Aktuelle Urol 2004; 35(3): 203-206
DOI: 10.1055/s-2004-830946-24
Qualitätsmanagement

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Risikomanagement als Teil des Qualitätsmanagements

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Publication Date:
03 August 2004 (online)

 
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” Risikomanagement“ (Risk Management) ist ein Begriff aus den USA und wird in Deutschland vielseitig verwandt; entsprechend unterschiedlich wird er auch interpretiert. So bezeichnet Risikomanagement in den USA Aktivitäten, welche die Höhe der Entschädigungen in Arzthaftpflichtfällen minimieren bzw. bei Komplikationen einen (gerichtlichen) Ersatzanspruch vermeiden sollen.

Dies ist verständlich und notwendig, da manche Krankenhäuser einen Haftpflicht- versicherungsvertrag mit beispielsweise einer Mio. Dollar Selbstbehalt pro Schadenfall bzw. 3 Mio. im Jahr haben.

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Risikomanagement in Deutschland

In Deutschland sollte unter Risikomanagement Folgendes eingeordnet werden:

Risikomanagement

  • ist verantwortlich für alle Aspekte eingetretener und möglicher Ansprüche an das Krankenhaus

  • unterstützt das Krankenhaus in allen Haftpflichtfragen, beispielsweise in den Bereichen Aufklärungspflicht, Dokumentation und Organisation

  • ist verantwortlich für die Entwicklung und Implementierung eines Vorfallmeldesystems, z.B. IRS (Incident Reporting System)

  • analysiert Vorkommnisse und Trends, z.B. Medikamentenverwechslungen; dies sowohl intern wie extern (Benchmarking mit anderen Krankenhäusern)

  • versucht, sowohl klar ersichtlichen, wiederkehrenden Mustern ungenügender medizinischer Leistung, beispielsweise häufigen Lagerungsschäden, wie entsprechenden Einzelfällen

  • mit Schnittstellen zur ärztlichen Qualitätssicherung und entsprechenden Leitlinien - entgegenzuwirken

  • ist tauglich Versicherungskosten konstant zu halten oder zu senken.

Risikomanagement ist deshalb ein wirkungsvolles Instrument, um die Patientensicherheit zu erhöhen.

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Der Weg ist das Ziel

Die praktische Erfahrung zeigt, dass nur krankenhauseigene und ständige Bemühungen um Risikomanagement zum Erfolg führen. Schlaglichter, wie etwa die juristische Qualitätssicherung sind als Pilotveranstaltung und für eine erste Sensibilisierung mit dem Thema bestens geeignet. Der fortdauernde Beizug externer Beratungsunternehmen ist zu teuer und nur der krankenhauseigene ”Risikomanager“ ist ständig zur Stelle.

Unter dem Stichwort ”train the trainer“ sollten Krankenhäuser zu einer schlanken, also preisgünstigen Lösung für ihr Risikomanagement gelangen.

Hier bietet sich insbesondere das Incident Reporting für ein produktives und preisgünstiges Risikomanagement an. Denn: Patientensicherheit hat oberste Priorität in modernen Gesundheitssystemen. ”Zwischenfälle, die bekannt werden, sind wahrscheinlich nicht repräsentativ für das, was sich in Wirklichkeit abspielt. Die Großzahl der Fehlleistungen wird entweder nicht erkannt oder nur die direkt Beteiligten wissen darum und sehen von einer Meldung ab. Damit wissen wir eigentlich gar nicht, was sich tatsächlich abspielt. Und so lange wir das wahre Ausmaß nicht kennen, ist es nicht möglich, etwas dagegen zu tun.“

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Stichwort

Incident Reporting

Incident Reporting ist die Meldung von Beinahefehlern (incidents, near misses). Je mehr Zwischenfälle wir erfassen, desto größer ist die Chance, Schwachstellen im System zu erkennen und durch geeignete Maßnahmen zu eliminieren. Werden Beinahefehler reduziert, entstehen weniger echte Fehler.

Der größte Vorteil von Incident Reporting: Es ist nichts passiert, es ist noch mal alles gut gegangen. Man kann und sollte nun darüber reden, damit es beim nächsten Mal und vielleicht bei weniger Aufmerksamkeit nicht zum Fehler/Schadensereignis kommt.

Eine bessere Aufzeichnung und Auswertbarkeit der Vorkommnisse muss wesentlicher Teil der Strategie sein, um Schadensereignisse zu reduzieren. Ein besseres Verständnis der Art der Ereignisse ist notwendig, um entsprechende Präventivmaßnahmen zu entwickeln. Oberstes Ziel der Aufzeichnung ist es, aus Erfahrung zu lernen.

Oft wird eine Anleihe bei Fluggesellschaften gemacht. Beispielsweise wird der Erfolg des Aviation Safety Reportingsystems insbesondere 3 Faktoren zugesprochen:

  1. Die Aufzeichnung ist sicher (Disziplinarmaßnahmen finden nicht statt, wenn sofort gemeldet wird)

  2. einfach (der Bericht ist eine Seite lang) und

  3. lohnend (Experten analysieren die vertraulichen Berichte und verfassen Empfehlungen).

Das Aviation Safety Reportingsystem erhält in den USA jährlich mehr als 30 000 Berichte und hat in den vergangenen Jahren einen substanziellen Beitrag zur Sicherheit geleistet.

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Organisation im Krankenhaus

Incident Reporting kann nicht per Dienstanweisung verordnet werden. Es ist nicht ein Projekt neben allen anderen Projekten, sondern zielt darauf ab, von der heutigen Schuldkultur über eine neue Fehlerkultur (no-blame) zu einer Sicherheitskultur zu kommen.

Incident Reporting ist ein Baustein jeder modernen Risk-Management-Konzeption. Das Erkennen und Erfassen allgemein gefahrgeneigter Situationen ist ohne Zweifel äußerst wirksam.

Zentrale Frage zum Incident Reporting ist, wie Ärzte und Pflegepersonal zur Meldung motiviert werden können. Zwingend notwendig ist, die berichteten Informationen nutzbringend umzusetzen. Die vertrauliche Behandlung der gemeldeten Ereignisse ist entsprechend unserer gesellschaftlichen Verhaltensweise existenziell: Wer eigene Beinahefehler meldet, darf nicht beruflich ins Abseits gestellt werden, wer Beinahefehler anderer meldet, darf nicht als Denunziant gesellschaftlich im Abseits stehen. Fehler und Beinahefehler werden in unserer Gesellschaft personifiziert und es wird nicht nach dem organisatorischen Hintergrund gesucht. Dabei ist ein Großteil systembedingt und eben gerade nicht die Schuld eines Einzelnen.

Zu systembedingten Fehlerquellen lassen sich jederzeit US-Studien heranziehen, aktuell z.B. aus dem Special Report 2003 der JCAHO. Auch zu unerwünschten Ergebnissen nach der Krankenhausentlassung gibt es eine neue Studie, was unter DRG-Kriterien besondere Aufmerksamkeit finden sollte.

Wenn es gelingt, Beinahefehler ”gesellschaftsfähig“ zu machen und so zu kommunizieren, dass andere daraus lernen können und nicht wieder das gleiche Ereignis passiert, ist der wichtigste Schritt getan.

Organisatorische Fragen zum Incident Reporting sind außerdem: anonyme Meldung oder mit Namensnennung. Meldebogen oder elektronische Meldung via Intranet. Die Fragen sind individuell vor Ort zu besprechen. Erfahrungen aus verschiedenen Projekten in Deutschland und in der Schweiz liegen vor.

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Konsequenz

Incident Reporting als Meldesystem richtet sich nur an den Krankenhausträger/die Fachabteilung und darf nicht für andere Zwecke, beispielsweise für ein Strafverfahren verwendet werden. Nur wenn es gelingt, einen ”angstfreien Raum“ zu schaffen, indem die Betroffenen nicht aus Furcht vor Sanktionen - vor allem strafrechtlicher Art - auf ihr Schweigerecht zurückgreifen, sondern ihr ganzes Tatsachenwissen offenbaren, wird ein umfassendes Risk Management im Interesse einer optimalen Qualitätssicherung möglich sein.

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Fazit

Die Analyse von Beinahefehlern (critical incidents) und Komplikationen hat gegenüber der Analyse von Arzthaftungsfehlern entscheidende Vorteile. In der gleichen Zeitspanne kann eine weitaus größere Datenbasis gewonnen werden und die Analyse zeigt nicht nur Fehlerbedingungen sondern auch Bewältigungsmechanismen auf. Damit steht jedem Krankenhaus ein effektives und kostengünstiges Risikomanagement-Instrument zur Verfügung, mit dem eine erhöhte Patientensicherheit im Rahmen des Qualitätsmanagement erreicht werden kann.

Ingo Gurcke, Detmold

Stv. Geschäftsführer

Mildenberger Versicherungsmakler KG

 
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