Die ZNS-Tuberkulose ist mit einer Inzidenz von 2/100000 in Deutschland eher selten und wegen mangelnder Erfahrung schwierig zu diagnostizieren - vielleicht unterdiagnostiziert. Dabei ist die frühe Erkennung und adäquate Behandlung prognostisch entscheidend [10]. 10 % aller Tuberkulosefälle betreffen das Zentralnervensystem, meist handelt es sich um die klassische tuberkulöse Meningitis, TBM [13]. Sie macht 80 % der Fälle aus, und von ihr soll im Folgenden vor allem die Rede sein (selten sind isolierte Tuberkulome, tuberkulöse Radikulomyelitis, chronische Pachymeningitis, milde verlaufende seröse Meningitis und tuberkulöse Enzephalopathie). Anders als in den Entwicklungsländern sind in den westlichen Industrieländern Erwachsene bevorzugt betroffen, der Altersgipfel der ZNS-Tuberkulose liegt im siebten Lebensjahrzehnt. Chronische Vorerkrankungen, langjährige Kortikoidtherapie und Alkoholismus begünstigen die Entstehung einer TBM, ebenso eine HIV-Infektion [Tab. 1]. AIDS-Kranke haben ein zehnfach erhöhtes Tuberkuloserisiko. Gehäuft von der TBM betroffen sind zudem Asylbewerber, Immigranten und Spätaussiedler, die das erhöhte Risiko der Herkunftsländer aufweisen [3]
[10].
Pathogenese
Pathogenese
Die TBM hat wie die anderen Formen der ZNS-Tuberkulose eine hämatogene Dissemination von M. tuberculosis zur Voraussetzung. Sie geht in der Mehrzahl der Fälle von subpialen Tuberkulomen (Rich-Foci) aus, die während der miliaren Streuung entstanden, lange asymptomatisch geblieben waren und erst unter ungünstigen Bedingungen nach Monaten, Jahren oder Jahrzehnten wachsen und in den Subarachnoidealraum perforieren. Weniger häufig führt eine akute Organtuberkulose - meist der Lunge - auf hämatogenem Weg zur TBM [1]
[7].
Klinik
Klinik
Der klinische Verlauf der typischen TBM ist chronisch über Monate. Ausnahmen stellen die wenigen foudroyanten, innerhalb von Tagen zum Tode führenden Fälle dar. Die klassische TBM unterscheidet sich im zeitlichen Verlauf damit von der akuten bakteriellen Meningitis durch Meningo- oder Pneumokokken. Es sind drei Stadien abzugrenzen:
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Prodromalstadium zwei bis acht Wochen: unspezifische Beschwerden mit subfebrilen Temperaturen, allgemeinem Krankheitsgefühl, Gewichtsverlust, Nachtschweiß, Kopfschmerzen
-
Meningitisches Stadium: Nackensteife und Kopfschmerzen, milde Bewusstseinsstörungen, Hirnnervenparesen
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Enzephalitisches Stadium: schwere Bewusstseinsstörungen oder Koma, gelegentlich produktive Psychosen, schwere neurologische Ausfälle mit Hemiparesen, epileptischen Anfällen, extrapyramidalen Bewegungsstörungen.
Die TBM [Tab. 2] ist gemeinsam mit der syphilitischen Meningitis der klassische Vertreter der basalen Meningitis. So erklären sich komplizierende Hirninfarkte als Folge spezifischer Arteriitiden und die charakteristischen Ausfälle der unteren Hirnnerven. Anfälle und Herdzeichen können aber auch von Tuberkulomen herrühren, die trotz einer wirksamen Therapie aufblühen [Abb. 1]. Querschnittssyndrome werden bei Übergriff des Prozesses auf den Spinalraum beobachtet (Radikulomyelitis, spinale Tuberkulome). Bei AIDS-Kranken werden vermehrt atypische Verläufe der ZNS-Tuberkulose gesehen: tuberkulöse Abszesse, Fehlen von Liquorpleozytose, Auslösung durch atypische Mykobakterien, vor allem M. avium intracellulare.
Eine sichere Abgrenzung der TBM zu Meningoenzephalitiden anderer Ursache ist nach Verlauf und klinischer Symptomatik nicht zuverlässig möglich, die Differentialdiagnose ist breit [Tab. 3]. Die folgenden Faktoren müssen aber besonders an eine TBM denken lassen: chronische unspezifische Prodromalphase, vorgeschädigte und immunkompromittierte Patienten, AIDS-Kranke, Personen aus Ländern mit hoher Tuberkulose-Prävalenz, Hirnnervenausfälle, komplizierende Schlaganfälle [1]
[2].
Zusatzdiagnostik
Zusatzdiagnostik
Ziel der Zusatzdiagnostik ist es, die klinische Verdachtsdiagnose TBM zu erhärten oder zu widerlegen. Die blutchemischen Laborwerte sind wenig spezifisch, nicht obligat sind Leukozytose und BSG-Erhöhung. Drei Viertel der Patienten bieten jedoch eine Hyponatriämie < 135 mmol/l aufgrund einer inadäquaten ADH-Sekretion. Der Röntgen-Thorax zeigt bei maximal 40 % der Patienten für eine Tuberkulose spezifische Veränderungen. Aus Magensaft oder Sputum können lediglich bei einem Drittel der Erkrankten säurefeste Stäbchen gewonnen werden. Der Tuberkulinhauttest ist nur bei 40-65 % der Erwachsenen und 85-90 % der Kinder positiv.
Liquor cerebrospinalis
Die entscheidende diagnostische Maßnahme (nach initialem CT-Schädel oder MRT) ist die Liquoruntersuchung. Der Liquor steht unter höherem Druck, er bietet initial eine Pleozytose von 100-3000/3 Zellen, Zellzahlen von 12000/3 kommen vor. Wie erwähnt kann die Pleozytose besonders bei AIDS-Patienten fehlen. In der Frühphase der Erkrankung ist das „bunte” Zellbild charakteristisch mit segmentkernigen, mono- und lymphozytären Zellelementen sowie Makrophagen, gelegentlich auch Eosinophilen. Nach wenigen Tagen Behandlung wird das Zellbild rein lymphozytär. 95 % der Patienten zeigen eine Liquoreiweißerhöhung auf 100-200 mg/dl, selten sind extreme Eiweißwerte von 1000-1500 mg/dl, die zum „Spinnengewebsgerinnsel” führen. Bei AIDS-Kranken kann auch das Liquoreiweiß ungewöhnlich ausfallen, nämlich normal sein (43 %). Eine Liquorzuckererniedrigung unter 50 % der Serumglukose findet sich bei 80-90 % der Kranken. Im Gegensatz zu den akuten bakteriellen Meningitiden etwa durch Meningo- und Pneumokokken kommen extrem niedrige Zuckerwerte oder Werte von 0 bei der ZNS-Tuberkulose nicht vor. Das Liquorlaktat liegt zwischen 3 und 8 mmol/l (normal bis 2,1 mmol/l). Insgesamt sind die Routine-Liquorparameter nicht beweisend, sie können den Verdacht auf eine TBM aber stützen.
Beweisend für die TBM ist der Erregernachweis aus dem Liquor. Dieser gelingt jedoch nicht regelmäßig. Der mikroskopische Nachweis säurefester Stäbchen aus dem Liquorausstrich ist unzuverlässig (4-40 %), die Liquorkultur bringt oft erst nach etwa 30 Tagen positive Befunde, und dies nur bei 45-90 % der Fälle. Für beide Techniken sind große Liquormengen von 10-20 ml erforderlich. Rasche Ergebnisse innerhalb weniger Tage und eine 100 %ige Spezifität bietet die Polymerase-Kettenreaktion (PCR), sie ist noch vier Wochen nach Therapiebeginn sinnvoll, zunehmend verfügbar, entgegen früheren Erwartungen aber auch nur in 48-90 % sensitiv. Als weitere Untersuchungen stehen der Tierversuch, der Antikörpernachweis mittels ELISA-Technik zur Verfügung, sowie der Nachweis der Tuberkulostearinsäure (ein Wandbestandteil der Tuberkelbakterien) und die Bestimmung der Liquor-Adenosindeaminase. Der Liquor ist bei Aufnahme, nach 24 h, nach sechs Monaten und vor dem endgültigen Absetzen der Tuberkulostatika zu untersuchen, außerdem, neben bildgebenden Verfahren, bei Verschlechterungen. Mit einer Normalisierung der Liquorpleozytose ist innerhalb von sechs Monaten nur bei 25 % der Patienten zu rechnen. Zusammenfassend ist ein zuverlässiger Erregernachweis nur bei etwa zwei Dritteln der TBM-Patienten möglich [11].
CT und MRT
CT und MRT
Die bildgebenden Verfahren können entscheidende diagnostische Hinweise liefern, falls charakteristische Befunde vorliegen:
Eine basal betonte Kontrastmittelanreicherung und Verdickung der Meningen wird bei 60 % der Patienten angetroffen, dieser Befund ist jedoch nicht spezifisch für die TBM. Eine Ventrikelerweiterung im Sinne des Hydrocephalus communicans ist nach initialer Verengung der Ventrikel bei 52-80 % nachzuweisen und ein wichtiger Bausein für die Diagnose der TBM, selten tritt ein Okklusionshydrozephalus auf. Ischämische Infarkte i. S. von Territorialinfarkten bei spezifischer Arteriitis erleidet ein Drittel der Patienten. Zu 75 % liegen diese in der „Tuberkulose-Zone”, dem Versorgungsgebiet der medialen striatalen und thalamoperforierenden Arterien. Spezifische Arteriitiden kommen auch bei anderen Meningitiserregern vor. Tuberkulome entwickeln 20 % der Kranken. Die Tuberkulome stellen sich im CT zunächst als homogene, kontrastmittelanreichernde Hyperdensitäten dar, die später zentral hypodens werden [Abb. 1]. Im Kernspintomogramm (MRT) imponieren sie initial als homogen Gadolinium anreichernde Zonen, im Verlauf als Ringenhancement mit hypointensem Zentrum. Tuberkulome haben eine sehr hohe diagnostische Bedeutung [1]
[5].
Therapie
Therapie
Die Behandlung der TBM ist komplex medikamentös und erfolgt in einem Teil der Fälle zudem neurochirurgisch. Die antituberkulöse Behandlung ist indiziert bei gesicherter TBM und beim begründeten Verdacht. Eine sichere Diagnose ZNS-Tuberkulose ist nur gegeben bei positivem Erregernachweis im Liquor, positiver PCR, Darstellung von Tuberkulomen am Augenhintergrund, Nachweis von Tuberkulomen durch CT und MRT. 10-40 % der Verläufe bleiben jedoch ohne definitiven Erregernachweis und stellen besondere Anforderungen an die klinische Erfahrung der behandelnden Ärzte [6]
[8]. Die diagnostische Zuordnung dieser wahrscheinlichen Fälle stützt sich auf den mit den gesicherten Fällen identischen Verlauf und das Ansprechen auf die tuberkulostatische Behandlung.
Tuberkulostatika
Schon der ausreichend begründete Verdacht auf eine ZNS-Tuberkulose erfordert eine sofortige tuberkulostatische Therapie [Tab. 4]. Initial wird für zwei bis drei Monate eine Kombinationstherapie mit drei Tuberkulostatika durchgeführt: INH (Isozid®), Rifampicin (Rifa®) und Pyrazinamid (Pyrafat®). Anschließend werden INH und Rifampicin für zehn Monate weitergegeben [7]. Pyrazinamid ist dem ebenso für die Dreierkombination empfohlenen Ethambutol überlegen und vor allem nicht von Optikusneuritiden kompliziert [12]. Sechsmonatige Behandlungszyklen sind noch in der Erprobung, frühere Empfehlungen einer 24-monatigen Behandlung dürfen als überholt gelten. Die medikamentöse Behandlung wird schon initial oral empfohlen, die parenterale Therapie kann auf schwer kranke Patienten mit Bewusstseinsstörungen beschränkt werden. Die wichtigsten Nebenwirkungen von INH, Rifampicin und Pyrazinamid sind hepato- und nephrotoxisch. Pfister [7] gibt Ersatzstrategien beim Auftreten bedrohlicher Nebenwirkungen an. Meningitiden durch M. avium intracellulare werden mit einer Kombination aus Azithromyzin, Clarithromyzin und Ethambutol behandelt. Eine initiale Verschlechterung der TBM unter der tuberkulostatischen Therapie wird einem immunologischen Prozess ähnlich der Jarisch-Herxheimer Reaktion bei Spirochäteninfektionen zugeschrieben [1]. Kontaktpersonen sind für sechs Monate mit INH zu behandeln.
Pyridoxin
Für die Dauer der INH-Therapie wird zur Prophylaxe peripher-nervöser Nebenwirkungen Pyridoxin (Vitamin B6) verordnet.
Kortikosteroide
Dexamethason oder Prednison werden zur Vermeidung exsudativ proliferativer Gewebsveränderungen, insbesondere zur Verhinderung des Hydrozephalus für die Dauer von mindestens zwei bis vier Wochen empfohlen. Hierdurch konnte eine signifikante Senkung von Letalität und Defektheilungen erreicht werden [4].
Neurochirurgische Therapie der ZNS-Tuberkulose
Liquorableitende Eingriffe kommen beim Hydrocephalus occlusus durch Tuberkulome infrage. Ein akutes neurochirurgisches Vorgehen ist angezeigt bei Querschnittssyndromen durch spinale Tuberkulome oder tuberkulöse Abszesse, bei der chronischen hypertrophischen Pachymeningitis zu erwägen. Zerebrale Tuberkulome sind bevorzugt konservativ medikamentös zu behandeln, ein operatives Vorgehen ist, wenn überhaupt, wegen der Gefahr der Keimverschleppung frühestens nach zwei- bis dreimonatiger tuberkulostatischer Behandlung zu erwägen [11].
Prognose
Prognose
Die ZNS-Tuberkulose betrifft vornehmlich alte und vorgeschädigte, immunkompromittierte Personen, bietet eine langwierige und wenig spezifische Prodromalphase und ist diagnostisch schwer zu sichern. Sie nimmt in der Akutphase einen komplexen und komplikationsreichen Verlauf und macht eine komplizierte und potentiell nebenwirkungsreiche multimodale Therapie erforderlich. So ist es wenig erstaunlich, dass ihre Prognose ernst ist - mit einer Letalität von etwa 20 % und einer Defektrate zwischen 20 % und 50 %. Als prognostisch besonders ungünstig haben sich die folgenden Faktoren herausgestellt: hohes Lebensalter, Alkoholismus und andere gravierende Vorschäden, AIDS, Liquoreiweiß über 700 mg/dl, anhaltend niedriger Liquorzucker, später Therapiebeginn bei bereits schweren Bewusstseinsstörungen [11]. Erkrankung und Tod an der TM sind meldepflichtig.
Abb. 1 Basale Granulome bei 25-jähriger aus Südostasien stammenden Patientin mit TBM (T1-gewichtete MRT-Aufnahmen mit Kontrastmittel); passagere Zunahme der um den oberen Hirnstamm lokasierten Granulome nach Beginn der antituberkulösen Vierfach-Therapie.
Tab. 1 Risikofaktoren der ZNS-Tuberkulose
Alkoholismus
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32 %
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Diabetes mellitus
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13 %
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Malignome
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8 %
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Kortikoidtherapie
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8 %
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AIDS
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4 %
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(nach [11])
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Tab. 2 Klinik der tuberkulösen Meningitis
Kopfschmerzen
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80-90 %
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Fieber
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80 %
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Bewusstseinsstörungen
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80 %
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Nackensteife
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25-60 %
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Hirnnervenausfälle[*]
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15-40 %
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Hemisyndrome
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20 %
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extrapyramidale Bewegungsstörungen
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15 %
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Aphasie
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10 %
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epileptische Anfälle
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5-10 %
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(nach [11])
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1 betroffene Hirnnerven nach Häufigkeit VI, III, IV, VII, II, VIII, X, XI, XII
Tab. 3 Differentialdiagnose der ZNS-Tuberkulose
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Pilzmeningitis (Kryptokokken)
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Listerienmeningoenzephalitis
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anbehandelte bakterielle Meningitis
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embolisch-metastatische Herdenzephalitis
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Neuroborreliose
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Leptospirose
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menigovaskuläre Neurosyphilis
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Meningeosis neoplastica
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Sarkoidose
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hirneigene Tumoren
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Metastasen
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Abszesse
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(nach [11])
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Tab. 4 Therapie der ZNS-Tuberkulose
Dreierkombination 1.-3. Monat
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1. INH 10 mg/kg/die, max. 600 mg
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2. Rifampicin 10 mg/kg/die, max. 600 mg
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3. Pyrazinamid 35 mg/kg/die, max. 2500 mg
Viererkombination
bei schweren Verläufen oder spätem Therapiebeginn zusätzlich für 2-4 Wochen:
Zweierkombination 4.-12. Monat
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1. INH 10 mg/kg/die, max. 600 mg
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2. Rifampicin 10 mg/kg/die, max. 600 mg
Zusatzbehandlung
Dexamethason 24 mg/die oder
Decortin 1 mg/kg/die für 2-4 (-8) Wochen
Pyridoxin (Vit. B6) 80 mg/die p.o. für die Dauer der INH-Behandlung
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(nach [11])
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