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DOI: 10.1055/s-2004-835148
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Adipositas - gleiches Wundheilungsrisiko in der primären Knie- und Hüftendoprothetik?
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
12. Oktober 2004 (online)
- Adipositas als Risikofaktor
- Fallorientiertes Riskmanagement beim Entgeltsystem nach DRG
- Body-Mass-Index und Wundheilung
- Häufigere und schwerere Infekte bei Adipösen
- Höheres BMI und längere Operationszeiten
- Nekrosen durch Hakendruck
- Schlussfolgerungen
Adipositas als Risikofaktor
Adipositas gilt in den modernen Industrieländern der westlichen Welt als eine Volkskrankheit. Das Statistische Bundesamt veröffentlichte eine im Mai 2003 durchgeführte Studie, nach der in Deutschland rund 49% der erwachsenen Bevölkerung ab 18 Jahren an Übergewicht leiden. Basis der Aussage war der BMI (Body-Mass-Index). Personen mit einem BMI über 25 galten demnach als übergewichtig, mit einem BMI >30 als stark übergewichtig. Demzufolge hatten 13% der Normalbevölkerung starkes Übergewicht. In allen Altersgruppen waren Männer häufiger übergewichtig als Frauen (58% : 41%).
Durch die Adipositas wird die Entstehung zahlreicher Krankheiten wie Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und auch die Arthrose großer Gelenke begünstigt. Der Anteil der adipösen Patienten in der Hüft- und Knieendoprothetik ist größer als ihr Anteil in der Normalbevölkerung.
#Fallorientiertes Riskmanagement beim Entgeltsystem nach DRG
In der Literatur wird der Einfluss der Adipositas auf perioperative Komplikationen (Wundinfektionen, tiefe Beinvenenthrombosen, Blutverlust) teilweise kontrovers diskutiert. Es überwiegen jedoch Angaben, die ein erhöhtes Komplikationsrisiko bei übergewichtigen Patienten bestätigen. Eine risikoorientierte präoperative Diagnostik und Konditionierung des Patienten bei geplanten elektiven Eingriffen und abgestimmte perioperative Maßnahmen können zur Risikominimierung in Fällen ausgeprägter Adipositas beitragen. In jedem Fall sollte der Patient im Aufklärungsgespräch über sein individuelles Risiko informiert werden. Das künftige pauschale Entgeltsystem im deutschen Gesundheitswesen nach DRG (Diagnoses Related Groups) erfordert insbesondere unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten ein fallorientiertes Riskmanagement, um drohende Mehrkosten zu kalkulieren.
Geht Übergewicht aufgrund von Fettleibigkeit mit einem erhöhten perioperativen Wundheilungsrisiko in der Hüft- und Knieendoprothetik einher? Gibt es besonders bedrohte Personengruppen und wie kann Einfluss genommen werden?
#Body-Mass-Index und Wundheilung
In einer Studie beobachteten wir 553 Patienten, die an der Orthopädischen Universitätsklinik Halle mit einer primären Knie- (294) bzw. Hüftendoprothese (259) versorgt wurden. Von Interesse war die postoperative Wundheilung. Die Patienten wurden in Abhängigkeit vom Body-Mass-Index nach Garrow und Webster verschiedenen Gruppen zugeordnet:
Geht Übergewicht aufgrund von Fettleibigkeit mit einem erhöhten perioperativen Wundheilungsrisiko in der Hüft- und Knieendoprothetik einher? Gibt es besonders bedrohte Personengruppen und wie kann Einfluss genommen werden?
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Patienten mit Normalgewicht: BMI <25
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Patienten mit leichter Adipositas: BMI 25 bis <29,9
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Patienten mit mittlerer Adipositas: BMI 30 bis <39,9
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Patienten mit schwerer Adipositas: BMI >40).
Zusätzlich wurden relevante Nebenerkrankungen erfasst: Diabetes mellitus, manifeste Herz-Kreislauf-Erkrankung (Arteriosklerose, Hypertonie), Varikosis der Beine, medikamentös behandelte rheumatische Erkrankung und Gerinnungsstörungen. Weiterhin wurden die Operationszeit, die Wundlänge und das verwendete Nahtmaterial (Klammern/Fäden) berücksichtigt.
Das durchschnittliche Patientenalter lag bei 65,6 Jahren (21,5-88,7), wobei der Altersdurchschnitt in der HTEP-Gruppe etwas niedriger war. Der operative Zugang zum Hüftgelenk war stets anterolateral (Bauer oder Watson-Jones). Zum Kniegelenk wurde ein anteriorer gerader oder Midvastuszugang gewählt.
Zur Beurteilung des Wundheilungsverlaufes wurde eine primäre, reizlose Wundheilung von einer sekundären, gestörten Wundheilung unterschieden. Diese Defektheilung wurde in leichte (Umgebungsrötung, subkutane Fettgewebsnekrose, kleine Hautnekrose), mittlere (Hautnekrose über 1/3 der Wundlänge) und schwere (großflächige Nekrosebildung, tief reichende und massive Entzündung) Wundheilungsstörung eingeteilt. Des Weiteren wurden alle Revisionseingriffe erfasst.
#Häufigere und schwerere Infekte bei Adipösen
Der Einteilung nach Garrow und Webster zufolge hatten 74 Patienten (28,6%) aus der HTEP-Gruppe und 49 Patienten (16,7%) aus der KTEP-Gruppe Normalgewicht. Eine leichte Adipositas wiesen 116 Patienten (44,8%) bzw. 128 Patienten (43,5%), ein mittleres Übergewicht 60 Patienten (23,2%) bzw. 109 Patienten (37,1%) und eine schwere Adipositas 9 (3,5%) bzw. 8 Patienten (2,7%) der Hüft- bzw. Knieendoprothesengruppe auf.
Die durchschnittliche Operations-dauer verlängerte sich mit steigendem BMI kontinuierlich. So betrug die mittlere Dauer aller Patienten, die mit einer Hüftprothese versorgt wurden 89 Minuten und verlängerte sich von 84,1 Minuten in der Gruppe 1 (BMI <25) auf 103,7 Minuten in der Gruppe 4 (BMI >40). Ein ähnliches Bild zeigte sich in der KTEP-Gruppe mit einer mittleren OP-Dauer aller Patienten von 90,5 Minuten und einer Steigerung von 83,3 Minuten (Gruppe 1) auf knapp 105 Minuten (Gruppe 4).
Auch die durchschnittliche Wundlänge vergrößerte sich mit steigendem Body-Mass-Index bei der Hüftprothesengruppe von durchschnittlich 19,4 cm (Gruppe 1: 17,7 cm , Gruppe 4: 25,9 cm), bei der Knieprothesengruppe - bei der stets am flektierten Bein gemessen wurde - von mittleren 23 cm (Gruppe 1: 21,1 cm , Gruppe 4: 28 cm).
Der Wundverschluss erfolgte in der Hüftendoprothetik bei mehr als 82% der Patienten mit Klammern, in knapp 11% ausschließlich bei nachgewiesener oder unsicherer Metallallergie ausschließlich mit Fäden und in knapp 7% ausschließlich bei Patienten mit hohem BMI mit Klammern und zusätzlichen Stütznähten. Bei der Knieprothetik kamen beinahe ausschließlich Klammern zur Anwendung, lediglich bei 14 Patienten (< 5%) mit nachgewiesener Metallallergie wurden Fäden benutzt. Die Art des verwendeten Nahtmaterials ließ keinen signifikanten Rückschluss auf den Wundheilungsverlauf erkennen.
Sowohl die Häufigkeit, besonders aber die Schwere von Wundheilungsstörungen wurden mit steigendem Body-Mass-Index in beiden Prothesengruppen, deutlich ausgeprägter jedoch in der Hüftendoprothetik, nachgewiesen. Weniger längerstreckige Wundrandnekrosen als vielmehr revisionspflichtige fortdauernde Sekretionen und tiefe Infekte stiegen in der Gruppe der Patienten mit schwerer Adipositas nach Hüft-TEP-Versorgung sprunghaft an. Innerhalb der Gruppe 3 (BMI 30 bis <40) waren Wundheilungsstörungen im oberen Teil der Gruppe wesentlich häufiger im Vergleich zum Gruppendurchschnitt. In der Knieendoprothetik zeichnete sich ein ähnlicher, allerdings abgeschwächter Trend ab, der auf ein Wundheilungsrisiko schließen lässt. Hier fanden sich hauptsächlich Wundrandnekrosen und subkutane Fettgewebsnekrosen. Ein höheres Risiko tief reichender Frühinfekte konnte bei Patienten mit mittlerer und schwerer Adipositas im Vergleich zum gesamten Patientenkollektiv nicht nachgewiesen werden.
#Höheres BMI und längere Operationszeiten
Gemessen an der erwachsenen Normalbevölkerung mit 49% Anteil an fettleibigen Personen stellt das beobachtete Patientenkollektiv eine Konzentration an Übergewichtigen dar. Die Patientenverteilung in beiden Gruppen bestätigt generell die These, dass Übergewicht die Entstehung einer Arthrose im Hüft- und Kniegelenk fördert. Besonders die Entstehung einer Gonarthrose scheint durch eine Adipositas gefördert zu werden. Der sich in Deutschland seit Jahren andeutende Trend einer überdurchschnittlichen Zunahme der prothetischen Versorgung arthrotischer Kniegelenke bei nur relativ schwachem Anstieg in der Hüftprothetik wird sich wohl auch künftig fortsetzen oder gar verstärken, wenn die Gesundheitspolitik und das persönliche Gesundheitsverständnis der Bevölkerung bei der Reduzierung der Adipositas-Inzidenz erfolglos bleibt.
Eine Korrelation zwischen BMI und Operationsdauer konnte auch in jüngst veröffentlichten retrospektiven Studien nachgewiesen werden. Seit Lister wird als Hauptursache für einen Wundinfekt eine Bakterieneinschleppung in die Wunde gesehen. Je länger eine Operation dauert, desto höher ist auch das Risiko einer Wundkontamination, was in mehreren Studien nachgewiesen wurde. Daneben führen auch bei längerer OP-Dauer eintrocknende Wundränder zu einer gestörten Wundheilung. Werden in dieser Situation am Ende des chirurgischen Eingriffs die Ränder nachreseziert, kann oft ein idealer scharfer Wundrand nicht mehr erreicht werden, wodurch die Wundheilung ebenfalls beeinträchtigt wird. Die Nekrosebildung wird begünstigt.
#Nekrosen durch Hakendruck
Besonders Hakendruck und -zug am Weichgewebe führt bereits nach Minuten zu lokaler Minderperfusion und Nekrosebildung. Zwar konnte auch bei dem untersuchten Patientenkollektiv eine direkte Korrelation zwischen Wundlänge und Adipositas nachgewiesen werden, jedoch ist der Hakeneinfluss auf die Wundränder besonders bei starker Adipositas jedem Chirurgen bekannt.
Tatsächlich war die durchschnittliche Wundlänge in der Gruppe 3 (BMI 30 bis <40) gegenüber der normalgewichtigen Gruppe 1 lediglich um 20% (Hüft-TEP) bzw. 13% (Knie-TEP) vergrößert. Eine Beeinträchtigung der Wundheilung infolge der eingesetzten Haken kann angenommen werden. Massive subkutane Fettschichten, wie sie bei schwerer Adipositas die Regel sind, werden durch eingesetzte scharfe oder stumpfe Haken immer geschädigt, beim Einsatz von Hohmann-Hebeln ist meist ein erheblicher Kraftaufwand nötig, um die erhebliche Weichteilschicht auseinander zu drängen und in der Tiefe das Azetabulum zu erreichen. Die Situation wird auch durch deutlich längere Wunden in der Gruppe 4 widergespiegelt. In der Hüftendoprothetik ist diese Schicht noch deutlich stärker ausgeprägt. Hier gelingt es gelegentlich nicht, den gespaltenen Tractus iliotibialis korrekt, d.h. lückenlos und ohne Weichteilinterponat zu verschließen. Eine fortdauernde Wundsekretion, begünstigt durch subkutane Fettgewebsnekrosen, bildet dann in der postoperativen Phase die Eintrittspforte für Keime. Die Keime stammen oft aus Hautfalten, insbesondere inguinal bzw. aszendieren entlang liegender Drainagen. Auch aufgrund einer mangelhaften Analhygiene können gefürchtete Keime (E. coli, Enteroc. faecalis) in die Wunde gelangen. Diese Gefahr und die Tatsache, dass die Wunde bei rund 80% der aseptischen Eingriffe am Ende der Operation keimbeladen ist, stellt sich für Patienten mit ausgeprägter Adipositas besonders fatal dar. Hier bilden sich im Fettgewebe mangeldurchblutete Krypten, in denen sich Keime entwickeln und die auch von Antibiotika nicht erreicht werden.
In der Knieprothetik scheint für stark adipöse Patienten das Risiko einer tiefen Infektion weniger stark erhöht. Einerseits kann ein sicherer Verschluss der Kapsel in der Regel besser erreicht werden, andererseits ist die hygienische Situation in der Knieregion wesentlich günstiger als im Bereich der Hüfte. Hier spielen Wundrandnekrosen aufgrund hohen Hakendrucks und -zugs eine vordergründige Rolle.
#Schlussfolgerungen
Die Gefahr einer gestörten Wundheilung mit Nekrosebildung im Bereich der Wundränder bis hin zur tiefen Infektion stellt insbesondere für Patienten mit schwerer Adipositas in der Hüft- und Knieendoprothetik ein manifestes Risiko dar. Der Chirurg trägt mit zügiger und schonender Operationstechnik wesentlich zur Reduzierung des Risikos bei. Dabei sollte neben einem scharfen Hautschnitt auf eine zurückhaltende Koagulierung sowie einen bewussten Hakeneinsatz geachtet werden. Besonders in der Hüftendoprothetik besteht - abhängig vom operativen Zugang - eine Gefahr der sekundären aszendierenden Wundbesiedelung aus hygienischen Gründen.
Über das erhöhte Wundheilungsrisiko muss der Patient im Aufklärungsgespräch unterrichtet werden.
Dr. Stefan Klima
Klinik für Orthopädie und Physikalische Medizin der Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg