Ernährung & Medizin 2004; 19(4): 159-160
DOI: 10.1055/s-2004-837277
Editorial

© Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Rationalisierungsschema 2004 - Paradigmenwechsel in der Ernährungsmedizin

Christine Metzner
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Christine Metzner

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
04. Dezember 2006 (online)

Inhaltsübersicht #

Zusammenfassung

Proteinversorgung bei Leber- und Niereninsuffizienz noch nicht optimal

Nach 1978, 1990 und 1994 wurde im Oktober die 4. Fassung des Rationalisierungsschemas der unter Literatur (s.u.) genannten Gesellschaften und Verbände zur Anwendung wissenschaftlich gesicherter Kostformen vorgestellt. Inzwischen haben sich in der Ernährungsmedizin Paradigmenwechsel vollzogen, die gleichermaßen in der Prävention wie in der Therapie ernährungsabhängiger oder -mitbedingter Krankheiten diätetische Konsequenzen nach sich ziehen müssten.

Zu den vorrangig betroffenen Kost-/Diätformen gehören proteindefinierte, wie sie bei Patienten mit akuter und chronischer Niereninsuffizienz sowie chronischen Lebererkrankungen indiziert sind. Entscheidend für die Lebenserwartung ist bei ihnen die weitgehende, besser noch gänzliche Vermeidung einer Protein-Energie-Malabsorption (PEM). Wegen des erhöhten Energieverbrauches und des gesteigerten Proteinstoffwechsels steht für Patienten mit chronischer Leber- und Niereninsuffizienz darum im Mittelpunkt jeglicher ernährungstherapeutischer Strategie heute eine vorzugsweise oral zugeführte adäquate Menge an Nahrungsenergie und Protein.

Für Patienten mit einer Nierenschädigung und Niereninsuffizienz, eine diabetische Nephropathie eingeschlossen, werden in den National Kidney Foundation Practice Guidelines for Chronic Kidney Disease von 2000 ebenso wie in der AWMF-Leitlinie »Diabetische Nephropathie« (Nr. 057/005K, Entwicklungsstufe 3, Stand: Mai 2002) für die Energiezufuhr 30-35 kcal/kg Körpergewicht/Tag und für die Eiweißzufuhr 0,6-0,75 bzw. 0,8 g/kg KG/Tag vorgeschlagen. Die empfohlene Eiweißzufuhr entspricht somit der in den D-A-CH-Referenzwerten für die Nährstoffzufuhr von 2000 angegebenen Werten für Gesunde! Entscheidend dabei ist, dass die Erhöhung der Eiweißzufuhr mit einer Reduktion der Phosphataufnahme einhergeht; diese sollte 800 mg/Tag nicht überschreiten.

In den bereits 1999 publizierten Leitlinien der GALS ist zur Diätetik bei Leberkrankheiten und Lebertransplantationen davon ausgegangen worden, dass bei den meisten Patienten eine Mangelernährung in Form der PEM vorliegt. Dementsprechend hat für sie eine adäquate Nahrungsaufnahme ebenfalls entscheidendenden Einfluss auf die Prognose. Aus diesem Grunde sollten selbst adipöse Patienten nicht extrem hypokalorisch ernährt werden. Die nicht mit Eiweiß zugeführte Nahrungsenergie sollte 25-30 kcal/kg KG/Tag und nach diagnostizierter Mangelernährung 35 kcal/kg KG/Tag betragen. Da Patienten mit Leberzirrhose in aller Regel einen erhöhten Eiweißbedarf haben, werden Zufuhren von 1,0-1,5 g Eiweiß bzw. Aminosäuren/kg KG/Tag empfohlen. Aus dem Rationalisierungsschema geht hervor, dass selbst bei Vorliegen einer Enzephalopathie eine Reduktion auf 0,5 g Eiweiß/kg KG/Tag allenfalls kurzfristig (maximal 2 Tage) erfolgen sollte. Die Supplementierung mit verzweigtkettigen Aminosäuren ist lediglich bei Patienten mit Eiweißintoleranz angezeigt.

Das Fazit lautet also: Patienten mit chronischen Leberkrankheiten benötigen mehr Nahrungseiweiß als Gesunde, die empfohlene Zufuhr liegt demgemäß über derjenigen der D-A-CH-Referenzwerte. In der klinischen Praxis ist dieser Paradigmenwechsel leider noch nicht allgemein erkannt und mit diätetischen Konsequenzen umgesetzt worden.

Dankenswerterweise haben die Autoren des Rationalisierungsschemas 2004 Empfehlungen der einschlägigen Fachgesellschaften aufgegriffen und sie für energiedefinierte Kostformen in einer tabellarischen Übersicht zusammengestellt. Diätassistenten/innen werden diese als Handlungsgrundlage sicher dankbar annehmen, weil sie ihnen sowohl die stationäre als auch die ambulante Betreuung betroffener Patienten sehr erleichtert. Zu begrüßen ist außerdem, dass im Rationalisierungsschema als pragmatische Vorgehensweise bei proteindefinierten Kostformen die kontrollierte Supplementation mit Mikronährstoffen, d.h. die ärztlich überwachte Nahrungsergänzung mit Vitaminen, Mineralsstoffen und Spurenelementen, empfohlen wird.

Leider ist die Ernährungstherapie bei Rheumaerkrankungen nach wie vor ein Stiefkind der Rheumatologen. Umso erfreulicher ist es, dass diesbezügliche Ziele und Prinzipien der Ernährungs-therapie sowie deren praktische Umsetzung im Rationalisierungsschema 2004 ausführlich dargestellt werden und die Verwendung Omega-3-reicher pflanzlicher Öle (Lein-, Raps- und Walnussöl) dabei den ihr gebührenden Rang einnimmt. Von nicht minderer Bedeutung ist der Hinweis auf den Einsatz calciumreicher Mineralwässer, da in der Praxis häufig als Argument vorgebracht wird, Calcium werde aus Mineralwässern nicht oder nicht hinreichend absorbiert. Begrüßenswert eindeutig formuliert sind ferner Besonderheiten und Empfehlungen zur Ernährung von Patienten mit Dyslipoprotein- oder Hyperurikämie.

Die ausgesprochenen Vorschläge zur Ernährung von Diabetikern sind weitgehend mit denen der Arbeitsgruppe Ernährung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) 2000 identisch. Abweichend davon sind das Fehlen von Empfehlungen zur Zufuhr von 60-70 Energie- % an Kohlenhydraten und cis-einfach ungesättigten Fettsäuren sowie die weitergehende Begrenzung der Zulässigkeit täglicher Alkoholaufnahmen (DDG: Männer bis zu 30 g/Tag, Frauen bis zu 15 g/Tag).

Der Paradigmenwechsel in Bezug auf Nahrungsfette, dem die Erkenntnis zugrunde liegt, dass Fett per se kein koronarer Risikofaktor ist, spiegelt sich im Abschnitt »Fettmenge und Fettart haben Einfluss auf koronare Herzerkrankungen« wider. Hier wird der Bogen zur Prävention geschlagen und dabei auch einer angemessenen Vitaminzufuhr

Beachtung geschenkt. Explizit wird auf die Vitamine C, E, D und Folsäure eingegangen. An anderer Stelle (Ernährungstherapie bei Rheumaerkrankungen) wird auf den Zusammenhang zwischen den Vitaminen E und C aufmerksam gemacht. Speziell betrifft dies die Regeneration von Vitamin E durch Vitamin C und die potenzielle Gefahr einer prooxidativen Wirkung des nicht wieder zu Tocopherol reduzierten Tocopheroxyl-Radikals.

Insgesamt ist einzuschätzen, dass vom Rationalisierungsschema 2004 die in den vergangenen Jahren erfolgten Paradigmenwechsel in der Ernährungsmedizin weitgehend berücksichtigt worden sind. Dem Ruf, ein unverzichtbares Handwerkszeug für Ernährungsmediziner und Internisten,

Diätassistenten/innen und anderweitige Ernährungsberater sowie für alle mit Fragen der Diätetik konfrontierten Ärzte zu sein, wird auch die neue Fassung wieder gerecht.

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Literatur:

  • 1 Kluthe R, Dittrich A, Everding R, Gebhardt A, Hund-Wissner E, Kasper H, Rottka H, Rabast U, Weingard A, Wild M, Wirth A, Wolfram G. Das Rationalisierungsschema 2004 des Bundesverbandes Deutscher Ernährungsmediziner (BDEM) e.V.. der Deutschen Adipositas Gesellschaft e.V.. der Deutschen Akademie für Ernährungsmedizin (DAEM) e.V.. der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) e.V.. des Verbandes der Diätassistenten - Deutscher Bundesverband (VDD) e.V. . des Verbandes der Diplom-Oecotrophologen (VDOE) e.V.
  • 2 Aktuel Ernaehr Med.  2004;  29 245-253
  • 3 Frei zugänglich unter www.thieme-connect.de
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Christine Metzner

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Literatur:

  • 1 Kluthe R, Dittrich A, Everding R, Gebhardt A, Hund-Wissner E, Kasper H, Rottka H, Rabast U, Weingard A, Wild M, Wirth A, Wolfram G. Das Rationalisierungsschema 2004 des Bundesverbandes Deutscher Ernährungsmediziner (BDEM) e.V.. der Deutschen Adipositas Gesellschaft e.V.. der Deutschen Akademie für Ernährungsmedizin (DAEM) e.V.. der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) e.V.. des Verbandes der Diätassistenten - Deutscher Bundesverband (VDD) e.V. . des Verbandes der Diplom-Oecotrophologen (VDOE) e.V.
  • 2 Aktuel Ernaehr Med.  2004;  29 245-253
  • 3 Frei zugänglich unter www.thieme-connect.de
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Christine Metzner