Aktuelle Urol 2004; 35(4): 284-286
DOI: 10.1055/s-2004-832284
Recht in der Praxis

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Hausarztzentrierte Versorgung - Befreiung von Praxisgebühr hat Tücken

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Publication Date:
31 August 2004 (online)

 
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Nachdem die Praxisgebühr zu Beginn des Jahres 2004 erste Senkungen der Nachfrage gebracht hat (bei Hausärzten ca. 8%, in konservativen Facharztpraxen bis zu 15%), entsteht in der Öffentlichkeit eine Diskussion über hausarztzentrierte Versorgung durch Befreiung von Praxisgebühren.

Die Diskussion um die hausarztzentrierte Versorgung muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass sie insbesondere dem Berufsverband deutscher Hausärzte auf Landesebene eine ideale Möglichkeit der Profilierung gibt. Gerade die Profilierung gegenüber Fachärzten an der KV vorbei, hat eine gewisse emotionale Versuchung in der Berufspolitik. Andererseits muss gesehen werden, dass der wahre Grund der vorübergehenden Bereitschaft, sich auf das Thema "hausarztzentrierte Versorgung" zu stürzen, bei den Krankenkassen handfeste ökonomische Gründe hat.

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Ärzte mit großen Vorbehalten gegen DMP's

Für ihre Disease-Management-Programme (DMPŽs) bekommen Ärzte aus dem Risikostrukturausgleich nur dann genügend Geld, wenn sie genügend Patienten dafür haben. Sie hoffen auf eine Unterstützung der Berufsverbände in der hausarztzentrierten Versorgung und damit bei den Patienten auf die Bereitschaft, diese besonderen Programme in Anspruch zu nehmen.

Die Erfahrung der Vergangenheit zeigt, dass bisher weder Hausärzte noch Patienten umfassend von den Vorzügen einer besonderen Versorgungsform, wie z. B. im Diabetesbereich, zu überzeugen waren. Zu weit differieren zurzeit noch die ärztlichen, wissenschaftlichen und ökonomischen Kalkulationskriterien.

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Ist Berufsverbands-Mitgliedschaft ein Qualitäts-Kriterium?

Im Bundestag war umstritten, ob die breite Masse der Hausärzte zurzeit besondere Qualitätserfordernisse erfüllt. Insbesondere die Sachverständigen waren der Meinung, dass hier noch große Mängel bestehen.

Aus diesem Grund ist das jetzige Vorgehen der Krankenkassen als pragmatisch zu sehen und ist nur der Beginn eines langen, umfassenden und intensiven Evolutionsprozesses. Dabei lohnt es sich, zunächst erst einmal ins Gesetz zu schauen.

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§ 73 b SGB V - Hausarztzentrierte Versorgung

(1) Versicherte können sich gegenüber ihrer Krankenkasse verpflichten, ambulante, fachärztliche Leistungen nur auf Überweisung des von ihnen aus dem Kreis der Hausärzte nach Absatz 2 gewählten Hausarztes in Anspruch zu nehmen (hausarztzentrierte Versorgung).

Der Versicherte ist an diese Verpflichtung und an die Wahl seines Hausarztes mindestens ein Jahr gebunden; er soll den gewählten Hausarzt nur beim Vorliegen eines wichtigen Grundes wechseln.

(2) Die Krankenkassen haben zur Sicherstellung der hausarztzentrierten Versorgung mit besonders qualifizierten Hausärzten Verträge zu schließen.

Die Verträge können abgeschlossen werden mit

1. zugelassenen Hausärzten, die die Qualitätsanforderungen nach Abs. 3 (noch nicht festgelegt) erfüllen und Gemeinschaften dieser Hausärzte (Berufsverbände) sowie

2. zugelassenen medizinischen Versorgungszentren, die die Erbringung der hausärztlichen Leistungen unter Beachtung der Qualitätsanforderungen nach Abs. 3 (noch nicht festgelegt) gewährleisten.

Ein Anspruch auf Vertragsschluss besteht nicht; die Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes ist unter Bekanntgabe objektiver Auswahlkriterien öffentlich auszuschreiben.

3. In den Gesamtverträgen ist das Nähere über den Inhalt der hausarztzentrierten Versorgung, insbesondere die die Anforderungen nach § 73 Abs. 1b und 1c übersteigenden besonderen technischen und personellen Anforderungen an eine hausarztzentrierte Versorgung, zu vereinbaren.

Dabei sind außerdem Regelungen zu treffen, wie diese hausärztliche Versorgung zu vergüten ist sowie ob und wie diese Vergütung auf die in den Gesamtverträgen vereinbarte Vergütung anzurechnen ist. Bundesmanteltarifvertragliche Regelungen sind möglich.

Das Nähere zur Durchführung der Teilnahme der Versicherten regeln die Krankenkassen in ihren Satzungen.

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Weder Hausärzte noch Patienten sind umfassend von den Vorzügen einer besonderen Versorgungsform, wie beispielsweise im Diabetesbereich, überzeugt worden (Bild: Archiv).

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Wie wird der Patient auf die Eingrenzung der freien Arztwahl reagieren?

Wer schriftlich unterzeichnen muss, sich auf ein Jahr bei seinem Hausarzt zu binden, wird genau prüfen, ob er immer zuerst den Hausarzt aufsuchen will, wenn er weiter an einen Facharzt überwiesen werden möchte. Ob da der Köder der Praxisgebühr so ausreicht oder auf diese Weise indirekt eine gesetzliche Maßnahme aufgehoben wird, ist fraglich.

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Entwicklung braucht Zeit!

Die gesetzlichen Krankenkassen sind verpflichtet, Hausarztmodelle zu entwickeln. Die tatsächlichen Bedingungen müssen aber noch mit den Kassenärztlichen Vereinigungen ausgehandelt werden. Endgültige Entscheidungen liegen zurzeit noch nicht vor. Es gibt aber erste, beispielhafte Überlegungen. Entscheidend ist, was dem Patienten in Zukunft die freie Arztwahl noch wert ist.

Ein anderer Punkt ist, welche Hausärzte überhaupt für das Modell im Rahmen der Qualitätsanforderungen zugelassen sind.

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Meinungen verschiedener Krankenkassen

Die AOK argumentiert, Ziel sei es aus ihrer Sicht, den Hausarzt zum Lotsen im Gesundheitswesen zu machen, um unnötige Facharztbesuche und Doppeluntersuchungen zu vermeiden.

Eine Behandlung beim Facharzt verursache "grundsätzlich" mehr Kosten.

Ob das immer, insbesondere unter Berücksichtigung von Dermatologen, Augenärzten und Gynäkologen der Fall ist, ist fraglich. Ferner prüft die AOK, ob man das Hausarztmodell zunächst nur für bestimmte Indikationen anbietet. Insoweit wird wieder die Zielrichtung "Disease- Management" unter Berücksichtigung des Zuschusses aus dem Risikostrukturausgleich sichtbar für Segmente wie Diabetes Typ 2, KHK, Rheuma, Asthma oder Schlaganfall.

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Freie Arztwahl - ein wichtiges Gut!

Fachleute sind der Meinung, dass die Vorzüge des Systems bei näherem Hinsehen wahrscheinlich äußerst zweifelhaft sind. Insbesondere dann, wenn die Patienten erkennen, dass sie ihrer freien Arztwahl beraubt sind und dennoch ihre freie Zeit in der Praxis des Hausarztes absitzen müssen, obwohl bestimmt nichts an einer Versorgung z. B. durch einen Dermatologen oder HNO-Arzt vorbeiführt.

Zudem entbindet die Befreiung von der Gebühr nicht davon, zunächst die 10 Euro auf den Tisch zu legen, um sie dann später erstattet zu bekommen.

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Entwurfs-Beispiel eines Vortrages

Im Folgenden der Auszug aus einem Entwurf der BKK Landesverband Ost mit der KV Thüringen (Auszüge aus Rohentwurf, unverbindlich).

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Voraussetzung der Teilnahme der Hausärzte

Persönliche Voraussetzungen

  • Fortbildung in patientenzentrierter Gesprächsführung

  • Psychosomatische Grundausbildung

  • Pharmakologische Weiterbildung

  • Fortbildungen z. B. in den Segmenten Schmerz, Ernährung, Sucht

  • Regelmäßige Weiterbildung in Diskussionen

  • Teilnahme an hausärztlichen Qualitätszirkeln

Sachliche Voraussetzungen

  • EDV-Ausstattung / ADT / Software

  • Behindertengerechter Praxiszugang

  • Versorgungsauftrag im Rahmen der hausarztzentrierten Versorgung

  • Verbesserung der Koordinationsfunktion im kurativen Fall durch aktive Steuerung in der Diagnostik Vermeidung von Doppeluntersuchung

  • Verbesserung der Koordinationsfunktion im präventiven Fall durch aktive Steuerung der Inanspruchnahme von Früherkennungsleistungen; Überprüfung im Status der Impfberatung; Medikationsmanagement/rationale AM-Therapie.

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Vergütung / Mehraufwand / Neue Leistung

1. Verbesserte Koordinationsfunktion quartalsweise je kurativer Behandlungsfall

2. Vergütung für besonderes hausärztliches Gespräch, bspw. Erwachsene

  • Gespräch von Behandlung unabhängig

  • einmal jährlich

  • Rückblick und Vorausblick gesundheitlicher Entwicklung

  • Besprechung von Gesundheitsziel wie Ernährung, Bewegung, Suchtmittel, persönliche Lebensumstände und soziales Umfeld

  • Dokumentation

  • Zeitumfang mindestens 20 Minuten

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Zusammenfassung

Ob sich dieses Konzept von den inhaltlichen und psychologischen Aspekten durchsetzen lässt, ist äußerst fraglich.

Das, was die Bevölkerung am meisten schreckt, sind die Zusatzkosten, die durch die Apotheke entstehen. Sie werden mehr zur Nicht-Inanspruchnahme der Arztpraxis beitragen als die Praxisgebühr. Ob, insbesondere wenn in irgendeiner Form eine Tageszeit-Plausibilitätsprüfung erfolgt, viele Hausärzte diese, zusätzlich anrechenbare, zeitfressende Leistung erbringen wollen, ist fraglich. Am Anfang hat alles den Geruch von neuem Geld, das lockt. Das dürfte jedoch nicht die Realität der Zukunft sein. Das System hat kein Geld für große Experimente.

H.-J. Schade Broglie, Schade & Partner

Wiesbaden/München

www.arztrecht.de

 
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Weder Hausärzte noch Patienten sind umfassend von den Vorzügen einer besonderen Versorgungsform, wie beispielsweise im Diabetesbereich, überzeugt worden (Bild: Archiv).