Aktuelle Urol 2004; 35(6): 448-453
DOI: 10.1055/s-2004-835729
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prostatakarzinom - Finasterid beugt vor

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Publication Date:
17 November 2004 (online)

 
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Der 5-alpha-Reduktasehemmer Finasterid verhindert oder verzögert das Auftreten von Prostatakarzinomen, hat eine große US-Studie mit fast 19 000 Männern mit niedrigem Erkrankungsrisiko ergeben. Allerdings steigt unter der Therapie der Anteil von Tumoren mit höhergradigem Gleason-Score.

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Der 5-alpha-Reduktasehemmer Finasterid wirkt nicht nur bei der Prostatahyperplasie (Bild: Urologie, Thieme, 2002).

An der PCPT (Prostate Cancer Prevention Trial)-Studie nahmen 18 882 Männer ab 55 Jahren teil. Bei Studienbeginn war der Tastbefund bei digital-rektaler Untersuchung (DRU) negativ und die PSA-Werte lagen unter 3 ng/ml. Die Studienteilnehmer wurden über 7 Jahre mit 5 mg Finasterid täglich oder mit Plazebo behandelt. Eine Prostatabiopsie wurde Männern empfohlen, bei denen der Tastbefund bei der jährlichen Untersuchung auffällig oder der PSA-Wert über 4 ng/ml gestiegen war (unter Finasterid wurden die PSA-Werte initial mit dem Faktor 2, ab dem 4. Jahr mit dem Faktor 2,3 multipliziert). Bei Studienende wurde allen Teilnehmern eine Prostatabiopsie angeboten (NEJM 2003; 349: 213-22).

Wie die US-Wissenschaftler berichten, war bei den mit Finasterid behandelten Männern die Rate von Prostatakarzinomen im Verlauf von 7 Jahren um fast 25% geringer als in der Plazebogruppe. Unter Finasterid war nur bei 803 von 4368 Männern (18,4%) ein Prostatakarzinom entdeckt worden, unter Plazebo aber bei 1147 von 4692 Männern (24,4%).

Häufiger wurden in der Finasterid-Gruppe allerdings Prostatakarzinome mit einem Gleason-Score zwischen 7 und 10 diagnostiziert. Die Prävalenz betrug 6,4% im Vergleich zu 5,1% in der Kontrollgruppe. Der Anteil höhergradiger Karzinome an allen diagnostizierten Tumoren betrug 37% in der Finasterid- und 22% in der Plazebogruppe. Die Ursachen für diese Unterschiede sind noch unklar, berichten die Wissenschaftler.

Beeinträchtigungen der Sexualfunktion wie Libidoverlust oder erektile Dysfunktion wurden in der Finasterid-Gruppe gehäuft registriert. Andererseits traten Beschwerden im Urogenitaltrakt wie Harndrang, Harnverhalt und Prostatitis seltener auf als in der Plazebogruppe.

Bei der Beratung von Patienten, bei denen eine Chemoprävention des Prostatakarzinoms erwogen wird, sollten diese Ergebnisse berücksichtigt werden, schreiben die Autoren. Der Möglichkeit, das Erkrankungsrisiko mit Finasterid deutlich zu reduzieren, stünde das kleinere Risiko gegenüber, einen höhergradigen Tumor zu induzieren. Auch über die günstigen und ungünstigen Begleiteffekte der Therapie sollten die Patienten informiert werden.

Roland Fath, Frankfurt/Main

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Erster Kommentar

Als das New England Journal of Medicine im Juni 2003 die Ergebnisse des Prostate Cancer Prevention Trial (PCPT) wegen ihrer Bedeutung noch vor der gedruckten Arbeit im Internet publizierte, war die Bombe geplatzt: Prostatakarzinome können durch die vorbeugende Einnahme von Finasterid verhindert werden. Finasterid ist ein Typ-2-5a-Reduktasehemmer; Männer mit einem kongenitalem Defizit an diesem Enzym bekommen kein Prostatakarzinom. Untersucht wurde also die zu Studienbeginn sinnvollste Substanz für eine Chemoprävention. Das PCPT ist methodisch einwandfrei in Konzept (prospektiv, kontrolliert, randomisiert und doppelblind gegen Plazebo vergleichend) und Durchführung. Warum propagieren wir nicht die gezielte Prävention gegen unser häufigstes Karzinom? Weil wir lieber im Krater der Explosion herumgraben und versuchen, anhand der Fundstücke die Bombe zu verstehen.

Erstmals in der Onkologie ist mit dem PCPT der Nachweis gelungen, dass ein solider Tumor in klinisch signifikantem Ausmaß präventiv beeinflusst werden kann. Einer 25%igen Reduktion des relativen Erkrankungsrisikos stehen insgesamt tolerable Nebenwirkungen gegenüber, die sich durch eine Verringerung von Miktionsbeschwerden in der Finasterid-Gruppe nochmals relativieren. Der Finasterid-Effekt war sowohl bei den klinisch auffälligen Fällen (biopsy performed for cause) als auch bei den Männern vorhanden, die ohne erhöhtes PSA (unter 4 ng/ml) oder suspekten Tastbefund geplant (end of study) biopsiert wurden. Fast alle Karzinome (98 %) waren auf die Prostata begrenzt und damit durch lokale Maßnahmen prinzipiell heilbar. Trotzdem stieg die Aktie des Sponsors bisher nicht sonderlich an: In der Finasterid-Gruppe lag die Prävalenz der Karzinome mit einem Gleason-score von 7 bis 10 bei 6,4%, in der Plazebogruppe nur bei 5,1%. Finasterid macht Karzinome aggressiver - das hätte nun niemand erwartet. Tatsächlich gibt es experimentelle Hinweise auf einen solchen Effekt. So richtig mag man aber nicht daran glauben, zumal die high-grade-Tumoren schon nach relativ kurzer Finasterid-Exposition auftraten (innerhalb eines Jahres), was biologisch zweifelhaft erscheint. Vielleicht hat aber der antiandrogene Stimulus auf low-grade-Tumoren zu einer histopathologischen High-grade-mimikry geführt? Immerhin ist der Gleason-Score nicht an antiandrogen-behandelten Karzinome entwickelt oder validiert worden. Auch diese Erklärung überzeugt nicht wirklich. Wahrscheinlicher ist ein Bias durch den Volumen-Reduktions-Effekt des Finasterids, der immerhin 25% betrug. In einer kleineren Drüse wird eine bestimmte Zahl von Stanzzylindern eher ein Karzinom detektieren als in einer größeren Drüse. Diese Erklärung lässt sogar noch einen größeren Vorteil der Finasterid-Prävention vermuten als nachgewiesen: Hätte man im Plazeboarm die Zahl der Stanzbiopsien relativ zu den größeren Drüsen erhöht, wären wahrscheinlich noch mehr Karzinome entdeckt worden.

Trotzdem ist es gut, dass wir den Donnerhall des PCPT nicht hören wollen. Die scientific correctness verbietet es, Finasterid zur Chemoprävention des Prostatakarzinoms uneingeschränkt zu empfehlen. Wer will schon das 1,27fach höhere Risiko vertreten, ein aggressiveres Karzinom zu entwickeln, wenn man es mit einer 24,8%-igen niedrigeren Wahrscheinlichkeit gar nicht bekommt?

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Schematische Darstellung der durch DHT induzierten Prostatavergrößerung (Bild: Urologie, Thiemne, 2002).

Die eigentliche Probleme liegen ganz woanders. Würden in Deutschland etwa 10 Millionen Männer ab einem Alter von 45 Jahren Finasterid präventiv einnehmen, so würde dies etwa 5 Milliarden jährlich kosten. Den Erfolg dieser Maßnahme könnten nur wenige erleben, da unser Gesundheitssystem unter dieser Belastung längst kollabiert wäre. Dazu würde es wahrscheinlich auch kommen, wenn man sich eine andere Konsequenz des PCPT vor Augen führt: Die Prävalenz des Prostatakarzinoms im Plazeboarm lag mit 24,4% etwa sechsmal so hoch wie erwartet. Dies liegt daran, dass die Einschlusskriterien nur einen PSA-Wert von unter 3,0 ng/ml bei unauffälligem Tastbefund vorsahen und Männer auch deshalb biopsiert wurden, nur weil das Protokoll es so wollte. Sind dies wirklich alles insignifikante Karzinome?

In einer zweiten Analyse des PCPT an der Plazebo-Gruppe mit PSA-Werten unter 4 ng/ml und unauffälligem Tastbefund betrug die bioptisch gesicherte Prävalenz am Prostatakarzinom immerhin 15,2%; die Mehrzahl der Fälle wies einen Gleason-Score von 6 auf. So löst das PCPT eine Kettenreaktion aus: Wir haben eigentlich viel mehr signifikante Karzinome und wir müssten viel mehr Patienten aktiv behandeln. Die scientific correctness gebietet es, dies noch nicht zu tun und auf weitere Studien zu warten, bzw. auf den PLCO Cancer Screening Trial des National Cancer Instituts. Bis dahin heißt es weitergraben und, politisch korrekt, unsere Patienten umfassend aufzuklären: Inform the patient and do what he wants.

PD Dr. Claus Fischer, Bayreuth

Literatur beim Autor

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Zweiter Kommentar

Das Prostatakarzinom ist das häufigste Karzinom des Mannes. Die Zahl der neuen Fälle werden in den USA derzeit mit 220 000 pro Jahr beziffert, wobei aufgrund der demografischen Entwicklung der Bevölkerung mit einer Steigerung auf ca. 380 000 jährliche Erstdiagnosen im Jahre 2025 gerechnet wird. Die Untersuchung etwaiger Möglichkeiten einer Chemoprävention ist daher nahe liegend.

Finasterid inhibiert die Konversion von Testosteron zu Dihydrotestosteron durch 5-alpha-Reduktase, womit es zur Absenkung des Dihydrotestosterons, dem aktivsten Androgen in der Prostata, um bis zu 90% kommt. Finasterid ist in der Lage das Prostatavolumen um 20-30% zu senken und kann damit Miktionsstörungen einer benignen Prostatahyperplasie (BPH) reduzieren. Diese Effekte wurden in mehreren plazebokontrollierten Studien nachgewiesen und in Langzeituntersuchungen bestätigt, so dass dieses Medikament von der FDA für die Behandlung der BPH zugelassen ist. Als Nebeneffekt der Finasterid-Therapie ist bekannt, dass der PSA-Wert in sehr unterschiedlichem Ausmaß gesenkt wird.

Der "Prostate Cancer Prevention Trial" (PCPT) wurde Anfang der 90er-Jahre initiiert, um zu prüfen, ob mit Finasterid eine Chemoprävention des Prostatakarzinoms möglich ist. In diese Studie wurden fast 19 000 Männer mit niedrigem Risiko für ein Prostatakarzinom eingeschlossen, d.h. eine unauffällige digital-rektale Untersuchung (DRU) aufwiesen und ein PSA von <3,0 ng/ml hatten. Diese Männer wurden in die Therapiegruppe mit 5 mg Finasterid täglich, oder aber in die Plazebogruppe randomisiert und jährlich mittels DRU- und PSA-Bestimmung untersucht. Systematische Prostatabiopsien wurden im Studienverlauf zunächst nur bei Männern mit auffälliger DRU- oder erhöhtem PSA-Wert durchgeführt, wurden bei Ende der Studie jedoch auch allen Patienten ohne bisher nachgewiesenes Prostatakarzinom empfohlen, unabhängig von DRU und PSA. Der Endpunkt der Studie war die Anzahl der durch Prostatabiopsien detektierten Prostatakarzinome.

Zwei wesentliche Ergebnisse der PCPT wurden bisher berichtet und in diversen Publikationen und Kommentaren verbreitet: Einerseits konnte gezeigt werden, dass Finasterid die Prostatakarzinom-Inzidenz von 24,4% in der Plazebokontrolle auf 18,4% in der Verumgruppe senken konnte. Andererseits war die Zahl der schlechten Gleason-Grade (7, 8, 9 und 10) in der Finasterid-Gruppe um 67% höher, als in der Plazebogruppe (Finasterid: 280/757 biopsierten Patienten, 37%, vs. Plazebo 237/1068 biopsierten Patienten, 22,2%; p < 0.001). Die Nebenwirkungen der Therapie waren insgesgesamt moderat ausgeprägt, wobei Libidoverlust, erektile Dysfunktion und Gynäkomastie häufiger, Harndrang, erhöhte Miktionsfrequenz, Prostatitis, Harnverhalte und Harnwegsinfektionen allerdings seltener in der Finasterid-Gruppe auftraten.

Wie Patienten bezüglich der Prostatakarzinom-Prävention mit Finasterid nun zu beraten sind, kann nicht allgemeingültig beantwortet werden.

Diese Ergebnisse bedürfen einer genaueren Betrachtung:

In der PCPT Studie wurde eine außergewöhnlich hohe Detektionsquote von Prostatakarzinomen berichtet: Während die Detektionsquote in früheren Screeningstudien mit 3-8% angegeben wurde, erreicht diese Studie mit einer Inzidenz von 24,4% fast die Größenordnung, die aus Autopsiestudien an Männern über 50 Jahren berichtet wurde. Die meisten der entdeckten Karzinome waren klinisch lokal begrenzte Prostatakarzinome. Da die Diagnose durch eine Biopsie bei Auffälligkeiten oder aber spätestens durch eine "end-of-study"-Biopsie gesichert wurde, wurden die Karzinome vermutlich sehr früh in ihrer tumorbiologischen Entwicklung entdeckt. Ob diese Tumoren klinisch relevant sind, und ob sie malignes Potenzial besitzen, wird sich durch die noch ausstehende Auswertung der gewählten Therapieformen und der Langzeitüberlebensraten der Patienten beurteilen lassen. In jedem Fall sollte der Endpunkt einer Präventionsstudie das verbesserte Überleben sein; der in dieser Studie gewählte Endpunkt der histologischen Prostatakarzinomdiagnose ist dagegen kein geeigneter Parameter.

Für das Auftreten höherer Gleason-Grade im Finasterid-Arm können verschiedene Erklärungen aufgeführt werden: Finasterid könnte im Rahmen der Hormonbeeinflussung zu einer Selektion der weniger hormonabhängigen und damit aggressiveren Tumorzellen geführt haben. Ebenso könnte der bekannte Effekt, der durch Finasterid entstehenden PSA-Reduktion mit einer insgesamt späteren Biopsie einhergehen, so dass High-grade Tumoranteile bis dahin einen Proliferationsvorteil hätten.

Darüber hinaus könnten diese Ergebnisse mit einer erhöhten "Biopsie-Dichte" erklärt werden: durch Finasterid wird das Volumen der Prostata um etwa 25% vermindert. Da minimal 6 Gewebeproben entnommen wurden, ist davon auszugehen, dass die relative Anzahl der Gewebeproben pro Prostatavolumen in der Finasterid-Gruppe höher lag als in der Kontrollgruppe. Davon ausgehend, dass die aggressiveren Tumoren generell ein größeres Volumen aufweisen als die weniger aggressiven, könnte man postulieren, dass die Trefferquote für Prostatakarzinome in der Finasterid-Gruppe höher war, als in der Kontrollgruppe. Im Umkehrschluss würde dies bedeuten, dass der präventive Effekt von Finasterid dann größer wäre, als bislang angenommen.

Schlussendlich wird postuliert, die genannten Effekte könnten in einer Veränderung des Erscheinungsbildes von Tumorzellen durch Finasterid-Einfluss erzeugt sein. Diese genannten Erklärungsmöglichkeiten sind bisher scharf diskutiert worden. Gegen die These, dass Finasterid einen Wachstumsvorteil der aggressiveren Tumoren bewirkt, spricht die Tatsache, dass sich in anderen prospektiven Studien kein Hinweis für das häufigere Auftreten von Prostatakarzinomen ergab. Auch der Nachweis der aggressiveren Karzinome nach schon einem Jahr spricht gegen diese These, da dieser Effekt mit den Jahren hätte zunehmen müssen. Ebenso konnte in experimentellen Studien gezeigt werden, dass die 5-alpha-Reduktase-Aktivität mit zunehmendem Gleason-Grad abnimmt, so ass man davon ausgehen kann, dass Finasterid nicht zur Ausbildung höherer Gleason Grade führt. Die wichtige Frage, wie Patienten bezüglich der Prostatakarzinom-Prävention mit Finasterid nun zu beraten sind, kann nicht allgemeingültig beantwortet werden. Aus der offiziellen Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) zu diesem Thema, die sich in grossen Zügen mit der Meinung verschiedener Experten deckt, lässt sich ableiten, dass die 25% Reduktion eines Prostatakarzinom-Risikos abgewogen werden muss gegen ein um den Faktor 1,7 erhöhtes Risiko einen ungünstigen Gleason- Score zu haben. Die DGU empfiehlt daher bei der präventiven Gabe von Finasterid sehr sorgfältig die Risiken und Chancen gegeneinander abzuwägen und im Zweifelsfall bis zu einer weiteren Klärung der Datenlage von einem rein präventiven Einsatz von Finasterid abzusehen. Für die Behandlung der gutartigen Prostatavergrößerung gilt dieser Vorbehalt jedoch ausdrücklich nicht. Finasterid wird seit mehr als 10 Jahren weltweit in der Behandlung der gutartigen Prostatavergrößerung eingesetzt und hat in zahlreichen prospektiven Studien seinen klinischen Nutzen und seine Langzeitsicherheit bewiesen. Hinweise auf ein vermehrtes Auftreten aggressiver Prostatatumoren bei den behandelten Patienten haben sich dort nicht ergeben.

Dr. Christian Wülfing, Münster

 
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Der 5-alpha-Reduktasehemmer Finasterid wirkt nicht nur bei der Prostatahyperplasie (Bild: Urologie, Thieme, 2002).

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Schematische Darstellung der durch DHT induzierten Prostatavergrößerung (Bild: Urologie, Thiemne, 2002).