Bei Kindern, bei denen aufgrund der Ultraschalluntersuchung eine Einzelniere vermutet
wird, sind Szintigraphie und Miktionszysto-Urethrographie etablierte Verfahren zur
weiteren diagnostischen Abklärung. Noch bessere Informationen über Nierenfehlbildungen
liefert die Magnetresonanz-Urographie, berichten pädiatrische Urologen aus Österreich.
Bei 30 Kindern, im Mittel 44 Monate alt, mit bekannter oder vermuteter Einzelniere
haben die Wissenschaftler den diagnostischen Wert von vier bildgebenden Verfahren
verglichen: einer Ultraschalluntersuchung (US) des Harntraktes, einer Miktionszysto-Urethrographie
(MZU), einer renalen Szintigraphie mit Dimercapto-Sukzinsäure (DMSA) sowie einer Magnetresonanz-Urographie
(MRU). Bei allen Kindern, bei denen im US oder in der MRU dysplastische renale Knospen
entdeckt worden waren oder die ektopische ureterale Insertionen hatten, wurde eine
offene Nephroureterektomie vorgenommen. Die intraoperativen und histologischen Befunden
wurden mit den Ergebnisse bei den bildgebenden Untersuchungen verglichen (J Urol 2004; 171: 1642-1646).
Wie die Wissenschaftler berichten, wurden per Ultraschall korrekt 11 Nierenfehlbildungen
gefunden, 8 orthotopisch und 3 ektotopisch. Die Länge der renalen Knospen betrug im
Durchschnitt 26 mm. Eine ektopische ureterale Insertion wurde aufgrund des Ultraschallbefundes
bei 3 Patienten vermutet.
Die MRU bestätigte die Ergebnisse der Ultraschalluntersuchung und verdeutlichte kleine
dysplastische Nieren bei 11 Patienten. Die durchschnittliche Länge der renalen Knospen
betrug 27,5 mm. Korrekt identifiziert wurden per MRU 3 ektopische, nichtdilatierte
Ureter und bei 4 Patienten jeweils nur ein geringfügig dilatierter Ureter. Die Ergebnisse
der MRU stimmten bei allen 8 operierten Patienten mit den intraoperativen anatomischen
Befunden überein.
Mit der renalen DMSA-Szintigraphie wurde hingegen nur bei einem Patienten eine dysplastische
renale Knospe erkannt. Bei den übrigen 29 Patienten wurde eine Einzelniere vermutet.
Die MZU ergab bei 3 Patienten einen vesikoureteralen Reflux Grad III-IV in die normale
Niere. Bei einem Patienten war auch der kontralaterale Ureter betroffen. In einem
weiteren Fall wurde ein Reflux Grad I in eine kleine dysplastische Niere gefunden.
Nach diesen Ergebnissen liefert eine einzige MRU einen kompletten Überblick über renale
Fehlbildungen, und zwar ohne Strahlenbelastung, schreiben die Autoren. Kleine Kinder
müssten allerdings für die Untersuchung sediert werden. Bestätigen sich die Ergebnisse
in größeren Studien, könnte sich der diagnostische Algorithmus bei Kindern mit vermuteter
Einzelniere ändern. Das bildgebende Verfahren der 1. Wahl sollte allerdings nach Angaben
der Autoren die Ultraschalluntersuchung bleiben.
Roland Fath, Frankfurt/Main
Erster Kommentar
Angeborene Fehlbildungen des Urogenitaltraktes sind ein geläufiges Phänomen im pädiatrischen
Krankengut. Die Häufigkeit der Agenesie einer Niere wird mit etwa 1-2 pro 1000 Geburten
angegeben und ist somit keine Rarität. Mit dem zunehmenden Fortschritt der diagnostischen
Techniken und Verfahren hat sich nun aber gezeigt, dass die Häufigkeit einer tatsächlichen
Agenesie, also das Fehlen der kompletten Anlage der Niere, bisher überschätzt wurde.
Die dysplastischen Nierenanlagen können bedingt durch ihre geringe Größe, eine mangelnde
Funktion oder auch durch eine dystope Lage der normalen Routinediagnostik entgehen
und dadurch fälschlicherweise die Diagnose einer "Einzelniere" gestellt werden. Eine
echte "Einzelniere" bedarf bei normaler Funktion und fehlenden Symptomen in der Regel
keiner weiteren Therapie. Eine übersehene dysplastische Nierenanlage, insbesondere,
jedoch nicht ausschließlich, in Kombination mit einer ektopen Harnleitermündung kann
allerdings von hoher klinischer Relevanz sein. Um unnötige Komplikationen im weiteren
Verlauf zu vermeiden, darf deshalb die Diagnose einer "Einzelniere" erst nach sicherem
Ausschluss einer dysplastischen Nierenanlage der Gegenseite gestellt werden. Umstritten
ist allerdings, welche Untersuchungsverfahren hierfür notwendig und sinnvoll sind.
Neben der Sonographie des Harntraktes, einer Miktions-Zyst-Urethrographie (MCU) wurde
bisher eine statische Nierenfunktionszintigraphie mit 99Tc-Dimercapto-Succinat (99Tc-
DMSA) empfohlen.
Ein weiteres Verfahren, die Magnetresonanz-Urographie (MRU), ist bisher in die Diagnostik
der "Einzelniere" noch nicht ausreichend etabliert. Die Methode verspricht jedoch
eine deutliche Verbesserung der diagnostischen Möglichkeiten. Die MRU steht als Verfahren
seit wenigen Jahren in der pädiatrischen Radiologie zur Verfügung und ermöglicht eine
exzellente Darstellung des Harntraktes mit sehr präziser morphologischer Auflösung
der untersuchten anatomischen Strukturen. Der Nachteil der Methode besteht in der
Notwendigkeit der Sedierung der zu untersuchenden pädiatrischen Patienten. Weiterhin
steht die MRU leider noch nicht flächendeckend zur Verfügung und die Qualität der
Ergebnisse schwankt in Abhängigkeit von der Erfahrung des jeweiligen Untersuchers.
Marcus Riccabona und seine Mitarbeiter haben nun in einer Multizenterstudie mögliche
diagnostische Verfahren zur Abklärung von Patienten mit vermuteter "Einzelniere" miteinander
verglichen. Fokussiert wurde besonders auf den Stellenwert der MRU. Es wurden 30
Patienten im Alter zwischen 2,5 Wochen und 7 Jahren in die Studie einbezogen, die
zur Abklärung einer vermuteten Einzelniere vorgestellt wurden. 21 Patienten waren
symptomfrei, bei 6 Patienten bestanden rezidivierende Harnwegsinfektionen und 3 Mädchen
zeigten eine persistierende Inkontinenz. Bei allen Patienten wurde neben einer sonographischen
Untersuchung, ein MCU, eine 99Tc-DMSA-Szintigraphie und eine MRU durchgeführt.
Bei über einem Drittel der Patienten (11/30) wurde trotz der vorab vermuteten Diagnose
einer "Einzelniere" auf der Gegenseite eine dysplastische Nierenanlage, teilweise
mit ektop mündendem Harnleiter entdeckt. Alle 11 Anlagen wurden sowohl in der Sonographie
als auch in der MRU nachgewiesen, wobei die anatomische Auflösung der MRU, insbesondere
beim Nachweis der Ureterektopie der Sonographie überlegen war. Im MCU konnten nur
2/11 dysplastische Anlagen diagnostiziert werden, während die 99Tc-DMSA-Szintigraphie
nur bei 1 Patienten Erfolg hatte.
Die MRU ist im Vergleich zur Sonographie eine aufwändige und deutlich teurere Methode,
so dass die Indikation sorgfältig geprüft werden sollte.
|
Die Autoren schlussfolgern mit Recht, dass die MRU den anderen Verfahren, vor allem
durch ihre exzellente präzise anatomische Ortsauflösung, überlegen ist und fordern
deshalb die Aufnahme des Verfahrens in den routinemäßigen Algorithmus der diagnostischen
Abklärung der "Einzelniere" im pädiatrisch-urologischen Krankengut.
Selbst unter Berücksichtigung der relativ niedrigen Zahl von Patienten, die in die
Untersuchung einbezogen wurden, wird in der Arbeit von Riccabona et al. klar herausgearbeitet,
dass der bisherige Standard mit Sonographie, MCU und 99Tc-DMSA-Szintigraphie in der
Diagnostik der kindlichen Einzelniere unzureichend ist. Insbesondere die Sensitivität
99Tc-DMSA-Szintigraphie ist enttäuschend und führt offensichtlich nur selten zu weiterführenden
Erkenntnissen. Dies erklärt sich anhand der fehlenden Nachweisbarkeit von Nierenparenchym
von weniger als 5% Funktionsanteil in der seitengetrennten Nierenfunktionanalyse.
Sehr kleine dysplastische Nierenknospen entgehen so der Empfindlichkeit der Methode.
Es stellt sich nun die Frage, ob die MRU als Goldstandard in der Diagnostik der kindlichen
Einzelniere unverzichtbar ist. Im Klartext: Muss jedes Kind mit einer vermuteten Einzelniere
in jedem Fall eine MRU bekommen? Zur Beantwortung dieser Frage sind folgende Informationen
von Relevanz.
1. Die Sonographie konnte in der aktuellen Arbeit das Vorliegen einer dysplastischen
Nierenanlage mit gleicher Sicherheit aufklären wie die MRU. Diese war nur im Nachweis
der Harnleiterektopie überlegen. Die Problematik der Sonographie besteht darin, dass
sowohl Qualität als auch Reproduzierbarkeit der Untersuchung in hohem Maße vom Untersucher
abhängig ist. Dieses gilt zumindest zum jetzigen Zeitpunkt in ähnlicher Weise für
die MRU.
2. Weder die normale Sonographie noch die MRU sind in der Lage, einen VUR mit ausreichender
Sicherheit nachzuweisen. Deshalb kann auf die Durchführung eines MCU nicht verzichtet
werden, wobei das MCU nicht sicher eine dysplastische Nierenanlage nachweisen kann,
aber der Nachweis eines VUR in eine solche Anlage für spätere therapeutische Entscheidungen
von großer Bedeutung ist.
3. In der Arbeit bleibt leider unklar, ob die 9 Patienten, die klinisch symptomatisch
waren, alle zur Gruppe der 11 mit Nachweis einer dysplastischen Nierenanlage gehören.
Bei sympto- matischen Patienten mit Einzelniere muss jedoch immer an das Vorliegen
einer kontralateralen Nierenknospe mit oder ohne Harnleiterektopie gedacht. Im Umkehrschluss
kann man jedoch auch sagen, dass eine kontralaterale dysplastische Nierenanlage nicht
in jedem Fall Symptome machen muss.
Zusammenfassend lässt sich aus der Arbeit von Riccabona et al. ableiten, dass der
MRU in der Diagnostik der kindlichen Einzelniere ein hoher Stellenwert eingeräumt
werden muss. Erste Priorität sollte jedoch die Durchführung einer qualitativ hochwertigen
und reproduzierbaren Sonographie haben. Um dies zu gewährleisten, empfiehlt es sich,
Kinder mit dieser Fragestellung einem Zentrum mit entsprechender Erfahrung in der
Sonographie urogenitaler Fehlbildungen vorzustellen. Als zweiter Schritt sollte in
jedem Fall ein MCU erfolgen. Findet sich sonographisch oder im MCU der Verdacht auf
eine dysplastische Nierenanlage der Gegenseite oder ist der Patient symptomatisch,
nur dann sollte unserer Meinung nach zur weiteren Abklärung die MRU durchgeführt werden.
Die MRU ist im Vergleich zur Sonographie eine aufwändige und deutlich teurere Methode,
so dass die Indikation sorgfältig geprüft werden sollte. Allerdings ermöglicht die
MRU im Vergleich zu allen anderen Verfahren die präziseste Darstellung der anatomischen
Verhältnisse, insbesondere von Harnleiterverlauf und -mündung, und ist somit gerade
in der Vorbereitung auf eine operative Therapie einer dysplastischen Nierenanlage
eine deutliche Bereicherung. Die Durchführung einer 99Tc-DMSA-Szintigraphie erscheint
nach vorliegenden Daten obsolet.
Dr. Florian Seseke, Göttingen