Der Klinikarzt 2004; 33(10): XIV
DOI: 10.1055/s-2004-835338
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ein Silberstreif am Horizont - Erste medikamentöse Therapieoption bei intrazerebraler Blutung

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Publication Date:
22 October 2004 (online)

 
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Mit einer 30-Tages-Mortalitätsrate von bis zu 50% sind intrazerebrale Blutungen nicht nur die tödlichste Form des Schlaganfalls, erklärte Prof. S. Davies, Melbourne (Australien). Sie verursachen auch die höchste Rate an Behinderungen, die sich von dem - häufig vollständigen - Verlust des Gehvermögens oder der Sprechfähigkeit bis hin zur Reduktion mentaler Fähigkeiten erstrecken. Nur 20% der Überlebenden können nach einem hämorrhagischen Insult wieder ein normales Leben führen.

Bislang steht keine effektive, direkte Behandlungsoption für diese spontane intrakranielle Blutung zur Verfügung. Diese Situation könnte sich nun grundlegend ändern: Über die Aktivierung der Gerinnungskaskade kann der rekombinante aktivierte Faktor VIIa (rFVIIa, NovoSeven®) das Ausmaß der Blutung minimieren, was wiederum mit besseren neurologischen und funktionellen Resultaten für die Patienten einhergeht, so das Ergebnis einer aktuellen Studie.

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Wichtigstes Ziel: Blutung schnell und sicher stoppen

Wichtigster prädiktiver Faktor bei intrazerebralen Blutungen ist die Größe des Hämatoms: Patienten mit kleineren Blutungsvolumina (< 30 ml) haben gute Chancen, sich wieder vollständig zu erholen. Größere Hämatome verursachen mit höherer Wahrscheinlichkeit permanente Schäden im Gehirn, die schwere und dauerhafte physische und geistige Behinderungen und in zahlreichen Fällen den Tod nach sich ziehen können, konstatierte Prof. S. Mayer, New York (USA).

Zudem sind intrazerebrale Blutungen ein dynamischer Prozess, erklärte Davis. Problematisch seien vor allem die fortdauernden Blutungen. Laut einer Studie von Brott et al (1997) vergrößern sich die intrazerebralen Hämatome bei 38% der Patienten um mindestens ein Drittel (26% innerhalb von einer Stunde, 12% in einem Zeitraum von 1-20 Stunden). Ob dieses Phänomen daher rührt, dass die Blutung nicht stoppt oder erneut auftritt, ist bislang nicht klar.

Oberstes Behandlungsziel im Falle einer spontanen Gehirnblutung muss also sein, die Blutung so schnell wie möglich zu stoppen bzw. die Größe des Hämatoms zu minimieren. Dass dies mit der frühzeitigen Applikation von rekombinantem aktivierten Faktor VIIa möglich ist, belegen die Ergebnisse der F7ICH-1371-Studie, die erstmals auf dem diesjährigen World Stroke Congress präsentiert wurden. In F7ICH-1371 erhielten insgesamt 400 Patienten entweder rFVIIa in drei verschiedenen Dosierungen (40, 80 oder 160 µg/kgKG) oder Plazebo. Bei allen Patienten war eine spontane intrazerebrale Blutung spätestens drei Stunden nach ihrem Einsetzen durch eine Computertomografie (CT) bestätigt worden, und bei allen wurde spätestens eine Stunde nach dem CT-Scan die Behandlung aufgenommen.

"Die wichtige Botschaft dieser Untersuchung ist, dass durch die Therapie mit rFVII die Blutungsvolumina - dosisabhängig - etwa halbiert werden konnten", erklärte Mayer. "Überraschend für mich war, dass sich zudem auch bestehende Schwellungen im Gehirn signifikant reduzierten. Das ist ein zusätzlicher Bonus!" Wichtig sei dies deshalb, weil ein essenzielles Behandlungsziel die Reduktion des Drucks im Gehirn sei.

Auch die Moralitätsrate konnte durch die Behandlung der Patienten mit dem rekombinanten Faktor VII verringert werden. Verstarben unter Plazebo 29% der Patienten, lag die Mortalitätsrate unter der Studienmedikation bei 18-19%, was einer relativen Reduktion von 35% entspricht. Zwar sind diese Daten - anders als die Ergebnisse zur Reduktion der Blutungsvolumina - nicht signifikant. "Ich denke aber, dass wir dieses Ergebnis in einer größeren Studie bestätigen können", prognostizierte Mayer, "und dann auch mit signifikanten Unterschieden."

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Was bedeutet dies für die Patienten?

Dass die Applikation von rFVIIa ein wichtiger Baustein bei der Behandlung spontaner intrazerebraler Blutungen sein könnte, belegte Mayer mit der häufig zitierten "number needed to treat": Laut den Studiendaten müsse man je nach Höhe der eingesetzten Dosierung nur fünf bis sieben Patienten behandeln, um einen Tod oder eine schwere Behinderung zu verhindern, erklärte der Neurologe. Nach der Therapie mit rFVIIa konnten im Vergleich zu Plazebo doppelt so viele Schlaganfallpatienten wieder ein (relativ) normales Leben führen, erholten sich also (praktisch) vollständig. "Nur noch" 45-50% der Patienten waren nach der Behandlung schwerstbehindert. "Das sind wirklich aufregende Neuigkeiten!"

Und die Nebenwirkungen der Therapie? Erwartungsgemäß stieg unter der Applikation von rFVIIa die Rate an schweren thromboembolischen Ereignissen geringfügig, jedoch nicht signifikant an. "Bei einem biologisch aktiven Agens wie rFVIIa war dies vorherzusehen", meinte Mayer. Dies müsse man sicherlich im Auge behalten, doch die positiven Effekte der Therapie überwiegen die potenziellen Risiken durch thromboembolische Ereignisse, meinten die Experten.

Trotz dieser viel versprechenden Studienergebnisse warnte Mayer vor zu großer Euphorie. Er sehe zwar einen Silberstreif am Horizont, forderte aber weitere Studien zur optimalen Dosierung (denn der Effekt der drei in F7ICH-1371 eingesetzten Dosierungen unterschied sich nur geringfügig), zur Sicherheit und vor allem bezüglich des möglichen Zeitfensters für die Therapie mit rekombiniertem aktivieren Faktor VIIa.

sts

Quelle: Satellitensymposium "The medical management of intrazerebral hemorrhage: role of non-invasive therapy" und Pressekonferenz "NovoSeven® - The first potential effective treatment for ICH" im Rahmen des 5th World Stroke Congress, Veranstalter: Novo Nordisk Pharmaceuticals Inc., New Jersey (USA)