Pneumologie 2004; 58(10): 703-704
DOI: 10.1055/s-2004-835133
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Respiratorische Erkrankungen im Kindesalter - Ein Drittel der Verordnugen "off-label"

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Publication Date:
04 October 2004 (online)

 
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Viele Medikamente sind nicht für die Anwendung bei Kindern zugelassen oder stehen nicht in einer für Kinder geeigneten Form zur Verfügung. Dadurch sind dem Ziel der evidenzbasierten Therapie im Bereich der Pädiatrie enge Grenzen gesetzt. Ein niederländisches Forscherteam um G. W. ‘t Jong untersuchte, wie oft bei Kindern mit respiratorischen Erkrankungen Medikamente eingesetzt werden, die für Alter, Indikation oder Dosierung nicht zugelassenen sind (Eur Respir J 2004; 23: 310-313).

Dazu wurde eine Zufallsstichprobe von mehr als 13 000 niederländischen Kindern ausgewählt, die im Laufe eines Jahres Kontakt zu einem Allgemeinarzt hatten. Aus einer Datenbank des IPCI-Projektes (Integrated Primary Care Information), einer longitudinalen Beobachtungsstudie zur allgemeinärztlichen Behandlung in den Niederlanden, wurden alle Verschreibungen einschließlich Dosierungen und Indikationen entnommen und kategorisiert. Dabei zeigte sich, dass 63% aller Verordnungen respiratorischer Medikamente entsprechend der Zulassung erfolgten. Die übrigen 37% betrafen Medikamente, die entweder für die Anwendung bei Kindern nicht zugelassen waren oder die in Abweichung von der bestehenden Zulassung ("off-label") verordnet wurden.

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Vor allem Kindern zwischen 0 und 2 Jahren werden Medikamente außerhalb des zugelassenen Indikationsbereichs oder entgegen der Zulassung verordnet (Bild: Archiv).

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Häufiger "off-label use" bei Antiasthmatika...

Am häufigsten wurden Abweichungen hinsichtlich Alter des Kindes, Dosierung und Zubereitung des Medikamentes beobachtet. Eine Anwendung trotz fehlender Zulassung war bei Medikamenten zur nasalen Anwendung (im wesentlichen Sympathomimetika, Kortikosteroide und Antiallergika) und bei systemischen Antihistaminika am häufigsten. Der Grund hierfür war meist eine kindgerechte Änderung der Zubereitung durch die Apotheke. Ein "Off-label use" erfolgte häufig bei Antiasthmatika und Medikamenten gegen Husten und Erkältungen. Abweichungen von der Zulassung wurden hier meist hinsichtlich Dosis, Indikation und Alter oder Gewicht des Kindes beobachtet.

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... und bei Kindern bis 2 Jahren

Die Anzahl von Verordnungen außerhalb des zugelassenen Indikationsbereichs oder entgegen der Zulassung war in der Altersgruppe 0 bis 2 Jahre am höchsten. Nach Ansicht der Autoren bedeuten die Ergebnisse der Studie jedoch nicht, dass ein hoher Prozentsatz der Kinder mit respiratorischen Erkrankungen falsch behandelt wird. Vielmehr besteht ein Mangel an Medikamenten, die für die Anwendung bei Kindern zugelassen sind und in geeigneten Dosierungen zur Verfügung stehen. Insbesondere bei kleinen Kindern besteht das Problem einer exakten Dosierung, das vor allem bei inhalativen Antiasthmatika deutlich wird: Um weder unter- noch überzudosieren, sind hier ein erheblicher technischer Aufwand und eine sorgfältige Schulung der Eltern erforderlich. Ein möglicher Grund für die Diskrepanz zwischen Zulassung und praktischer Anwendung kann bei manchen Medikamenten auch in den Empfehlungen der Fachgesellschaften liegen, die im Einzelfall von der Zulassung abweichen können.

Um die pharmazeutische Industrie zu motivieren, mehr Medikamente für pädiatrische Indikationen zuzulassen, hatte die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) die Idee, finanzielle Anreize zu schaffen. So wurde eine Verlängerung des Patentschutzes um 6 zusätzliche Monate zugesichert, wenn die Zulassung sich auch auf die Anwendung bei Kindern bezog. Resultat: Statt wichtige respiratorische Medikamente wie Sympathomimetika oder Kortikosteroide für die Anwendung bei Kindern zuzulassen, stellten die Firmen Anträge für kardiovaskuläre Medikamente und andere Präparate, die häufig bei Erwachsenen, bei Kindern aber so gut wie nie zum Einsatz kommen - und bei denen ein um 6 Monate verlängerter Patentschutz äußerst lukrativ ist.

Wenn Kinder mit Medikamenten behandelt werden, die nicht für sie zugelassen sind, bedeutet dies meist keinen Kunstfehler. Es zeigt, wie klein die Auswahl an passenden Medikamenten ist. Um die Behandlungssicherheit zu erhöhen, sollte gerade bei Präparaten, die schon länger auf dem Markt sind, die Anwendung bei Kindern systematisch untersucht werden.

Wenn Kinder mit Medikamenten behandelt werden, die nicht für sie zugelassen sind, bedeutet dies meist keinen Kunstfehler. Es zeigt, wie klein die Auswahl an passenden Medikamenten ist. Um die Behandlungssicherheit zu erhöhen, sollte gerade bei Präparaten, die schon länger auf dem Markt sind, die Anwendung bei Kindern systematisch untersucht werden.

Martin Priwitzer, Stuttgart