Die Testosteron-Ersatztherapie ist mit einigen Risiken behaftet. Kausale Zusammenhänge
zwischen der Testosteron-Ersatztherapie und dabei auftretenden unerwünschten Wirkungen
konnten bisher zwar noch nicht in großen prospektiven Studien belegt werden, dennoch
sind einige Risiken ernst zu nehmen. Das macht eine sorgfältige Überwachung der Behandelten
erforderlich.
In den USA sind etwa 2 bis 4 Mio. Männer von Hypogonadismus betroffen. Die Prävalenz
nimmt mit dem Alter zu. Allerdings werden gegenwärtig nur 5% der Betroffenen behandelt.
Dennoch findet heute die Testosteron-Ersatztherapie große Aufmerksamkeit, zumal man
erwartet, dass dadurch die Manneskraft und Gesundheit der Männer in reiferen Jahren
aufrecht erhalten bleibt. Trotz der vielfach berichteten Vorteile, wie Verbesserung
von Libido, Knochendichte, Muskelmasse, Erythropoese, Stimmung und Kognition, bestehen
erhebliche Meinungsverschiedenheiten über die Testosteron-Ersatztherapie bei altersbedingtem
Hypogonadismus und den damit verbundenen Risiken. Allerdings gibt es dazu bisher keine
größeren Langzeitstudien. Dr. Ernani Luis Rhoden und Dr. Abraham Morgentaler aus Boston
geben eine Übersicht darüber, welche Kenntnisse über Risikofaktoren der Testosteron-Ersatztherapie
zurzeit vorliegen. Zudem geben sie Empfehlungen für das Monitoring von Männern, die
eine derartige Therapie erhalten (N Engl J Med 2004; 350: 482-492).
Wirkung auf viele Organe und Gewebe
Testosteron ist ein Steroidhormon, das auf eine Vielzahl von Organen und Geweben wirkt.
Dazu gehört auch das kardiovaskuläre System. Aus der Tatsache, dass Männer gleichzeitig
einen höheren Testosteronspiegel und eine höhere Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse
aufweisen, wird oft auf Testosteron als kardiovaskulärem Risikofaktor geschlossen.
Bisher konnte anhand der vorliegenden Daten allerdings kein deutlicher kausaler Zusammenhang
mit einer Testosteron-Ersatztherapie nachgewiesen werden. So konnten auch günstige
Effekte dieser Behandlung, wie z. B. auf die chronische stabile Angina, auf den Durchmesser
der Koronararterien und auf hämostatische und thrombotische Faktoren gezeigt werden.
Studien haben bisher keine erhöhte Inzidenz von Myokardinfarkt, Schlaganfall oder
Angina pectoris unter Testosteron-Ersatztherapie belegen können. Nach Ansicht der
Autoren bedarf es großer prospektiver und plazebokontrollierter Langzeitstudien, um
eindeutige Aussagen machen zu können.
Partielles Androgendefizit beim Mann. Der Zusammenhang zwischen den angeführten Erkrankungen
und Symptome mit einem Testosterondefizit ist unterschiedlich gut belegt (Bild: Urologie, Thieme, 2002).
Zurzeit gibt es auch keine Daten, die eine Verschlechterung des Lipidprofils unter
Testosteron-Ersatztherapie im physiologischen Rahmen vermuten lassen. Dagegen ist
in verschiedenen Fällen ein Anstieg des Hämatokrits beobachtet worden. Steigt dieser
über Normalwerte, kann das vor allem bei älteren Patienten schwerwiegende Konsequenzen
haben. So verschärft die dabei zunehmende Viskosität des Blutes eventuell bestehende
vaskuläre Erkrankungen. Das Risiko einer Polyglobulie ist unter Testosteron-Ersatztherapie
vor allem dann erhöht, wenn das Hormon injiziert wird. Obwohl unerwartete Ereignisse
bei leichter Polyglobulie von relativ kurzer Dauer unwahrscheinlich sind, sollten
der Hämatokrit oder der Hämoglobinspiegel nach Ansicht der Autoren bei Männern unter
Testosteron-Ersatztherapie überwacht werden. Andererseits finden sie es beruhigend,
dass nach ihren Kenntnissen bisher über keine auf Testosteron zurückzuführende thromboembolische
Ereignisse berichtet wurde.
Das Prostatavolumen nimmt unter Testosteron-Ersatztherapie signifikant zu. Dennoch
kommt es meist nicht zu einer signifikanten Beeinträchtigung der Flussraten. Klinikern
sollte allerdings bewusst sein, dass einzelne Patienten mit Hypogonadismus unter Testosteron-Ersatztherapie
gelegentlich Beschwerden beim Wasserlassen haben.
Selbst jahrzehntelange Forschung konnte bisher nicht zwingend nachweisen, dass Testosteron
eine ursächliche Rolle bei der Entstehung von Prostatakarzinomen spielt. Die Autoren
weisen darauf hin, dass Prostatakarzinome am häufigsten dann auftreten, wenn im Leben
des Mannes die Testosteronspiegel sinken! Patienten mit erhöhtem PSA-Spiegel und positiven
Befunden bei der rektalen Untersuchung sollten überwacht werden. Gegebenenfalls muss
vor Beginn der Therapie eine Prostatabiopsie durchgeführt werden. Obwohl ein Prostatakarzinom
in der Anamnese als absolute Kontraindikation für die Testosteron-Ersatztherapie angesehen
wurde, wird dieser Punkt in Bezug auf Männer, die als geheilt angesehen werden, zurzeit
aktiv debattiert.
Hepatotoxische Effekte durch orale Testosteron-Präparate haben in den USA dazu geführt,
dass von der Gabe dieser Form abgeraten wird. Die Testosteron-Ersatztherapie wurde
auch mit der Entwicklung oder Exazerbation von Schlafapnoe in Verbindung gebracht,
die gewöhnlich nach hohen parenteralen Dosen bei Patienten mit bereits bestehenden
weiteren Risikofaktoren für die Schlafapnoe auftrat.
Allgemein kann die Testosteron-Ersatztherapie bei einigen Männern zu einem Schwellen
der Brust, einer Verkleinerung der Testikel und einer Beeinträchtigung der Fertilität
führen. Außerdem wurden verschiedene Hautreaktionen beobachtet. Eine Flüssigkeitsretention
ist selten, doch sollte eine Testosteron-Ersatztherapie bei Männer mit Herz- und/oder
Niereninsuffizienz mit Vorsicht angewandt werden.
Sorgfältiges Monitoring
Vor und während der Testosteron-Ersatztherapie sind nach Ansicht der Experten zunächst
in Abständen von drei bis sechs Monaten und nach einem Jahr jährlich Bluttests zur
Messung von PSA, Hämatokrit und Hämoglobin sowie eine digitale rektale Untersuchung
erforderlich. Eine Lipidbestimmung ist optional. Zudem sollte die Entleerung der Blase
überwacht und eine Bewertung des Prostatazustandes anhand des "International Prostatic
Symptom Scores" durchgeführt werden. Es besteht nach Ansicht der Autoren kein Anlass,
Männern mit einem negativen Biopsieergebnis eine Testosteron-Ersatztherapie vorzuenthalten.
Zudem ist zu bedenken, dass Anomalien im PSA-Spiegel oder bei der rektalen Untersuchung
auch gutartige Ursachen haben können. Rhoden und Morgentaler merken an, dass ihre
Empfehlungen für Männer unter 40 Jahren wahrscheinlich modifiziert werden müssten,
zumal ein Prostatakarzinom in dem Alter selten auftritt.
Dr. Volker Kriegeskorte, Martinsried