensbetreuungspflicht des Kassenarztes gegenüber dem Vermögen der Krankenkasse an. Erbringt er Arztleistungen oder veranlasst er Verordnungen, die unter Verstoß gegen § 12 SGB V (Wirtschaftlichkeitsgebot) nicht notwendig, nicht ausreichend oder unzweckmäßig sind, so erfüllt er nach dieser Rechtsprechung den Tatbestand der Untreue.

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Upcoding - schon Straftatbestand?

Es stellt sich die Frage, ob auch das aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen fast absichtslos vorgenommene Upcoding von Krankheitsbildern im Falle von Fallpauschalen oder in der ICD-Verschlüsselung von Ärzten seit dem 1. Januar 2004 schon der Tatbestand der Untreue erfüllt. In jedem Fall wird die Entscheidung zur Folge haben, dass zukünftige Wirtschaftlichkeitsprüfungen, die zum Ergebnis der Unwirtschaftlichkeit kommen, regelmäßige Strafverfahren nach sich ziehen werden. Zum Hintergrund: in dem abgeurteilten Fall verordnete der Arzt Übermengen an Infusionslösungen und Hilfsmittel, ohne dass dafür eine entsprechende ärztliche Indikation vorlag.

Der Strafsenat führte aus, dass ein Vertragsarzt als ein mit öffentlich rechtlicher Rechtsmacht ”beliehener“ Verwaltungsträger handelt, wenn er ein Arzneimittel verschreibt. Bei Verordnung einer Sachleistung handelt der Vertragsarzt also Kraft der ihm durch das Kassenarztrecht verliehenen Kompetenzen als Vertreter der Krankenkasse. Der Arzt gibt mit Wirkung für und gegen die Krankenkasse die Willenserklärung zum Abschluss eines Kaufvertrages über die verordneten Medikamente ab. Löst ein Patient ein Rezept bei der Krankenkasse ein, so handelt es sich um einen zwischen der Krankenkasse und dem Apotheker - unter Einschaltung des Vertragsarztes als Vertreter der Krankenkasse - geschlossenen Vertrag zugunsten des Versicherten.

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Worin besteht die Untreue?

Die Tathandlung der Untreue durch den Arzt gemäß § 266 I Strafgesetzbuch entsteht im Außenverhältnis dadurch, dass es zu einer wirksamen, aber im Verhältnis zum Geschäftsherrn (Krankenkasse) bestimmungswidrigen Ausübung der Befugnis zur Vermögensverfügung oder Verpflichtung zur Wahrung seiner Vermögensinteressen kommt. Insoweit ist bei Verordnungen der Arzt nicht der Kassenärztlichen Vereinigung, sondern unmittelbar der Krankenkasse verpflichtet.

Nach den Prinzipien der kassenärztlichen Abrechnung handelt der Vertragsarzt bei Ausstellung einer Verordnung - als Vertreter der Krankenkasse - indem er an ihrer Stelle das Rahmenrecht des einzelnen Versicherten auf medizinische Versorgung konkretisiert. Der Kassenarzt darf den materiellen und formellen Rechtsrahmen der kassenärztlichen Versorgung nicht verlassen. Er darf deshalb Leistungen, die jenseits der Bandbreite offener Wertungen nach den Regeln der ärztlichen Kunst eindeutig nicht notwendig, nicht ausreichend oder unzweckmäßig sind, nicht verordnen. Verschreibt der Kassenarzt dennoch ein Medikament zulasten der Krankenkasse, obwohl er weiß, dass er die Leistung nicht bewirken darf, missbraucht er diese vom Gesetz eingeräumten Befugnisse. Damit verletzt er seine Betreuungspflicht gegenüber dem betroffenen Vermögen der Krankenkasse. Indem der Arzt Medikamente auf Rezept verschreibt, erfüllt er die im Interesse der Krankenkasse liegende Aufgabe, die Krankenkassenmitglieder mit Arzneimitteln zu versorgen.

Da der Kassenarzt bei Erfüllung dieser Aufgabe der Krankenkasse gegenüber Kraft Gesetz verpflichtet ist, nicht notwendige bzw. unwirtschaftliche Leistungen nicht zu bewirken, kommt darin eine Vermögensbetreuungspflicht zum Ausdruck. Der Arzt nimmt insoweit Vermögensinteressen der Krankenkassen wahr. Das Urteil verschärft in starkem Maße die Pflichtenstellung des Arztes. Gerade im Hinblick auf die zukünftige Plausibilitätsprüfung und der Übereinstimmung von Diagnostik und Therapie wird es hier zu einer unangenehmen Verschärfung der Arztrolle im Sinne eines Haftungstatbestandes des Strafrechtes kommen.

RA Hans-Joachim Schade,

Broglie, Schade & Partner, GBR

Wiesbaden/München