Der Klinikarzt 2004; 33(10): XVI-XVII
DOI: 10.1055/s-2004-835340
Recht

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Immer mehr Patienten klagen Behandlungsfehler ein - Das Risiko der Beweislast im Arzthaftungsprozess

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Publikationsdatum:
22. Oktober 2004 (online)

 
Inhaltsübersicht

Jeder Arzt ist verpflichtet, dem Patienten die Behandlung zu gewähren, die zum Zeitpunkt der Therapie dem Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht. Dies ergibt sich zum einen aus dem beruflichen Grundverständnis, zum anderen aber auch aus der ärztlichen Berufsordnung. Kein Arzt ist aber davor gefeit, auch einmal einen Fehler zu machen.

Resultiert aus einer ärztlichen Behandlung einmal nicht das gewünschte Ergebnis, bedeutet dies aber nicht zwangsläufig, dass dem behandelnden Arzt ein Fehler unterlaufen ist. Auch aus der Sphäre des Patienten können eine Reihe von Ursachen für den Misserfolg einer Behandlung in Gang gesetzt werden. Unzufriedene Patienten versuchen allerdings immer häufiger, den behandelnden Arzt für den (vermeintlich) nicht geglückten Eingriff vor Gericht verantwortlich zu machen. Gegenstand solcher zivilrechtlicher Arzthaftungsprozesse sind Schadens- und Schmerzensgeldansprüche.

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Die Beweislast im Arzthaftungsprozess

Über den Erfolg oder Misserfolg einer solchen Schadensersatz- oder Schmerzensgeldklage entscheidet in der Praxis nicht nur, ob das Verhalten des Arztes überhaupt einen Behandlungsfehler darstellt oder ob der Arzt dadurch fahrlässig einen Gesundheitsschaden verursacht hat. Wichtiger ist, dass der Patient das Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen vor Gericht auch belegen kann. Bewiesen werden müssen nur solche Tatsachen, die der Arzt bestreitet. Ein Beispiel: Behauptet der Patient im Arzthaftungsprozess, dass sein Gesundheitsschaden durch den Behandlungsfehler des beklagten Arztes eingetreten sei und bestreitet der Arzt dies, muss der klagende Patient den so genannten Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden beweisen.

Hierbei gilt die Grundregel, dass grundsätzlich derjenige vor Gericht die Anspruchsvoraussetzungen beweisen muss, der klagt. Man sagt, "den Kläger trifft die Beweislast". Gelingt dies dem Kläger - also dem Patienten - nicht, muss das Gericht die Klage abweisen. Damit geht das Risiko, den geltend gemachten Anspruch nicht beweisen zu können, zu Lasten des Klägers (Patient). Anders ausgedrückt: Werden sämtliche Anspruchsvoraussetzungen vom Arzt bestritten, greift die Haftung des Arztes nur, wenn der Patient die Anspruchsvoraussetzungen zur vollen Überzeugung des Gerichts belegen kann.

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"Beweislastumkehr" bei grobem Behandlungsfehler

Die kontinuierlich zunehmenden medizinischen Möglichkeiten und die damit ansteigende Wahrscheinlichkeit medizinischer Fehlschläge haben dazu geführt, dass die Gerichte in der Vergangenheit mit zahlreichen Arzthaftungsprozessen beschäftigt waren. Sie mussten jedoch eine Vielzahl von Klagen abweisen, weil die Patienten den von ihnen zu beweisenden Zusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschädigung nicht nachweisen konnten.

Der Patient sei aber häufig gar nicht in der Lage, diesen Zusammenhang zu beweisen, meinten die Gerichte. Daher dürfe es nicht sein, dass geschädigte Patienten nur aus diesem Grund ihre Rechte nicht durchsetzen könnten. Wegen dieser Beweisnot gilt in Deutschland seit Jahren eine durch Richterrecht geschaffene Beweislastumkehr bezüglich des Ursachenzusammenhangs zwischen grobem Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden.

Dies hat der Bundesgerichtshof in einer aktuellen Entscheidung (BGH VI ZR 34/03, Urteil vom 27.04.2004) nun unmissverständlich klargestellt, nachdem ungeschickte Formulierungen in früheren Entscheidungen von den unteren Gerichten offensichtlich falsch interpretiert worden waren. Das Urteil ist daher keine weitere Verschärfung des Haftungsrisikos für Ärzte, wie es in einigen Medien zu lesen oder zu hören war.

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Was bedeutet "Beweislastumkehr"?

Die Beweislastumkehr führt im Falle des groben Behandlungsfehlers dazu, dass ausnahmsweise nicht der Patient den Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden zu beweisen hat. Vielmehr muss der Arzt belegen, dass ein solcher Zusammenhang gerade nicht besteht. Man könnte auch sagen, der Arzt muss sich von dem Vorwurf entlasten. Dies kann in ungünstigen Konstellationen dazu führen, dass der Arzt Schadensersatz oder Schmerzensgeld nur deshalb zahlen muss, weil ihm der Nachweis fehlender Kausalität nicht gelingt.

In dem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofs diagnostizierten die behandelnden Ärzte bei einer Patientin, die nach einem Motorradunfall ins Krankenhaus eingeliefert worden war, mehrere Brüche. Eine Beckenringfraktur, die nicht ordentlich ausheilte und der Patientin in der Folge eine Pseudarthrose und dauerhafte Schmerzen bescherte, übersahen sie jedoch. Nach Meinung eines Sachverständigen hätte sich bei korrekter Diagnose mit 90%iger Wahrscheinlichkeit am Heilungsverlauf nichts geändert. Gänzlich ausgeschlossen werden konnte dies aber nicht.

Der Bundesgerichtshof entschied, dass im vorliegenden Fall nicht die Patientin als Klägerin den Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und gesundheitlichen Folgeschäden zu beweisen hätte, sondern sich bei einem derart groben Behandlungsfehler die Ärzte entlasten müssten. Sie müssten nachweisen, dass im konkreten Fall zwischen der nicht erkannten Fraktur und den weitergehenden negativen Folgen kein Zusammenhang bestehe. Gelingt ihnen dies nicht, müssen sie Schmerzensgeld zahlen.

Besonders beachtlich ist hierbei vor allem, dass - obwohl laut Sachverständigengutachten mit 90%iger Wahrscheinlichkeit ein rechtzeitiges Erkennen der Fraktur am Heilungsverlauf nichts verändert hätte - dennoch eine Beweislastumkehr zu Lasten der Ärzte eintreten soll. Der Bundesgerichtshof stellte in dem vorgenannten Urteil hierzu noch einmal klar, dass eine Umkehr der Beweislast bereits stattfinde, wenn der grobe Behandlungsfehler nur geeignet ist, den Schaden zu verursachen. Nahe legen oder wahrscheinlich machen muss der Fehler den Schaden hingegen nicht.

Diese Grundsätze der Beweislastumkehr sollen nach Auffassung des Gerichts also in gleicher Weise für den Nachweis des Kausalzusammenhangs bei einem einfachen Befunderhebungsfehler gelten, wenn (wie im oben geschilderten Fall) zugleich auf einen groben Behandlungsfehler zu schließen ist, weil sich bei der unterlassenen Abklärung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion auf ihn als grob fehlerhaft darstellen würde.

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Grober Behandlungsfehler

Da diese Rechtsprechung den Ärzten, die von den Patienten in einen Arzthaftungsprozess gedrängt werden, mit der Beweislastumkehr eine besondere Pflicht aufbürdet, darf dies nur im Falle eines groben Behandlungsfehlers gelten. Ein grober Behandlungsfehler liegt nur vor, "wenn das Fehlverhalten des Arztes aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf und gegen eine elementare medizinische Behandlungsregel verstößt."

Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn dem Patienten das gesunde Bein statt des kranken amputiert wird. Handelt es sich um keinen groben Behandlungsfehler, bleibt es bei dem Grundsatz, dass der Patient alleAnspruchsvoraussetzungen selbst zu beweisen hat.

Die Einordnung, ob ein grober Behandlungsfehler vorliegt, muss das Gericht (und nicht der Sachverständige!) vornehmen. Grundlage für diese Entscheidung des Gerichts bildet in der Regel das Sachverständigengutachten. Seit 2002 findet sich im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 839 a BGB) eine Regelung, die den Sachverständigen dazu anhalten soll, das Gutachten mit der erforderlichen Sorgfalt zu erstellen. Erstattet er nämlich vorsätzlich oder fahrlässig ein unrichtiges Gutachten, kann er sich schadensersatzpflichtig machen.

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Ausnahmen

Die patientenfreundliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Beweislastumkehr gilt nicht ohne Ausnahme in jedem Fall, in dem Patienten wegen eines groben Behandlungsfehlers vor Gericht ziehen.

Keine Beweislastumkehr tritt ein, wenn

  • jeglicher haftungsbegründende Zusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist oder

  • sich das Risiko nicht verwirklicht hat, dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob erscheinen lässt oder

  • der Patient durch sein Verhalten eine selbstständige Komponente für den Heilungserfolg vereitelt und dadurch in gleicher Weise wie der grobe Behandlungsfehler des Arztes dazu beigetragen hat, dass der Verlauf des Behandlungsgeschehens nicht mehr aufgeklärt werden kann und

  • der Arzt das Vorliegen einer solchen Ausnahmekonstellation beweisen kann.

In diesen Fällen muss der Patient den Beweis führen.

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Fazit

Macht ein Patient einen Behandlungsfehler gerichtlich gegen einen Arzt geltend, muss er grundsätzlich alle Anspruchsvoraussetzungen vortragen und beweisen. Geht es jedoch um die Durchsetzung von Schadens- oder Schmerzensgeldansprüchen wegen eines groben Behandlungsfehlers, kommt es zu einer Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität von grobem Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden. Ein so in Anspruch genommener Arzt kann sich dem Risiko einer möglicherweise nicht erfolgreichen Beweisführung nicht entziehen. Er muss sich gegen den gegen ihn erhobenen Anspruch verteidigen, indem er zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweist, dass der Zusammenhang nicht besteht. Gelingt ihm die Entlastung nicht, wird er zur Zahlung verurteilt, wenn der Patient die übrigen Anspruchsvoraussetzungen beweisen kann.

Schwerpunkt eines jeden Prozesses wird nach dieser Entscheidung weiterhin die Frage bleiben, ob überhaupt ein grober Behandlungsfehler vorliegt. Diese Entscheidung wird vom Gericht in der Regel auf Grundlage eines Sachverständigengutachtens getroffen.

Ärzten kann nach dieser Rechtsprechung geraten werden, ihre Krankenbehandlung gut zu dokumentieren. Nur so kann vor Gericht ein Entlastungsbeweis erfolgreich geführt werden, da der Sachverständige anhand der Aktenlage entscheidet.

Dr. iur. Isabel Weizel, Rechtsanwältin,

Ehlers, Ehlers und Partner, München