Anamnese
Ein 75-jähriger Patient wurde vom Notarzt in die Klinik eingeliefert. Er hatte
morgens nach dem Aufwachen erstmals eine rechtsseitige Hemiparese und Sprachstörung
bemerkt. Als vaskuläre Risikofaktoren waren eine Hypertonie und Hypercholesterinämie
bekannt. Seit einem passageren Sprachdefizit vor 15 Jahren stand er bei chronischer
absoluter Arrhythmie unter einer antikoagulatorischen Therapie mit Phenprocoumon.
8 Monate vor Aufnahme erfolgte eine operative Mitralklappenrekonstruktion wegen
schwerer Insuffizienz.
Befunde
Bei der klinischen Untersuchung zeigte sich eine brachiofazial-betonte Hemiparese rechts mit Absinken des Armes
im Halteversuch und fehlender Gehfähigkeit. Die Kommunikation war durch eine
motorische (Broca-)Aphasie stark eingeschränkt. Die NIHS(National Institutes of
Health Stroke)-Scale lag bei 14. Die übrige körperliche Untersuchung war bis auf
einen normofrequenten unregelmäßigen Puls unauffällig. Im EKG zeigte sich eine absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern. Im Labor fanden sich bis auf einen INR-Wert von 2,5 unter oraler Antikoagulation keine
signifikanten Abweichungen. In der umgehend durchgeführten kranialen Computertomographie wurde eine intrazerebrale Blutung ausgeschlossen. Ein 3 ¥ 4 cm großer Territorialinfarkt
links frontoparietal konnte erst in der am Folgetag durchgeführten zweiten
Untersuchung gesichert werden. Die Doppler- und Duplexsonographie zeigte deutliche atherosklerotische Plaques am Karotisbulbus beidseits, jedoch
keine signifikanten Stenosen oder Verschlüsse extra- und intrakraniell. Bei der
Echokardiographie fand man die rekonstruierte Mitralklappe mit regelrechter Funktion. Der linke
Vorhof war deutlich dilatiert (76 mm) und zeigte einen ausgeprägten Spontanechokontrast.
Therapie und Verlauf
Der Patient wurde zur Überwachung und Akuttherapie auf die Schlaganfallstation
aufgenommen. Eine Thrombolysetherapie war bei unklarem Ereigniszeitpunkt und Phenprocoumontherapie
kontraindiziert. Phenprocoumon wurde wegen der schlechten Steuerbarkeit der Gefahr
einer sekundären Einblutung bei großem Territorialinfarkt abgesetzt. Da die Rezidivgefahr
bei massiv vergrößertem Vorhof und Spontanechos hoch eingeschätzt wurde, erfolgte
trotz erhöhten Risikos einer Einblutung eine Antikoagulation mit einem niedermolekularen
Heparin (NMH) (Certoparin 2 ¥ 4200 IE anti Xa), die problemlos vertragen wurde.
Der weitere Verlauf war bis auf einen akuten Harnverhalt komplikationslos, jedoch
erholte sich der Patient nur langsam. Bis zur Entlassung in die stationäre Rehabilitation
nach 14-tägigem Aufenthalt war eine Mobilisation auf der Ebene mit Hilfe möglich.
Die motorische Funktion des rechten Arms war noch deutlich eingeschränkt. Die
Sprachstörung imponierte gering gebessert. Die Verlegung erfolgte mit unveränderter
Heparintherapie. Eine Umstellung der Antikoagulation auf Phenprocoumon mit einer
höheren Ziel-INR von 3,5 war ab dem Zeitraum von 4 Wochen nach dem Akutereignis
geplant.
Fazit
Trotz Antikoagulation (INR-Wert 2,5) war es bei dem Patienten unter Vorhofflimmern
bei Z.n. Mitralklappenrekonstruktion und großem linken Atrium mit Spontanechokontrast
zu einem kardiogenen embolischen Hirninfarkt gekommen. Generell birgt die frühe
Antikoagulation vor allem bei größeren Infarktarealen ein erhöhtes Blutungsrisiko,
weshalb sie auch bei embolischen Insulten nicht allgemein empfohlen wird. Bei
Hochrisikopatienten, wie im vorliegenden Fall, kann jedoch eine Heparinisierung
jenseits der Low-dose-Therapie zur Thromboseprophylaxe vertreten werden, wenngleich
für dieses Vorgehen keine ausreichende Evidenz besteht. Wir wählten eine „halb-therapeutische
Dosis” eines NMH, da diese sich bei Patienten mit tiefer Venenthrombose in der
Rezidivprophylaxe als genauso wirksam erwiesen hat wie eine Phenprocoumon-Behandlung
(INR von 2-3) und eine ähnliche Dosierung bei Schlaganfallpatienten keine erhöhte
zerebrale Blutungsrate zeigte (TOPAS-Studie) [1]. Bei großen embolischen Territorialinfarkten ist erst nach 4-6 Wochen die Umstellung
auf Phenprocoumon zu erwägen.