Der Klinikarzt 2004; 33(12): VI-VII
DOI: 10.1055/s-2004-860931
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Empirisch, gezielt oder kalkuliert? - Therapie und Sekundärprophylaxe invasiver Aspergillosen

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Publication Date:
13 January 2005 (online)

 
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Beim Einsatz von Antimykotika müssen drei klinische Szenarien unterschieden werden: die empirische, die gezielte und die präemptive oder auch als kalkuliert zu bezeichnende antimykotische Therapie (Tab. [1]), erklärte Prof. G. Maschmeyer, Berlin. Für den gezielten Einsatz der Präparate gibt es spezifisch definierte Kriterien, die im Konsens einer großen Expertengruppe festgelegt wurden. So stellen die EORTC/MSG-Kriterien (European Organisation for Research and Treatment of Cancer/ Mycosis Study Group) klare Forderungen für die Beurteilung, ob eine invasive Aspergillose oder Candida-Infektion definitiv oder wahrscheinlich vorliegt.

Solche Kriterien werden benötigt, um klinische Studien miteinander vergleichbar zu machen. In der Klinik können sie aber kaum als Gradmesser dienen, ob ein definierter Patient eine invasive Aspergillose hat. Denn die klinische Situation sieht häufig ganz anders aus, wie schon eine kleine Studie zeigt (Subira et al. 2003): Bei 22 Patienten mit hämatologischer Erkrankung und einer nach den EORTC/MSG-Kriterien autoptisch gesicherten invasiven Aspergillose war diese ante mortem lediglich bei zwei Patienten gesichert, bei sechs wurde das Vorliegen als "wahrscheinlich" angegeben, bei 13 als "möglich" und ein Patient galt als "nicht klassifizierbar". In aller Regel ist die Therapie hier also präemptiv. Studien der letzten Jahre bei Patienten mit autoptisch gesicherter Pilzinfektion zeigen, dass die Diagnose im Schnitt nur bei rund 25% schon ante mortem zu sichern war. Es gibt also eine hohe Dunkelziffer bei invasiven Mykosen, weshalb häufig eine empirische Therapie nötig ist.

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Die Wahl der Antimykotikums

Wie wählt man nun bei der empirischen antimykotischen Therapie bei Fieber unklarer Genese die optimale Substanz? In der Primärtherapie basiert die Entscheidung auf Ergebnissen aus randomisierten klinischen Studien und dem Analogieschluss von mikrobiologisch gesicherten Infektionen (das Häufige ist häufig). Die Zweitlinientherapie, wenn also die Patienten nicht entfiebern, ist spekulativ. Hier versuchte man bislang meist, eventuell vorhandene Lücken im Aktivitätsspektrum des primär eingesetzten Antibiotikums zu schließen oder sieht die Notwendigkeit, mögliche vorhandene Resistenzen zu überwinden.

Oft stützt sich diese Zweitlinientherapie auf Ergebnisse so genannter "Salvage"-Studien, denn randomisierte klinische Studien sind hier rar. Es gibt aber nach Maschmeyer aus der Studienlage keine Rationale für das "blinde" Schließen von Aktivitätslücken bei Patienten, die unter Primärtherapie nicht entfiebern.

In kontrollierten Studien war es vielmehr effektiver, zusätzlich ein Antimykotikum zu applizieren. So stiegen unter der additiven Gabe von Fluconazol die Responseraten (Entfieberung und Überleben) auf 62,5%, unter Amphotericin B sogar von 55,6 auf 77,8%. Maschmeyer schließt daraus, dass die empirische antimykotische Therapie bei febrilen neutropenischen Patienten wirksamer ist als das blinde Schließen von Lücken einer antimikrobiellen Therapie und dass hier das Amphotericin B eher zum Erfolg führt als das Fluconazol. Wahrscheinlich liege bei vielen dieser Patienten eine klinisch noch nicht manifeste Fadenpilzinfektion vor.

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Natürlich wird jeder vor dem Gedanken zurückschrecken, allen Patienten mit unklarem Fieber, die unter der Antibiotikatherapie nicht entfiebern, Amphotericin zu geben, meinte Maschmeyer. Denn nach drei bis vier Tagen können sich unter Amphotericin Nierenprobleme entwickeln. Auch die Therapiealternative Ambisome (1mg/kg/d) ist mit einer Nephropathie-Rate von rund 10% nicht ganz ungefährlich - wenn auch bezüglich der Entfieberung mit 58% wirksamer als Amphotericin (49%).

Voriconazol ist gegen diese Therapieoption mit gutem Erfolg an einer großen Zahl von Patienten geprüft worden (Tab. [2]). Die insgesamt scheinbar niedrigeren Ansprechraten sind darauf zurückzuführen, dass in der Studie eine Entfieberung noch während der Neutropenie gefordert wurde. Weil in dieser sehr schwierigen statistischen Konstruktion die "Nichtunterlegenheit" nicht eindeutig gezeigt werden konnte (das Konfidenzintervall wurde überschritten), hat Voriconazol hier keine Zulassung. Niemand, der klinisch in erster Linie daran interessiert ist, dass die Patienten entfiebern und dass sie überleben, wird dies verstehen können, meinte Maschmeyer.

Im Vergleich mit anderen Studien zur empirischen Second-line-Therapie zeigt die "Walsh-Studie" mit Voriconazol versus dem liposomalen Amphotericin B ein vergleichbares Ansprechen und eine minimale pilzinfektionsbedingte Mortalität bei signifikant besserer Verträglichkeit. Die Forderung des Ansprechens vor Erholung der neutrophilen Granulozyten führt also zu einer falschen Beurteilung der Wirksamkeit einer empirischen antimykotischen Therapie.

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Antimykotikum schon in der Primärtherapie?

Gerade bei Hochrisikopatienten sollte man laut Maschmeyer überlegen, ob es nicht eine identifizierbare Population gibt, wo es schon in der Primärtherapie der schweren Neutropenie sinnvoll erscheint, neben dem Antibiotikum ein Antimykotikum zu verabreichen. Wenn andere Therapien versagen, sei ein möglichst frühzeitiger Einsatz eines Antimykotikums unter Umständen zweckmäßiger als seine sekundäre Gabe. Über klinische Faktoren allein lassen sich diese Patienten jedoch nicht identifizieren.

Mit der IDEA-Studie - hier wird ein sofortiger Beginn einer empirischen antimykotischen Therapie mit Voriconazol mit ihrem späteren Einsatz bei neutropenischen Hochrisiko-Patienten mit Fieber und einer positiven Pilz-PCR verglichen - soll dieser Frage nachgegangen werden. Es hat sich nämlich gezeigt, dass eine invasive Aspergillose mittels der so genannten PCR ("polymerase chain reaction") bereits zwei Tage vor den ersten klinischen Zeichen und neun Tage vor der klinischen Diagnose zu erkennen ist - bei einer Sensitivität von 100% und einer Spezifität von 65%. Kein einziger der PCR-negativen Patienten entwickelte in der Folge eine Aspergillose.

Primärer Endpunkt von IDEA ist die Rate der Durchbruch-Infektionen an den Tagen 2-28. Geprüft werden aber auch noch eine Reihe sekundärer Endpunkte, unter anderem die Entfieberung innerhalb von vier Tagen, die Zeit bis zur Entfieberung, die Zeit bis zur negativen Pilz-PCR und die Sterblichkeit bis zum Tag 28. Die Studie soll also die Frage beantworten, ob febrile, neutropenische Hochrisiko-Patienten von einer empirischen Primärtherapie mit Voriconazol profitieren, wie lange es dauert, bis die Patienten entfiebern und wie viele Patienten, die unter einer Antibiotikatherapie nicht entfiebern, dies unter einer Zweitlinientherapie mit Voriconazol tun.

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Sekundärprophylaxe bei Hochrisiko-Patienten

Wie Patienten nach einer überlebten invasiven Aspergillose weiter behandelt werden sollen, ist eine Frage der Sekundärprophylaxe, erklärte PD O. Cornely, Köln. Die erforderliche Langzeittherapie bei invasiven Pilzinfektionen (IFI) kollidiert jedoch oft mit der eigentlichen Notwendigkeit, rasch eine antineoplastische Therapie zu initiieren oder fortzusetzen. Notwendig sind deshalb weniger toxische, aber wirksamere Antimykotika, die eine simultane antineoplastische Therapie ermöglichen.

Eine aktuelle Studie untersuchte die derzeit in der Sekundärprophylaxe eingesetzten Regime, deren Wirksamkeit und die möglichen Risikofaktoren. 166 Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML), die kürzlich eine invasive Pilzinfektion in der Lunge durchgemacht hatten und bei denen jetzt der nächste Chemotherapiezyklus bevorstand, nahmen an dieser Untersuchung teil. Studienendpunkt war die Zahl wahrscheinlicher oder bewiesener Durchbruch-Pilzinfektionen.

41,3% der Studienpopulation waren Frauen, und in 22,3% der Fälle war die invasive Pilzifektion bewiesen, bei 77,7% galt sie als wahrscheinlich. Bei zwei Drittel der Patienten lag eine Aspergillus-Infektion vor. Ein Drittel der Patienten erhielt zur Sekundärprophylaxe Itraconazol, 26 Patienten Voriconazol, 24 D- und zwölf L-Amphotericin B, fünf Caspofungin. 42 Patienten erhielten gar keine Sekundärprophylaxe. Sieben Patienten unter Itraconazol, zwei unter Voriconazol, sieben unter D-Amphotericin B, zwei unter L-Amphotericin B und einer unter Caspofungin wechselten die Sekundärprophylaxe vor dem Ende.

Bei den therapierten Patienten trat in 14% eine wahrscheinliche oder gesicherte invasive Pilzinfektion auf, in 9% wurde eine Infektion für möglich gehalten, aber 77% der Patienten blieben ohne Befund. Im Vergleich trat in der Patientengruppe ohne Sekundärprophylaxe in 21% eine gesicherte oder wahrscheinliche invasive Pilzinfektion auf, in 5% wurde eine solche für möglich gehalten, keine invasive Mykose hatten 74%. Unter Itraconazol trat eine 16%ige Durchbruchrate auf, bei den Voriconazolpatienten lag diese lediglich bei 8%. Unter D-Amphotericin B war in 21% der Fälle eine wahrscheinliche Infektion diagnostiziert worden, unter L-Amphotericin B in nur 8%. Die Sterblichkeit war mit nur 6,6% überraschend gering.

Die Untersucher stellen fest, dass zur Sekundärprophylaxe eine Reihe unterschiedlicher Regime eingesetzt wurde, dass AML-Patienten mit einer durchgemachten intrapulmonalen Pilzinfektion ein Risiko von 15,7% für eine Durchbruch-IFI haben und dass Dauer der Neutropenie, Hochdosis-AraC (Cytosinarabinosid), Anzahl der eingesetzten Antibiotika und Therapie der ersten gesicherten oder wahrscheinlichen intrapulmonalen Aspergillose mit Itraconazol zum erhöhten Risiko beitragen.

gb

Quelle: Satellitensymposium "Therapie und Sekundärprophylaxe von Systemmykosen" veranstaltet von der Pfizer GmbH, Karlsruhe, im Rahmen der gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Onkologie

 
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