Aktuelle Urol 2004; 35(4): 289-291
DOI: 10.1055/s-2004-832287
Qualitätsmanagement

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Personalmarketing und -entwicklung: - Herausforderung für Krankenhäuser

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Publication Date:
31 August 2004 (online)

 
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"Wir gehen in die Schweiz" - Ein junges Ärztepaar bricht die Zelte in Deutschland ab und lässt sich im deutschsprachigen Teil der Schweiz nieder, um dort fortan zu arbeiten und zu leben. Fast unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit vollziehen sich Wanderbewegungen gut ausgebildeter Mediziner in das angrenzende Ausland. Gelockt wird mit guten Arbeitsbedingungen, Hilfe bei der Integration, Weiterbildung, attraktiven Gehältern und vor allem: Wertschätzung der Tätigkeit.

Eine Urologenstelle - im deutschen Ärzteblatt (9. April 2004) für eine österreichische Klinik angeboten - wurde innerhalb von 2 Wochen allein im Internet über 400-mal abgerufen. Ein typisches Indiz für eine zunehmende Mobilität von Medizinern und deren sehr gezielte Auswahl von Arbeitsplätzen. Gleichzeitig eher untypisch für ein Fachgebiet wie die Urologie, das als sehr interessant gilt, alle Altersstufen und Geschlechter einschließt und dabei doch als überschaubar angesehen wird. Gleichzeitig nehmen die Bemühungen deutscher Kliniken um ausländische Ärzte u. a. aus den osteuropäischen und baltischen Staaten zu. Als Folge davon zeigt die Statistik in einigen Bundesländern bereits einen Anstieg der ausländischen Ärzte um bis zu 50 %. Aus Sicht z. B. der neuen EU-Mitgliedsstaaten eine bedrohliche Situation mit Folgen für ihre eigene nationale Gesundheitsversorgung - der Beginn einer Migrationsbewegung medizinischer Arbeitskräfte, im englischen Sprachgebrauch auch treffend als "Brain drain" bezeichnet.

Der Wettstreit um diese besten Köpfe hat also für die Krankenhäuser längst begonnen. Die Entwicklung ist seit Jahren alarmierend: Innerhalb der letzten sechs Jahre sinkt die Zahl der Approbationen um 22 % und die der Facharztanerkennungen um 25 % und dies bei einer 30 %-Quote von Studienabbrechern in der Humannmedizin und einer Abwanderungsquote aus der kurativen Medizin von 40 %.

Auch in attraktiven Fachgebieten wie der Urologie sinkt die Zahl der Bewerbungen deutlich. Während renommierte Urologische Kliniken mit einem guten Arbeitsklima, dezidierten Weiterbildungskonzepten und internen Entwicklungsmöglichkeiten ihre Stellen derzeitig noch qualifiziert besetzen können, wird der Nachwuchsmangel gerade bei Standortnachteilen oder vermuteten/bekannten Führungsproblemen spürbar. In den nächsten Jahren wird sich diese Problematik verschärfen, sodass Krankenhäuser um gute, engagierte Ärzte werben und Unternehmensführungen nach den Gründen der mangelnden Bewerberakzeptanz einzelner Kliniken suchen müssen und werden.

Wege aus dieser Sackgasse bieten Personalmarketing- und Personalentwicklungskonzepte, wie sie aus anderen Branchen bereits erprobt sind; die jedoch auf die Besonderheiten des Krankenhauses abgestimmt sein müssen. Generell geht es vor diesem Hintergrund für Krankenhäuser künftig um einen längst überfälligen Paradigmenwechsel von der Personalverwaltung zu einem strategischen Personalmanagement.

Vor der Diskussion strategischer Konzepte und geeigneter Maßnahmen scheint es jedoch sinnvoll, kurz die Ursachen für den Rückgang potenzieller Klinikärzte zu skizzieren. Neben der demographischen Entwicklung, die generell - nicht nur in den Krankenhäusern - zu Belegschaften mit höherem Durchschnittsalter und einem geringen Anteil junger Nachwuchskräfte führen wird, werden für Kliniken insbesondere die nachfolgenden Faktoren als problematisch und teilweise sogar abschreckend eingestuft:

  • die zunehmende Verdichtung der ärztlichen Arbeitsprozesse (Anstieg der Behandlungsfälle bei gleichzeitiger Verkürzung der Liegedauer),

  • fehlende berufliche Karrieremöglichkeit innerhalb des Krankenhauses,

  • die oft unzureichend strukturierte fachliche und teilweise völlig fehlende persönliche Weiterbildungsmöglichkeit,

  • die unflexiblen Gehaltsstrukturen,

  • die Zunahme patientenferner / arztfremder Tätigkeiten wie Dokumentationsaufgaben,

  • die hierarchischen Strukturen und

  • die teilweise unzumutbaren Arbeitsbedingungen.

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Personalmarketing und -entwicklung im Krankenhaus

Eine wesentliche Herausforderung der nächsten Jahre liegt daher für Kliniken (auch!) in der strategischen Positionierung als attraktiver Arbeitgeber. In einer veränderten Umwelt wird es darum gehen, mit Personalmarketing als zielorientierte Anwendung personalpolitischer Instrumente zur Akquisition potenzieller und Bindung gegenwärtiger Mitarbeiter und Personalentwicklung, verstanden als systematische Fort- und Weiterbildung einschließlich Karriereplanung guten Bewerbern sowie bereits im Unternehmen tätigen Mitarbeitern Perspektiven zu geben und damit der Klinik wichtige Ressourcen für die Zukunft zu sichern! Diesem Prozess ist nach einer Studie des Instituts für Gesundheitsökonomik unter Mitwirkung der Bundesärztekammer und Deutschen Krankenhausgesellschaft über "Anforderungen an die Führungskräfte im Krankenhaus der Zukunft" höchste Priorität einzuräumen.

Die nachfolgenden Überlegungen sind vor diesem Hintergrund nicht "nice-to- have", sondern eine längst überfällige Notwendigkeit für Krankenhäuser. Das Unternehmen und die entsprechende Klinik oder Fachabteilung muss an gegenwärtige und zukünftige Mitarbeiter "verkauft" werden, wobei die Unternehmenskultur, einschließlich

  • Führung und Entwicklungsmöglichkeiten der Mitarbeiter

  • Umgang mit Veränderungen/Innovationsbereitschaft sowie

  • das wahrgenommene Arbeitsklima

  • immer wichtiger wird und vielfach zum Zünglein an der Waage für die Entscheidung für eine Klinik und eine Fachdisziplin wird!

Die derzeitige Realität spiegelt diese Herausforderung noch nicht wider. Strategische Personalkonzeptionen unter Einbezug des Unternehmensleitbildes fehlen zumeist; die Auswahl von Medizinern erfolgt fast ausschließlich über die fachliche Qualifikation und Personalentwicklungskonzepte stellen eine Ausnahme dar. Angesichts dieser Situation erscheint es unumgänglich, Konzepte für ein zukunftsgerichtetes, systematisches Personalmanagement zu entwickeln, wobei Personalmarketing und -entwicklung als Schlüsselfelder anzusehen sind.

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Ein modulares Personalmarketing und -entwicklungskonzept

Ein modulares, ganzheitliches Konzept für Krankenhäuser und damit auch innerhalb der einzelnen Fachabteilungen muss Antworten auf die zuvor beschriebenen Entwicklungen und Herausforderungen geben und darf sich nicht lediglich auf geringfügige Einzelmaßnahmen beschränken. Ein derartiges Konzept wird im Folgenden für die beiden Felder Recruiting und Personalentwicklung näher erläutert, ohne im Einzelnen den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.

Das Recruiting ist in seiner bisherigen Form zu überprüfen. Bislang werden vor allem konventionelle, textlastige Anzeigen in klassischen Printmedien geschaltet. Da die Nutzung des Internets gerade für jüngere, gut ausgebildete Ärzte selbst- verständlich ist, bietet es sich an, emotionalere Anzeigen mit Bildelementen zu nutzen und einen Teil der Informationen per Internetlink auf die Homepage der Klinik anzubieten. Auch elektronische Stellenbörsen erfreuen sich bei Bewerbern zunehmender Beliebtheit und die dort platzierten Anzeigen sind relativ kostengünstig. Für beide Formen gilt, dass besondere Anstrengungen des Hauses bei der Bindung und Entwicklung von Mitarbeitern, ein gutes Arbeitsklima etc. explizit hervorgehoben werden sollten.

Gerade kleinere Fachgebiete wie die Urologie sollten möglichst früh durch Famulaturen, Fortbildungen für Studierende und weitere Zusammenarbeit mit Universitäten Kontakte zu Nachwuchskräften aufbauen - dies gilt gerade für Kliniken, die nicht an der studentischen Ausbildung beteiligt sind. Die glaubwürdigste Überzeugung gelingt durch persönliche Erfahrung, so z.B. Dr. Stein von der das Resümee eines Leitenden Oberarztes Urologischen Klinik Hannover Siloah, der während seines praktischen Jahres für die Urologie aufgrund des guten Arbeitsklimas und der ihm eröffneten Lernchancen gewonnen wurde.

Die Präsentation des Krankenhauses auf nationalen Job-Börsen aber auch gezielte Kontakte ins Ausland, Kooperation mit Personalberatungen, überregionale Public-Relations-Aktionen können gerade für große Kliniken das Bild abrunden.

In der Personalentwicklung ist der Fokus neben der fachlichen Qualifikation künftig verstärkt auf die überfachlichen Schlüsselqualifikationen zu richten. Es geht somit um ganzheitliche Potenzialanalyse und -entwicklung, die grundsätzlich auf alle Berufsgruppen und Ebenen abzielt und - gerade vor dem Hintergrund neuer Arbeitsorganisationen - nach den jeweiligen Anforderungsprofilen auszurichten ist.

Vor allem für junge Ärzte ist hier an Unterstützung im Umgang mit Patienten zu denken. Bislang wird in der Medizin dieser Part der ärztlichen Tätigkeit zumeist quasi im "learning-by-doing"-Verfahren oder im Modelllernen - Abgucken bei Anderen - erlernt. Aus Personalentwicklungssicht bleibt völlig unverständlich, dass junge Mediziner teilweise ohne jegliche Vorbereitung das erste Mal einem Patienten beibringen müssen, dass er wahrscheinlich nur noch wenige Wochen leben wird.

Beim Thema Mitarbeiterführung wird ebenfalls vorwiegend vorausgesetzt, dass diese Aufgabe ohne weitere Begleitung erfolgreich übernommen wird. Ein Blick in andere Dienstleistungsbranchen zeigt hier, dass es in renommierten Handelskonzernen undenkbar ist, Mitarbeiter ohne systematische Führungstrainings zu Abteilungsleitern zu befördern! Führungsinstrumente, wie z.B. das Führen von Mitarbeitergesprächen und Abteilungsbesprechungen werden dort ebenso selbstverständlich geschult wie dies bei fachlichen Inhalten geschieht.

Nicht vergessen werden sollte, dass systematische Personalentwicklung ausdrücklich durch ein Qualitätsmanagement nach EFQM gefordert wird. So wird u.a. Mitarbeiterentwicklung und -beteiligung für eine Zertifizierung vorausgesetzt. Im Krankenhaus München-Schwabing werden als Ergebnis einer Mitarbeiterbefragung z.B. regelmäßige Schulungen und Workshops für Führungskräfte aller Ebenen durchgeführt, um die Führungskompetenz zu verbessern. Ebenso werden dort bereits Anforderungsprofile zur Personalauswahl und -entwicklung für Stationsleitungen und Oberärzte entwickelt, die von den Leitsätzen der Klinik ausgehen.

Auch die fachliche Personalentwicklung ist neu zu orientieren und auf individuelle und unternehmerische Ziele auszurichten. Dies sollte, wie in der Urologischen Klinik des Klinikum Kassel angedacht, bereits in der Weiterbildung beginnen und eine strukturierte Qualifizierung unter Festlegung jährlicher Ziele mit Evaluation und Feedback sowie einer anschließenden speziellen operativen Vertiefung des Facharztwissens nach dem Muster angloamerikanischer Ausbildungskonzepte beinhalten.

Vor diesem Hintergrund wird es mehr denn je notwendig, gute und langjährig ausgebildete Mitarbeiter auch bei Veränderungswünschen zu unterstützen und z.B. Freiräume für Fortbildungen (z.B. ökonomische Fortbildungen zum MBA) zu gewähren oder flexible Teilzeitmodelle in der Familienphase anzubieten.

Alles in allem geht es für die Krankenhäuser und die einzelnen Fachgebiete darum, künftig mit ihren wertvollsten Ressourcen - den Mitarbeitern - professioneller umzugehen, statt diese nur zu "verwalten". Ein Kraftakt - zu dessen Bewältigung angesichts der bestehenden Krankenhausrealität ein systematisches Personalmarketing- und -entwicklungskonzept einen entscheidender Baustein darstellt.

Die Arbeit ist Ergebnis eines Projektes in Human Resource Management MBA Gesundheitsmanagement.

Dr. med. Andreas Fiehn, Prof. Dr. Heike Schinnenburg , Osnabrück