Aktuelle Urol 2004; 35(4): 260-266
DOI: 10.1055/s-2004-832274
Referiert und kommentiert

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nierenzellkarzinome - Radikal oder partiell entfernen?

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31 August 2004 (online)

 
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Beide Verfahren führen zu einer ähnlichen postoperativen Rekonvaleszenz und vergleichbaren Komplikationen. Wie eine amerikanische Untersuchung ergab, besteht nach der radikalen Exstirpation jedoch das Risiko eines erhöhten Serumkreatinins (J Urol 2003; 170:408-411).

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Laparoskopische Tumornephrektomie. Primäre Unterbindung der Nierenarterie vor der Nierenvene bei Doppelversorgung (a, b), Absetzen des oberen Nebennierenpols (c), Schema (d) (Bild: Laparoskopische Chirurgie in der Urologie, Thieme, 1995).

Traditionell war die radikale Nephrektomie die Standardbehandlung von Nierenzellkarzinomen bei Patienten mit einer normalen kontralateralen Niere. Eine nephroneinsparende Exzision war für renale Tumoren in solitären Nieren oder für Fälle mit chronischer Niereninsuffizienz reserviert. Die dabei erzielten Erfolge veranlassten Chirurgen, auch bei Patienten mit einer normalen kontralateralen Niere partielle Nephrektomien zur Behandlung von Nierenkarzinomen durchzuführen. Inzwischen ist die Entwicklung laparoskopischer Techniken soweit fortgeschritten, dass heute partielle Nephrektomien laparoskopisch durchgeführt werden können. Dieses anspruchsvolle Verfahren erfordert jedoch immer noch den Einsatz exstirpativer und rekonstruktiver Techniken. Da bisher erst wenige Angaben über Ergebnisse und Morbidität bei der Anwendung dieses Verfahrens vorliegen, bewerteten Fernando J. Kim und Kollegen vom urologischen Institut der Johns Hopkins Medical Institutions in Baltimore, USA, die operativen Parameter und Erfolge bei 114 Patienten, die mit einer der beiden laparoskopischen Techniken operiert worden waren. Alle Patienten wiesen einen einzelnen lokalisierten unilateralen sporadischen Nierentumor von weniger als 4,5 cm Größe auf und besaßen eine normale kontralaterale Niere. Bei 35 Patienten wurde eine laparoskopische radikale (LRN) und bei 79 eine laparoskopische partielle Nephrektomie (LPN) durchgeführt.

Die LRN-Patienten wiesen eine mittlere Tumorgröße von 2,8 + 1,2 cm und die LPN-Patienten von 2,5 + 1,0 cm auf. Zwischen den beiden Gruppen waren keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich mittlerer Dauer des Krankenhausaufenthalts (LRN 3,2 und LPN 2,8 Tage) sowie in Bezug auf die Häufigkeit erforderlicher Bluttransfusionen (2 - 4%) und chirurgischer Komplikationen (17,5 bzw. 19,7%) erkennbar. Während in der LPN-Gruppe kein Unterschied zwischen prä- und postoperativem Kreatininspiegel im Serum auftrat, lag der mittlere Kreatininspiegel in der LRN-Gruppe postoperativ höher als vor der Operation (1,51+ 0,22 bzw. 1,18 + 0,37 mg/ml). In beiden Gruppen musste sich je ein Patient wegen Blutungen einem offenen chirurgischen Eingriff unterziehen. Die Chirurgen empfanden die laparoskopische partielle Nephrektomie als eine herausfordernde Operationstechnik. Fortschritte in der Konstruktion der Instrumente lassen sie jedoch als eine chirurgische Alternative zur Behandlung kleiner Nierenkarzinome erscheinen, zumal das allgemeine Risiko von Komplikationen unter LPN nicht erhöht war. Das erhöhte Serumkreatinin, das postoperativ bei Patienten nach LRP beobachtet wurde, spricht zudem zugunsten der Anwendung von LPN, wenn sie klinisch indiziert erscheint.

Dr. Volker Kriegeskorte, Martinsried

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Erster Kommentar

Hauptaussage des Artikels: Kim et al. präsentieren die Ergebnisse von 114 Patienten, bei denen eine laparoskopische Nephrektomie (n = 35) oder eine laparoskopische Nierenteilresektion (n = 79) wegen eines Nierentumors < 4,5 cm vorgenommen wurde. Der Vergleich klinischer Parameter zeigte keine Unterschiede für Geschlecht, Alter, ASA-Status, Body Mass Index, mittlere Tumorgröße, Blutverlust, Operationszeit, Krankenhausverweildauer, Schmerzmittelverbrauch und Transfusionsbedarf. Bei 52/79 Patienten wurde die laparoskopische Nierenteilresektion in Ischämie (mittlere Dauer 27 Minuten) vorgenommen. Zwei Patienten mit laparoskopischer Nierenteilresektion hatten einen positiven Schnittrand. In den Schlussfolgerungen verweisen die Autoren darauf, dass hinsichtlich der Komplikationsraten zwischen laparoskopischer radikaler Nephrektomie und laparoskopischer Nierenteilresektion keine Unterschiede gezeigt werden konnten. Außerdem wiesen die Patienten nach laparoskopischer radikaler Nephrektomie einen erhöhten Kreatininwert auf.

Kommentar: Der Untertitel der Arbeit verspricht eine Bewertung von Komplikationen der laparoskopischen radikalen Nephrektomie im Vergleich zur laparoskopischen Nierenteilresektion. Die klinischen Daten wurden retrospektiv erhoben. Die Autoren berichten nicht, inwieweit die Erhebung von Komplikationen standardisiert erfolgte. Auch eine Abstufung nach Schweregrad einer Komplikation wird nicht vorgenommen. Eine Aussage über Anzahl und Qualifikation der Operateure fehlt. Ferner sind die genauen Kriterien, die zur Selektion des jeweiligen Eingriffes geführt haben, nicht erwähnt. Allein aufgrund der gerade genannten Punkte ist eine Bewertung der Ergebnisse im Hinblick auf Komplikationen im Vergleich zu anderen Serien nicht möglich. An dieser Stelle sein angemerkt, dass die Komplikationsraten in den verfügbaren Serien zur laparoskopischen Nierenteilresektion erfreulich gering sind.

Hinsichtlich der zweiten Hauptaussage zur "Nierenfunktion" werden leider die Normalwerte für das Kreatinin im Labor der berichtenden Institution und insbesondere der Zeitpunkt der Messung nicht berichtet. Hier heißt es lediglich "postoperativ". Außerdem handelt es sich offenbar um eine einmalige Bestimmung des Kreatininwertes, die eine objektive Bewertung der Nierenfunktion nahezu ausschließt. Risikofaktoren wie Diabetes oder Hypertonus finden keine Erwähnung. Allein aufgrund der gerade genannten Punkte ist auch hier eine Bewertung des Parameters Nierenfunktion nicht möglich.

In der Literatur finden sich mehr als 130 Berichte zur laparoskopischen Nierenteilresektion (Medline-Recherche bis Februar 2004). Viel häufiger als bei anderen laparoskopischen Eingriffen wird hierbei über experimentelle Ansätze publiziert wie z.B. Tiermodelle zur Frage der Ablationstechnik (z.B. Laser, "harmonic scalpell", bipolare Koagulation etc., kein Anspruch auf Vollständigkeit) aber auch Techniken zum Ausklemmen der Nierengefäße oder blutstillende Methoden (z.B. TachoComb, FloSeal etc., kein Anspruch auf Vollständigkeit). Insofern ist offenbar ein erhöhter Sicherheitsbedarf für die laparoskopische Nierenteilresektion anzunehmen.

Gleichwohl berichten letztlich nur etwa 10 Arbeiten über zweistellige Patientenzahlen zur laparoskopischen Nierenteilresektion. Entscheidend ist wohl weiterhin die Frage der Patientenselektion. Und hier bleibt es bei den Kriterien, die wir bereits kennen. Es werden absolute, relative und elektive Indikationen unterschieden Eine absolute Indikation zur Nierenteilresektion (offen oder laparoskopisch?) besteht bei solitären Nieren, bilateralen Nierentumoren oder einer Niereninsuffizienz. Eine relative Indikation besteht bei multifokalem Tumorwachstum oder Erkrankungen, die mit einer Schädigung der Nieren verbunden sind (Diabetes, Hypertonus, rezidivierende Pyelonephritiden etc.). Eine elektive Indikation zur Nierenteilresektion besteht bei kleinen (z.B. < 4 cm) und/oder peripheren Tumoren. Auch der junge Patient ist eher ein Kandidat für einen derartigen Eingriff.

Gill et al. aus Cleveland/Ohio (USA) untersuchten je 100 Patienten nach offener bzw. laparoskopischer Nierenteilresektion. Die Tumorgröße lag im Mittel bei 3,3 cm bzw. 2,8 cm. Insgesamt hatten Patienten in der offen-operativen Gruppe häufiger Tumoren > 4 cm und es befanden sich in dieser Gruppe auch mehr Patienten mit Einzelnieren. Für den laparoskopischen Zugang sprachen die Ergebnisse für OP-Zeit, Blutverlust, Schmerzmittelverbrauch, Krankenhausverweildauer und Rekonvaleszenz. Patienten in der offen-operativen Gruppe hatten eine kürzere Ischämiezeit und weniger schwerwiegende Komplikationen als die Patienten der Laparoskopiegruppe. Bei der postoperativen Nierenfunktion ergaben sich zwischen den Gruppen keine Unterschiede. Die Autoren folgern, dass die offene Nierenteilresektion weiterhin das etablierte Standardverfahren darstellt. Dieser Aussage möchte sich auch der Kommentargeber anschließen. Die laparoskopische Nierenteilresektion bei Nierentumoren kann derzeit nur von wenigen Kliniken realisiert werden. Schon jetzt stehen perkutane Techniken wie Kryoablation oder Radiofrequenzablation zur Behandlung kleiner Nierentumoren in "den Startlöchern". Wir dürfen hier schon in naher Zukunft eine spannnende Diskussion erwarten.

Dr. Christian Doehn, Lübeck

Literatur beim Autor

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Zweiter Kommentar

Diese Arbeit stellt eine vergleichende Analyse der intra- und frühpostoperativen Komplikationsraten bei der laparoskopischen Tumornephrektomie (LRN) bzw. Nierenteilresektion (LPN) eines einzelnen Zentrums dar.

In einem Zeitraum von 4 Jahren wurden insgesamt 114 Patienten behandelt, in 35 Fällen wurde eine lap. Nephrektomie und in 79 Fällen eine lap. partielle Nephrektomie bei normaler kontralateraler Niere durchgeführt (relative Indikation). Beide Patientengruppen zeigten keinen statistisch signifikanten Unterschied bezüglich Tumorgröße, Patientenalter, BMI (Body Mass Index) und ASA-Klassifikation. Operationsdauer, Blutverlust, Transfusionshäufigkeit, chirurgische Komplikationsrate sowie postoperative Hospitalisationsdauer und Analgetikaverbrauch unterschieden sich nicht signifikant in beiden Gruppen. Bei jeweils einem Patienten musste wegen Blutung konvertiert werden. Im Gegensatz zur LRN-Gruppe zeigte die postoperative Nierenfunktion in der LPN-Gruppe, gemessen am Serumkreatininwert, keinen Unterschied zum präoperativen Wert.

Im Gegensatz zur laparoskopischen Nephrektomie, ein rein ablatives Verfahren, ist die laparoskopische Nierenteilresektion ein anspruchsvollerer Eingriff, der eine schwierige rekonstruktive Tätigkeit des Operateurs unter Zeitdruck erfordert. Aus der Arbeit wird die laparoskopische Erfahrung des Zentrums nicht ersichtlich. Es wird auch nicht dokumentiert, nach wie vielen laparoskopischen Nephrektomien mit der laparoskopischen Nierenteilresektion begonnen wurde.

Diese Arbeit verdeutlicht die Durchführbarkeit der laparoskopischen Nierenteilresektion, die hier mit einer zur laparoskopischen Nephrektomie vergleichbaren Komplikationsrate vergesellschaftet ist.

Die hier angegebene Rate der Urinombildung von 2/79 (2,5%) ist nicht größer als die in der Literatur angegebenen Rate für die offene Nierenteilresektion].

Es wird jedoch nicht über die Gesamtzahl der Fälle berichtet, in denen das Kelchsystem eröffnet worden ist. Die Autoren haben sich zur Lokalisation der Nierentumoren nicht geäußert. Bei peripher gelegenen Tumoren mit einer Größe < 4 cm ist die Eröffnung des Kelchsystems nicht zu erwarten (in dieser Arbeit betrug der durchschnittliche Tumordurchmesser 2,5 cm in der LPN-Gruppe). Falls die Eröffnung des Kelchsystems nur bei den zwei Patienten vorgekommen wäre, die später ein Urinom entwickelten, dann wäre die intraoperative Rekonstruktion des Harnhohlsystems insuffizient gewesen.

Die Entstehung eines Urinoms kann durch die Bildung von blockierenden Koageln im Harnhohlsystem begünstigt werden. In der offenen Chirurgie kann der freie Urinabfluss sicherheitshalber durch die intraop. Einlage einer Nephrostomie sichergestellt werden.

Die technisch schwierige intraoperative kalte Ischämieherstellung wird weiterhin als einer der Nachteile der laparoskopischen Nierenteilresektion angesehen. Die Begrenzung der warmen Ischämiezeit auf max. 45 Minuten, wie es in der vorliegenden Arbeit stets der Fall war, zeigt jedoch keine wesentliche nachteilige Auswirkung auf die längerfristige Nierenfunktion, wie es annäherungsweise durch den stabilen postoperativen Serumkreatininwert und die normale Röntgendiagnostik der Nieren 6 Monate nach dem Eingriff belegt wurde. Zur besseren Beurteilung der Nierenfunktion wäre jedoch die prä- und postoperative Durchführung eines Diureseszintigramms sicherlich zu empfehlen.

Einige Gruppen haben über die Ergebnisse der Nierenteilresektion ohne Abklemmung der Nierenarterie berichtet. Diese Möglichkeit ist mit Sicherheit bei kleineren peripher gelegenen Tumoren gegeben. Der Nachteil liegt, vor allem zu Beginn der Erfahrung mit der lap. konservativen Nierentumorchirurgie, in den schlechten intraop. Sichtverhältnissen und dem größeren Blutverlust.

Eine in der Nierenerhaltungsgruppe jedoch zu erwartende längere Operationszeit hat sich in dieser Studie nicht gezeigt. Bei der histopathologischen Begutachtung der Präparate zeigten sich 11% benigner Erkrankungen in der Gruppe der LRN und 16% in der Gruppe der LPN (Angiomyolipome ausgenommen). Dieser hohe Anteil benigner Tumoren, die in der präoperativen bildgebenden Diagnostik nicht mit letzter Sicherheit als solche eingestuft werden können, fordert bei kleinen Prozessen (in der Regel < 4 cm) den Versuch des Nierenerhaltes.

In zwei Fällen der organerhaltenden Gruppe zeigten sich trotz intraop. Ultraschall und der Respektierung eines 0,5cm breiten Sicherheitsabstandes zum Tumor positive Absetzungsränder im Präparat, wodurch die Notwendigkeit der kompletten Beurteilung der Präparateränder im Schnellschnittverfahren und nicht nur der entnommenen Randombiopsien des Tumorbettes unterstrichen wird. Ein weiterer Vorteil der lap. Nierenteilresektion liegt darin, dass die zur Bergung des Präparates nötige Inzision bedeutend kleiner ist als dies für die laparoskopische Nephrektomie notwendig ist. In Fällen kleiner Tumoren sind diese auch im Bergebeutel durch den 10-mm oder 12-mm Port ohne Verlängerung des Schnittes zu extrahieren. Dieses könnte sich dann in einem geringeren postop. Schmerzmittelverbrauch und verkürzter Rekonvaleszenzzeit sowie im kosmetischen Ergebnis widerspiegeln.

Rolf Gilliter, Mainz

Literatur beim Autor

 
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Laparoskopische Tumornephrektomie. Primäre Unterbindung der Nierenarterie vor der Nierenvene bei Doppelversorgung (a, b), Absetzen des oberen Nebennierenpols (c), Schema (d) (Bild: Laparoskopische Chirurgie in der Urologie, Thieme, 1995).