Einleitung
Das Lymphangioma circumscriptum kann bei weitgehend identischer klinischer Morphologie
in zwei unterschiedlichen Verlaufsformen beobachtet werden. Die kongenitale oder im
frühen Kindesalter auftretende Manifestation, die auch als primäre Form bezeichnet
wird, zählt zu den Hamartomen und ist nicht selten mit weiteren Fehlbildungen des
Lymphgefäßsystems verbunden. Hierzu zählen die Lymphangiomatose, kavernöse Lymphangiome
oder zystische Hygrome [1]. Demgegenüber findet sich das Lymphangioma circumscriptum im Erwachsenenalter, die
erworbene oder sekundäre Manifestationsform, in der Regel auf dem Boden eines chronischen
Lymphödems als Folge einer vorausgegangenen onkologischen Therapie. Während die Frage
nach der Pathogenese der Lymphangiome bei der primären Form weiterhin umstritten ist,
diskutiert werden eine neoplastische oder eine ektatische Genese, besteht bei der
erworbenen Manifestationsform die einheitliche Auffassung, dass hier reaktive Lymphangiektasien
vorliegen [1]
[2]
[3]. Bei den nachfolgenden drei Kasuistiken konnte die Schädigung des Lymphgefäßsystems
auf eine kombinierte chirurgisch-radiologische Behandlung genitaler Malignome zurückgeführt
werden, wie dies auch für fast alle anderen in der Literatur beschriebenen Erkrankungsfälle
erworbener zirkumskripter Lymphangiome typisch gewesen ist.
Kasuistiken
Patient K. S.
Im Alter von 38 Jahren wurde bei dem jetzt 70-jährigen Patienten ein Peniskarzinom
diagnostiziert. Neben der Amputation des Penis erfolgte eine inguinale Lymphadenektomie
bds. und eine Radiatio des gesamten Operationsgebietes. 29 Jahre nach dieser Behandlung
bemerkte er erstmals nässende Hautveränderungen am Skrotum. Klinisch fand sich ein
vergrößertes, derbes Skrotum mit deutlich abgeflachten Krypten. Im Bereich des gesamten
Skrotums zeigten sich einzelne oder gruppiert stehende, hier auch konfluierende, 2
- 6 mm durchmessende, teilweise breitbasig gestielte Papeln mit jeweils mehreren unterschiedlich
großen Bläschen. Die überwiegend klare Flüssigkeit der Bläschen war vereinzelt pustulös
eingetrübt (Abb. [1], [2]).
Abb. 1 Patient K. S.: Dicht stehende Papulovesikel, Z. n. Penisamputation.
Abb. 2 Patient K. S.: Detailaufnahme.
Patient H. A.
Bei dem heute 76-jährigen Patienten wurde vor 40 Jahren eine Orchiektomie durchgeführt,
nachdem sich ein Seminom am rechten Hoden entwickelt hatte. Anschließend erfolgte
eine Kobalt-Bestrahlung des Skrotums und der abfließenden Lymphbahnen. Bereits zwei
Jahre nach dieser Behandlung traten Hautveränderungen am Penis und am Skrotum auf.
Der dermatologische Befund zeichnete sich durch überwiegend gruppiert stehende, vereinzelt
konfluierende, 2 - 3 mm große, derbe Bläschen aus. Insbesondere die Haut des Penis
war teigig-ödematös geschwollen mit tiefen, ringförmigen Falten (Abb. [3]).
Abb. 3 Patient H. A.: Einzeln stehende oder konfluierende Vesikel Penis und Skrotum.
Patientin W. M.
Die 85-jährige Patientin erkrankte 1978 an einem Cervixkarzinom. Therapeutisch erfolgte
eine Hysterektomie mit nachfolgender Radium-Einlage. Ein Jahr später wurde ein Plattenepithelkarzinom
der rechten Vulva exzidiert mit anschließender Radiatio des Op.-Bereiches. Im Frühjahr
2004 waren ihrem Gynäkologen erstmals Hautveränderungen aufgefallen. Bei der dermatologischen
Untersuchung war die Vulvaschleimhaut bei Zustand nach Vulvektomie rechts nur noch
linksseitig in stark atrophischer Form erkennbar. Die angrenzenden Hautbereiche waren
bds. ödematös und zeigten hier gruppiert stehende, in der Mehrzahl nur sehr kleine
und flache, 2 - 3 mm durchmessende Bläschen (Abb. [4]).
Abb. 4 Patientin W. M.: Gruppiert stehende kleinste Vesikel im Vulvabereich.
Bei keinem der drei Patienten war es nach der onkologischen Behandlung zu Rezidiven
oder Metastasierungen der jeweiligen Malignome gekommen. Auch das Auftreten von Erysipelen
oder anderen urogenitalen Infektionen wurde von den Patienten verneint.
Die histopathologischen Befunde der drei Patienten waren weitgehend identisch. Dabei
zeigte sich die zentral vorgewölbte Epidermis entweder akanthotisch verbreitert mit
Hypergranulose und kompakter Orthokeratose oder war deutlich verschmälert. Subepidermal
fanden sich wabenartige, stark dilatierte Hohlräume mit einem dünnen Endothel und
fixierter Lymphe. Im angrenzenden fibrosierten Stroma konnten teilweise ausgeprägte
Lymphangiektasien nachgewiesen werden (Dr. C. Diaz, Einsendungslabor für Dermatopathologie,
Freiburg; Abb. [5]).
Abb. 5 Subepidermale Lymphangiektasien (HE, 1 : 40).
Eine Behandlung wurde von dem Patienten K. S. und der Patientin W. M. nicht gewünscht.
Bei dem Pat. H. A. wurde ein umschriebenes Areal mit dem Argon-Laser behandelt, was
zu einer anhaltenden Rückbildung der Bläschen führte. Eine weitere Laser-Therapie
lehnte der Patient dann jedoch ab.
Diskussion
Das Lymphangioma circumscriptum ist auch in seiner erworbenen Form eine nur selten
beobachtete Dermatose, über die in der Literatur bisher hauptsächlich in kasuistischen
Beiträgen berichtet worden ist. Epidemiologische Daten fehlen daher ebenso wie konkrete
Angaben zu den Behandlungsverfahren der meist vorbestehenden Malignome, z. B. zu den
eingesetzten Strahlendosierungen, die nur selten dokumentiert worden sind [4]. Vereinzelt wurden zu speziellen Fragestellungen Literaturuntersuchungen durchgeführt.
Als Beispiel sei auf eine Arbeit von Vlastos et al. hingewiesen [5]. Die Autoren führten anhand der Literatur eine Datenanalyse durch, wie häufig über
das Lymphangioma circumscriptum im Bereich der Vulva berichtet worden ist. Dabei fanden
sich in einer Gruppe von 3272 Arbeiten über Lymphangiome, die in den Jahren von 1961
bis 2003 publiziert worden waren, 11 Arbeiten über primäre und 20 Publikationen über
sekundäre Lymphangiomata circumscripta im Bereich der Vulva. Der spezielle Aspekt
einer solchen Untersuchung erlaubt somit jedoch keine allgemein gültigen Aussagen
zu epidemiologischen Daten des Lymphangioma circumscriptum.
Während sich das primäre Lymphangioma circumscriptum typischerweise am oberen Stamm
manifestiert, zeigen sich die erworbenen Formen in Abhängigkeit von der behandelten
Tumorform genital, inguinal und pektoral, wobei dann üblicherweise das Bestrahlungsareal
oder der unmittelbare Bereich distal der ursprünglichen Op.-Lokalisation betroffen
sind [5]. Die Latenzzeit zwischen der onkologischen Therapie und dem Auftreten der zirkumskripten
Angiome wird in den meisten Fällen mit wenigen Jahren, vereinzelt aber auch mit mehreren
Jahrzehnten angegeben [3]
[6]
[7]
[8]
[9].
Die klinische Morphologie der erworbenen Form des Lymphangioma circumscriptum ist
durch gruppiert stehende, linsen- bis halbkirschkerngroße Bläschen gekennzeichnet,
die eine wasserklare oder hellgelbe Flüssigkeit enthalten [4]
[8]
[10]. Hämorrhagische Bläschen als Ausdruck einer sekundären Blutung, wie sie bei der
primären Form des Lymphangioma circumscriptum häufig vorliegt, wurden bei der erworbenen
Manifestationsform nur selten beschrieben [1]
[6]. So fanden sich auch bei unseren Patienten keine hämorrhagischen Bläschen. Dafür
zeigten sich vereinzelt pustulöse Eintrübungen, die als Zeichen einer bakteriellen
Infektion gewertet wurden. Eine weitere morphologische Eigenschaft, die besonders
das klinische Bild der erworbenen Form des Lymphangioma circumscriptum prägt, ist
die Neigung der einzelnen Bläschen, zu größeren, dann auch mehrkammerigen Blasen zu
konfluieren [6]. Der Palpationsbefund der Blasen ist dabei typischerweise prall-elastisch. Bei dünnen
Blasendecken und verstärkter Vulnerabilität kann die austretende Lymphflüssigkeit
kumulativ-toxische Kontaktekzeme verursachen oder bakterielle Infektionen begünstigen.
Vereinzelt, wie z. B. bei dem hier vorgestellten Patienten K. S., zeigen die Morphen
eine ausgeprägt papulöse Komponente, wobei die meist kleinen Blasen dennoch klinisch
sichtbar bleiben [11]. Fehlen blasige Anteile hingegen vollständig, kann der dermatologische Befund auch
durch hyperpigmentierte oder verruköse Papeln gekennzeichnet sein [6]
[7]
[8]. Die beschriebenen Morphen der erworbenen Form des Lymphangioma circumscriptum finden
sich häufig auf dem Boden chronischer Lymphödeme. Da Lymphödeme jedoch keineswegs
bei allen Patienten beobachtet werden, scheinen sie keine unabdingbare Voraussetzung
für die Entstehung eines Lymphangioma circumscriptum darzustellen [3]
[6]
[8]
[9]
[10]. Das erworbene Lymphangioma circumscriptum ist definitionsgemäß die Folge einer
vorbestehenden Erkrankung oder der damit notwendig gewordenen Therapie. In den meisten
Fällen hatten sich die Patienten einer kombinierten chirurgisch-radiologischen Behandlung
einer Tumorerkrankung unterziehen müssen, so auch die hier vorgestellten Patienten.
In Ausnahmefällen wurde das Lymphangioma circumscriptum allerdings auch beobachtet,
ohne dass eine Kombination der genannten Therapieverfahren erfolgt war [4]
[12]. Diese Patienten waren dann entweder operiert oder bestrahlt worden. Die typischen
Malignome, infolge deren Therapie das Lymphangioma circumscriptum auftreten kann,
sind genitale Karzinome, besonders das Cervixkarzinom, sowie das Mammakarzinom [6]
[7]
[8]
[9]
[10]. Die Behandlung anderer Tumorformen oder entzündliche Grunderkrankungen müssen hingegen
als sehr seltene Ursachen eines Lymphangioma circumscriptum angesehen werden. Zu diesen
Einzelbeobachtungen zählen z. B. ein malignes Melanom der unteren Extremitäten, bei
dem eine inguinale Lymphadenektomie und eine hypertherme Zytostatika-Perfusion durchgeführt
worden waren, oder eine radiologische Therapie als Prophylaxe von Keloiden [3]. Gelegentlich ist das Lymphangioma circumscriptum auch bei internistischen Grunderkrankungen
beobachtet worden, wobei die Dermatose hier offensichtlich als direkte Folge der meist
fortgeschrittenen Grunderkrankungen entstanden war und nicht als Folge der Behandlung.
Entzündliche Darmerkrankungen, z. B. der Morbus Crohn und die Colitis ulcerosa, oder
die Tuberkulose mit Befall inguinaler oder axillärer Lymphknoten sind entsprechende
Beispiele, die in der Literatur beschrieben worden sind [13]
[14]
[15]
[16]
[17].
Pathogenetisch zeichnet sich das primäre Lymphangioma circumscriptum durch lymphatische
Zisternen aus, die subkutan im Bereich der tiefen Faszien lokalisiert sind. Diese
Zisternen gelten als embryonale Entwicklungsanomalien und sind nur mit den Lymphgefäßen
der retikulären Dermis verbunden, während der Anschluss an das tiefe lymphatische
System fehlt. Bei Kontraktur der Zisternen steigt der Druck im Bereich der retikulären
Lymphbahnen. Wird dabei die Elastizität der Gefäße dauerhaft überfordert, entwickeln
sich Ektasien [18]. Einer anderen Auffassung zufolge wird das primäre Lymphangioma circumscriptum auf
Grund histopathologischer Befunde als autonome Fehlbildung im Sinne einer echten Neoplasie
verstanden [2]. Bei der erworbenen Form des Lymphangioma circumscriptum wird die Druckerhöhung
im lymphatischen Gefäßsystem durch therapeutische Maßnahmen im Zusammenhang mit Tumorerkrankungen
oder durch entzündlich bedingte Schädigungen der Lymphbahnen verursacht. Offensichtlich
führt dabei insbesondere die Kombination chirurgischer und radiologischer Therapieverfahren
besonders häufig zur Entwicklung der hier unbestritten vorliegenden Lymphangiektasien
[3]
[19].
Bei Kenntnis einer vorausgegangenen onkologischen Therapie und bei Auftreten gruppiert
stehender, häufig konfluierender Bläschen in genitaler oder thorakaler Lokalisation
dürfte die Diagnose eines erworbenen Lymphangioma circumscriptum im Allgemeinen keine
Schwierigkeiten bereiten. Nichtsdestotrotz wurde der dermatologische Befund bei zahlreichen
Patienten zunächst als Condylomata acuminata fehlgedeutet [5]. Zu weiteren klinischen Differenzialdiagnosen werden die Mollusca contagiosa, der
Morbus Fox-Fordyce und die Hidradenitis suppurativa gezählt [8].
Die Behandlung der erworbenen Form des Lymphangioma circumscriptum ist schwierig,
wobei unterschiedliche therapeutische Verfahren angewendet worden sind. Die chirurgische
Exzision, soweit sie sinnvoll möglich ist, zeichnet sich durch eine hohe Rezidivrate
aus [5]. Die Elektrokoagulation oder die Dermabrasio sind weitere chirurgische Verfahren,
die vereinzelt empfohlen worden sind [15]
[20]. Erfolg versprechender als die herkömmlichen chirurgischen Verfahren ist hingegen
die Laser-Therapie, die in den letzten Jahren verstärkt auch zur Behandlung des erworbenen
Lymphangioma circumscriptum eingesetzt worden ist. Neben dem Argon-Laser wurde der
Erbium:YAG-Laser und besonders der CO2-Laser verwendet. Die Laser-Therapie ist auch beim Lymphangioma circumscriptum ein
den Patienten nur wenig belastendes Behandlungsverfahren, deren Anwendung beliebig
wiederholt werden kann und das sich darüber hinaus durch eine nur geringe Rezidivrate
der Lymphangiektasien auszeichnet [20]
[21]
[22]
[23].