Aktuelle Urol 2004; 35(6): 459-460
DOI: 10.1055/s-2004-835732
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Elektromotorische Mitomycin-Instillation - Besseres Ansprechen als bei passiver Gabe

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17 November 2004 (online)

 
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Schlecht differenzierte Tumorzellen sprechen weniger gut auf eine Chemotherapie an als gut differenzierte. Deshalb sollten Blasenkarzinome im Stadium Tis Grad 3 und auch T1 höheren Mitomycin-C-Konzentrationen ausgesetzt sein, als es durch die konventionelle intravesikale Instillation möglich ist, um bessere Behandlungsergebnisse zu erzielen. In Laborversuchen konnte gezeigt werden, dass durch eine elektromotorische Beschleunigung die Mitomycin-Aufnahme in die Blase 4- bis 7fach höher ist, als beim passiven Transport.

In einer prospektiven, randomisierten Studie von Savino M. Di Stasi von der Katholischen Universität Rom, Italien, u. Mitarb. wurde dieses Konzept in der Klinik überprüft. 108 Patienten mit oberflächlichen, multifokalen Blasenkarzinomen im Stadium Tis und pT1 mit hohem Rezidivrisiko wurden randomisiert in 3 Gruppen zu je 36 Personen eingeteilt: Sie erhielten nach der transurethralen Resektion zusätzlich zu einer Mitomycin-Instillation (40 mg) mit einer Verweildauer von 30 Minuten in der Blase 20 mA elektrischen Strom, 40 mg Mitomycin für 60 Minuten oder 81 mg BCG (Bacille-Calmette-Guérin) für 120 Minuten. Der primäre Endpunkt der Studie war die komplette Ansprechrate nach 3 und 6 Monaten Therapiedauer (The Journal of Urology 2003; 170: 777-782).

Die komplette Ansprechrate nach 3 Monaten betrug für die elektromotorische Instillation 53% und für die passive Instillation 28%, nach 6 Monaten 58% versus 31%. In der Gruppe mit der BCG-Therapie lagen die Ansprechraten bei 56% und 64%.

Die mediane Zeit bis zu einem Rezidiv betrug in der elektromotorischen Gruppe 35 Monate und in der passiven Instillationsgruppe 19,5 Monate. Für BCG lag die Zeit bei 26 Monaten.

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Behandlungsschema des Harnblasenkarzinoms (Bild: Urologie, Thieme, 2003).

Die Mitomycin-Höchstwerte im Plasma waren nach der elektromotorischen Instillation höher als nach der passiven (43 vs. 8 ng/ml). Lokale und systemische Nebenwirkungen wurden bei den Patienten im BCG-Arm häufiger beobachtet als bei denen in den 2 Mitomycin-Armen. Alle Ergebnisse erreichten Signifikanzniveau.

Der Studie zufolge lassen sich mit einer elektromotorischen Instillation bessere Ergebnisse erzielen als mit der passiven Mitomycin-Therapie. Die Ansprechraten kommen denen nahe, die mit einer BCG-Instillation erreicht werden, so dass diese Therapieform als Alternative oder zusätzlich zur lokalen BCG-Behandlung interessant sein könnte.

Allerdings bestehen theoretische Bedenken, da sich Mitomycin C in Tiermodellen als karzinogen erwiesen hat. Dies könnte die Patienten einer doppelten Gefahr aussetzen, die durch die eigentliche Krebsdiathese plus der durch Mitomycin induzierten Diathese entsteht. Die Studienteilnehmer werden deshalb weiter überwacht.

Dr. Ralph Hausmann, Frankfurt

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Erster Kommentar

Die intravesikale Rezidivprophylaxe nach TURB kann bei oberflächlichen Blasentumoren die Rezidivrate und möglicherweise auch das Progressionsverhalten positiv beeinflussen. Die Überlegenheit von BCG gegenüber der intravesikalen Chemoprophylaxe bei Tumoren mit hohem Risikoprofil (T1 G3, CIS) wurde durch zahlreichen Studien und Metaanalysen belegt und wird in zahlreichen Empfehlungen internationaler Guideline Panels berücksichtigt. Dennoch ist die intravesikale BCG-Applikation mit einer hohen Rate mittlerer und schwerer Nebenwirkungen assoziiert, so dass die Überprüfung alternativer Therapiemodalitäten ihre Berechtigung hat, solange ein Vergleich mit BCG stattfindet. Die Arbeitsgruppe um Di Stasi überprüfte in einer multizentrischen, randomisierten prospektiven Studie unter Einschluss eines homogenen Patientenguts mit hohem Risikoprofil den Stellenwert der intravesikalen Mitomycin-Prophylaxe bei gleichzeitigem Anlegen von elektrischem Strom. Die Vorstellung, Gewebebarrieren gegenüber Medikamenten durch den Einsatz von elektrischem Strom herabzusetzen, ist zwar nicht ganz neu, bleibt aber faszinierend. Der Einsatz von Mitomycin erscheint konsequent, da bisherige in-vitro- Versuche zeigen konnten, dass der Transport von Mitomycin durch das Urothel nach Anlegen eines Stromkreislaufes 6 - 9-mal stärker ist als die passive Diffusion.

Dies konnten die Autoren durch die Messung des Plasmamitomycins auch beeindruckend belegen. Daneben bewirkte die elektrisch induzierte, erhöhte Mito- mycin-Aufnahme im Vergleich zur passiven MMC-Diffusion offensichtlich eine Absenkung der Rezidivrate und ein verlängertes Rezidivfreies Intervall, ohne dass sich das Profil oder die Intensität der Nebenwirkungen ändert. Im Vergleich zu BCG war die Anzahl schwerwiegender Nebenwirkungen deutlich geringer. Trotz vergleichbarer Ergebnisse bezüglich Rezidivrate und progressionsfreiem Intervall kann aus der Studie natürlich keine Äquipotenz zwischen BCG und Mitomycin unter elektromotiver Applikation geschlossen werden, dazu sind wesentlich umfangreichere Untersuchungen notwendig.

Ähnlich wie bei anderen Therapieansätzen fällt es schwer, die klinische Relevanz dieser Studie zu beurteilen.

Sicher weist die Studie ein paar essenzielle Schwächen auf: Es wurde trotz überwiegend T1-G3-Karzinomen keine systematische Nachresektion durchgeführt, hier ist vermutlich in hohem Prozentsatz Resttumor belassen worden. Des Weiteren erfahren wir nichts über die Histologie des Rezidivs: ein Ta-G1-Rezidiv ist sicher anders einzuschätzen als ein T1-G3- Rezidiv.

Ein wichtiges Detail des Studiendesigns bedarf jedoch auf jeden Fall eines kritischen Kommentars: Beim 2. Rezidiv eines hochmalignen Tumors (besser: Tumorerkrankung, da bei über 60% der Patienten neben T1-multifokale CIS-Nester nachweisbar waren) ein Crossover zu der noch nicht gegebenen, intravesikalen Therapieform durchzuführen, ist höchst bedenklich. In Kenntnis der biologischen Aggressivität von Frührezidiven (innerhalb von 6 Monaten) hätte unseres Erachtens spätestens zu diesem Zeitpunkt eine Zystektomie erfolgen müssen: Entsprechend verstarben in der Studie 95% der (zu spät) zystektomierten Patienten am Progress.

Ähnlich wie bei anderen Therapieansätzen (Photodynamische Therapie, Thermotherapie und Mitomycin) fällt es schwer, die klinische Relevanz dieser Studie zu beurteilen: Die Bereitschaft klinisch tätiger Urologen in Praxis und Klinik sich mit Kenngrößen wie Ampere, Valenz, Faraday‘schen Gleichungen, Iontophorese, Elektroosmose oder Elektrophorese auseinander zu setzen, ist vermutlich begrenzt und die apparativen Voraussetzungen sowie die zeitliche Inanspruchnahme für entsprechende Verfahren limitierend. Neben der Wirksamkeit (die für die elektromotive Mitomycin-Applikation im Vergleich zu BCG noch nicht belegt ist) erfordert ein erfolgreicher Einsatz jedes neuen Verfahren eine breite Machbarkeit und natürlich wirtschaftliche Akzeptanz.

PD Dr. Drasko Brkovic, RWTH Aachen

 
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Behandlungsschema des Harnblasenkarzinoms (Bild: Urologie, Thieme, 2003).