psychoneuro 2004; 30(10): 540
DOI: 10.1055/s-2004-835726
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Psychische Erkrankungen - Genetik und Umwelt

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Publication Date:
05 November 2004 (online)

 
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Psychische Erkrankungen sind ein zunehmender Grund für Fehltage, Arbeitsunfähigkeit und Frühberentungen. So das Ergebnis einer Untersuchung der deutschen Rentenversicherungsträger, die Prof. Wolfgang Maier, Bonn, auf einem Presseworkshop vorstellte.

Depressionen liegen heute in den entwickelten Ländern bei den 15-44-Jährigen nach AIDS an zweiter Stelle der Erkrankungen, die mit den größten Verlusten an Lebensjahren verbinden sind, 20% der Bevölkerung werden irgendwann in ihrem Leben eine Form der Depression (mono oder bipolar) erleiden. Das Risiko für unipolare Depression ist im Vergleich zur Normalbevölkerung um den Faktor 9 größer bei Verwandten. Familiäre Belastungen sind mit einem etwa dreifach erhöhten Risiko verbunden, bei Schädeltraumen liegt der relative Risikofaktor fast bei zwei.

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Ergebnisse genetischer Untersuchungen

Genetische Faktoren sind bei der Entstehung von psychischen Erkrankungen in hohem Maß beteiligt. Fast alle Verhaltensmerkmale bzw. psychiatrischen Störungen sind nach Maier genetisch beeinflusst. Mittlerweile wurden bereits verschiedene Kandidatenregionen identifiziert, die z.B. mit depressiven Erkrankungen in Zusammenhang stehen, wie das Gen für den Serotonintransporter. Eine pathogene Sequenzvariante wurde aber noch nicht nachgewiesen, d.h. es ist noch unklar, welche Mutante zur Erkrankung führt. Eine neue Suche befasst sich jetzt mit Suszeptibitätsgenen. Mittels so genannter SNPs (Single Nucleotide Polymophismus)-Chips ist dies heute im industriellen Maßstab möglich. Möglicherweise können dann psychische Erkrankungen gezielter und optimierter behandelt werden. Auch das Ansprechen auf eine Behandlung, könnte dann eventuell besser vorausgesagt werden. Sicher ist aber bereits, dass nicht die Erkrankung vererbt wird, sondern nur eine bestimmte Neigung, die Krankheit zu entwickeln. An der Enstehung der Erkrankung spielen auch psychosoziale Faktoren, Temperament sowie frühkindliche Traumen eine wichtige Rolle.

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Interaktion zwischen psychosozialer und genetischer Belastung

Je höher die genetische Belastung, desto leichter führen ernste Lebensbelastungen zur Erkrankung. Junge Erwachsene, die als Kind misshandelt wurden, entwickeln beispielsweise häufiger eine depressive Störung, wenn sie einen bestimmtem Genotyps des Serotonintransportergens (5-HTT) aufweisen. Je früher sich das traumatische Erlebnis ereignet, desto langfristiger ist die Störung. Auch Stress ist mit der Entstehung depressiver Erkrankungen verknüpft, wobei Menschen je nach Anlage und Sozialisation unterschiedlich auf Stress reagieren. So normalisiert sich beispielsweise der Kortisolspiegel von Missbrauchsopfern oder auch depressiven Patienten nach induziertem Stress signifikant seltener als in gesunden Kontrollgruppen ohne Missbrauchserfahrung. Die neurotrophe Stoffwechselaktivität wird durch Stress negativ beeinträchtigt. Die Herunterregulation von BDNF ist mit der Reduktion des Hippokampus-Volumens oder der Störung der neuronalen Plastizität bei affektiven Störungen verbunden. Antidepressiva, z.B. das SSRI Escitalopram (Cipralex®), greifen direkt in den Wirkmechanismus von Stress ein, wirken also kausaler als wir bisher dachten, erklärte Maier.

KW

Presseworkshop "3. Lundbeck Dialog ZNS" am 4. September in Mainz, veranstaltet von Lundbeck