Aktuelle Urol 2004; 35(6): 443-448
DOI: 10.1055/s-2004-835728
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Urethra-Funktion - Beziehung zwischen Verschlussdruck und Inkontinenz

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Publication Date:
17 November 2004 (online)

 
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In einer Studie wurde die Relation zwischen dem maximalen Urethraverschlussdruck (MUVD) und dem Grad der urethralen Hypermobilität untersucht. Erik Schick u. Mitarb. von der Universität in Montreal, Kanada, kamen zu dem Schluss, dass der MUVD bei einer urethralen Hypermobilität signifikant abfällt (Neurourol. Urodyn. 2004; 23: 16-21).

Im zweiten Teil der Studie zur Funktion der weiblichen Urethra wurde die Beziehung zwischen dem MUVD in Ruhe und dem Grad der urethralen Inkompetenz untersucht. Dazu wurden 255 Frauen im Alter über 20 Jahren mit einer in der urodynamischen Untersuchung stabilen Blase und einer urethralen Inkompetenz Grad I-IV nach abdomineller Druckerhöhung durch Husten eingeschlossen. Sie hatten keine neurologischen Erkrankungen und keine Becken- oder Inkontinenzoperationen in der Vorgeschichte.

Das mittlere Alter der Frauen betrug 45,6 ± 12,7 Jahre, der mittlere maximale Urethaverschlussdruck (MUVD) 62,7 ± 28,5 cm H2O. Es bestand ein statistisch signifikanter Unterschied im MUVD, wenn die verschiedenen Grade der urethralen Inkompetenz miteinander verglichen wurden. Die höheren Grade waren mit einem niedrigeren MUVD verbunden.

Der Studie zufolge besteht eine hoch signifikante Beziehung zwischen dem maximalen Urethraverschlussdruck und zwischen allen Graden der urethralen Inkompetenz, führen die Autoren aus. Dies unterstütze die Beobachtungen, dass sich der MUVD verringert, wenn der abdominelle Druck, bei dem es zu einem Harnverlust kommt, niedrig ist. Dies könnte sekundär mit einem mechanischen Versagen bei der Druckübertragung von der Bauchhöhle zur Urethra zusammenhängen.

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Urtehradruckprofil der Frau (glockenförmig) und des Mannes (zweigipflig). Legenden: PUV = Urethraverschlussdruck, BB= Beckenboden, P= Prostata (Bild: Praxis der Urologie, Thieme, 2003).

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Fazit

In klinischen Studien sollten niemals kontinente mit inkontinenten Kohorten verglichen werden, ohne den abdominellen Druck mit einzubeziehen. Denn wenn das getan wird, werden funktionell heterogene Gruppen miteinander verglichen, schließen die Autoren.

Dr. Ralph Hausmann, Frankfurt

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Erster Kommentar

Die quantitative Bestimmung der Harnröhrenfunktion, wenn möglich auch noch in den unterschiedlichen Anteilen der Harnröhre, hat bekanntermaßen bis heute viele ungelöste Probleme. Zum einen ist es die Standardisierung der Messtechnik, zum anderen die Reproduktion der Messergebnisse. Meistens wird unverändert der Urinabgang visuell erfasst und dann per Hand ein Marker in eine Druckkurve eingegeben. Ziel ist es, den Blasendruck zu bestimmen, bei dem gerade noch ein Urinabgang feststellbar ist.

Im Unterschied zur Bestimmung des Leak Point Pressure versucht diese Studie die Harnröhrenfunktion über die Länge der Harnröhre, abgeleitet von einem Ruhe- und einem aufgepfropften Stressprofil zu bestimmen. Deshalb leidet diese Studie unter den gleichen Standardisierungsproblemen, wie sie beim Harnröhrendruckprofil bekannt sind. Außerdem ist es bei dieser Messtechnik notwendig, entweder graduell zunehmende Hustenstöße von Seiten des Patienten auszulösen oder kontinuierliche gleichmäßige Hustenstöße in 3 aufeinander folgenden Serien. Für die Mehrzahl der Patienten dürfte allein diese Voraussetzung kaum umsetzbar sein.

Auch die primär schwer verständliche Kalkulation des "maximalen Urethraverschlussdruckes" in Relation zum "verbleibenden maximalen Urethraverschlussdruck" löst die vielen Standardisierungsprobleme der Harnröhrendruckprofilmessung nicht.

Die klinisch wichtige Frage, ab welchem Druckgradienten eine Belastungs-Inkontinenz praediktiv zu erwarten ist oder welche Druckverhältnisse in der Harnröhre herrschen müssen, damit von einer operativen Korrektur eine Heilung bei einer Belastungsinkontinenz erwartet werden kann, ist auch mit der jetzt beschriebenen Methode nicht möglich.

Ähnliches gilt auch für die in der Arbeit vorgenommene Interpretation der Druck- transmission, die auf die Harnröhre im proximalen Anteil durch Anstieg des intraabdominalen Druckes ausgeübt werden soll. Auch diese Hypothese ist heute zunehmend umstritten.

Am Ende bleibt lediglich die Feststellung, dass wenn der intravesikale Druck den maximalen urethralen Verschlussdruck übersteigt, es zum Urinabgang kommen muss - eine Tatsache, die seit langem bekannt ist.

Außerdem ist lange bekannt, zumindest seit 1972 von Heidenreich u. Mitarb. bereits beschrieben, dass das Ruheprofil keinerlei Aussage zulässt über die Harnröhrenfunktion und prä- und postoperative Ruheprofile meist identische Ergebnisse liefern, obwohl die Harnröhrenfunktion sich postoperativ geändert hatte, indem die Patienten nach einer Antiinkontinenzoperation kontinent waren.

Dieser Befund ist auch verständlich, da unter Ruhebedingungen lediglich bei einer komplett vorhandenen intrinsischen Harnröhreninsuffizienz Urin abgeht.

Damit bleibt die Frage, welche klinische Sinnhaftigkeit hinter einer Harnröhrendruckprofilmessung auch bei einer sehr hoch differenzierten Auswertung bleibt. Die Stabilität der Messung muss schon deshalb angezweifelt werden, da bereits bei einer geringen Hypermobilität von Blase und Harnröhre immer eine Verschiebung des Messkatheters unter Hustenstößen zustande kommt und dann der Peak eines Hustenstoßes stets an einer anderen Stelle gemessen wird als der Ausgangspunkt bevor ein Hustenstoß ausgelöst wird. Insgesamt eine interessante Studie, klinisch jedoch ohne Relevanz, selbst wenn hoch signifikante Beziehungen nachgewiesen werden konnten. Allerdings konnten diese Ergebnisse von anderen Untersuchern nicht unbedingt nachvollzogen werden und dies vermutlich aus den genannten und verständlichen Gründen der Standardisierung. Der Wunschtraum die Harnröhrenfunktion über eine Harnröhrendruckprofilmessung definieren zu können, bleibt damit weiterhin ein Zukunftstraum.

Ergänzend bleibt die nicht bewiesene und nicht untersuchte prognostische Einschätzung wie sich eine mehr oder weniger ausgeprägte Harnröhreninkompetenz im Langzeitverfahren entwickelt, insbesondere ob mit der dargestellten Methode eine Risikoeinschätzung für die Entstehung einer Inkontinenz im individuellen Fall möglich sein wird.

Prof. Hans Palmtag, Sindelfingen

Literatur beim Autor

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Zweiter Kommentar

Schick et al. stellten verschiedene Studien zur Urethrafunktion vor. Sie untersuchten die Beziehung zwischen maximalem Urethraverschlussdruck (MUCP), urethraler Inkompetenz und urethraler Hypermobilität. In der vorliegenden Studie erkannten sie einen signifikanten Zusammenhang zwischen MUCP und allen Graden urethraler Inkompetenz.

Kritisch gesehen werden muss die Patientenauswahl. Zum einen wurden 255 Frauen mit unterschiedlichsten urologischen Symptomen untersucht. Es fand keine Differenzierung der Ergebnisse bezüglich der Beschwerdesymtomatik der Patientinnen statt, so dass anzunehmen ist, dass inkontinente Frauen genauso wie kontinente an dieser Studie teilnehmen konnten. Einschlusskriterien waren eine stabile Blasenfunktion, fehlende neurologische Abnormalitäten, keine Operationen des kleinen Beckens in der Vorgeschichte und alle Grade der urethralen Inkompetenz, deren Einteilung der Autor 1985 eingeführt hat. Patientinnen mit einer nach den neuen ICS-Kriterien hypersensitiven Blase (früher sensorische Urge) konnten also ebenso eingeschlossen werden wie Patientinnen mit einer chronischen Obstruktion. Das Alter der Patientinnen wurde erst in einem zweiten Schritt in der Studie berücksichtigt. Nicht berücksichtigt wurde der Hormonstatus, sowie das Körpergewicht (BMI).

Weiterer Kritikpunkt muss das Studiendesign sein. Die Verwendung von Microtip-Kathetern ist weit verbreitet, kann jedoch auch zu Interpretationsfehlern der Urethradruckmessung führen. Durch den unvermeidbaren Kontakt der Messoberfläche des Transducers mit der Urethrawand kommt es definitionsgemäß nicht zu einem Drucksignal. Die "Druckwerte" können durch den Microtip-Katheter selbst (Biegung, Eigengewicht) erzeugt werden. Eine Interpretation bei mit Microtip-Kathetern gemessenen Stressprofilen ist in diesem Zusammenhang fraglich. Die Positionierung in der 3-Uhr-Position des Katheters (wie in dieser Studie) reduziert mögliche "Druckartefakte", kann sie jedoch nicht ausschließen.

Weiterhin ist das Blasenvolumen, bei dem die Urethradruckprofile erfolgten, unzureichend definiert. Während in dieser Studie bei Blasenkapazität die Messungen erfolgten, empfiehlt der "Arbeitskreis Urologische Funktionsdiagnostik und Urologie der Frau" beim Erwachsenen eine Blasenfüllung von 100 ml.

Nach Durchführung von 3 Ruhedruckprofilen, wurden die Patientinnen dazu aufgefordert, mit ansteigender Intensität zu husten, um bei Leak die Hustenamplitude zu messen. Hierbei werden lediglich größere Urinverluste (Urinfluss Q mindestens 10 ml/s ) als Leak bezeichnet. Geringere Inkontinenzepisoden in Form von einigen Tropfen werden nicht berücksichtigt. Hieraus wurde der so genannte Husten-Leak-point-pressure (CLPP) als der niedrigste intravesikale Wert bestimmt, bei dem es zu einem Leak kam. Das hiernach durchgeführte Stressprofil sollte mit gleich bleibender Hustenintensität erfolgen. Der Parameter des "residual maximum urethral closure pressure (rMUCP)" wurde eingeführt. Dieser sei die größte Amplitude der Verbindungslinie zwischen den errechneten negativen Hustenstößen in der Urethraverschlussdruckkurve. Die Negativausschläge kämen durch einen Druck-Transmission-Fehler zustande. Wenn der rMUCP null beträgt, kommt es zu Urinverlust. Es erfolgten insgesamt drei Stressprofile mit steigender Hustenintensität, jedoch in jedem Stressprofil selbst mit gleicher Intensität der Hustenstöße. Aus diesen drei Werten (rMUCP und die korrespondierende Hustenintensität) wurde ein Diagramm erstellt, bei dem die Hustenintensität gegen den rMCUP aufgetragen wurde. Dieses methodische Vorgehen beinhaltet mehrere mögliche Fehlerquellen. Zum einen wurde Leak erst durch einen im Uroflow messbaren Urinverlust definiert. Man erkennt, dass die maximalen Flussraten etwa 10 ml/s betragen. Tropfenweiser Urinverlust existiert in diesem Versuchsaufbau nicht. Die Aufforderung mit steigender oder im weiteren Verlauf auch konstanter Intensität zu husten, wirft die Frage nach der Durchführbarkeit und der Reproduzierbarkeit der gewonnenen Ergebnisse auf. Die Einführung des rMUCP ist ebenfalls fragwürdig. Es komme zu einem Druck-Transmissions-Fehler von der Bauchhöhle zur Urethra. Die Tatsache der aktiven und passiven Drucktransmission ist bekannt und ist ein Normalbefund dargestellt als Drucktransmissionsprofil/Ratio. Die Erstellung eines Diagrammes aus den so gewonnenen Werten (Husten Leak Point Pressure = CLPP und rMUCP) selbst mag noch akzeptabel sein, die Erweiterung um die urethrale Inkompetenz ist aber sicherlich nicht hinzunehmen. Der Parameter der urethralen Inkompetenz wurde 1985 vom Autor selbst vorgestellt und findet sich außer in seinen eigenen Veröffentlichungen weder in gängigen Büchern zu diesem Thema noch in Publikation anderer Arbeitsgruppen.

Im Ergebnisteil der Arbeit stellt der Autor fest, dass höhergradige urethrale Inkompetenzen mit niedrigeren maximalen urethralen Verschlussdrücken (MUCP) verbunden sind. Die Präsentation der urethralen Inkompetenzgrade ergibt zu über 50% Grad-I- Patientinnen, Patientinnen also mit nur geringgradiger Einschränkung der urethralen Funktion. Diese Patientinnengruppe war in diesem Zusammenhang auch die jüngste Gruppe. Ein Zusammenhang zwischen Alter und MUCP ist bereits bekannt und die Autoren konnten hier einen Zusammenhang zwischen MUCP und urethraler Inkompetenz herstellen. Erwartungsgemäß war die Gruppe der Patientinnen mit Grad-IV-Inkompetenz auch die älteste. Nach Alterberücksichtigung konnte ein signifikanter Zusammenhang zwischen Inkompetenzgraden und MUCP festgestellt werden.

Im Diskussionsteil gehen die Autoren erneut auf den Begriff der urethralen Inkompetenz ein. Sie geben zu bedenken, dass bei Bestimmung der einzelnen Grade der Inkontinenz die Modifizierung der Hustenstöße einigen Patienten schwer fallen könne. Ebenso wird auf das Problem unterschiedlicher Inkontinenzgrade bei identischer Urethrafunktion hingewiesen. Diese klinisch relevante Größe wurde in der Studie nicht berücksichtigt. Es wird auf Studien verwiesen, bei denen der Zusammenhang zwischen MUCP und LPP gezeigt werden konnte. Die eigene Studie mit dem Begriff der urethralen Inkompetenz wurde in diese Reihe eingefügt, wenngleich bei den erfolgten Urethradruckprofilen keine Unterscheidung stattfand zwischen Urethrahypotonie und verminderten passiven und aktiven Drucktransmission. Diese relevanten Größen kommen jedoch als Ursachen einer Belastungsinkontinenz infrage.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass diese Studie bekannte Zusammenhänge zwischen MUCP und LPP bestätigt. Der weitere Zusammenhang zwischen der urethralen Inkompetenz und dem MUCP wurde in dieser Studie dargelegt. Durch wenige Standardisierungen der Urethradruckmessung mit vielen möglichen Fehlerquellen, einer heterogenen Patientenauswahl und einem Studienprotokoll, deren Reproduzierbarkeit nicht gezeigt wurde, ist die vorliegende Studie mit Einschränkungen zu beurteilen. Der klinische wichtige Zusammenhang von Inkontinenzgraden und urethralen Inkompetenzgraden bzw. MCUP konnte hier nicht gezeigt werden.

Dr. Björn Wefer, PD Peter M. Braun, Prof. Klaus-Peter Jünemann, Kiel

 
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Urtehradruckprofil der Frau (glockenförmig) und des Mannes (zweigipflig). Legenden: PUV = Urethraverschlussdruck, BB= Beckenboden, P= Prostata (Bild: Praxis der Urologie, Thieme, 2003).