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DOI: 10.1055/s-2005-836888
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Kleinkind stirbt an Pneumokokkensepsis
Infant Dies of Invasive Pneumococcal DiseaseEin 13 Monate altes Kleinkind mit (nicht bekannter) Asplenie stirbt nach einem foudroyanten Verlauf an einer Pneumokokkensepsis. Die Diagnose wurde durch den Nachweis des Erregers (Streptococcus pneumoniae - Serotyp 6 B) gesichert; überraschend war die Asplenie, die sich als familiär herausstellte.
Das Kind war viermal mit einem 6fach-Impfstoff, aber nicht mit der konjugierten Pneumokokkenvakzine geimpft, da nach den derzeitigen Empfehlungen der STIKO diese Impfung bei dem Kind nicht indiziert war; die Asplenie war ja nicht bekannt. Die Pneumokokkenimpfung ist, wie die Impfung gegen Meningokokken C, nicht als Routineimpfung empfohlen, wie dies z. B. in Australien, Mexiko, Italien, Luxemburg und in Belgien der Fall ist. In Frankreich werden alle Kinder, die in eine Betreuungseinrichtung kommen, geimpft, d. h. etwa 80 % der Geburtenkohorte. Auch in den USA ist die Impfung als Routineimpfung eingeführt. Gerade bei Kindern < 2 Jahren ist die Inzidenz invasiver Pneumokokkeninfektionen am höchsten. Sie liegt bei 29/100 000 bei < 1-Jährigen und bei 15/100 000 bei 1-Jährigen. - In dem derzeit in Deutschland zur Verfügung stehenden heptavalenten Pneumokokkenimpfstoff ist das Antigen des Serotyps 6 B enthalten, einer der sieben für Kinder gefährlichsten und mit am häufigsten vorkommenden Pneumokokkentypen. Zudem ist zu vermerken, dass der konjugierte Impfstoff vor mehr als 85 % der penizillinresistenten und 93,5 % der makrolidresistenten Stämme schützt. Bis zum Jahr 2001 hatten wir keine Möglichkeit, Kinder < 2 Jahre vor Pneumokokkenerkrankungen, insbesondere den schweren invasiven Formen, zu schützen, da der seit langem zur Verfügung stehende Polysaccharidimpfstoff in den ersten beiden Lebensjahren zu keiner oder nur sehr unzureichenden Antikörperbildung anregt. Das Immunsystem des jungen Kindes ist dazu nicht in der Lage. Ein Nestschutz des Neugeborenen und jungen Säuglings besteht bestenfalls 6-8 Wochen, danach steigt aber die Infektionsgefahr deutlich an. Dort, wo routinemäßig ab 2. Lebensmonat gegen Pneumokokken geimpft wird, reduzierten sich die Erkrankungsraten drastisch. In Atlanta, wo routinemäßig gegen Pneumokokkeninfektionen geimpft wird, fiel z. B. die Pneumonierate von 30,2/100 000 Einwohner auf 13,1/100 000 Einwohner (2002); insbesondere bei Kleinkindern < 2 Jahren verminderte sich diese Rate an Pneumonien um 82 %. Ähnliche Ergebnisse werden auch aus anderen Ländern berichtet, wo die Pneumokokkenimpfung durchgeführt wird. Zu dieser eindrucksvollen Verminderung von Pneumokokkeninfektionen (auch von invasiven Infektionen) trägt auch der sog. Herdeneffekt bei (bei Eltern und Großeltern wurde in dieser Studie eine signifikante Reduzierung der Erkrankungen festgestellt). - In dem hier beschriebenen „Fall” wäre die Pneumokokkenimpfung indiziert gewesen, jedoch war die Asplenie (noch dazu ohne weitere Fehlbildungen, wie z. B. am Herzen) nicht bekannt; eine Ultraschalluntersuchung des Abdomens war bei der unauffälligen Entwicklung des Kindes und den normalen Befunden bei den Vorsorgeuntersuchungen nicht vorgenommen worden.
Es stellt sich die Frage, warum die Pneumokokkenimpfung noch nicht als generelle Impfung empfohlen wird.
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Wir verfügen über einen hervorragend immunogenen, sehr gut verträglichen Konjugatimpfstoff.
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Wir wissen aus groß angelegten Impfstudien um seine ausgezeichnete Schutzeigenschaften.
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Wir können den Eltern den Sinn und Nutzen dieser Impfung sicher plausibler erklären (ähnlich wie damals bei der Einführung der Hib-Impfung), als dies bei der Varizellenimpfung der Fall war.
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Wir wissen andererseits auch um die Schwierigkeiten vieler Kinderärzte, die von der STIKO ausgesprochene Indikationsimpfung gegen Pneumokokken umzusetzen.
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Wir wissen, dass > 50 % der Ärzte sich für diese Impfung aussprechen; die Zahl der Pneumokokkenimpfungen hat auch im Bereich der niedergelassenen Ärzte zugenommen.
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Wir können zusammen mit einem der beiden 6fach-Impfstoffe gleichzeitig gegen Pneumokokkeninfektionen impfen, ohne dass ein zusätzlicher Arztbesuch erforderlich ist.
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Wir werden zukünftig wahrscheinlich sogar mit nur 3 Impfungen (3., 5. und 12. Lebensmonat) im Säuglingsalter auskommen.
In einer Studie aus Deutschland wird gezeigt, dass bei einer 100 %igen Akzeptanz der von der STIKO genannten Indikationen eine Reduktion der Erkrankungen durch Pneumokokken nur um 12,8 % erreicht werden könnte. Dies erinnert an die „Erfolge” der Hepatitis-B-Impfung, als diese damals nur als Indikationsimpfung empfohlen wurde.
Die Akademie für Kinderheilkunde und Jugendmedizin hat sich nach gründlicher Diskussion zu Recht ausdrücklich für eine generelle Impfempfehlung ausgesprochen.
Warum sollte also gerade diese Impfung nicht als Routineimpfung in die Impfempfehlungen für Säuglinge und Kleinkinder aufgenommen werden? Was steht der generellen Empfehlung im Wege - die Kosten?
Natürlich wird vorerst ein neuer Kostenfaktor für die Krankenkassen entstehen (dies war bei der Empfehlung der generellen Hepatitis-B-Impfung u. a. Impfungen ähnlich), aber eine Kosten-Nutzen-Analyse für unser Land zeigt, ähnlich wie in USA, dass - auch unter Berücksichtigung der resultierenden Herdenimmunität - diese Impfung kostendeckend sein wird. Wer fragt eigentlich nach Kostendeckung, wenn für die bevorstehende Fußballweltmeisterschaft Millionen für neue Stadien ausgegeben werden? Die den gesetzlichen Krankenversicherungen entstehenden Kosten für Impfungen machen nur etwa 0,9-1 % im Vergleich zu anderen Kostenarten der Krankenkasse aus!
Die Pneumokokkenimpfung sollte als Regelimpfung von der STIKO empfohlen werden. Sie hätte auch den Tod des von Hummler u. Mitarb. hier beschriebenen 13 Monate alten Kleinkindes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhüten können. - Es mutet eigenartig an, dass wir eine hervorragend wirksame Prävention gegen die durch Pneumokokken ausgelösten Erkrankungen mit hoher Letalität (Sepsis bis zu 40 %, Meningitis bis zu 30 %!) nicht ohne jegliche Einschränkung einsetzen. Worauf wollen wir noch warten?
Prof. Dr. Dr. h. c. F. C. Sitzmann
Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin · Universitätsklinikum des Saarlandes
66421 Homburg/Saar
Prof. Dr. Dr. h. c. F. C. Sitzmann
Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin · Universitätsklinikum des Saarlandes
66421 Homburg/Saar