Aktuelle Urol 2004; 35(4): 256-259
DOI: 10.1055/s-2004-832273
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Intermittierende Androgensuppression - Machbarkeit des Konzepts bestätigt

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31 August 2004 (online)

 
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Prostatakarzinom Grad II. Sichtbar die "Drüsen-in-Drüsen"-Formationenen. Oft wird das Lochsiebmuster in den Metastasen beibehalten (Bild: Taschenatlas der allgemeinen Pathologie, Thieme, 1998).

Über die intermittierende Androgensuppression (IAS) beim metastasierenden Prostatakarzinom wurde bisher nur anhand von kleinen Fallzahlen berichtet. In den Untersuchungen wurde beobachtet, dass sich die erektile Funktion im therapiefreien Intervall wieder erholt. Außerdem lassen sich wahrscheinlich andere Nebenwirkungen der langfristigen Androgenblockade wie Osteoporose, Muskelatrophie und Depressionen vermeiden.

In einer Machbarkeitsstudie wurde die Sicherheit und Kurzzeit-Aktivität der IAS zur Vorbereitung auf eine Phase-III-Studie untersucht, in der die kontinuierliche maximale Androgenblockade (MAB) bei Patienten mit unbehandeltem metastasierendem Prostatakarzinom mit der intermittierenden Androgensuppression verglichen werden soll. Walter Albrecht von der Abteilung für Urologie, Rudolfstiftung, Wien, und Mitarbeiter bezogen 107 Patienten ein (European Urology 2003; 44: 505-511).

Sie wurden mit einer maximalen Androgenblockade behandelt, bis ein PSA-Nadir erreicht wurde. Der Tiefpunkt wurde als ein PSA-Wert unter 20 ng/ml definiert, was mit einer PSA-Verringerung von wenigstens 80% des Basiswertes korrespondierte. Kriterien für eine Wiederaufnahme der Behandlung war ein PSA-Wert >20 ng/ml und ein PSA > Nadir + 50%. Die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug 92 Wochen. Die Therapie bestand aus Bicalutamid 50 mg pro Tag eine Woche vor der ersten subkutanen Injektion von Goserelin 3,6 mg, das alle 4 Wochen gegeben wurde. Die Studienteilnehmer erhielten zwischen 1 und 7 Therapiezyklen .

76,6% der Patienten erreichten einen ersten Nadir nach einem Median von 19 Wochen Behandlungsdauer. 84,1% der Patienten dieser Gruppe erhielten einen zweiten Therapiezyklus, davon erreichten 71% einen zweiten Nadir nach einem Median von 13,6 Wochen. Die mittlere behandlungslose Zeit betrug 14,3 und 16 Wochen.

Eine ähnliche Anzahl von Patienten war verglichen mit dem Ausgangsbefund während der Nachbeobachtungszeit potent. Insgesamt hatten bei Studienbeginn 17,8% der Patienten eine normale Potenz, 56,1% waren komplett impotent. 32,7% der Patienten verstarben während der Untersuchung, davon 82,9% am Prostatakarzinom.

In der Studie wurde gezeigt, dass etwa 75% der Patienten einen PSA-Nadir bei jedem Behandlungszyklus erreichte. Das Therapiekonzept der intermittierenden Androgensuppression scheint demnach machbar zu sein. Eine Vergleichsstudie mit MAB und dem primären Endpunkt Überlebenszeit ist derzeit in Arbeit.

Dr. Ralph Hausmann, Frankfurt

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Erster Kommentar

Das Konzept einer intermittierenden Androgensuppression "Machbarkeit" im Nachhinein?

Es geht um legitimierende Machbarkeit. Die aktuelle Präsentation der Phase-II Daten einer "Feasibility Study" der EORTC zur intermittierenden maximalen Androgenblockade von 107 auswertbaren Patienten mit metastasiertem Prostatakarzinom (Albrecht et al., European Urology 2003; 44: 505-511)will bei einem vergleichsweise kurzen mittleren Beobachtungsintervall von 92 Wochen herleiten, dass es tumorbiologisch vertretbar ist, die medikamentöse Androgensuppression mit Bicalutamid (50 mg/Tag p.o.) und Goserelinacetat (3,6 mg/4 Wochen s.c.) zu lockern, ohne dass der Patient einem höheren Risiko auf Tumorprogression ausgesetzt wird.

Die Verlaufsdaten dieser "Machbarkeitsstudie" deuten, wie auch andere Studien, auf "Äquivalenz", statt auf Überlegenheit der Therapieform gegenüber einer kontinuierlichen (maximalen) Androgenblockade. Das eigentliche Studienziel (Erreichbarkeit eines zweiten PSA-Nadirs bei mindestens 80% der Patienten) wurde nicht erreicht.

Die ursprüngliche Hoffnung allerdings, die mit dem Konzept einer intermittierenden Re-Exposition von Prostatakarzinomzellen mit Androgenen verknüpft wurde, war eine andere: Manche präklinischen Experimente ließen vermuten, dass sich Tumorzellen durch repetitive androgene Stimuli in Apoptosemechanismen zurückführen ließen und erst zeitlich deutlich verzögert zu einem hormonunabhängigen Phänotyp transformieren als unter einem dauerhaften Androgenentzug.

Die Datenlage aller bisher publizierten klinischen Studien war gekennzeichnet durch kleine Fallzahlen, bestenfalls nicht randomisierte Phase-II-Daten, heterogene Behandlungsstrategien und Therapiealgorithmen, Grenzwertdefinitionen etc., und wird mit der Beantwortung dieser fundamental attraktiven zellbiologischen Hypothese - wie die vorgestellte "EORTC Feasibility Study" auch - überfordert.

"Machbar" wäre ein gutes Design für eine Phase-III-Studie mit dem aktuellen Wissen von Albrecht u. Mitarb. sicher. Umso mehr erstaunt es, dass die angekündigte - oder man hat den Eindruck gerade eben erst aktivierte Phase-III-Studie ("underway") - längst fast vollständig "gemacht" worden ist.

So muss man es wohl als einen glücklichen Umstand betrachten, dass sich die angesprochene internationale Phase-III Intergroup-Studie (SWOG-9346, CALGB- 9495, CAN-NCIC-JPR8 bzw. PR8, ECOG- S9346, INT-0162 und EORTC, 30985: intermittierende Androgensuppression versus kontinuierlicher maximaler Androgenblockade), die in Europa bereits am 21.4.1999 aktiviert wurde, jetzt auch post hoc gut auf die im November 2003 publizierten Interpretationen der "Machbarkeitsstudie" der EORTC von Albrecht et al. stützen kann.

"Machbar" war die Studie unter den ursprünglichen Studienhypothesen wohl aber dennoch nicht, denn es fällt auf, dass die Studie bei damals 1512 vorgesehenen Patienten weiterhin offen ist, obwohl inzwischen (Stand 13.2.2004) bereits 1809 Patienten rekrutiert wurden. Wir dürfen auf die Datenauswertungen, die sicher nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen werden, gespannt sein. Ein wenig bedauerlich ist, dass die EORTC-Intergroup Studie vermutlich als erste publizierte Phase-III Studie zur intermittierenden Androgensuppression firmieren wird, weil zu den prospektiv-randomisierten Phase III-Studien, die hierzu in der Vergangenheit in Deutschland begonnen wurden, leider keine aktuellen Datenanalysen vorliegen, die weiterhelfen könnten.

Andere potenzielle Vorteile, die grundsätzlich für die Etablierung der intermittierenden Androgensuppression sprechen könnten, werden (neben der bisher nur hypothetischen Verlängerung des progressionsfreien Intervalls) in der Reduktion der hohen Medikamentenkosten in den Pausenintervallen, in einer vorübergehenden Restitutio von Libido und Potenz sowie in der Abschwächung oder Verzögerung von sekundären chronischen, metabolischen Schäden (Osteoporose, Muskelschwund etc.) gesehen, die durch einen lang andauernden Testosteronentzug eintreten könnten.

Die meisten Autoren stimmen daher überein, dass solche senkundären Therapiefolgen am ehesten für die intermittierende Behandlung von jüngeren Patienten mit einem lokal fortgeschrittenen Prostatakarzinom oder mit hohem Risikoprofil - jedoch ohne manifeste Metastasierung - bedeutsam wären, also für Männer mit einer im Verhältnis zum Auftreten der sekundären Schäden hinreichend langen Lebenserwartung.

Klinisch tatsächlich abgesichert sind die Spekulationen über den präventiven Charakter einer intermittierenden Aufhebung der Androgenblockade allerdings ebenso wenig, wie die erhoffte Verbesserung der Tumorverlaufsparameter.

Fraglich ist auch, ob die postulierten präventiven metabolischen Effekte, die konkret durch ein vorübergehendes Ansteigen des Testosteronspiegels erzielt werden sollen, überhaupt von nennenswertem Einfluss sind, denn es ist wahrscheinlich, dass eine Prävention gleichwertig oder sogar besser auf anderen Wegen erzielt werden kann (z.B. durch andere Substanzgruppen oder einfach durch regelmäßiges körperliches Training und psychosoziale Stabilität als Prophlaxe gegen Muskelatrophie, Knochenschwund und Depression).

Anlass zum Zweifel an der Relevanz des "androgen" ausgerichteten Konzepts geben hierbei besonders die mehrheitlichen Beobachtungen, dass die Aufhebung der Effekte der medikamentösen antiandrogenen Therapie schlecht steuerbar ist, und sich beispielsweise die Testosteron-Serumwerte während einer Therapiepause erst innerhalb einer individuell unterschiedlich großen Zeitspanne von 2 bis z.T. 5-6 Monaten normalisieren. Was also bleibt am Konzept noch als wirklich kontrolliert machbar und sinnvoll übrig?

Provokant formuliert wäre es konsequenter und theoretisch stringenter "machbar" - statt intermittierend die Therapie mit LHRH-Analoga und peripheren Antiandrogenen zu unterbrechen - Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom zu allererst zu orchiektomieren und ihnen danach in regelmäßigen Intervallen Androgene zu verabreichen. Gesundheitsökonomisch günstiger wäre das auf jeden Fall.

PD Detlef Rohde, Darmstadt

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Zweiter Kommentar

Durch die intermittierende Androgenblockade erscheint es möglich, eine Apoptose in androgenabhängigen Tumoren einzuleiten. Die Zeit bis zum hormonrefraktären Stadium kann damit verlängert werden. Bei Beachtung der Lebensqualität von Patienten mit Krebserkrankungen rücken Potenz und Libido zunehmend in den Blickpunkt, eine Unterbrechung der Hormonblockaden scheint ein akzeptables Mittel. Die Folgen einer langen antiandrogenen Therapie wie Osteoporose, Muskelatrophie oder Depressionen sind bei intermittierender Hormonblockade geringer ausgeprägt. Die Unterbrechung der Hormonblockade ist also sinnvoll, wenn das Überleben des Patienten dadurch nicht verkürzt wird.

Das prostataspezifische Antigen (PSA) wird in diesen Studien als Surogatmarker benutzt. W. Albrecht et al. zeigen, dass eine solche Studie möglich ist (W. Albrecht et al., Eur Urol 2003; 44: 505-511). Eine Phase-III-Studie, die den Einfluss auf das Überleben prüft, benötigt eine große Anzahl von Patienten, mindes tens 1000 nach den Angaben der Autoren.

In der oben genannten Arbeit wird der PSA-Nadir als ein Abfall des PSA-Wertes auf unter 20 ng/ml definiert. Nach einer Kontrolle innerhalb von 4 Wochen durfte der PSA-Wert nicht mehr als 1/3 schwanken. Die Hormonblockade wurde nach einem PSA-Anstieg auf über 20 ng/ml oder 50% über dem PSA-Nadir erneut durchgeführt. Von den 107 Patienten erreichten 82 den 1. Nadir, 69 von diesen 82 Patienten starteten einen 2. Zyklus, für einen dritten blieben nur noch 36 Patienten.

Es wäre zusätzlich interessant zu prüfen, inwieweit im hormonrefraktären Tumorstadium die Hormonblockade nicht grundsätzlich abgesetzt werden kann. Es gilt in einer Phase-III-Studie nicht nur den Einfluss auf das Überlegen, sondern auch auf die Lebensqualität zu prüfen.

Prof. Dr. Herbert Rübben, Essen

 
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Prostatakarzinom Grad II. Sichtbar die "Drüsen-in-Drüsen"-Formationenen. Oft wird das Lochsiebmuster in den Metastasen beibehalten (Bild: Taschenatlas der allgemeinen Pathologie, Thieme, 1998).