Der Klinikarzt 2004; 33(7): 191
DOI: 10.1055/s-2004-831031
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Umdenken!

A. Weizel
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Prof. Dr. A. Weizel

Mannheim

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
27. Juli 2004 (online)

Inhaltsübersicht

    Die Gesundheitsreform(en) der letzten Jahre haben dazu geführt, dass viele, teilweise über Jahrzehnte fest etablierte Vorstellungen im Krankenhaus und in der Praxis ins Wanken geraten sind. Es ist erstaunlich, in welch kurzer Zeit hier ein Umdenken stattgefunden hat. Nur ein anschauliches Beispiel ist, wie die Bettenzahl der eigenen Abteilung - ein von vielen Chefärzten gehegtes und gepflegtes Prestigeobjekt - über Nacht fast irrelevant geworden ist. Es ist im Gegenteil so, dass der frühere Stolz - also eine möglichst hohe Anzahl an Betten - heute fast immer eine Belastung ist. Inzwischen hat man bei Gesprächen mit Chefärzten den Eindruck, dass unter dem Druck der DRGs („diagnosis related groups”) und der Mindestverweildauern den Verwaltungen von ärztlicher Seite freiwillig Streichungen von Betten angeboten werden - in einem Ausmaß, das früher nicht vorstellbar gewesen wäre.

    Aber selbst wenn die verbleibenden Betten gut belegt sind, ist dies nicht immer ein Grund zur Zufriedenheit. Liegen die Patienten zu kurz oder zu lange, gibt es Probleme mit den Erlösen. Und selbst wenn sich die Liegezeit in normalen Grenzen bewegt, ist dies manchmal nicht gut genug: Der erstaunte Chefarzt erhält dann von der Verwaltung die Mitteilung, dass zwar die Zahl der Patienten den Erwartungen entspricht und auch die Liegezeit stimmt, die Fallschwere jedoch sei nicht ausreichend dokumentiert. Dies führt dann zu intensivem Nachdenken über die Kodierung. Dass heute Patienten nicht nur unter dem Gesichtspunkt ihrer Erkrankung, sondern nolens volens auch unter dem Blickwinkel der Abrechenbarkeit gesehen werden (müssen), ist eine bittere Entwicklung.

    Auch in den operativen Fächern haben die Reformen zu einschneidenden Änderungen geführt. Auf chirurgischem Gebiet zum Beispiel ist der Übergang vieler Leistungen vom stationären in den ambulanten Bereich eine Herausforderung für Ärzte und Pflegepersonal, die komplett neue Abläufe aus dem bestehenden System heraus organisieren müssen. Hinzu kommt in vielen operativen Abteilungen heutzutage noch die Anforderung an die Mitarbeiter im Pflegebereich, vom lange gehegten Abteilungsdenken Abschied zu nehmen und im Interesse der funktionellen Arbeitsabläufe interdisziplinär zu arbeiten. Plötzlich finden sich jetzt „chirurgische” Schwestern zu ihrer eigenen Überraschung im HNO-Bereich und umgekehrt.

    Doch die angesprochenen Umwälzungen betreffen nicht nur die Klinik. Auch niedergelassene Mediziner sehen sich neuen Herausforderungen gegenüber, die offensichtlich noch nicht immer verarbeitet sind. Im Anschluss an eine Fortbildungsveranstaltung berichtete ein niedergelassener Kollege über rückläufige Patientenzahlen. Einen ungewollt humoristischen Höhepunkt erreichte seine Klage als er erzählte, dass die früher oft übliche Sitte, automatisch zu Beginn des Quartals seinen Krankenschein beim Arzt abzugeben, praktisch völlig zum Erliegen gekommen sei. Der Kollege schloss mit der mitleiderregenden Feststellung: „Die Patienten kommen jetzt nur noch, wenn sie krank sind!” - vielleicht hat Frau Schmidt mit ihrer Gesundheitsreform doch ein wenig Recht gehabt?

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    Prof. Dr. A. Weizel

    Mannheim

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