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DOI: 10.1055/s-2004-831375
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Hepatische Enzephalopathie: Klinik und Pathogenese
Hepatic encephalopathy: clinical aspects and pathogenesisDie hepatische Enzephalopathie (HE) ist ein neuropsychiatrisches Krankheitsbild von hoher sozialmedizinischer Bedeutung, welches im Gefolge chronischer und akuter Lebererkrankungen auftritt. Es stellt nach heutigem Kenntnisstand die klinische Manifestation eines geringgradigen Gliaödems und von Neurotoxinwirkungen dar, die zu Störungen der oszillatorischen Hirnaktivität führen. Unterschieden wird die manifeste von der latenten (subklinischen) HE. Die Diagnosestellung der manifesten HE erfolgt anhand des klinischen Bildes, während für die Erkennung der latenten HE psychometrische Testverfahren oder die Bestimmung der Flimmerfrequenz erforderlich sind. Der Verlauf ist oft fluktuierend, und Enzephalopathieepisoden werden bei Zirrhosepatienten meist durch Blutungen, Diätfehler, Infektionen, Medikamente und Elektrolytentgleisungen ausgelöst. Das Auffinden und Behandeln solcher auslösender Faktoren gehört zu den wichtigsten therapeutischen Maßnahmen.
#Pathogenese
Auf neurophysiologischer Ebene ist die HE gekennzeichnet durch ein abnorm niederfrequentes neuronales Kopplungsverhalten auf kortikokortikaler und kortikomuskulärer Ebene [11]. Eine solche Störung der oszillatorischen elektrischen Hirnaktivität ist eine wesentliche Ursache der kognitiven und feinmotorischen Defizite bei HE. Nach heutiger Vorstellung stellt die HE bei Leberzirrhose die klinische Manifestation eines geringgradigen Gliaödems dar (Abb. [1]) [3] [4]. Der Nachweis der Gliaschwellung in vivo wurde erstmals mittels Protonen-MR-Spektroskopie [4] und später mittels Bestimmung von Magnetization-Transfer Ratios [8] in vivo erbracht. Diese Gliaschwellung wird offensichtlich von Ammoniak und anderen Neurotoxinen verursacht, die von der erkrankten Leber unzureichend entgiftet werden und so vermehrt zum Gehirn gelangen. Astrozyten sind das einzige Kompartiment im Gehirn, das Ammoniak durch Glutaminbildung entgiften kann. Die dabei auftretende intrazelluläre Glutaminakkumulation führt beim Zirrhosepatienten zu einem geringgradigen chronischen Gliaödem ohne Hirndruckzeichen, jedoch mit erheblichen Funktionsänderungen der Glia mit nachfolgend gestörter glioneuronaler Kommunikation [4] [3] [6]. Von besonderem Interesse sind dabei ammoniak- und schwellungsbedingte, NMDA-rezeptorvermittelte oxidative Stressantworten, Änderungen der Signaltransduktion, Proteinmodifikationen wie Proteinnitrierung, Änderungen der Genexpression und der von dem peripheren Benzodiazepin-Rezeptor abhängigen Neurosteroidsynthese [1] [6] [9]. Da nicht nur Ammoniak, sondern auch Hyponatriämie, Benzodiazepine und inflammatorische Zytokine eine Gliaschwellung mit oxidativer Stressantwort auslösen, erklärt sich, weshalb Infektionen, Traumen, Blutungen, Elektrolytstörungen und verschiedene Medikamente (Sedativa und Diuretika) eine HE bei Zirrhosepatienten auslösen können.
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kurzgefasst: Die HE ist Ausdruck eines geringgradigen Gliaödems, das durch Ammoniak, Benzodiazepine und inflammatorische Zytokine verstärkt wird. Dies erklärt, dass HE-Episoden durch unterschiedliche Auslöser hervorgerufen werden können. |
Klinisches Bild und Diagnostik
Man unterscheidet die manifeste von der subklinischen (latenten) HE. Während die Symptomatik bei chronischen Lebererkrankungen durch Neurodepression gekennzeichnet ist, steht bei HE bei akutem Leberversagen die Neuroexzitation (Krampfneigung) mehr im Vordergrund. Bei Zirrhosepatienten können zahlreiche Umstände eine HE auslösen bzw. verstärken, wie Blutungen, Traumen, hohe Proteinzufuhr, Infektionen, Sepsis, Sedativa, Niereninsuffizienz, metabolische Azidose oder Diuretikaüberdosierung. Die Symptome der manifesten HE sind in ihrer Schwere variabel, potenziell reversibel und rangieren von leichten Persönlichkeitsveränderungen, Schlafstörungen, Störungen der Feinmotorik und der Konzentration (Stadium I-II) über Somnolenz (Stadium III) bis hin zum tiefen Koma (Stadium IV) [14]. Während Diagnose und Stadieneinteilung der manifesten HE anhand des klinischen Bildes erfolgen, sind zur Erkennung der subklinischen HE so genannte psychometrische Testverfahren oder evozierte Potentiale erforderlich. Der diagnostische Wert der so genannten Paper-Pencil-Tests (z. B. Zahlenverbindungstest) ist, obwohl in klinischer Routine häufig angewendet, unseres Erachtens enttäuschend [5] [14], während die aufwendige Computerpsychometrie und die einfache Bestimmung der kritischen Flimmerfrequenz eine zuverlässigere Diagnose erlauben [5] [12]. Die objektive Beschreibung der Schwere der HE durch die Flimmerfrequenz erfasst die HE als ein Symptomenkontinuum und wird daher der klinischen Situation eher gerecht als die bisherige rigide Stadienklassifikation. Weitere apparative Untersuchungen wie EEG, Computertomographie, Magnetresonanz-Tomographie und Magnetresonanz-Spektroskopie haben ihren Stellenwert in erster Linie in der Differentialdiagnostik zu anderen Ursachen einer gestörten Hirnfunktion, bei der Verlaufskontrolle in Einzelfällen und bei wissenschaftlichen Fragestellungen.
Etwa 30-70 % der Patienten mit Leberzirrhose weisen eine subklinische HE auf. Bei diesen Patienten wurde die Tauglichkeit zum Führen eines Fahrzeugs in Frage gestellt [10] und es besteht eine beeinträchtigte Lebensqualität der Betroffenen. Hieraus ergibt sich eine hohe sozialmedizinische Bedeutung des Krankheitsbildes, welches zunächst keine augenfälligen Symptome aufweist, jedoch unter Umständen therapiebedürftig ist.
Die Höhe der venösen Plasmaammoniakkonzentration korreliert schlecht mit dem Grad der HE. Die Messung ist artefaktanfällig infolge unsachgemäßer Blutentnahmetechniken (ungestaut) oder fehlerhaftem Probentransport/-lagerung. Eine einmalige Bestimmung des Plasmaammoniaks kann in der Differentialdiagnostik sinnvoll sein, wiederholte Bestimmungen zur Verlaufskontrolle sind jedoch entbehrlich und können die klinische Beurteilung keinesfalls ersetzen.
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kurzgefasst: Die manifeste HE wird anhand des klinischen Bildes diagnostiziert. Die Flimmerfrequenzanalyse ist für die Diagnostik niedriger Schweregrade (subklinische HE) geeignet. |
Therapie
Das Auffinden und Beseitigen auslösender Faktoren ist die wichtigste therapeutische Maßnahme, die bereits bei den meisten Patienten zu einer deutlichen Besserung der Symptomatik führt. Darüber hinaus existieren spezifische Medikamente zur Behandlung der HE, deren Wirksamkeitsnachweis sich vor dem Hintergrund der raschen Spontanbesserung bei Behandlung auslösender Faktoren, der Heterogenität der auslösender Faktoren, aufgrund kleiner Studienfallzahlen, widersprüchlicher Ergebnisse und oft fehlender Kontrollen schwierig gestaltet [7]. Die Wirksamkeit von Laktuloseeinläufen, Ornithinaspartat und oral verabreichten Präparaten mit angereicherten verzweigtkettigen Aminosäuren bei hochgradig proteinintoleranten Patienten kann als gesichert gelten, während die Effektivität anderer medikamentöser Maßnahmen umstritten ist [2] [13].
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kurzgefasst: Bei Auftreten oder Verschlechterung einer HE müssen vorrangig auslösende Faktoren gesucht und konsequent behandelt werden. |
Literatur
- 1 Butterworth R F. The neurobiology of hepatic encephalopathy. Semin Liver Dis. 1996; 16 23 544
- 2 Ferenci P, Müller C. Chapter 26. Hepatic encephalopathy: treatment. BMJ Publishing group, London In JWD McDonald, AK Bourroughs, BG Feagan (eds): Evidence based gastroenterology and hepatology 1999
- 3 Häussinger D, Kircheis G, Fischer R, vom Dahl S. Hepatic encephalopathy in chronic liver disease: a clinical manifestation of astrocyte swelling and chronic low grade cerebral edema?. J Hepatol. 2000; 32 1035-1038
- 4 Häussinger D, Laubenberger J, vom Dahl S, Ernst T, Bayer S, Langer M, Gerok W, Hennig J. Proton magnetic resonance spectroscopic studies on human brain myo-inositol in hypoosmolarity and hepatic encephalopathy. Gastroenterology. 1994; 107 1475-1480
- 5 Kircheis G, Wettstein M, Timmermann L, Schnitzler A, Häussinger D. Critical flicker frequency and quantification of low grade hepatic encephalopathy. Hepatology. 2002; 35 357-366
- 6 Norenberg M D. Astrocytic-ammonia interactions in hepatic encephalopathy. Semin Liv Dis. 1996; 16 245-253
- 7 Riordan S M, Williams R. Treatment of hepatic encephalopathy. N Engl J Med. 1997; 337 473-479
- 8 Rovira A, Grive E, Pedraza S, Rovira A, Alonso J. Magnetization tranfer ratio values and proton MR spectroscopy of normal appearing cerebral white matter in patients with liver cirrhosis. Am J Neuroradiol. 2001; 22 1137-1142
- 9 Schliess F, Görg B, Fischer R, Desjardins P, Bidmon H J, Herrmann A, Butterworth R F, Zilles K, Häussinger D. Ammonia induces MK-801-sensitive nitration and phosphorylation of protein tyrosine residues in rat astrocytes. FASEB J. 2002; 16 739-741
- 10 Schomerus H, Schreiegg J. Prevalence of latent portosystemic encephalopathy in an unselected population of patients with liver cirrhosis in general practice. Z Gastroenterol. 1993; 31 231-234
- 11 Timmermann L, Gross J, Kircheis G, Dirks M, Schmitz F, Häussinger D, Schnitzler A. Cortical origin of postural minimal asterixis in hepatic encephalopathy. Neurology. 2002; 58 296-298
- 12 Watanabe A, Kuwabara Y, Okita H, Kato A. Computer-assisted quantitative neuropsychological tests for early detection of subclinical hepatic encephalopathy in patients with liver cirrhosis. Res Commun Biol Psychology Psychiatry. 1997; 22 25-38
- 13 Wettstein M, Häussinger D. Hepatische Enzephalopathie - Therapie. Dtsch Med Wochenschr. 2003; 128 2658-2661
- 14 Wettstein M, Kircheis G, Häussinger D. Hepatische Enzephalopathie - Diagnostik. Dtsch Med Wochenschr. 2003; 128 2654-2657
Prof. Dr. med. D. Häussinger
Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie, Heinrich Heine Universität Düsseldorf
40225 Düsseldorf
Telefon: 0211/8117569
Literatur
- 1 Butterworth R F. The neurobiology of hepatic encephalopathy. Semin Liver Dis. 1996; 16 23 544
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Prof. Dr. med. D. Häussinger
Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie, Heinrich Heine Universität Düsseldorf
40225 Düsseldorf
Telefon: 0211/8117569