psychoneuro 2004; 30(12): 641
DOI: 10.1055/s-2004-862336
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

ZNS-Infektionen

Hilmar Prange
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Prof. Dr. med. Hilmar Prange

Göttingen

Publication History

Publication Date:
13 January 2005 (online)

Table of Contents

    Dank der hochentwickelten antibiotischen Behandlungsmöglichkeiten erscheinen heute ZNS-Infektionen oft als ein gut und effizient lösbares klinisches Problem. Die folgenden Beiträge zeigen den aktuellen Stand der Diagnostik und Behandlung. An einem eigenen Fall wird zusätzlich gezeigt, welche Komplikationen und Einflussfaktoren u.U. die klinische Situation schwierig machen.

    Ein 38-Jähriger afrikanischer Student des Goethe-Instituts erkrankte zwei Wochen nach seiner Ankunft in Deutschland an einer bakteriellen Meningitis, die sich mit Kopfschmerz, mehreren epileptischen Anfällen, Somnolenz und schließlich weiterer Eintrübung manifestierte. Die Symptomatik entwickelt sich rasch innerhalb von 1 bis 2 Tagen. Zum Zeitpunkt der Überweisung in die Neurologische Klinik lag bereits ein septisches Krankheitsbild mit beginnendem Multiorganversagen vor (Temperatur 40,5°C; Laborwerte: Leukozyten 17300/μl , CRP 375 mg/l, Fibrinogen 840 mg/dl, Kreatinin 2,4 mg/dl, AST 105 U/l, CK 3200 U/l). Die Liquoranalytik am Aufnahmetag erbrachte eine Zellzahl von 101 Zellen/μl bei einem Gesamtprotein von 3732 mg/l und einem Liquorlaktat von 12,2 mmol/l (normal ▭ 2,1 mmol/l). Die Gramfärbung offenbarte eine immens hohe Menge von grampositiven Diplokokken, die kulturell als Pneumokokken mit günstiger Resistenzlage identifiziert wurden. Unter der Therapie mit einem Cephalosporin der 3. Generation und Ampicillin in hoher Dosierung bildete sich die meningitische Symptomatik erst langsam, dann zügig zurück. Im Gegensatz zur klinischen Besserung überraschte eine deutliche Zunahme der Pleozytose (2000 Zellen/μl) bei der Liquorkontrolle am 4. Krankheitstag; Gesamtprotein (2600 mg/l) und Liquorlaktat (5,5 mmol/l) korrelierten indes gut mit dem klinischen Verlauf. Auch war der Liquor jetzt steril. Am 15. Behandlungstag hatte sich der Liquorbefund fast völlig normalisiert mit nur noch 15 Zellen/μl, einem Gesamtprotein von 550 mg/dl und normaler Laktatkonzentration (1,8 mmol/l).

    Wie sind diese diskrepanten Befunde zu erklären - initial schwerstes Krankheitsbild einer Meningitis mit nur geringer Pleozytose, dann klinische Besserung mit kritischem Anstieg der Liquorzellzahl, schließlich nach 14 Tagen bei stabilem Befinden rasche Normalisierung der Zerebrospinalflüssigkeit?

    Es handelte sich hier um eine sog. apurulente bakterielle Meningitis, die uns Abwehrschwäche des Betroffenen und zumeist auch eine ungünstige Prognose mit schwerem Verlauf und Defektheilung anzeigt. Eine Erklärung der Abwehrschwäche fand sich bald: Der Patient war HIV-positiv und befand sich in einem Prä-AIDS-Stadium (Virusbelastung mit 31000 Kopie; CD4+-Zellzahl 164/μl). Darüber hinaus hatte er offensichtlich - abweichend von der hier lebenden Bevölkerung - keine Teilimmunität gegen Pneumokokken, d.h. keine frühere Exposition mit diesem Keim. Die Abwehr im Liquorkompartiment griff verspätet, deshalb die geringe Liquorpleozytose, die erst (scheinbar paradoxerweise) unter Antibiotikagabe das bei einer bakteriellen Menigitis zu erwartenden Ausmaß erreichte. Unmittelbar nach Kenntnis der HIV-Positivität wurde eine antiretrovirale Dreierkombination mit Zidovudin (AZT), Lamivudin (3TC) und Indinavir (IDV) eingeleitet. Sie dürfte neben der antibakteriellen Behandlung die Stabilisierung des Patienten, der in der Zwischenzeit in seine Heimat zurückgekehrt ist, ebenfalls unterstützt haben. Alles in allem erinnert der hier vorliegende Krankheitsverlauf an das OPSI-Syndrom (OPSI = Overwhelming Post-Splenectomy Infection), welches für asplenische Patienten typisch ist und einem foudroyanten septischen Verlauf einer Streptococcus pneumoniae-Infektion entspricht. Prophylaktisch wird heute nach jeder Milzexstirpation eine Vakzination mit Pneumovax 23 gefordert, die jedoch keinen 100 %igen Schutz gegen ein OPSI-Syndrom bietet. Skandinavische Autoren empfehlen bei solchen Patienten eine besonders großzügige Indikationsstellung zur prophylaktischen Antibiotikagabe.

    An diesem Punkt stellt sich die grundsätzliche Frage nach dem Stellenwert von Schutzimpfungen gegen Meningitiserreger. Zunächst muss hier unterstrichen werden, dass die gegen Meningo- und Pneumokokken verfügbaren Impfstoffe keinen kompletten Impfschutz gewähren. Dies trifft vor allem für Menigokokken zu: 60-70 % der in Mitteleuropa isolierten Stämme von Neisseria meningitidis gehören der Serogruppe B an, gegen die eine Vakzination nicht möglich ist. Anders mit der Serogruppe C: Sie machte in den letzten Jahren fast ein Drittel aller bei Erkrankten isolierten Meningokokkenstämme aus. Eine Schutzimpfung gegen Meningokokken dieser Serogruppe ist effektiv. Die Meningitis-Pandemien, denen in Afrika noch im letzten Jahrzehnt mehrere tausend Personen zum Opfer fielen, werden unterdessen durch die Serogruppe A hervorgerufen, die in Deutschland nur 0,1-1,0 % der Meningokokken-Isolate betrifft. Reisende in die Pandemiegebiete sollten sich auf jedem Fall gegen Meningokokken der Serogruppe A vakzinieren lassen. Bei Auftreten kleinerer Meningitis-Endemien mit Erregern der Serogruppe C macht auch bei uns eine Schutzimpfung einen Sinn (siehe Beitrag von Gerber und Schmidt).

    Der initial geschilderte Fall unseres afrikanischen Patienten reflektiert gleich mehrere Fazetten zum Problem der erregerbedingten entzündlichen ZNS-Erkrankungen: Bei bakteriellen Erkrankungen - auch der Neurotuberkulose - sollte immer nach disponierenden Faktoren gefahndet werden. Eine Koinfektion von verschiedenen Erregern bedingt oft atypische Krankheitsverläufe. Die Ätiologie einer Krankheit lässt sich leichter aufklären, wenn man das individuelle Risiko des Erkranken beachtet. Immigranten und Gäste in unserem Land sind durch das Risiko ihrer Herkunftsländer belastet. Eine situationsangepasste Krankheitsprävention u.a. durch Schutzimpfung, Umgebungsprophylaxe oder vorsorgliche Antibiotikaeinnahme (z.B. bei asplenischen Patienten) sollte immer erwogen werden. Die Empfindlichkeit einzelner Erreger auf die üblichen Chemotherapeutika verändert sich kontinuierlich, dabei ist die Resistenzentwicklung z.B. der Pneumokokken auf Penicillin-Präparate in Deutschland (2,2 % komplett resistent und 8,3 vermindert empfindlich) noch relativ günstig. In einigen anderen europäischen Ländern haben sich äußerst bedenkliche Resistenzentwicklungen (bis 60 % Penicillin-Resistenz) ergeben. Dies trifft auch für die Tuberkulose-Erreger zu.

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    Prof. Dr. med. Hilmar Prange

    Göttingen

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