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DOI: 10.1055/s-2004-836979
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Zu spät erkannt ... - Die Gefahr von Mykosen wird noch immer unterschätzt
Publication History
Publication Date:
02 December 2004 (online)
- Viele Mykosen bleiben unentdeckt
- Immer mehr Patienten sind betroffen!
- Mykosen sind im DRG-System schlecht abgebildet
- Wege aus dem Schatten
- Literatur
Pilze und Pilzinfektionen bilden eine Ausnahmesituation in der Medizin, konstatierte Prof. Dr. P. Kujath, Lübeck. "Es gibt kein Organ, das nicht von Pilzen befallen werden kann - und immer mehr Patienten sind betroffen. Doch zu häufig werden Pilzinfektionen zu spät erkannt." Ein Beispiel: Prof. H. Hof, Mannheim, berichtete von einem 60-jährigen Weltreisenden, der sich mit Husten, Hautausschlag und Granulomen in der Klinik vorstellte. Tuberkel waren nicht zu sehen, trotzdem diagnostizierten die Ärzte eine Tuberkulose und leiteten eine entsprechende Therapie ein. Der Patient verstarb. Erst zu spät hatten die Behandler erkannt, dass eine Pilzinfektion vorlag. "Ein einziger mykologischer Test, und es wäre klar gewesen", so Hof. "Hätte man den Patienten nur eine Woche lang mit einem modernen Antimykotikum behandelt, hätte er wahrscheinlich überlebt!"
#Viele Mykosen bleiben unentdeckt
Dass vor allem invasive systemische Mykosen nach wie vor "stiefmütterlich" behandelt werden, belegte PD S. Koch, Bad Saarow, anhand von Daten einer Autopsiestudie aus dem Humaine Klinikum, einem Versorgungskrankenhaus der qualifizierten Regelversorgung (660 Betten) mit einem weit gefächerten Disziplinenspektrum und akutmedizinischen sowie onkologischen Patienten ([2]).
In der Zeit von 1973-2001 wurden aus 4813 Autopsien verstorbener Erwachsener mithilfe einer Hämatoxylin-Eosin(HE)-Färbung 47 systemische Mykosen diagnostiziert - ein Anteil von 0,98%. Dies ist übrigens ein vergleichsweise niedriger Wert, in anderen Autopsiestudien schwanken die Angaben zum Anteil invasiver Mykosen zwischen 0,7 und 3,5%. Deutlich zu sehen war im Rahmen der Untersuchung ein Wandel des Erregerspektrums: Dominierten zu Beginn die Candidosen, waren in den Jahren von 1992-2001 immer häufiger Aspergillen-Infektionen zu beobachten.
Doch nur in drei Fällen wurde die systemische Mykose bereits intravital diagnostiziert, berichtete Koch. Er forderte daher, die Existenz systemischer Pilzerkrankungen verstärkt in die differenzialdiagnostischen Überlegungen einzubeziehen und gezielt bei der Aus- und Weiterbildung der Ärzte zu berücksichtigen. Seiner Meinung nach ist der derzeit geringe Stellenwert der Autopsie ebenso zu überdenken wie die Möglichkeiten einer engeren Kooperation diagnostischer und klinischer Fachgebiete.
Erfreulich ist der Aspekt, dass sich die Anzahl der Fälle, in denen systemische Mykosen die unmittelbare Todesursache waren, über die Jahre deutlich reduzierte (von 71,7 auf 46,1%) - obwohl deren Häufigkeit während des gesamten Untersuchungszeitraums zunahm. Doch das bedeutet auch: Noch immer versterben etwa die Hälfte der Patienten mit einer systemischen Mykose in großen parenchymatischen Organen, betonte Koch.
#Immer mehr Patienten sind betroffen!
Warum jedoch bleiben so viele Mykosen unentdeckt und unbehandelt? Ein Grund von vielen [Tab. 1] ist sicherlich, dass heute auf den Intensivstationen Patienten über lange Zeit therapiert werden, die noch vor 10-15 Jahren binnen kurzer Frist verstarben. Auch aufgrund dieser effektiven modernen Therapieoptionen sehen wir heute regelhafte Krankheitsbilder wie systemische Mykosen, die früher nur in Ausnahmefällen auftraten (Zeit bis zum Auftreten einer Mykose 7-21 Tage).
Im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein beispielsweise hat sich die Liegedauer der Intensiv-Patienten in einem Zeitraum von zehn Jahren von 3,9 auf 5,9 Tage erhöht. "Doch je länger die Patienten auf der Intensivstation liegen, desto öfter erleiden sie eine Pilzinfektion", erklärte Kujath. Invasive Katheter, künstliche Ernährung oder auch eine Langzeitbeatmung mit der Gabe verschiedener Antibiotika schaffen zusätzlich zu den Umweltbedingungen auf der Intensivstation (z.B. Gewebsnekrosen, Feuchtigkeit, Wärme, vermindertes Redoxpotenzial) gute Bedingungen für das Wachstum von Pilzen. Zudem sind die Verschlechterung der Leberfunktion und speziell die Verminderung der zellulären Abwehrkräfte Risikofaktoren, die eine Ausbreitung von Pilzinfektionen begünstigen. Ein Beispiel: Waren peritoneale Mykosen früher relativ selten, steigt ihre Inzidenz inzwischen stetig (bis zu 7% bei der diffusen Peritonitis).
Als besorgniserregend bezeichnete Kujath die Zunahme von Aspergillosen der Lunge. Krankheitsbilder wie Lungenbluten oder Lungennekrosen werden immer häufiger und sind mit einer hohen Letalität assoziiert. Besonders gefährdet sind Patienten nach Lungentransplantationen und Lebertransplantationen, meinte Kujath. "Wir sehen uns derzeit immer häufiger mit solch schweren Fällen konfrontiert, die wir - wenn überhaupt - nur schwer in den Griff bekommen!" Dementsprechend steigen auch die Mortalitätsraten aufgrund von Mykosen stetig: Verstarben in den USA im Jahr 1980 "nur" 828 Patienten an einer invasiven Mykose, waren dies 1997 - also vor immerhin sieben Jahren - mit 3270 Todesfällen schon fast dreimal so viele Patienten ([1]).
#Mykosen sind im DRG-System schlecht abgebildet
Gerade in schweren Fällen ist es die Kostensituation, die uns in Deutschland immer öfter vor Probleme stellt. Denn im bisherigen Vergütungssystem sind die Aufwendungen für die Therapie mit neueren Antimykotika (wie zum Beispiel Voriconazol) nicht abgebildet, da die Entwicklung des deutschen DRG-Systems ("diagnosis related groups") in die "Amphotericin-Ära" zurückgeht - ein Wirkstoff der günstiger aber gleichzeitig weitaus weniger verträglich als neuere Substanzen ist, erklärte PD M. Ruhnke, Berlin. Zwar hat die Deutschsprachige Mykologische Gesellschaft (DMykG) bereits Anstrengungen unternommen, dass auch die neuen und teureren Antimykotika adäquat vergütet werden. In 2005 wird es für die Antimykotika Zusatzentgelte geben - jedoch nur für Caspofungin, Voriconazol und Ambisome und nur bei den Kassen, die in diesem Jahr einen entsprechenden Verbrauch hatten. Ruhnke sieht die Gefahr, dass Kliniken aus reiner Finanznot nur die "billigen", in ihrer Wirksamkeit aber unterlegenen Substanzen einsetzen.
In diesem Zusammenhang erinnerte er daran, dass mit dem neuen Entgeltsystem nur noch das bezahlt wird, was auch erfasst und kodiert ist. Im Falle einer Candidämie sei es noch relativ einfach, den Erreger zu ermitteln und nachzuweisen, dass dieser ursächlich für die Erkrankung verantwortlich ist, meinte Ruhnke. Schwieriger sei es jedoch bei der inzwischen relativ häufigen Situation unklarer Lungenfiltrate bei granulozytopenischen Patienten, bei denen eine invasive Aspergillose als wichtige und häufige Differenzialdiagnose oft nicht gesichert werde. Aber auch opportunistische Infektionen während der Behandlung einer anderen Grunderkrankung - zum Beispiel einer akuten Leukämie oder einer Organtransplantation - werden leicht "vergessen", da die Behandlung der Grunderkrankung im Vordergrund steht.
Ruhnke forderte daher, standardisierte Nachweismethoden auch in Form von Leitlinien anzubieten und diese im klinischen Alltag fest zu etablieren. Der Mykologe müsse aktiv dazu beitragen, dass bei Verdacht auf eine invasive Pilzinfektion die adäquate Diagnostik nicht nur angeboten, sondern auch durchgeführt wird, um den definitiven Erregernachweis zu erreichen. Dies sei aber erst der Anfang. Noch sei ein langer Weg nötig, so Ruhnke, damit die klinische Mykologie nicht als unwichtig zugunsten anderer Disziplinen ins Hintertreffen gerate.
#Wege aus dem Schatten
Um der zunehmenden Bedeutung mykologischer Erkrankungen Rechnung zu tragen, wurde vor drei Jahren in Göttingen ein Nationales Referenzzentrum für Systemische Mykosen (NRZSM) eingerichtet. Aufgrund der leider limitierten Mittel konzentriert sich das Referenzzentrum momentan auf die beiden wichtigsten Systemmykosen, also die Candidosen und Aspergillosen, berichtete Prof. U. Groß, Göttingen.
Neben seiner Beratungsleistung stellt das NRZSM derzeit serologische Testverfahren (Einsatz von rekombinantem Mitogillin von A. fumigatus) sowie eine panfungale PCR ("polymerase chain reaction") zur Verfügung. In Planung sind die Entwicklung weiterer Tests, insbesondere hinsichtlich der Candida-Serologie, sowie die Etablierung eines internen Ringversuchs zur PCR. Untersuchungen zur Pathogenität pilzlicher Infektionen fokussieren beispielsweise auf die Charakterisierung von Virulenzfaktoren oder die Identifizierung diagnostisch relevanter Antigene.
Ein aktuelles interdisziplinär ausgerichtetes Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zum Schwerpunkt Mykologie trägt seit Mai 2003 dazu bei, die Kompetenz und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen medizinischen Mykologie zu stärken. Im Zentrum des Interesses steht hier die Aufklärung von Infektionsmechanismen bei Erkrankungen durch opportunistische Pilze (Aspergillus, Candida, Kryptokokken und Mikrosporidien). Untersucht werden dabei verschiedene Teilaspekte, die bei der Pathogenese von der Kolonisation bis zur Infektion eine Rolle spielen.
Im vergangenen Jahr wurde zudem die Stiftung der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft ins Leben gerufen. Diese hat sich zum Ziel gesetzt, vor allem den Nachwuchs in der Mykologie zu fördern, so der Stiftungspräsident Dr. J. Bufler, Karlsruhe. Die Finanzierung von Stiftungsprofessuren, Stipendien oder Preisen ist seiner Meinung nach eine wichtige Maßnahme, um junge, mykologisch interessierte Mediziner aktiv in die Tätigkeiten der DMykG zu integrieren.
Sicher ist, in Zukunft sind interdisziplinäre Kooperationen gefragt. "Der Einzelne in seinem Fachgebiet kann die Bedeutung der Pilze nicht überblicken", schloss Hof. "Daher müssen wir alle ins Boot holen!"
sts
nach einer Pressekonferenz "Mykosen - die unterschätzte Gefahr" im Rahmen der 38.Wissenschaftlichen Tagung derDeutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft e.V.
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