Aktuelle Urol 2004; 35(4): 251-254
DOI: 10.1055/s-2004-832272
Referiert und kommentiert

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Akute Harnleiterkolik - Studie untermauert diagnostischen Wert der nativen CT

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Publication Date:
31 August 2004 (online)

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Japanische Urologen untersuchten in einer prospektiven Studie, welchen Wert die native CT in der Diagnostik der akuten Nierenkolik besitzt, wenn Abdomenübersichtsaufnahme und Sonographie einen negativen oder unklaren Befund liefern (J Urol 2003; 170: 799-802).

T. Kobayashi et al. nahmen von Januar 2000 bis Juni 2002 insgesamt 560 Patienten mit Verdacht auf akute einseitige Nierenkolik in die Studie auf. Alle Patienten durchliefen ein einheitliches Diagnostikprogramm mit körperlicher Untersuchung, Urinanalyse, Abdomenübersichts- aufnahme und Sonographie. In 322 Fällen wurde ein Ureterstein diagnostiziert. Die übrigen 238 Patienten mit negativen oder unklaren Befunden erhielten eine native CT. Ein einzelner Radiologe wertete die CT-Bilder aus und notierte neben Steingröße und -lokalisation auch relevante Zusatzbefunde. Die klinischen Ergebnisse der Patienten wurde im Hinblick auf Symptombesserung, direkte oder indirekte Zeichen der Steinpassage und Notwendigkeit urologischer Interventionen registriert und verglichen.

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Mit CT finden sich häufiger Steine immittleren und unteren Ureterdrittel

Mittels nativer CT wurde in 143 der 238 unklaren Fälle ein Harnleiterstein detektiert. Bei 6 Patienten fanden sich andere abdominelle Ursachen für die Beschwerden (Stenose des ureterovesikalen Überganges, akute ovarielle Blutung, Aortendissektion, Appendizitis und 2 Rezidive eines gastrointestinalen Tumors). In den restlichen 89 Fällen führte die CT zu keiner definitiven Diagnose. Verglichen mit den Befunden von Abdomenübersichtsbild und Ultraschall waren die mittels CT detektierten Uretersteine signifikant kleiner (3,77 mm vs. 6,37 mm) und fanden sich tendenziell häufiger im mittleren und unteren Ureterdrittel (76 vs. 52%). In der CT-Gruppe trat bei knapp 96% der Patienten nach konservativer Therapie eine spontane Symptombesserung ein. Damit lag die Interventionsrate (4%) - ESW in 5 Fällen und transurethrale Ureterolithotripsie in einem Fall - erheblich niedriger als in der Kontrollgruppe (33%).

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Schmerzausstrahlung bei einer Harnsteinkolik: Die Schmerzen bei einer Kolik strahlen je nach Sitz des Steins in die Nierengegend oder in den Harnleiterverlauf aus (Bild: Urologie, Thieme, 2002).

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Fazit

Die native CT ist die Methode der Wahl zur Abklärung von Uretersteinen, wenn Abdomenübersichtsaufnahme und Sonographie keine aussagefähigen Befunde liefern. Da nicht detektierte Steine meist klein sind, häufiger im mittleren bzw. unteren Ureterdrittel vorkommen und in der Regel spontan abgehen, ergibt sich nur selten eine Indikation zur Ausscheidungsurographie, so die Autoren.

Renate Ronge, Münster

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Info - Diagnostik bei akuter Nierenkolik

Intravenöse Urographie, Abdomenübersichtsaufnahme und Sonographie gehören zur Routinediagnostik der akuten Nierenkolik. Inzwischen wird die Urographie zunehmend durch die native CT ersetzt. Studien haben gezeigt, dass die CT sicher (kein Kontrastmittelrisiko), schnell und ebenso genau ist wie die Urographie. Auch der ökonomische Aspekt scheint bei entsprechenden Systemvoraussetzungen gewahrt.

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Erster Kommentar

Die Suche nach Harnleitersteinen mittels Computertomographie ist so alt wie die CT selbst. Die hohe Orts- und Dichteauflösung des Verfahrens lässt HL-Steine theoretisch immer abbilden, unabhängig von Kalkgehalt und Größe. Dem gegenüber ist die konventionelle Abdomenübersicht theoretisch und praktisch im Nachteil, die Dichteauflösung ist deutlich schlechter als im CT. Auch große Konkremente mit nur geringer Kalzifizierung werden deshalb oft nicht erkannt, zumal in der akuten Kolik oft erhebliche Überlagerungen durch Darmgas bestehen. Der theoretische Vorteil der CT lässt sich bei zeitigem Einsatz also direkt in einen diagnostischen Gewinn umsetzen, das Urogramm kann entfallen.

Die auf Basis dieser Überlegungen gewonnenen Ergebnisse der Autoren zeigen dann auch den praktischen Nutzen einer frühzeitigen CT-Indikation, wenn vorheriger Ultraschall und die Abdomenleeraufnahme keinen pathologischen Befund erbrachten. Der Vorteil der CT wird noch deutlicher, wenn man nicht nur die Frage Stein "ja" oder "nein" beantwortet, sondern die nicht steinbedingten Ursachen einer Kolik berücksichtigt, hier wird dann aber in aller Regel eine Kontrastmittelgabe erforderlich werden. Leider wird dieser Punkt in der vorliegenden Arbeit nur am Rande erwähnt.

Methodisch muss eingewendet werden, dass CT und CT nicht identisch sind: Häufig sind noch veraltete Einzeitengeräte im Einsatz, auch der Spiral-CT zeigt noch deutliche Unterschiede in der Auflösung je nach Gerätekonfiguration und Anwendung. Dieser Punkt wird in der vorliegenden Publikation leider überhaupt nicht erwähnt, die Angabe lediglich der Schichtdicke von 10 mm ist hier unzureichend. Um die genannten Vorteile auch in der täglichen Praxis umsetzen zu können, sollte ein Spiral-CT zur Verfügung stehen, bewährt haben sich eine Schichtdicke von 3 mm und ein Tischvorschub von 2 mm, die Untersuchung erfolgt in Atemanhaltetechnik. Bei dem hohen Kontrastunterschied zwischen Retroperitoneum und HL-Stein lässt sich in der CT dosissparend arbeiten, die erhöhte Strahlenbelastung der CT gegenüber der Abdomenübersicht, insbesondere aber gegenüber dem Urogramm wird dadurch und unter Berücksichtigung des diagnostischen Gewinns deutlich relativiert: Die effektive Dosis einer Röntgenaufnahme des Abdomens liegt bei ca. 1-1,5 mSv, die eines CT-Abdomens bei ca. 10 mSv, die Dosiseinsparung eines low-dose CT beträgt je nach Anwendung und Gerätekonfiguration demgegenüber bis zu rund 30%.

Dr. Stefan Zapf, Mainz

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Zweiter Kommentar

Die native Computertomographie des Abdomens hat heute einen festen Stellenwert in der Diagnostik der akuten Harnleiterkolik und kann das i.v. Pyelogramm bei gegebener Infrastruktur in dieser Fragestellung vollständig ersetzen. Die meisten Vorteile der CT werden in der vorliegenden Arbeit referiert und diskutiert: Sichere Detektion auch kleiner Harnleiterkonkremente, besonders im konventionell schlecht darstellbaren mittleren Ureter. Schnelle und komplikationsarme Anwendung (kein Einsatz von Kontrastmittel). Simultane Klärung von Differenzialdiagnosen des akuten Flankenschmerzes. Statistisch signifikante Überlegenheit der nativen CT gegenüber der Röntgen-Abdomen-Übersichtsaufnahme kombiniert mit der Sonographie des Harntraktes.

Wir setzen das native Spiral-CT des Abdomens routinemäßig bei allen Patienten mit unklaren Flankenschmerzen in unserer Klinik ein. Zur Klärung der Wertigkeit dieser Untersuchung bei unserem Krankengut analysierten wir die Daten aller Patienten, die sich im Zeitraum von Juli 1998 bis April 2000 mit akuten Flankenschmerzen vorstellten (n = 161). Die Untersuchungen lagen im Durchschnitt 4 Stunden nach Aufnahme der Patienten vor und dauerten 20 Sekunden (inkl. Vorbereitungen ca. 5 min). Zusätzlich wurden die Dichtewerte der Konkremente bestimmt. In 126 Fällen bestätigte sich eine Urolithiasis, die ca. in je 1/3 der Fälle konservativ, mittels ESWL und durch ureterorenoskopische Desintegration oder Extraktion behandelt wurden. Die mediane Aufenthaltsdauer betrug 5,1 Tage. 4 Patienten wurden falsch positiv und 3 falsch negativ diagnostiziert. Somit ergibt sich eine Sensitivität von 97% und eine Spezifität von 91%. Aussagen über die Steinart konnten nur bei einer Größe von über 3 mm mit einer Genauigkeit von 65,5% getroffen werden.

In einem Review von Ahmed et al. aus dem Jahr 2003 zeigten sich bei einer Analyse von 233 Patienten eine noch höhere Sensitivität von 99% und eine Spezifität von 98%. Differenzialdiagnosen der akuten Harnleiterkolik konnten hierbei in 12% erkannt werden. Heidenreich et al. verglichen 2002 die Sonographie des Harntraktes, die i.v. Pyelographie und die native Spiral-CT in der Diagnostik des akuten Flankenschmerzes. Eine direkte Steindetektion durch i.v. Pyelographie wurde mit 60% und in Kombination mit indirekten Zeichen (Ureter-/Kelchdilatation) mit 80-90% angegeben. Diese geringe Sensitivität ist zum Teil auch auf eine schlechte Bildqualität bei mangelnder Darmvorbereitung begründet, die in der Notfalldiagnostik nicht abgewartet werden kann. Weiterhin wurden die Nephrotoxizität und die allergischen Reaktionen in 10% (anaphylaktischer Schock in 1%) der i.v. Pyelographie betont. Der Sonographie des Harntraktes wird eine steigende Bedeutung zur Diagnostik bei akuten Flankenschmerzen eingeräumt, es konnte mit einer Sensitivität von 96% eine Ureterdilatation nachgewiesen werden. Der nativen CT des Abdomens wird in dieser Untersuchung bei der Fragestellung "Harnleiterstein" eine Sensitivität von 98-100% zugesprochen, ohne Einfluss der Steingröße, Lokalisation und Zusammensetzung. Eine Klärung der Beschwerden außerhalb des Harntraktes konnte in ca. 1/3 der Fälle erfolgen.

Zusammenfassend unterstützt die zitierte aktuelle Literatur den zu kommentierenden Artikel von T. Kobayashi und unterstreicht die hohe Wertigkeit der nativen CT-Untersuchung zur Diagnostik bei akuten Flankenschmerzen.

Dr. Björn Oliver Backhaus, Prof. Dr. Stefan C. Müller, Bonn

Literatur bei den Autoren

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Dritter Kommentar

Die Studie zeigt primär nicht die bekannten Vorteile der Computertomographie zur Detektion von Harnleitersteinen, sondern vielmehr, dass das Abdomen-Übersichtsbild kombiniert mit einem Ultraschall in der Steindiagnostik nicht genügt. 42,5% der Studienpatienten, welche primär mit einem Abdomen-Übersichtsbild und Ultraschall evaluiert wurden, benötigten als weitere Abklärung ein natives Spiral-Computertomogramm, wobei dadurch selbst bei einem Schichtabstand von 10 mm bei 64,3% (60,1% Steine, 4,2% andere Ursachen) eine affirmative Diagnose gestellt werden konnte. Es ist zu vermuten, dass bei Auswertung des Spiral-Computertomogramms mittels einem Schichtabstand von 5 mm oder sogar 4 mm anstatt der benutzten 10 mm zusätzlich Steine hätten erfasst werden können und die Steine, welche durch Abdomen-Übersichtsbild/Sonographie erfasst wurden, auch im Computertomogramm mit hoher Wahrscheinlichkeit hätten diagnostiziert werden können. Es erstaunt auch nicht, dass im mittleren Harnleiterdrittel (Knochenfenster), wo das Abdomen-Übersichtsbild unbrauchbar ist, mittels der Computertomographie zusätzlich Steine diagnostiziert wurden. Dass die in der Computertomographie diagnostizierten Steine kleiner waren als die durch Abdomen-Übersichtsbild/Sonographie diagnostizierten Steine ist nachvollziehbar, da dieses Kollektiv durch Wegfall der größeren Konkremente (Abdomen-Übersicht) vorselektioniert war.

Auch die Häufung computertomographisch diagnostizierter Steine im distalen Harnleiter ist erklärbar, da kleinere Steine möglicherweise symptomlos oder symptomarm nach distal rutschen und erst bei Passage des intramuralen Harnleiteranteils Koliken bewirken. Interessant wäre die Analyse des "diagnostisch nicht geklärten Rest-Kollektivs" hinsichtlich indirekter Steinzeichen wie "periureteral and perinephric stranding".

Das diagnostische Ziel bei einem Patienten mit akuter Flankenkolik muss eine rasche Klärung der Diagnose mit minimalem Aufwand sein. Deshalb kann man sich fragen, ob bei einer Anamnese suggestiv für einen Harnleiterstein nicht auf Abdomen-Übersichtsbild/Ultraschall zugunsten des primären Einsatzes eines nativen Spiral-Computertomogramms verzichtet werden soll. Erst eine korrekte Diagnose ermöglicht die Wahl der effizientesten Behandlung, sei dies nun minimal invasiv (ESWL oder URS) oder eine konservative Strategie. Kritiker eines primären Einsatzes der Computertomographie werden wohl Kosten und Strahlenexposition ins Feld führen. Ob der primäre Einsatz von Abdomen-Übersichtsbild/Sonographie und der notwendigen ergänzenden Diagnostik durch die native Spiral-Computertomographie bei 42,5% der Patienten unter Berücksichtigung des gesamten Aufwandes im Vergleich zum primären Einsatz des Computertomogramms tatsächlich billiger ist, wäre zu untersuchen. Bezüglich Strahlen-Exposition kann bei vernünftigem Protokolldesign die Strahlenbelastung ungefähr auf das Niveau eines durchschnittlichen Urogramms adaptiert werden.

Die Vorteile der nativen Computertomographie in der Abklärung der akuten Steinkolik mit rascher Verfügbarkeit ohne spezielle Vorbereitung, hoher Sensitivität, fehlendem Kontrastmittel-Allergierisiko, Erfassen relevanter Zusatzdiagnosen etc. sind offensichtlich, so dass auf das primäre Abdomen-Übersichtsbild und den Ultraschall verzichtet werden kann. Im Rahmen der Nachkontrollen sind hingegen beide Untersuchungen durchaus indiziert.

PD Dr. Hansjörg Danuser, Bern

Literatur beim Autor

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Schmerzausstrahlung bei einer Harnsteinkolik: Die Schmerzen bei einer Kolik strahlen je nach Sitz des Steins in die Nierengegend oder in den Harnleiterverlauf aus (Bild: Urologie, Thieme, 2002).