Definitionen
Definitionen
Nosologische Definition
Konsens
Eine allgemein gültige und verbindliche nosologische Definition der gastroösophagealen
Refluxkrankheit gibt es bisher nicht. In Anlehnung an den internationalen Konsens
- The Genval Workshop Report 1999 [1] - wird die folgende Definition empfohlen:
Eine gastroösophageale Refluxkrankheit liegt vor, wenn ein Risiko für organische Komplikationen
durch einen gesteigerten gastroösophagealen Reflux und/oder eine signifikante Störung
des gesundheitsbezogenen Wohlbefindens (Lebensqualität) infolge der Refluxbeschwerden
besteht (C).
Kommentar
Organische Komplikationen einer Refluxkrankheit können sich im Bereich der Speiseröhre
(z. B. Ösophagitis, Stenosen, Barrett) sowie extraösophageal (siehe Leitlinien „Extraösophageale
Manifestationen der gastroösophagealen Refluxkrankheit”) manifestieren. Eine Refluxkrankheit
wird als wahrscheinlich angesehen, wenn Refluxsymptome (siehe Leitlinien „Diagnostik
der Refluxkrankheit”) mindestens 1 × /Woche [2] bis 2 × /Woche [1] auftreten und mit einer Beeinträchtigung der Lebensqualität einhergehen. Allerdings
können auch Refluxbeschwerden, die seltener auftreten, zu einer relevanten Minderung
der Lebensqualität führen [3].
Gastroösophageale Refluxkrankheit
Konsens
Die gastroösophageale Refluxkrankheit der Speiseröhre wird im medizinischen Sprachgebrauch
als GERD abgekürzt. Unter dem Begriff werden die verschiedenen Manifestationen nicht
erosive Refluxkrankheit (NERD), erosive Ösophagitis verschiedener Schweregrade (ERD),
Barrett-Ösophagus und extraösophageale Manifestationen subsumiert (C).
Kommentar
Unter pathophysiologischen und therapeutischen Aspekten wird zwischen primärer und
sekundärer (siehe Abschnitt sekundäre Refluxkrankheit auf der nächsten Seite) Refluxkrankheit
unterschieden.
Nichterosive gastroösophageale Refluxkrankheit (NERD)
Konsens
GERD ohne endoskopisch nachweisbare Läsionen wird als nichterosive gastroösophageale
Refluxkrankheit definiert (NERD). NERD liegt nur vor, wenn Beschwerden die Lebensqualität
beeinträchtigen. NERD kann die Lebensqualität (QoL) ähnlich stark beeinträchtigen
wie ERD (B).
Kommentar
Die Unterscheidung zwischen NERD und ERD ist weder durch das Ausmaß der Beschwerden
oder der Beeinträchtigung der Lebensqualität möglich noch durch das Ansprechen auf
PPI-Therapie oder durch nachweisbar andere Empfindlichkeit gegen Säureexposition [1]
[4]
[5]
[6]. Bei einem Teil der Patienten liegt eine Überlappung mit der funktionellen Dyspepsie
bzw. dem Reizdarmsyndrom, gelegentlich mit psychopathologischen Bedingungen, vor [5]. Die NERD kann auch bei Patienten mit refluxbedingten laryngopulmonalen Manifestationen
(Laryngitis, chronischer Bronchitis, Asthma bronchiale) bestehen [5].
Epidemiologie
Epidemiologie
Prävalenz und Inzidenz der GERD
Konsens
Die Prävalenz der GERD mit allen Manifestationsformen liegt in den westlichen Industrieländern
bei 10 - 20 %. Die epidemiologischen Daten sprechen für eine Zunahme der GERD-Inzidenz
in den letzten Jahrzehnten für alle Manifestationsformen, wenngleich prospektive Daten
fehlen (B).
Kommentar
In epidemiologischen Studien schwanken die Prävalenzangaben für mindestens einmal
pro Woche auftretendes Sodbrennen zwischen 11 und 18 % [2]
[7]
[8]
[9]. Auswertungen einer amerikanischen Diagnosestatistik sprechen für eine Häufigkeitszunahme
der ERD in den letzten Jahrzehnten [10]. Auch eine steigende Inzidenz der NERD ist aufgrund allgemeiner Erfahrungen und
Retrospektivanalysen sehr wahrscheinlich [11], wenngleich prospektive kontrollierte Daten fehlen. Ebenso wird für extraösophageale
Manifestationen trotz fehlender prospektiver kontrollierter Studien ein absoluter
Häufigkeitsanstieg angenommen [2]
[12]. Eine familiäre Häufung für die verschiedenen Formen der GERD ist wahrscheinlich
[13]. Für eine vermutete Abnahme der Inzidenz von Strikturen in den letzten 2 Dekaden,
möglicherweise infolge besserer medikamentöser Therapie, sind die Literaturdaten uneinheitlich
[14]
[15]
[16]
[17].
Geschlechts- und Altersverteilung der GERD
Konsens
Die Daten aus populationsbasierten Studien sprechen für eine vergleichbare Prävalenz
von Refluxbeschwerden bei Frauen und Männern (B).
Die Prävalenz der GERD ist nicht altersspezifisch, ein Altersgipfel der Erstmanifestation
ist in der Literatur nicht eindeutig belegt (B).
Kommentar
Epidemiologische Studien mit Befragungen großer Bevölkerungsstichproben zeigen ein
identisches Geschlechtsverhältnis oder wechselnd ein Vorwiegen des weiblichen oder
männlichen Geschlechts [2]
[7]
[18]
[19]
[20]
[21]
[22]. Klinikbasierte Studien lassen vermuten, dass Männer häufiger eine ERD aufweisen
[10]
[14]
[23]
[24]. Beim Barrett-Ösophagus überwiegt das männliche Geschlecht mit ca. 60 - 70 % [14]
[25]. Extraösophageale Manifestationen sind bei beiden Geschlechtern gleich häufig [2].
Es ist offen, ob Patienten mit höhergradiger ERD bzw. Barrett-Ösophagus im Mittel
ein höheres Alter aufweisen als Patienten mit NERD bzw. leichtgradiger ERD [2]
[10]
[14]
[23]
[24]
[26]. Ebenso ist umstritten, ob die Prävalenz von Sodbrennen mit dem Alter zunimmt [2]
[7]
[20]
[22]
[23].
Sozioökonomie
Sozioökonomie
Lebenserwartung
Konsens
Die unkomplizierte GERD hat keinen Einfluss auf die Lebenserwartung (B).
Kommentar
Selbst eine ERD Grad II-III hat nur geringen Einfluss auf das Überleben [27]. Auch beim Barrett-Ösophagus ist wegen des seltenen Adenokarzinoms eine generell
erniedrigte Lebenserwartung nicht nachgewiesen [28]. Lebensbedrohliche Komplikationen der GERD (Blutung, Strikturen) treten zwar nur
bei einem kleinen Prozentsatz der GERD-Patienten auf [2], wegen der hohen Prävalenz der GERD ist aber von durchaus beträchtlichen Absolutzahlen
auszugehen. So stieg in England und Wales zwischen 1968 und 1991 die Mortalität infolge
benigner Ösophaguserkrankungen an [29].
Kostenaufwand
Konsens
Aufgrund des vergleichbar hohen Leidensdruckes von NERD und ERD sind ähnliche ärztliche
und medikamentöse Leistungen zur Wiederherstellung der Lebensqualität erforderlich
(C).
Kommentar
Für eine adäquate Behandlung von NERD und ERD werden vergleichbare PPI-Dosen benötigt
[5]. Die direkten jährlichen Fallkosten für ärztliche Leistungen und Medikamente werden
mit 185 CHF bis 510 $ angegeben [30]
[31]. Daraus errechnen sich für 7 - 10 Mio. behandlungsbedürftige GERD-Patienten in Deutschland
Aufwendungen von ca. 3 - 4 Milliarden Euro pro Jahr. Eine verlässliche prospektive
Kostenanalyse fehlt.
Arbeitsunfähigkeit, Berentung
Konsens
Bei Patienten mit NERD/geringgradiger ERD spielen indirekte Kosten für Arbeitsunfähigkeit
bzw. Berentung eine erhebliche Rolle und rechtfertigen die Kosten einer angemessenen
medikamentösen Therapie (B).
Kommentar
Mit einer beschwerdebedingten Beeinträchtigung ihrer Arbeitsfähigkeit ist bei 23 bis
33 % der Refluxpatienten zu rechnen [32]
[33]. Die indirekten Kosten für GERD durch Arbeitsunfähigkeit und gelegentliche Berentung
sind ähnlich hoch wie die direkten Therapiekosten [32]
[34]
[35]. Im Vergleich zu ambulanten Ulkuspatienten vor der H.-p.-Eradikationsära sind die
Kosten für GERD vergleichbar bzw. sogar höher zu veranschlagen [36].
Natürlicher Verlauf
Natürlicher Verlauf
Keine wesentliche Progredienz
Konsens
Das Stadium der NERD/ERD ist bei > 95 % der Patienten über viele Jahre nicht progredient,
regelmäßige endoskopische Verlaufskontrollen sind daher nicht erforderlich. Eine spontane
langfristige Rückbildung der GERD ist selten (B).
Kommentar
Prävalenz und Schwere von Refluxsymptomen sind unabhängig von der Dauer der Beschwerden
und vom Alter der Patienten. Bei den meisten Patienten mit ERD und NERD bleibt das
Stadium der Erkrankung bei Diagnosestellung in den folgenden Jahrzehnten stabil [1]
[2]
[4]
[37]
[38]
[39]
[40]. Endoskopische Verlaufskontrollen nach Absetzen der Therapie sind daher verzichtbar,
symptomatische Rezidive weisen meist denselben endoskopischen Schweregrad auf wie
die Index-Gastroskopie bei Erstdiagnose [39]. Andererseits sind Spontanremissionen v. a. bei höhergradiger ERD selten [41]
[42], Rezidive nach Absetzen einer Therapie dagegen sehr häufig [43]
[44].
Sekundäre Refluxkrankheit
Konsens
Spezifische pathophysiologische Störungen aufgrund anderer Krankheitsbilder können
zur GERD führen und werden als sekundäre Refluxkrankheit bezeichnet (C).
Kommentar
Als Ursachen sind akzeptiert: Magenausgangsstenose und funktionelle Gastroparese,
Gravidität [45], Magenverweilsonde [46], Zollinger-Ellison-Syndrom [47], Sjögren/Sicca-Syndrom [48], Sklerodermie [49], neuromuskuläre Erkrankungen sowie geistige Behinderungen (Übersicht bei [50]).
Assoziation mit anderen Erkrankungen
Konsens
Über eine Assoziation von GERD mit anderen gastrointestinalen und/oder extragastrointestinalen
Erkrankungen wird in der Literatur berichtet, ohne dass direkte kausale pathogenetische
Mechanismen gesichert sind (C).
Kommentar
Dies gilt z. B. für die distale Gastrektomie [51], die Cholezystektomie [52], die Peritonealdialyse [53], Zöliakie [54], Diabetes mellitus [55]
[56], Koronarinsuffizienz [57], M. Parkinson [58], psychiatrische Erkrankungen [59] und Schlafapnoe [60]
[61]
[62].
Medikamente
Konsens
Medikamente können die Symptomatik der GERD verstärken, da sie die komplexe Funktion
des gastroösophagealen Verschlussmechanismus und der ösophagealen Clearance stören
können (C).
Kommentar
Zu diesen Medikamenten gehören Kalziumantagonisten, Nitropräparate, Theophylline (Verstärkung
eines refluxbedingten Asthmas!), Anticholinergika, Psychopharmaka, orale Kontrazeptiva und pfefferminzölhaltige Präparate u. a. [63]. Kalziumantagonisten, Nitropräparate und Anticholinergika können zudem durch Reduktion
der ösophagealen Kontraktionsamplituden die ösophageale Säure-Clearance beeinträchtigen
[64]. Darüber hinaus reduzieren Anticholinergika die Sekretion Bikarbonat enthaltenden
Speichels und vermindern dadurch die Säureneutralisation im Ösophagus [65]. Refluxpatienten scheinen zudem ein erhöhtes Strikturrisiko zu tragen bei Einnahme
von ASS oder NIARD.