Aktuelle Urol 2004; 35(5): 367-369
DOI: 10.1055/s-2004-834361
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Testikuläre Mikrolithiasis und Hodenkarzinome - Bilaterale Kalzifikationen gehen mit erhöhtem CIS-Risiko einher

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Publication Date:
22 September 2004 (online)

 
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Das sonographische Bild einer bilateralen testikulären Mikrolithiasis ist bei subfertilen Männern ein Hinweis auf eine erhöhtes Risiko für Carcinomata in situ (CIS) - die nichtinvasive Vorstufe eines Keimbahnkarzinoms. Bei unilateralem Befund hat eine holländische Andrologengruppe keine derartige Assoziation gefunden (J Urol 2004; 171:158-160).

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Nichtseminomatöser Hodentumor (Bild: Praxis der Urologie, Thieme, 2003).

Während bei Männern mit invasiven Keimzelltumoren in einem hohen Prozentsatz das sonographische Bild einer testikulären Mikrolithiasis beschrieben ist, fehlen bisher Untersuchungen zur Prävalenz im Zusammenhang mit CIS. Eine Arbeitsgruppe aus Rotterdam hat deshalb in einer retrospektiven Studie die Daten von 263 Patienten aus der Kinderwunsch-Sprechstunde mit der Diagnose schwerwiegende Oligozoospemie und Azoospermie analysiert. In 53 Fällen (20%) fanden sich im Ultraschall die charakteristischen, 2 bis 3 Millimeter großen Kalzifikationen im Lumen der Tubuli seminiferi, wobei pro Gesichtsfeld mindestens 5 echoreiche Foci zu sehen sein mussten. In allen Fällen war eine bilaterale Hodenbiopsie durchgeführt worden, um die Ursache der Unfruchtbarkeit - (sub)totale Obstruktion oder aber Spermiogenese-Störungen - abzuklären.

Von den 53 Fällen mit Mikrolithiasis wiesen 23 eine unilaterale, 30 eine bilaterale Pathologie auf. Histologisch war bei keinem der Männer mit unilateralem Bild ein prämalignes Bild zu verifizieren. Bei den bilateralen dagegen wurden die Pathologen in 6 von 30 Fällen (20%) "fündig" und konnten CIS nachweisen.

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Fazit

Damit scheint die Prävalenz sehr viel höher (40fach) als bei Subfertilitäts-Patienten ohne den charakteristischen "Sternenhimmel" im Ultraschall - und das Risiko für Vorläufer eines invasiven Hodenkarzinoms höher. Der routinemäßige Ultraschall bei Patienten in der Kinderwunsch-Sprechstunde dürfte damit eine geeignete Methode sein, um Männer mit einem erhöhten Risiko für Seminome und Nichtseminome früh zu erkennen, herauszufiltern und entsprechende Kontrollen zu veranlassen.

Renate Leinmüller, Wiesbaden

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Erster Kommentar zur Studie

Die Autoren der vorliegenden Studie untersuchten die Fragestellung, ob subfertile Männer mit testikulärer Mikrolithiasis ein erhöhtes Risiko für eine testikuläre intraepitheliale Neoplasie (TIN) haben. Mit einer Prävalenz zwischen 0,6 und 9% ist die sonographisch diagnostizierte testikuläre Mikrolithiasis kein seltener Befund der täglichen urologischen Praxis. In der Literatur belegt, ist die 3- bis 21fach erhöhte Prävalenz eines simultanen, invasiven Hodentumors bei Patienten mit testikulärer Mikrolithiasis, verglichen mit Patienten ohne diesen sonographischen Befund. Dabei stellt die sonographische Detektion eines simultanen Hodentumors für Urologen kein besonderes Problem dar.

Entscheidend ist jedoch die Frage nach dem Nachsorgeintervall und der Intensität der Nachsorge (Sonographie oder Biopsie) bei alleiniger testikulärer Mikrolithiasis, da diese mit einer sonographisch nicht diagnostizierbaren TIN assoziiert sein kann. 50% aller Patienten mit einer TIN entwicklen in 5 Jahren einen invasiven Hodentumor. Bei Fehlen anderer Risikofaktoren für einen Hodentumor scheint die testikuläre Mikrolithiasis kein erhöhtes Karzinomrisiko anzuzeigen. Bisher sind in der Literatur nur 3 Fälle mit testikulärer Mikrolithiasis ohne anderen Risikofaktor für einen Hodentumor beschrieben, bei denen im Follow-up ein Hodentumor aufgetreten ist.

Es gilt also Subgruppen von Patienten mit testikulärer Mikrolithiasis zu identifizieren, bei denen eine engmaschigere oder intensivere Nachsorge gerechtfertigt ist. Eine bekannte Risikogruppe für das Auftreten eines invasiven Hodentumors sind infertile Patienten. Bei sorgfältiger Untersuchung wird bei einem von 200 bis 250 infertilen Patienten ein Hodentumor gefunden. Steigt das Risiko für eine TIN bei simultaner testikulärer Mikrolithiasis? Ist in diesen Fällen eine Hodenbiopsie gerechtfertigt?

Die Autoren führten bei 53 subfertilen Patienten mit testikulärer Mikrolithiasis (23 mit unilateraler TM, 30 mit bilateraler TM) eine beidseitige Hodenbiospie durch. Eine TIN wurde nur bei Patienten mit bilateraler testikulärer Mikrolithiasis gefunden (6/30), bei keinem Patienten mit unilateraler Mikrolithiaisis (0/23) konnte in der Biospie eine TIN nachgewiesen werden. Nur bei einem von 263 biopsierten Patienten ohne testikuläre Mikrolithiasis wurde eine TIN gefunden.

Diese Ergebnisse stimmen mit denen der Arbeitsgruppe von v. Eckardstein überein, die TIN-Zellen nur in den Hoden von 2 subfertilen Patienten mit testikulärer Mikrolithiasis gefunden hat, während bei keinem Patienten ohne testikuläre Mikrolithiasis eine TIN gefunden wurde. Neu an der Untersuchung von de Gouveia ist die Tatsache, dass nur bei bilateralem Auftreten einer testikulären Mikrolithiasis das TIN-Risiko deutlich erhöht ist.

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Hodentumoren: li. oben: Seminom, re. oben: Embyronales Hodenkarzinom, li. unten: Chorionkarzinom, re. unten: Teratokarzinom (Bild: Urologie, Thieme, 2002).

Allerdings wurden die TIN-positiven Biopsien bei 4 der 6 Patienten von de Gouveia und bei beiden Patienten in der Studie von v. Eckardstein in atrophen Hoden gefunden, was per se Anlass für eine engmaschigere sonographische Kontrolle der Hoden geben sollte. Bis zu 46% der Patienten mit Hodenatrophie haben eine TIN. Es bleibt damit unklar, ob die testikuläre Mikrolithiasis alleine als Risikofaktor für ein engmaschigeres Follow-up herangezogen werden kann.

Die sonographische Untersuchung der Hoden bei infertilen Patienten im Rahmen der Infertiltätsabklärung ist alleine aufgrund der erhöhten Hodentumorinzidenz indiziert. Die entscheidende Frage nach dem Nachsorgeintervall bleibt aufgrund der vorliegenden Daten weiter unbeantwortet. Zieht man in Betracht, dass die Heilungsaussichten in den frühen Hodentumorstadien deutlich besser sind als in den fortgeschrittenen, so scheint eine engmaschigere sonographische Kontrolle zumindest bei infertilen Patienten mit atrophen Hoden und testikulärer Mikrolithiasis angebracht. Allerdings lässt die geringe Fallzahl nur schwer den Umkehrschluss zu, bei Fehlen eines dieser Risikofaktoren auf eine sonographisches Follow-up zu verzichten.

Es bleibt damit unklar, ob die testikuläre Mikrolithiasis alleine als Risikofaktor für ein engmaschigeres Follow up herangezogen werden kann.

Bleibt die Frage, ob bei diesen Patienten eine Hodenbiospie durchgeführt werden sollte. Gerade in Anbetracht der guten Therapierbarkeit invasiver Hodentumoren ist eine Hodenbiopsie außerhalb der Infertilätsabklärung zumindest fraglich. Klar ist jedoch, dass alle Biopsien, die im Rahmen der Infertiltätsabklärung entnommen werden, zwingend auf eine TIN untersucht werden müssen.

Zusammenfassend scheint das Vorliegen einer bilateralen testikulären Mikrolithiasis einen Hinweis auf eine erhöhtes Risiko für eine TIN bei subfertilen Patienten zu geben. In welchen Abständen diese Patienten nachuntersucht werden sollen, oder ob hier eine Biopsie angebracht ist, muss in größeren, prospektiven Studien geklärt werden.

Dr. Hans U. Schmelz, Ulm

Literatur beim Autor

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Zweiter Kommentar

Die testikuläre Mikrolithiasis (TM) kennt jeder Urologe als Zufallsbefund bei der skrotalen Sonographie. Sie tritt ihm als "Sternenhimmelphänomen", "Pfeffer- Salz-Muster" oder als "Schneegestöber" entgegen. Bei den Verkalkungen handelt es sich um Abschnürungen aus der Tubuluswand, die sich in Richtung der Tubuluslichtung (seltener in das Interstitium) verschieben. Ein Zusammenhang zwischen diesen Mikrokalzifikationen und einem Hodentumor wurde erstmalig 1961 beschrieben und in der Folgezeit wiederholt kasuistisch unterlegt.

Bei den von Brazao et al. retrospektiv erfassten Patienten mit Subfertilität und bilateraler TM war die testikuläre intraepitheliale Neoplasie (TIN) (gleichbedeutend mit Carcinoma in situ = CIS) häufiger als in normalen Hoden. 1996 wurde über 36 Fälle von TM berichtet, von denen 14 mit einem Hodentumor einhergingen. Anlass zu diesem Review war aber ein Patient mit bilateraler TM ohne Tumormanifestation und ohne bioptischen Nachweis einer TIN. Kürzlich erschien ein Bericht über eine bilaterale TM mit Entnahme von zwei Biopsien aus jedem Hoden; siehe da: in einer Probe aus dem rechten Hoden fand sich eine TIN.

Der sonographierende Urologe stellt sich zwei Fragen, wenn er das durch Mikroverkalkung verursachte Phänomen im Schallbild aufleuchten sieht:

1. Wie muss ich diese Veränderungen einschätzen?

2. Welche Konsequenzen muss der Betroffene ziehen?

In einem Allgemeinkrankenhaus in England ergab die nachträgliche Auswertung der Hodensonogramme von 2215 Männern mit testikulärer Problematik einen Hodentumor bei 5/34 mit TM (15%), aber nur bei 26/2181 (1,2%) mit fehlender TM (5). Obwohl die Prävalenz der TM nur 1,4% und der Anteil der Tumoren nur 0,2% betrug, geben die Autoren die Empfehlung, Männer mit TM halbjährlich klinisch und sonographisch zu kontrollieren. Eine weiter gehende Diagnostik wie Markerbestimmungen, Computertomographie des Beckens und Abdomens sowie eine Hodenbiopsie erscheint ihnen nicht vertretbar.

Bei einer prospektiven Screeninguntersuchung an 1504 gesunden Männern eines USA-Reserveoffiziercorps im Alter von 18-35 Jahren betrug die TM-Prävalenz 5,6%. Sie war nicht höher als in retrospektiven Studien über subfertile Männer und andere mit diversen krankhaften Veränderungen des Hodens. Gäbe es einen Zusammenhang zwischen TM und Hodentumor, müsste eine höhere TM-Prävalenz in Risikogruppen zu erwarten sein. Die geringe Zahl von Hodentumoren (50-11 auf 100 000) und die hohe Prävalenz von TM (5 auf 100) spricht augenscheinlich gegen einen kausalen Zusammenhang. Bei Afro-Amerikanern sind diese Zahlenverhältnisse noch deutlicher: 14,1% TM und nur 0,5% "life-time-risk" eines Amerikaners für Hodenkrebs; bei Afro-Amerikanern vermutlich weitaus niedriger. Schließlich müsste die TM-Prävalenz bei Patienten mit Hodentumoren höher sein als in der gesunden Bevölkerung, was - zumindest in der Peterson-Serie - nicht der Fall ist. Die Häufigkeit des bilateralen Befalls (57% bei Brazao et al. 2004 und 67% bei Peterson et al. 2001) sowie die diffuse Verteilung der TM lassen sich kaum mit der einseitigen herdförmigen Tumormanifestation vereinbaren. Dass Hodentumoren bzw. eine TIN nur bei doppelseitiger TM entstehen, spricht für einen übergeordneten (dysgenetischen) Schaden. In Kenntnis dieser Zahlen wird man die Berichte über Hodentumoren bei TM als "anektotisch" bewerten müssen.

Natürlich ergäbe sich hier das Feld wissenschaftlicher Betätigung, zumal auch in der Literatur das Fehlen prospektiver Biopsien bei Männern mit bilateraler TM bedauert wird. Um eine ausreichende Sensitivität der Biopsie zu erreichen, müssten mindestens zwei Proben an verschiedenen Stellen des Hodens entnommen werden. Angesichts knapper Ressourcen und dringlicherer Probleme erscheint mir die systematische Klärung der TIN-Prävalenz bei Mikrolithiasis jedoch als eine verzichtbare Befriedigung akademischer Neugier. Wird also eine TM zufällig entdeckt, so ergeben sich keine Konsequenzen hinsichtlich einer weiteren diagnostischen Abklärung. Allenfalls könnte man Betroffenen zu einer sorgfältigen Eigenbeobachtung raten. Eine Biopsie kommt aber dann in Betracht, wenn bei bilateraler TM gleichzeitig weitere klinische Risikomerkmale vorliegen, wie etwa Infertilität, Maldeszensus, Atrophie oder kontralateral ein Hodentumor bekannt ist. Allerdings gibt es in der Literatur eine Arbeit, die eine strenge Korrelation zwischen der Häufigkeit der TM und der Präsenz von Hodentumoren herstellt und daraus weitergehende Konsequenzen zieht.

Prof. Lothar Weißbach, Fürth

 
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Nichtseminomatöser Hodentumor (Bild: Praxis der Urologie, Thieme, 2003).

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Hodentumoren: li. oben: Seminom, re. oben: Embyronales Hodenkarzinom, li. unten: Chorionkarzinom, re. unten: Teratokarzinom (Bild: Urologie, Thieme, 2002).