Der Klinikarzt 2004; 33(11): X
DOI: 10.1055/s-2004-836980
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Was ist gesichert? - Nachsorge bei Frauen mit Mammakarzinom

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Publication Date:
02 December 2004 (online)

 
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Die Nachsorge Krebskranker beginnt mit dem Abschluss der Primärbehandlung. Der Fokus einer qualitätsvollen Nachsorge und der in diesem Rahmen durchzuführenden Maßnahmen muss dabei auf dem Nutzen für die Betroffenen liegen. Dabei ist die Sicht des Krebskranken ebenso von Bedeutung wie die ärztliche und medizinische Indikation. Aufgabe und Ziele der Nachsorge sind

  • die psychosoziale Betreuung

  • die Erkennung und Behandlung von Begleit- und Folgeerkrankungen

  • die frühzeitige Erkennung und Behandlung von Rezidiven, Zweitkarzinomen und Fernmetastasen

  • die Dokumentation und Bereitstellung der Daten zur Beurteilung der Maßnahmen.

Bei Frauen mit Brustkrebs hat die Nachsorge einen besonderen Stellenwert. Die Bewältigung der Krankheit, die Neuorientierung in der Familie, am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft sowie die Unsicherheit des weiteren Verlaufs stellen viele Betroffene vor besondere Probleme. Zwar sind die meisten Patientinnen durch die Primärbehandlung geheilt, dennoch erleidet ein nicht unbeträchtlicher Teil - unter Umständen erst nach Jahren - eine erneute Malignommanifestation. Bisher existieren keine geeigneten Parameter, die eine Unterscheidung zwischen den durch die Primärbehandlung definitiv geheilten und den eine erneute Malignommanifestation erleidenden Frauen ermöglicht.

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Nachsorge als Vorsorge oder als Belastung?

Von Nachsorgeuntersuchungen profitieren vor allem diejenigen Frauen, die ein intramammäres oder lokoregionäres Rezidiv erleiden. Sie haben eine kurative Therapiechance. Das gleiche gilt für Frauen, bei denen ein Zweitkarzinom in der kontralateralen Brust oder in anderen Organen auftritt und frühzeitig erkannt wird. Nachsorgeuntersuchungen haben bei diesen Patientinnen tatsächlich den Stellenwert einer tertiären Prävention.

Patientinnen mit Fernmetastasen haben nach dem heutigen Kenntnisstand keine kurative Chance. Die Früherkennung der Metastasen und ihre frühzeitige Behandlung führt nicht zu einem Überlebensvorteil, die Lebenszeit dieser Frauen ist identisch mit der von Patientinnen, deren Behandlung erst nach dem Auftreten von Symptomen einsetzt. U. Kleeberg formuliert diese Erkenntnis treffend: "Die frühzeitige Dokumentation einer Metastasierung verlängert nur die Leidenszeit, nicht die Lebenszeit."

Bei mehr als 90% der beschwerdefreien Frauen reichen die sorgfältige Anamneseerhebung und eine somatische Untersuchung aus, um das Rezidiv oder die Fernmetastasierung rechtzeitig zu entdecken. Ebenso wichtig wie regelmäßig durchzuführende Nachsorgeuntersuchungen, zu denen auch die in regelmäßigen Abständen durchzuführende Mammografie zählt, sind die ärztliche Zuwendung, die Induktion von Hoffnung, die psychologische Führung, das Angebot sozialer Hilfeleistungen, die Rehabilitation, letztlich die Verbesserung der Lebensqualität.

Zusätzliche technische und biochemische Tests zeichnen sich erfahrungsgemäß durch eine nicht unbeträchtliche Rate falsch positiver Untersuchungsergebnisse aus. Grund dafür ist entweder die hohe Sensitivität und geringe Spezifität bzw. eine geringe Sensitivität und hohe Spezifität der genutzten Untersuchungsverfahren. Falsch positive Untersuchungsergebnisse beunruhigen Patientin und Arzt und ziehen eine Vielzahl von Zusatzuntersuchungen nach sich. Soweit die Empfehlungen der im Februar 1995 durchgeführten Konsensus-Tagung.

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Müssen wir uns neu orientieren?

Welche Gültigkeit haben diese Aussagen heute, mehr als neun Jahre nach dem Konsensus? In der Behandlung des metastasierten Mammakarzinoms sind zwischenzeitlich Fortschritte erzielt worden. Der Einsatz der Bisphosphonate übt einen günstigen Einfluss auf Skelettmetastasen aus. Durch Trastuzumab, durch die neuen Aromataseinhibitoren und durch die Taxane kann die Lebenszeit von Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom signifikant, wenn auch im Median nur wenige Wochen oder Monate, verlängert werden. Bei manchen Patientinnen können durch Therapiesequenzen lang anhaltende Voll- und Teilremissionen erzielt werden. Solche Verläufe sind jedem erfahrenen Onkologen bekannt. Dennoch hat sich die Chance auf eine Heilung nicht verbessert. Und ist es nicht doch die Tumorbiologie, die im Wesentlichen den Krankheitsverlauf und die Lebenserwartung der einzelnen Patientin bestimmt?

Ist nun eine Umorientierung erforderlich - weg vom Konzept des Nutzens für die Patientin und wieder zurück zu den technischen Möglichkeiten der Metastasenfrüherkennung mit bildgebenden Verfahren und Labordiagnostik? Die emotional geführte Diskussion bringt uns nicht weiter. Wir benötigen Antworten auf die Fragen, ob die Lebensqualität durch die Metastasen-Früherkennung der Betroffenen entscheidend verbessert oder das Leben bei Metastasen-Früherkennung entscheidend verlängert werden kann. Und wenn dies so ist, durch welche Untersuchungsverfahren und zu welchem Zeitpunkt?

Prof. Dr. K.P. Hellriegel, Berlin

 
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