Neuropathische Schmerzen sind nach der Definition der Internationalen Gesellschaft
zum Studium des Schmerzes (IASP) Schmerzen, die durch eine Läsion oder Dysfunktion
des zentralen oder peripheren Nervensystems verursacht werden, erklärte Prof. Ralf
Baron, Kiel, auf einer Fortbildungsveranstaltung in München[1]. Auslöser von neuropathischen Schmerzen sind z.B. Diabetes, Herpes zoster, aber
auch Schlaganfall, Rückenmarksverletzungen, AIDS und Multiple Sklerose.
Durch die Schädigung der Neurone, beginnen diese unkontrolliert zu "feuern", sodass
der dazugehörende Nozizeptor sensibilisiert wird und vermehrt vasoaktive Substanzen
freisetzt. Auch die Schmerzfasern (C-Fasern) werden pathologisch übererregt, wie mit
bildgebenden Verfahren beobachtet wurde. Durch die Läsion werden Wachstumsfaktoren
ausgeschüttet, die die C-Fasern direkt erreichen können und diese schädigen. Die andauernde
Nozizeptoraktivität führt zu zentraler Sensibilisierung. Es kommt zur Neubildung von
Kanälen und Rezeptoren, z.B. Menthol-, Vanilloid- und Histaminrezeptoren, sowie zur
"Fehlverschaltung" von Berührungsafferenzen mit zentralen nozizeptiven Neuronen, sodass
eine Aktivität in diesen Berührungsafferenzen zu Schmerz wird. Nozizeptive Systeme
unterliegen normalerweise einer inhibierenden Kontrolle, die jedoch durch die ständige
Aktivierung aufgehoben wird. Schon eine leichte Berührung kann so eine Schmerzempfindung
auslösen. Bei einigen Patienten können die ausgelösten Schmerzen dazu führen, dass
sie nicht mehr die geringste Berührung ertragen können, und z.B. auch keine Kleidung
mehr tragen können.
Eine neue Behandlungsoption bietet jetzt Pregabalin. Pregabalin dockt an die spannungsabhängigen
Kalziumkanäle im ZNS an, sodass der Kalziumeinstrom verringert wird und so die pathologische
Übererregung zentraler Neurone vermindert wird. Die Freisetzung der exzitatorischen
Neurotransmitter Glutamat, Noradrenalin und Substanz P wird reduziert. Die Schmerzentstehung
und auch die Chronifizierung werden so vermindert.
Pregabalin (Lyrica®) ist seit dem ersten September in Deutschland zur Behandlung von
peripheren neuropathischen Schmerzen erhältlich. Eine weitere Indikation ist die Therapie
fokaler Epilepsien. Seine Wirksamkeit konnte Pregabalin, das mit Gabapentin strukturverwandt
ist, bereits in mehreren Studien evident belegen. Wie Dr. Rainer Freynhagen, Düsseldorf,
vorstellte, erzielten 52% der Patienten in einer Studie (329 Patienten mit diabetischer
Neuropathie oder Postzosterneuralgie) eine Reduktion ihrer Schmerzen um mindestens
50% bei Therapie mit 600 mg Pregabalin/Tag. Bereits in der ersten Woche kann eine
klinisch relevante analgetische Wirkung erreicht werden und gleichzeitig werden die
bei diesen Patienten häufig bestehenden schmerzbedingten Schlafstörungen deutlich
verbessert. Die Wirksamkeit von Pregabalin bleibt auch langfristig erhalten, wie eine
offene Studie, in der 217 Patienten über ein Jahr therapiert worden waren, belegte.
Die Therapie mit Pregabalin bei peripheren neuropathischen Schmerzen ist daher nach
den Worten von Freynhagen "eine enorme Bereicherung ... eine Substanz, die uns in
Zukunft etwas davon weg bringt, mit dem Rücken an der Wand zu stehen".
Pregabalin zeichnet sich durch ein sehr günstiges Wirkungs- bzw. Nebenwirkungsprofil
aus. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Benommenheit und Schläfrigkeit, die jedoch
nur bei 3,1% bzw. 2,6% der Patienten zu einem vorzeitigen Studienabbruch führten.
Laborveränderungen oder relevante Veränderungen von Blutdruck, Herzfrequenz oder des
QT-Intervalls wurden nicht beobachtet.