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DOI: 10.1055/s-2005-861139
Gestörtes Hören
Chirurgische Verfahren
Priv.-Doz. Dr. med. Dr. h. c. Thomas Zahnert
Universitäts-HNO-Klinik Dresden
Fetscherstraße 74 · 01307 Dresden
Email: thomas.zahnert@uniklinikum-dresden.de
Publication History
Publication Date:
22 April 2005 (online)
- Zusammenfassung
- 1 Wiederherstellung der akustischen Funktion des Gehörgangs
- 2 Rekonstruktion des Trommelfells
- 3 Rekonstruktion der Ossikelkette
- 4 Aussichten
- Literatur
Zusammenfassung
Die Wiederherstellung der Hörfunktion ist in vielen Fällen mit einer Resozialisierung der Betroffenen verbunden und nimmt deshalb in einer Gesellschaft mit immer schneller werdender Kommunikation einen wichtigen Platz ein. Nicht alle Probleme lassen sich auf chirurgischem Weg lösen. Auch 50 Jahre nach Einführung der Tympanoplastik sind die Hörergebnisse unbefriedigend und erreichen häufig nicht die Schwelle zum sozialen Gehör. Als Ursache dafür kann in den meisten Fällen eine unvollständige Wiederherstellung der Schleimhautfunktion des Mittelohres und der Tube angesehen werden, die zu Belüftungsstörungen des Ohres führt und eine regelrechte Schwingung des rekonstruierten Mittelohres nicht erlaubt. Einige Ursachen liegen jedoch auch in der Biomechanik der rekonstruierten Kette begründet. Es gibt heute Fortschritte in der rekonstruktiven Mittelohrchirurgie, die sich vor allem auf die Weiterentwicklung von Implantaten beziehen. Dabei können Implantate aus Titan als eine neue Generation betrachtet werden, die sich durch eine hervorragende Biokompatibilität, ein graziles Design und durch neue biomechanische Möglichkeiten in der Wiederherstellung der Kettenfunktion auszeichnen. Metallimplantate erlauben erstmalig einen kontrollierten Kraft- und Formschluss an den verbliebenen Rest der Kette sowie die Integration mikromechanischer Funktionen in das Implantat. Darüber hinaus gibt es auch Fortschritte in der Mikrochirurgie selbst. Diese betreffen vor allem das operative Vorgehen bei Gehörgangsatresie, bei der Wiederherstellung des Trommelfells und der Ankopplung von Implantaten. Das vorliegende Referat gibt einen Überblick über den derzeitigen Stand der rekonstruktiven Mittelohrchirurgie unter Beachtung der akusto-mechanischen Gesetzmäßigkeiten.
Schlüsselwörter
Mittelohrchirurgie - Mittelohrrekonstruktion - Tympanoplastik - Stapesplastik - Gehörgangsplastik - Mittelohrimplantat - Gehörgangsatresie
1 Wiederherstellung der akustischen Funktion des Gehörgangs … 38 |
1.1 Akustische Funktion des Gehörgangs … 38 |
1.2 Die Veränderung der Schallleitung bei Radikalhöhlen … 38 |
1.3 Chirurgische Methoden zur Wiederherstellung des Gehörgangs … 38 |
1.3.1 Techniken der Gehörgangswandrekonstruktion … 38 |
1.3.2 Anlage eines Neogehörgangs bei Gehörgangsatresie … 39 |
2 Rekonstruktion des Trommelfells … 41 |
2.1 Akustische Funktion des gesunden Trommelfells … 41 |
2.2 Techniken der Trommelfellrekonstruktion … 41 |
2.2.1 Auswahl des Transplantatmaterials … 41 |
2.2.2 Rekonstruktionstechniken des Trommelfells bei gesunden Schleimhaut- und Belüftungsverhältnissen … 41 |
2.2.3 Rekonstruktion des Trommelfells bei Ventilationsstörungen, pathologischen Schleimhautveränderungen und Totaldefekten des Trommelfells … 42 |
3 Rekonstruktion der Ossikelkette … 43 |
3.1 Akustische Funktion der Kette … 43 |
3.2 Akustische Funktion der Ossikelbänder … 44 |
3.3 Transplantatauswahl … 44 |
3.3.1 Alloplastische Implantatmaterialien … 45 |
3.3.2 Welches Material wird bevorzugt ? … 45 |
3.3.3 Hörergebnisse verschiedener Implantate … 46 |
3.4 Rekonstruktion des Ossikelkette bei Ambossschenkeldefekten … 46 |
3.5 Rekonstruktion mit Ambossinterponaten … 46 |
3.6 Rekonstruktion mit Implantaten bei intaktem Stapesoberbau … 47 |
3.6.1 Ankopplung an den Stapeskopf … 47 |
3.6.2 Ankopplung an das Trommelfell … 47 |
3.6.3 Ankopplung an den Hammergriff … 48 |
3.6.4 Ankopplung an die Fußplatte … 48 |
3.7 Wiederherstellung der Hörfunktion bei Fixation der Ossikelkette und Bandfixation … 49 |
3.7.1 Fixationen durch Bändersklerosierung … 49 |
3.7.2 Hammerkopffixation … 49 |
3.7.3 Ringbandfixation … 49 |
4 Aussichten … 50 |
Literatur (Hinweis: erscheint nur in der Online-Ausgabe) |
1 Wiederherstellung der akustischen Funktion des Gehörgangs
#1.1 Akustische Funktion des Gehörgangs
Bevor die Schallwellen das Trommelfell erreichen, werden sie von der äußeren Körperform, der Ohrmuschel und dem Gehörgang durch Reflexion und Dämpfung modifiziert. Ohrmuschel und Gehörgang bilden einen Trichter und wirken durch den einseitigen Abschluss des Trommelfells akustisch wie eine gedeckte Pfeife. Unter den genannten Faktoren haben der Gehörgang und die Ohrmuschel den größten Einfluss auf die Resonanz des äußeren Ohres [1]. Die Schalldruckverstärkung der Ohrmuschel ist von ihrer Form und vom Einfallswinkel des Schalls abhängig, so dass ihr eine wichtige Funktion für das Richtungshören zukommt.
Bereits Helmholz untersuchte den Resonanzraum des äußeren Ohres anhand von gläsernen und metallenen Röhren oder Kugeln (Helmholzresonatoren), die man an den Gehörgangseingang ansetzen konnte, und berechnete eine Resonanzfrequenz zwischen 2 und 3 kHz [2]. Da die Schallgeschwindigkeit als konstant angenommen werden kann, geht die Geometrie (Radius, Länge, Volumen) des Gehörgangs als entscheidende Größe in die Resonanzfrequenz ein (s. Formel [1]). Der Chirurg hat somit bei der Gestaltung der Gehörgangsgeometrie Einfluss auf die Lage der Resonanzfrequenz.
Neue Messungen mittels Sondenmikrophonen ergaben für gesunde Probanden Resonanzfrequenzen zwischen 2800 Hz und 3100 Hz [4] [5]. Die Schalldruckverstärkung beträgt dabei etwa 20 dB im Frequenzbereich zwischen 2 und 4 kHz.
#1.2 Die Veränderung der Schallleitung bei Radikalhöhlen
Nach klassischen Radikalhöhlenoperationen verändern sich die akustischen Verhältnisse des Gehörgangs und des Mittelohres. Die Entfernung der hinteren Gehörgangswand führt über eine Volumenerweiterung zur Absenkung der Resonanzfrequenz. Dabei gilt grundsätzlich:
-
je größer der Gehörgangseingang ist, desto höher ist die Resonanzfrequenz
-
je größer das Volumen der Höhle ist, desto niedriger ist die Resonanzfrequenz [6]
Messungen an Probanden mit Radikalhöhlen zeigten ein Absinken der Resonanzfrequenz im Vergleich zu Gesunden von 2942 Hz auf 1939 Hz, die vor allem auf die Erweiterung des Volumens von 0,9 auf 2,3 ml zurückzuführen sind [6]. Die Weite des Gehörgangseinganges und die Wandbeschaffenheit der Höhlenauskleidung (verwinkelt oder glatt) hatten dagegen einen nur geringen Einfluss. Mit der Volumenerweiterung verbunden ist ein Verlust in der Schalldruckverstärkung des Gehörganges um 10 dB im Frequenzbereich zwischen 3 und 4 kHz. Hartwein misst ihr eine hohe Bedeutung für das Sprachverständnis und das Musikhören bei. Das Formantengebiet von 2800 - 3200 Hz ist ein wesentlicher Funktionsträger des gesamten Sprachspektrums [6].
Bei Radikalhöhlen entsteht ein weiterer akustischer Effekt durch das hinter dem Trommelfell reduzierte Luftvolumen. Während beim gesunden Ohr Mastoid und Mittelohr ein Volumen von etwa 6 cm³ besitzen, reduziert sich das Volumen hinter dem Trommelfell auf etwa 1 cm³ bei Radikalhöhlen [7]. Wird das Volumen bei flacher Pauke weiter vermindert (0,5 cm³), entstehen nach Berechnungen und Experimenten in den tiefen Frequenzen Schallleitungsstörungen von 10 dB und mehr [8].
#1.3 Chirurgische Methoden zur Wiederherstellung des Gehörgangs
#1.3.1 Techniken der Gehörgangswandrekonstruktion
Radikalhöhlen können vermieden werden, wenn die hintere Gehörgangswand bei der Operation nur temporär entnommen und abschließend wieder reimplantiert wird (s. Abb. [1]) [9]. Voraussetzung für die Anwendung dieser Technik ist eine gute Pneumatisation des Mastoids, um die Gehörgangswand vor der Entnahme „frei zu bohren” sowie eine weitestgehend intakte laterale Attikwand. Leider sind diese Randbedingungen bei großen Cholesteatomen nur selten gegeben, so dass man auf die chirurgisch einfachere Anlage einer klassischen Radikalhöhle angewiesen ist. Diese werden heute in der Regel soweit verkleinert, dass ihr Restvolumen einem weiten Gehörgang entspricht. Bevor jedoch das Mastoid obliteriert werden kann, müssen sämtliche Schleimhautzellen durch Ausschleifen entfernt werden, um schwelende Infektionen und langwierige Wundheilungsverläufe zu vermeiden [10]. Gelingt es, das Höhlenvolumen annähernd auf das Maß eines normalen Gehörgangs zu reduzieren, können radikale und kosmetisch auffällige Erweiterungen des Gehörgangseinganges vermieden werden. Die akustische Folgen der Radikalhöhlenverkleinerung sind in einer Verbesserung der Schalldruckverstärkung um etwa 10 dB sowie eine Anhebung der Resonanzfrequenz in den Normbereich zu sehen [6] [11] [12].
Die chirurgischen Techniken zur Radikalhöhlenverkleinerung sind vielgestaltig und richten sich vor allem nach der Verfügbarkeit des Materials und der Erfahrung des Operateurs. Grundsätzlich sind körpereigene Materialien alloplastischen vorzuziehen, um Fremdkörperreaktionen und den Abbau des Materials durch Entzündungen zu vermeiden [13]. Von den körpereigenen Materialien bieten sich bei den Bohrarbeiten abgetragenes Knochenmehl, Knorpel aus der Concha oder dem Tragus sowie Muskel und Perichondrium an [14] [15] [16] [17] [18]. Häufig ist man auf die Kombination dieser Materialien angewiesen, besonders wenn große Höhlen zu verkleinern sind. Fehlt Knochen für die Rekonstruktion, können fast immer Muskellappen in die Höhle eingeschwenkt werden, die ein gut vaskularisiertes Lager für den Knorpelaufbau bieten und ein „trockenes Ohr” 4 - 6 Wochen postoperativ in Aussicht stellen. Die Prinzipien der Radikalhöhlenverkleinerung sind in Abb. [2] dargestellt.
#1.3.2 Anlage eines Neogehörgangs bei Gehörgangsatresie
Atresien des Gehörganges sind angeborene Fehlbildungen des Ohres, die häufig mit Ohrmuschelmissbildungen, Missbildungen des Mittel- und gelegentlich des Innenohres einhergehen. Die Inzidenz der Gehörgangsatresie wird mit 1/10 000 - 1/20 000 angegeben [19].
1953 beschrieb House den Aufbau des Gehörganges und Mittelohres bei Atresie als einen der schwierigsten Eingriffe in der Otologie [20]. Als Ursachen für den in der Regel hohen Schwierigkeitsgrad werden angegeben [21]:
-
das Fehlen von Landmarken während der Bohrarbeiten durch den kompakten Knochen,
-
die veränderte Anatomie des Mittelohres und des N. facialis,
-
der begrenzte Raum für die Mittelohrrekonstruktion,
-
die Probleme im Heilungsprozess.
Das günstigste Zeitintervall für eine Operation wird bei bilateraler Atresie zwischen dem 5. und 7. Lebensjahr angegeben [19] [22]. Bei einseitiger Gerhörgangsatresie wird dagegen die Indikation zur Operation im Kindesalter kontrovers diskutiert. Während einige Chirurgen auch bei einseitiger Atresie eine Operation befürworten, um die Vorteile des binauralen Hörens (Richtungshören, Sprachverständnis im Störschall) für die Hör- und Sprachentwicklung im Kindesalter zu nutzen [23], plädieren andere für ein Abwarten bis zum Erwachsenenalter. Nicht die Eltern, sondern die betroffenen Patienten sollen Risiken und Nutzen der Operation gegeneinander abwägen [24] [25], zumal die Erfolgschancen in Hinblick auf das Hörergebnis eher moderat sind. Während in den ersten Hörmessungen postoperative Schallleitungskomponenten von 25 dB in 70 % der Fälle zu erwarten sind [26] [27], erreichen nach 2 - 5 Jahren nur noch 50 - 60 % der Patienten ein soziales Gehör mit einer Hörschwelle von 30 dB oder besser [24] [26] [28].
Als Ursachen für verbleibende Schallleitungskomponenten werden vor allem die gegenüber Normalpatienten engeren Verhältnisse in der Paukenhöhle und die oft zu kleine Trommelfellfläche angegeben [28]. Es wird angenommen, dass durch Knochenneubildung auf engem Raum die mobilisierte Kette wieder fixiert wird.
Außerdem besteht eine Tendenz zur Lateralisation des Trommelfells, die in Abhängigkeit von der OP-Technik mit einer Häufigkeit von 9 - 62 % auftritt [29] [30].
Ein weiteres Problem ist die Restenose des Gehörganges, die in etwa 30 % der Fälle zu erwarten ist [24] [28] [31] [32]. Sowohl die Restenose als auch die Lateralisationstendenz konnten signifikant gesenkt werden, wenn anstelle von Vollhauttransplantaten Spalthauttransplantate verwendet wurden [19] [29] [33]. Kritiker dieser Technik meinen, dass der relativ schlecht durchblutete glatte Knochen für die Spalthaut keine ideale Grundlage bildet und es somit in einigen Fällen zur Abstoßung kommt [34]. Einige Autoren versuchen deshalb, in den neu angelegten Gehörgang gestielte Hautlappen, Chondrodermale Lappen oder Lappentechniken aus der Kombination beider Transplantate anzuwenden [35] [36] [37] [38].
Eine neue Technik zur Vermeidung von Stenosen ist die Rekonstruktion der Gehörgangshaut auf einem Knorpelbett. Dazu wird ein Silikonzylinder mit Knorpel umkleidet und in einer Hauttasche stabil zur Einheilung gebracht. Nach 6 Monaten kann dieser vorgefertigte Knorpelkanal in den neu geschaffenen knöchernen Gehörgangskanal eingesetzt und mit Spalthaut ausgekleidet werden (s. Abb. [3]) [39] [40].
Zu den intraoperativen Risiken zählen vor allem das Lärmtrauma und die Fazialisparese. Das Risiko einer Fazialisparese konnte in den letzten Jahren vor allem durch den Einsatz des Nervenmonitorings und die verbesserte präoperative Diagnostik mittels Dünnschicht-Felsenbein-CT gesenkt werden [21]. Vorübergehende Paresen werden in 1 - 1,5 % der Fälle angegeben [28] [35] [41]. Das Risiko eines artifiziellen Knochenleitungsabfall zwischen 4 und 8 kHz wird bei Atresieoperationen bei etwa 15 % der Fälle angegeben [32] [42], das Risiko der Ertaubung ist vergleichbar mit dem bei Stapesoperationen und liegt zwischen 0,6 und 3 % [28]. Es kann gesenkt werden durch Bohren mit niedriger Drehzahl oder den Einsatz eines CO2-Lasers zur Resektion der Atresieplatte.
Präoperative Daten aus dem Dünnschicht-Felsenbein-CT sind die wichtigsten Parameter zur Abschätzung des akustischen Operationserfolges. Abgesehen von Missbildungen der Cochlea sind die Aussichten auch bei Fehlen der Ossikel, fehlendem runden oder ovalen Fenster oder fehlender Mittelohrbelüftung schlecht. Eine Fixation der Fußplatte ist dagegen nur in 6 % der Fälle zu erwarten [24].
Mit dem Ziel der Evaluierung der Hörerfolgschancen wurden verschiedene Skalierungen entwickelt. Altmann [43] unterscheidet in leichte, mittlere und schwere Malformationen des Ohres. Gill [44] und de la Cruz [29] erweiterten die von Altmann entwickelte Klassifikation unter Einbeziehung der Pneumatisation des Mastoids und des Mittelohres bzw. des Verlaufes des N. facialis. Jahrsdörfer entwickelte ein Punktesystem zur Beurteilung der Hörerfolgschancen [27]. Anhand der CT-Daten werden insgesamt 10 Punkte vergeben, wobei ab 8 Punkten in 80 - 90 % der Fälle Schallleitungskomponenten < 25 dB zu erwarten sind. Bei weniger als 5 Punkten ist die Indikation zur Operation kritisch zu betrachten. Siegert konnte das System anhand von High-Resolution-CT-Daten weiter verfeinern [45].
Grundsätzlich stehen 2 verschiedene Operationstechniken zur Verfügung: der transmastoidale und der anteriore Zugang. Bei dem transmastoidalen Zugang wird das Mittelohr über eine Mastoidektomie aufgesucht. Der Vorteil liegt in einer besseren Orientierung und Erkennung von Landmarken wie dem lateralen Bogengang. Auf diesem Zugangsweg nähert man sich bei den Bohrarbeiten von hinten der Atresieplatte und kann die Ossikel rechtzeitig erkennen. Befürworter dieser Technik heben das geringere Risiko einer Innenohrschädigung durch Bogengangsverletzung oder Bohrlärm nach ungewolltem Berühren der Ossikel hervor [29].
Jahrsdoerfer, Mattox und Fisch beschrieben 1986 alternativ einen so genannten anterioren Zugang, bei dem die Bohrarbeiten durch die Atresieplatte hindurch erfolgen, möglichst ohne die Mastoidzellen zu eröffnen [46] [47]. Als Landmarken dienen lediglich das Dach der mittleren Schädelgrube sowie das Kiefergelenk. Obwohl dieses Vorgehen als deutlich riskanter im Hinblick auf eine Lärmschädigung des Innenohres einzuschätzen ist, entfallen aufwändige Obliterationen der oft ausgedehnt pneumatisierten Mastoidhöhle. Das Risiko einer Fazialisparese bei diesem Zugangsweg wird als gering eingeschätzt, da der Nerv in der Regel medial der Atresieplatte verläuft [46]. Ein weiterer Vorteil ist die deutlich verkürzte postoperative Wundheilung, da sich weniger Granulationsgewebe bildet als in einer großen Operationshöhle mit eröffneten Mastoidzellen. Nach Meinung von Chandrasekhar kann durch den anterioren Zugangsweg die Restenoserate gesenkt werden [24]. Entstehen jedoch während der Bohrarbeiten Unsicherheiten in der anatomischen Orientierung, sollte vor einer Eröffnung des Mastoids nicht zurückgeschreckt werden, um Innenohrtraumata oder Fazialisverletzungen zu vermeiden.
#2 Rekonstruktion des Trommelfells
#2.1 Akustische Funktion des gesunden Trommelfells
Unter der Bedingung des intakten Trommelfells und der Schallanregung im Gehörgang wird der Luftschall des Gehörganges in mechanische Schwingungen des Trommelfelles umgewandelt. Ein Optimum der Schallabsorption besteht zwischen 2 und 5 kHz. Unterhalb von 1 kHz wird nur 1/100 der Energie vom Trommelfell aufgenommen, der Rest wird reflektiert. Zwischen 1 und 10 kHz werden mehr als 1/10 der Energie aufgenommen, wobei ein Optimum bei 3 und 7 kHz besteht [48].
Das intakte Trommelfell dämpft also den in die Paukenhöhle eintretenden Gehörgangsschall in Abhängigkeit von der Frequenz stark ab. Austin gibt für den anschließend vom Trommelfell in die Pauke abgestrahlten Schallanteil einen Wert von - 17 dB (SPL) gegenüber dem Gehörgangsschallpegel an [49]. Experimentelle Untersuchungen zeigen frequenzabhängige Werte zwischen - 10 bis - 20 dB (SPL) für den hinter dem Trommelfell zurückbleibenden „sekundären” Luftschall [48] [50] [51].
#2.2 Techniken der Trommelfellrekonstruktion
Das Trommelfell nimmt in der rekonstruktiven Chirurgie eine Schlüsselstellung ein, da ohne eine schwingungsfähige Membran sämtliche Ossikelrekonstruktionen erfolglos bleiben. Während kleine Defekte oft ohne Funktionsverlust geschlossen werden können, bleibt die Rekonstruktion des gesamten Trommelfells, insbesondere bei Belüftungsstörungen, aus akustischer Sicht eine Herausforderung.
Sinn der Trommelfellrekonstruktion ist die Wiederherstellung der anatomischen und funktionellen Eigenschaften dieser Membran. Dabei werden 3 Ziele verfolgt:
-
den Defekt sicher zu verschließen,
-
eine ausreichende Stabilität gegenüber Ventilationsstörungen zu schaffen,
-
akustische Eigenschaften herzustellen, die mit dem gesunden Trommelfell vergleichbar sind.
Die akusto-mechanischen Eigenschaften des rekonstruierten Trommelfells werden entscheidend durch die Auswahl des Transplantatmaterials und die Rekonstruktionstechnik bestimmt. Im Prinzip gilt: Je steifer das Material ist, desto stabiler ist die Rekonstruktion gegenüber atmosphärischen Druckschwankungen und Belüftungsstörungen (Retraktionen), desto schlechter ist jedoch auch die Schallübertragung (s. Abb. [4]). Der Chirurg sollte in Abhängigkeit von der individuellen Pathologie seine Rekonstruktionstechnik variieren können, um den optimalen Kompromiss zwischen beiden Forderungen zu finden.
#2.2.1 Auswahl des Transplantatmaterials
Für die Trommelfellrekonstruktion werden heute autologe Temporalisfaszie, Perichondrium und Knorpel aus der Concha oder dem Tragus verwendet [52] [53] [54] [55]. Die Materialien können während der Operation leicht gewonnen werden und stellen gegenüber konservierten Transplantaten keinerlei Infektionsrisiko dar. Die Auswahl des Materials richtet sich nach den pathologischen Veränderungen am Trommelfell und in der Paukenhöhle sowie den Belüftungsverhältnissen.
#2.2.2 Rekonstruktionstechniken des Trommelfells bei gesunden Schleimhaut- und Belüftungsverhältnissen
Bei gesunden Belüftungs- und Schleimhautverhältnissen und reizlosen kleinen bis mittleren Trommelfelldefekten sind Temporalisfaszie und Perichondrium die bevorzugten Materialien. Günstigere Einheilungschancen und eine etwas höhere Festigkeit (geringere Schrumpfungstendenz) werden dabei Perichondrium zugeschrieben [56] [57].
Als klassische Techniken der Trommelfellrekonstruktion mit membranösen Materialien sind die Over- und Underlay-Technik bekannt. Bevorzugt wird heute die weniger riskante und technisch einfacher zu realisierende Underlay-Technik, bei der das Faszien- oder Perichondrium-Transplantat der medialen Trommelfellfläche, also unter dem Defekt, angeheftet wird (s. Abb. [5]) [56]. In der Regel liegt das Transplantat im Bereich des tympanomeatalen Lappens auf dem Knochen der hinteren Gehörgangswand und des Gehörgangsbodens auf. Vorn hält das Transplantat durch Adhäsionskräfte am Trommelfell, sofern der verbliebene Trommelfellrand breit genug ist. Für diese Adhäsion sind eine ausreichende Befeuchtung in den ersten Tagen der Wundheilung sowie das Auflegen von Silikonfolien auf laterale Seite des Trommelfells förderlich. Die Befeuchtung erfolgt über die Schleimhaut der jetzt geschlossenen Paukenhöhle und über antibiotikahaltige Gelasponschwämmchen, die dem Trommelfell aufgelegt werden. Der Eingriff kann sowohl auf endauralen oder retroaurikulärem Zugangsweg durchgeführt werden. Der retroaurikuläre Zugang bietet den Vorteil der besseren Einsicht, besonders bei weit vorn gelegenen Defekten, und lässt mehr Handlungsraum offen, wenn die Ausdehnung der pathologischen Veränderungen vor der Operation nicht sicher abzuschätzen ist. Für kleine Defekte im hinteren Trommelfellbereich bietet der endaurale Zugang den Vorteil des vergleichsweise kleinen Hautschnitts.
Besonders im Bereich der vorderen Trommelfellquadranten führt die Underlay-Technik nicht immer zu einer zuverlässigen Adhäsion an dem nur schmalen Resttrommelfell. Für die Lösung dieses Problems wurden verschiedene Vorschläge unterbreitet. Dazu zählt die Abstützung des Transplantates mit Gelitaschwämmchen, das Ansteppen des Transplantates am Resttrommelfell oder die Anwendung von Fibrinkleber. Bei der Anwendung von Gelitaschwämmchen werden Verwachsungen zwischen dem Trommelfell und der medialen Paukenhöhlenwand befürchtet [58]. Die Anwendung von Fibrinkleber ist kostenintensiv und dürfte nur in ausgewählten Fällen zur Anwendung kommen. Eigene Erfahrungen liegen mit der punktförmigen „Durchzugstechnik” unter dem vorderen Trommelfelllimbus vor (s. Abb. [6]). Bei nur punktueller Mobilisation des Limbus ist durch diese Technik eine sichere Befestigung des vorderen Transplantatrandes zu erzielen, ohne dass ein Blunting befürchtet werden muss. Ein großzügiges Auslösen des Limbus im Bereich des vorderen Trommelfells sollte jedoch möglichst vermieden werden.
Für Defekte des vorderen Trommelfells wird auch die so genannte Over-Underlay-Technik empfohlen, bei der das Transplantat bei großen Defekten zwar allseits zirkulär unter das Trommelfell gefüttert, aber nicht unter dem Hammergriff durchgezogen, sondern lateral aufgelegt wird (s. Abb. [6]) [59]. Diese Befestigung soll zu einer höheren Stabilität der Rekonstruktion führen, die Erfolgsrate bei Defekten des vorderen Trommelfells verbessern, sich besonders bei steil stehendem Hammergriff bewähren. Gefürchtete Verwachsungen des Transplantates mit dem Promontorium können auf diesem Weg vermieden werden. Der Erfolg dieser Technik ist jedoch an eine sorgfältige Entfernung von Epithelresten am Hammergriff vor der Transplantatabdeckung gebunden, um einer Cholesteatomentstehung in diesem Bereich vorzubeugen. Die Lateralisation des Trommelfells, also die Ablösung des Transplantates vom Hammergriff, kann durch die Trommelfellschienung mit Silikonfolien und Gelitaschwämmchen vermieden werden [60].
Den klassischen Techniken wurden vereinzelt Alternativen gegenübergestellt, die sich besonders bei kleineren Trommelfelldefekten anbieten. Dazu zählen die „Gelfilm Sandwich Tympanoplastik” [61], die „Swinging Door Tympanoplastik” [62], die „Microcliptechnik” [63], die „Fettpropftechnik” [64] sowie Techniken mit selbst klebenden Materialien [65] [66]. Über die Anwendung dieser Techniken gibt es bisher jedoch nur wenige Studien mit geringen Fallzahlen. Der Verschluss mit einem Unterhautfettpfropf kann jedoch bei sehr kleinen Rezidivdefekten ein Erfolg versprechendes Konzept zur Vermeidung eines erneuten größeren Eingriffes sein.
#2.2.3 Rekonstruktion des Trommelfells bei Ventilationsstörungen, pathologischen Schleimhautveränderungen und Totaldefekten des Trommelfells
Die Einheilung häutiger Transplantate ist an eine gute Trommelfellvaskularisation und annähernd normale Belüftungsverhältnisse gebunden. Bei Atelektasen oder Retraktionstaschen ist die mechanische Stabilität dieser Materialien ungenügend. Hier hat sich Knorpel als ein zuverlässiges Material erwiesen. Die Erfolgsrate, den Trommelfellverschluss betreffend, liegt dabei zwischen 98 % und 100 % [67] [68] [69] [70], weshalb diese Methode auch bei Rezidivdefekten bevorzugt wird.
Die Frage, ob sich die höhere Steifigkeit des Knorpelmaterials nachteilig auf die akustische Übertragung auswirkt, wird unterschiedlich beantwortet. Während sich in reintonaudiometrischen Untersuchungen nach Myringoplastik kein signifikanter Einfluss des Transplantatmaterials auf das Hörergebnis nachweisen lässt [71], zeigen experimentelle Messungen eine Veränderung des Trommelfellschwingungsverhaltens durch die Knorpelimplantation. Nach Trommelfellunterfütterung mit Knorpel kam es zu einem Anstieg des Gehörgangsschallpegels von bis zu 7 dB bei 3 kHz als Zeichen der erhöhten Trommelfellimpedanz [72]. Untersuchungen an einem Gehörgangs-Trommelfellmodell ergaben für dünne Knorpelplatten mit einem Schichtdurchmesser von 200 - 300 µm ähnliche Übertragungseigenschaften wie beim gesunden Trommelfell. Gegenüber atmosphärischen Druckschwankungen war der ausgedünnte Knorpel jedoch nicht gleichwertig stabil. Eine Schichtdicke von 500 µm wurde als Kompromiss gefunden, um bei ausreichender mechanischer Stabilität auch noch gute Schallübertragungseigenschaften zu gewährleisten [73].
Knorpel kann bei der Rekonstruktion des Trommelfells isoliert oder als composite graft, noch am Perichondrium anhaftend, eingesetzt werden. Entsprechend der Form des Knorpeltransplantates wurden verschiedene Operationstechniken publiziert. Grundsätzlich lassen sich dabei unterscheiden (s. Abb. [7]):
-
Palisadentechnik,
-
Knorpelplattentechniken,
-
Knorpelinseltechniken,
-
Knorpelspannring.
Die Palisadentechnik kann als die älteste Knorpelrekonstruktionstechnik angesehen werden. Nach Heermann wird dabei Tragusknorpel zu 6 Streifen zurechtgeschnitten und brückenförmig über die Paukenhöhle gelegt [74]. Die Knorpelpalisaden werden mit Perichondrium oder Faszie überdeckt. Ein Nachteil der Palisadentechnik ist die große Dicke der Knorpelscheiben, die zu einer Reduktion des Paukenhöhlenvolumens, zu Verwachsungen mit dem Promontorium oder zum Blunting führen können. Die akustischen Eigenschaften der Palisadenrekonstruktion sind oft besser als es der optische Eindruck vermuten lässt, wie klinische und experimentelle Ergebnisse zeigen. Zwischen den Knorpelstreifen entstehen Schwingungsmaxima, die zu reduzierten, aber immer noch trommelfellähnlichen Übertragungseigenschaften führen [53]. Wie stark die Schwingung gedämpft wird, hängt auch von der Zahl und Dicke der Knorpelstreifen ab. Um die akustischen Eigenschaften zu verbessern, wurde deshalb die Reduktion der Knorpelstreifen von 6 auf 3 und ein Ausdünnen auf 0,5 mm vorgeschlagen [75] [76].
Die Knorpelplattentechnik unterscheidet sich von der Palisadentechnik durch die erhaltene Kontinuität des Knorpels. Die Knorpelplatten werden in der Regel dem Knochenrahmen aufgelegt und ergeben so eine stabile Rekonstruktion. Generell ist durch die Knochenauflage der Platten eine Versteifung des Trommelfells und damit eine höhere akustische Impedanz im Vergleich zur Knorpelpalisaden- oder Knorpelinseltechnik in Kauf zu nehmen. Die akusto-mechanischen Eigenschaften der Knorpelplatte werden von der Schichtdicke bestimmt, während der Entnahmeort keine Rolle spielt (Tragus oder Concha) [53]. Bei Atelektasen des Trommelfells sind Knorpelschichtdicken von 500 µm oder mehr zu empfehlen, um eine ausreichende Stabilität zu erreichen. Handelt es sich jedoch um normale Belüftungsverhältnisse, können bis zu folienartig dünne Knorpelplatten verwendet werden, die zu einer natürlichen Trommelfellform und zu weiten Verhältnissen in der Pauke führen (s. Abb. [8]) [77].
Bei der Knorpelinseltechnik liegt der Knorpel dem knöchernen Rahmen nicht auf, sondern lässt einen knorpelfreien Randsaum übrig. Dadurch verbessern sich die Schallübertragungseigenschaften in den tiefen Frequenzen im Vergleich zur Plattentechnik. Im Einzelnen spielt vor allem das Verhältnis zwischen Knorpelfläche und Randsaum sowie die Schichtdicke des Knorpels eine Rolle. Allgemein kann angenommen werden: Je kleiner und dünner die Knorpelinsel ist, desto weniger wird die Schallübertragung des rekonstruierten Trommelfells vermindert.
Ein typisches Beispiel sind Knorpelinseln, die zur Protektion des Trommelfells über den Prothesenteller geschoben werden. Andere Knorpelinseln werden als composite graft mit dem Perichondrium zusammen eingesetzt und können so das gesamte Trommelfell rekonstruieren [68] [78] [79] [80] [81].
Besonders bei Subtotal- oder Totaldefekten und steil stehendem Hammergriff kann die Rekonstruktion des gesamten Trommelfells schwierig sein. Eine für diese Fälle besonders geeignete Knorpeltechnik wird von Borkowski vorgeschlagen [82]. Um eine sichere Verankerung des Perichondriums zu erreichen, wird eine Aufspannung der Membran mit einem hufeisenförmigen Knorpelspannring durchgeführt, der sich unter dem Anulus fibrosus gegen den Knochen drückt (s. Abb. [7 d]). Die Knorpelaussparung dient dabei der Aufnahme des Hammergriffes und ermöglicht ein Spannen und Entspannen der Rekonstruktion bei der Implantation. Der klinische Erfolg dieser Technik ist jedoch bisher an nur wenigen Fällen belegt.
#3 Rekonstruktion der Ossikelkette
#3.1 Akustische Funktion der Kette
Der Schall wird am Trommelfell in mechanische Vibrationen der Ossikelkette umgewandelt, verstärkt und erzeugt über die Bewegung der Fußplatte eine Volumenverschiebung der Cochleaflüssigkeit. Der von Wullstein verwendete Begriff der Schalldrucktransformation wird heute im englischen Sprachgebrauch auch als Ossicular coupling (Kettenankopplung) bezeichnet [83] [84].
Aufgrund der unterschiedlichen Hebelarme der Kräfte am Umbo und am Proc. lenticularis kommt es zu einer Kraftverstärkung am Steigbügelkopf. Bei der Betrachtung der Hebelwirkung der Ossikel werden folgende Annahmen getroffen:
-
Hammer und Amboss bewegen sich als ein starrer Körper (das Hammer-Ambossgelenk ist steif).
-
Die Rotationsbewegung von Hammer und Amboss verläuft um eine feststehende, im Hammer-Ambossgelenk gelegene Achse.
Für beide Randbedingungen wurden Hebelwirkungen von 1,27 - 1,3 errechnet [85] [86] [87] [88]. Jüngere experimentelle Untersuchungen zum Vibrationsmuster der Gehörknöchelchen ergaben, dass sich oberhalb von 1 kHz die Lage und Ausrichtung der Rotationsachse mit der Frequenz und sogar innerhalb eines Phasenzyklus ändert, sodass keine scharnier- oder kolbenförmige Bewegung der Ossikel, sondern ein komplexes Bewegungsmuster resultiert [89] [90] [91]. Dabei kommt es zu Schaukelbewegungen des Hammer-Ambosskomplexes die sich bis auf die Fußplatte übertragen [92]. Es kann also nicht mehr von einem festen Hebelverhältnis in den höheren Frequenzen gesprochen werden. Auch die frühere Annahme, dass die Gelenke bei der Schallübertragung funktionell fixiert sind und nur bei sehr hohen Schalldrücken „nachgeben”, muss korrigiert werden. Sowohl im Hammer- Ambossgelenk als auch im Incudostapedialgelenk treten Gleitbewegungen in den Frequenzen oberhalb von 1 kHz bereits bei physiologischen Schallpegeln auf [91] [92] [93] [94].
#3.2 Akustische Funktion der Ossikelbänder
Über die akustische Funktion der Bänder ist bisher wenig bekannt. Insgesamt wird die Impedanz der Bänder gegenüber der Ringbandimpedanz als gering eingeschätzt [95] [96] [97]. Huber untersuchte mittels Laser-Doppler-Interferometrie intraoperativ den Effekt der Durchtrennung des posterioren Ambossbandes auf die Auslenkung der Fußplatte, wie es bei der erweiterten posterioren Tympanotomie vorkommt, und fand keine signifikanten Veränderungen [98]. Weitere experimentelle Untersuchungen mit Durchtrennung und Zugbelastung aller Bänder konnten zeigen, dass die Bänder aus akustischer Sicht weniger eine Lagerfunktion als eine Dämpfungsfunktion auf die Übertragung des Mittelohres ausüben. Dies schlägt sich nicht nur in den tiefen Frequenzen, sondern vor allem im Sprachbereich nieder. Ähnlich einer Mikrophonmembran sind Resonanzen bei der Übertragung des Mittelohres nicht erwünscht [99].
#3.3 Transplantatauswahl
Aus biologischer Sicht ist das körpereigene Material nicht zu übertreffen, wenngleich seine Langzeitstabilität am entzündeten Ohr heute in Frage gestellt werden muss. Für die Rekonstruktion der Kette bieten sich prinzipiell körpereigene Knorpel- oder Knochentransplantate an. Dabei stellt Knorpel ein vergleichsweise weiches Material dar, welches zu Schwingungsdämpfungen in der Kettenrekonstruktion beitragen kann. Hinzu kommen die Schrumpfungs- und Resorptionstendenz bei Langzeituntersuchungen, weshalb Knorpel nur noch im Ausnahmefall (z. B. bei subluxiertem Stapes) für Columellarekonstruktionen empfohlen werden kann.
Die Verwendung des autologen Amboss oder Hammerkopfes galt bisher als Goldstandard für die Rekonstruktion am reizlosen Mittelohr [100]. Die Ossikelreste können als Columella zurechtgeschliffen werden und stellen ein leichtes und hartes natürliches Material dar. In 75 - 100 % der Fälle werden diese Interponate nach der Ankopplung an die Ossikelreste von neuem Knochen ersetzt [101]. Die Revaskularisation erfolgt dabei über das Eindringen von Bindegewebe in die Haverschen Kanäle. Bildet sich das Gewebe zu entzündlichem Granulationsgewebe um, wird der umscheidende Knochen abgebaut [102] [103]. Je nach Häufigkeit der Entzündungen besteht somit langfristig die Gefahr der partiellen oder vollständigen Resorption des Knochens, die zu Instabilitäten führen. Da Implantate aus Kortikalisknochen weitaus offenporiger sind als Ossikelknochen, ist ihre Resorptionsgefahr höher [56].
Stehen keine Ossikelreste mehr zur Verfügung, wurden seit den 70er-Jahren homologe, konservierte Leichenossikel verwendet. In den letzten Jahren ist der Einsatz aufgrund des nicht vollständig auszuschließenden Infektionsrisikos für die HIV- und Creutzfeld-Jakob-Erkrankung fast vollständig zurückgegangen [104]. Dies betrifft auch Implantate aus Dentin, obwohl hier aufgrund der Sterilisationsmöglichkeit die Infektionsrisiken extrem niedrig sind.
#3.3.1 Alloplastische Implantatmaterialien
Die heute zur Verfügung stehenden Implantatmaterialien unterscheiden sich in ihren mechanischen Eigenschaften sowie in ihrer Biokompatibilität und Biostabilität. An dieser Stelle sollen nur die am häufigsten verwendeten Materialien genannt werden. Für eine detaillierte Beschreibung ist auf das Referat von Dost zu verweisen [104].
Keramiken: Unter den Keramiken zählen die extrem harten Aluminiumoxide zum Goldstandard in Bezug auf die Biokompatibilität [104] [105]. Die im Tierexperiment nachgewiesene gute Verträglichkeit, mit einer Abstoßungsrate von nur 0 - 3 %, hat sich auch in klinischen Langzeituntersuchungen bestätigt [106] [107].
Glaskeramiken (z. B. Ceravital®) können als bioaktive Materialien das Knochenwachstum stimulieren. Nachteilig ist die Neigung zur Resorption bei Entzündungen, wie Langzeituntersuchungen zeigen [108] [109]. Die Produkte Macor® und Bioverit® sollen eine geringere Resorptionsneigung besitzen, neigen aber zur Verwachsung mit den knöchernen Wänden der Pauke oder anderen Ossikeln [104].
Hydroxylapatit ähnelt der Grundsubstanz des Knochens und der Zähne, ist gut biokompatibel und wird als Implantatmaterial für Prothesen vor allem in den USA bevorzugt [110]. Es heilt gut in den angrenzenden Knochen ein, kann jedoch am entzündeten Ohr in 4 % der Fälle abgebaut werden [111]. Nach Costatino 1991 hat es keine osteogenetischen aber osteokonduktive Eigenschaften, d. h. es dient als Gerüst für einwachsende Knochen [112].
Kunststoffe: Unter den Kunststoffen sind vor allem Polyethylene und Teflon in der Mittelohrchirurgie verbreitet. Bekannt sind die Produkte Plastipore® und Polycel®. Die Extrusionsquoten liegen zwischen 2 und 38 % und damit höher als bei den Keramiken [104]. In jüngeren Studien fanden sich in Tierexperimenten und in explantierten Prothesen Riesenzellen mit Fremdkörperreaktionszeichen [113] [114].
Teflon ist vor allem aus der Stapeschirurgie bekannt. 15 Jahre nach Explantation von Stapesprothesen konnte an ihnen lediglich eine zarte umhüllende Bindegewebsschicht, jedoch keine Fremdkörperreaktionen festgestellt werden [115].
Metalle: Unter den Metallen ist die Anwendung von Gold, Titan und Platin am meisten verbreitet. Neue Technologien in der Werkstofffertigung einschließlich Laserschweißverfahren haben zu neuen Möglichkeiten in der Implantatherstellung und zur Entwicklung von grazilen, leichten und der Form des natürlichen Mittelohres angepassten Prothesen geführt.
Platin ist ein Edelmetall mit extremer Widerstandsfähigkeit gegenüber Oxydation und Korrosion und damit einer guten Biokompatibilität. Es hat sich besonders in der Stapeschirurgie zur Befestigung des Pistons am langen Ambossschenkel bewährt. Nekrosen des Ambossschenkels treten nur in 0,7 % der Fälle auf, wobei strittig ist, ob es sich dabei um Fremdkörperreaktionen, Narbenzug oder Durchblutungsstörungen durch die Platinschlinge handelt [116].
Gold wurde zuerst als Stapespiston in der Mittelohrchirurgie eingesetzt. Es ist ähnlich gut biokompatibel wie Aluminiumoxid-Keramik [104] und soll darüber hinaus das Bakterienwachstum hemmen [117]. Steinbach benutzte PORP- und TORP-Implantate für die Rekonstruktion der Ossikelkette aus Gold. Es wurde weiterhin für die Herstellung von Paukenröhrchen und Tubendrähten verwendet. Bei der Anwendung als Piston wurden vereinzelt postoperative Knochenleitungsabfälle beobachtet [118]. Dost vermutet eine toxische Wirkung des Materials auf das eröffnete Innenohr. In anderen Studien konnten diese Reaktionen nicht beobachtet, sondern eine sogar stärkere Anhebung der Knochenleitungsschwelle gegenüber den leichteren Teflonpistons registriert werden [104] [119]. In letzter Zeit werden Goldimplantate zunehmend von Titanimplantaten verdrängt.
Titan: Titan ist ein gegenüber Gold wesentlich leichteres (4 × geringere Massendichte) und steiferes Material. Es besitzt federelastische Eigenschaften, sodass es sich z. B. für die Herstellung von Clip-Mechanismen eignet. Es wird als eines der am meisten biokompatiblen Materialien eingeschätzt, da es im Mittelohr eine Oxidschicht bildet, die wiederum ein Lager für Bindegewebszellen darstellt [104]. Knöchernen Verwachsungen mit der Umgebung oder Fremdkörperreaktionen wurden weder in Tierexperimenten noch in explantierten Prothesen gefunden [120] [121]. Hinweise auf eine Osseointegration des Titans im Mittelohr gibt es bisher nicht.
Knochen-Zemente: Glasionomerzement
Der zunächst in der Zahnheilkunde eingesetzte Zement setzt sich aus einer Mischung von Kalzium-Aluminium-Fluorsilikatglas und Polyalkansäure zusammen, die in einer chemischen Reaktion intraoperativ zu einem festen Werkstoff aushärten [104]. Aluminiumintoxikationen mit Todesfolge wurden nach Kontakt des nicht ausgehärteten Zementes mit dem Liquor bei der Rekonstruktion großer Knochendefekte an der Schädelbasis beobachtet [122]. Danach wurde das Material vom Markt genommen, obwohl es für die Rekonstruktion der Ossikelkette sparsam angewendet (Defekte des Ambossschenkels) sowohl akustisch als auch mechanisch ein ideales Material darstellt [123]. Die Idee, kleine knöcherne Ossikeldefekte mit modellierbaren Zementen zu überbrücken, ist jedoch nicht verlassen. In einer jüngeren Studie wurde erneut Glassionomerzement für die Rekonstruktion des langen Ambossschenkels verwendet, mit komplikationsloser Einheilung nach einem Jahr [124].
3.3.2 Welches Material wird bevorzugt?
Die historische Entwicklung von Implantaten und die Bevorzugung eines Materials ist regional und kontinental verschieden. In den USA werden für TORP- oder PORP-Implantate überwiegend Hydroxylapatit 82 %, autologer Amboss oder Hammer 72 %, gefolgt von autologem Knorpel 62 % verwendet [110]. Bemerkenswert ist, dass in den letzten Jahren häufiger Biomaterialien anstelle von körpereigenen Knochen oder Knorpel eingesetzt werden. Unter den Biomaterialien führt in den USA Hydroxylapatit mit 82 % gefolgt von Plastipore mit 59 %. In den letzten Jahren hinzugekommen sind Metallimplantate (Titan), die zwar nur mit 12 % vertreten sind, aber dafür die höchsten prozentualen Zufriedenheitswerte erreichen.
In Deutschland werden seit den 90er-Jahren Titanimplantate in das Mittelohr eingesetzt. Die Zahl der Publikationen lässt auf eine zunehmende Anwendung dieses Materials schließen, wobei vor allem das grazile Design, das geringe Gewicht und die hohe Steifigkeit für die guten Hörergebnisse verantwortlich gemacht werden [70] [100] [125] [126] [127] [128].
#3.3.3 Hörergebnisse verschiedener Implantate
Mit einer postoperativ verbleibenden Schallleitungskomponente von bis zu 20 dB in 40 - 70 % der Fälle bei intaktem Steigbügel und in 20 - 55 % bei fehlendem Stapesoberbau sind die Hörergebnisse nach Tympanoplastik als eher unbefriedigend einzuschätzen [129] [130] [131] [132] [133]. Obwohl diese Resultate nicht allein der Rekonstruktionstechnik oder dem Implantat anzulasten sind, ist man in den letzen Jahren schrittweise von einer rein empirischen Implantatentwicklung zur gezielten Optimierung der mechanischen Eigenschaften in Modellrechnungen und Experimenten übergegangen [8] [134] [135] [136]. Publikationen klinischer Resultate lassen eine nur eingeschränkte Beurteilung des Materialeinflusses auf das Hörergebnis zu, weil sich die miteinander verglichenen Implantate in der Regel nicht nur in den Materialeigenschaften, sondern auch im Design erheblich unterscheiden. Hinzu kommen verschiedene Ankopplungssituationen, die den Vergleich verschiedener Studien erschweren. Deshalb sind generell experimentelle Untersuchungen und Berechnungen höher zu bewerten. Für die Schallübertragung entscheidende Materialeigenschaften sind die Masse und die Steifigkeit. Allgemein kann aus bisherigen Impedanzberechnungen am Mittelohrmodell geschlussfolgert werden, dass die Steifigkeit einer Mittelohrprothese wesentlich höher sein sollte als die Impedanz von Stapes und Cochlea zusammen [52]. Experimentelle Untersuchungen an Modellen lassen einen Einfluss der Steifigkeit auf die Schalltransmission besonders in den hohen Frequenzen vermuten [137] [138]. Nach experimentellen Untersuchungen zur Prothesenmasse sollte diese nicht mehr als 15 mg betragen um Übertragungsverluste in den hohen Frequenzen zu vermeiden [139]. Ein bisher wenig beachteter Faktor in der Kettenrekonstruktion ist die Qualität der Ankopplung des Implantates an die Ossikelreste. Hier ergeben sich durch das Design und die federelastischen Eigenschaften des Titans neue Möglichkeiten.
#3.4 Rekonstruktion des Ossikelkette bei Ambossschenkeldefekten
Retraktionstaschen oder kleine Cholesteatome zerstören oft den langen Ambossschenkel. In diesen Fällen gibt es 3 Möglichkeiten der Rekonstruktion (s. Abb. [9]):
-
die Überbrückung des Defektes mit körpereigenem Knochen oder Knorpel,
-
die Überbrückung des Defektes mit Klebern oder Zementen,
-
die Überbrückung des Defektes mit einem Implantat.
Aus biomechanischer Sicht ist eine Schließung des Defektes durch Kleber oder Zemente eine elegante Lösung. Durch die Verbindung mit dem Knochen entstehen schallharte Verbindungen, wie sie durch die Interposition von Knorpel oder Knochen nur schwer zu erreichen sind. Zudem erlaubt diese Rekonstruktion eine Kompensation atmosphärischer Druckschwankungen, da die normale Anatomie der Kette erhalten bleibt. Die Probleme der Langzeitbiokompatibiliät und Verfügbarkeit dieser Materialien wurden bereits genannt.
Knorpel sollte für die Rekonstruktion großer Defekte des langen Ambossschenkels nicht verwendet werden, weil das sehr weiche Material die Hebelverhältnisse nicht wieder herstellen kann und Übertragungsverluste durch Dämpfung zu befürchten sind. Ausnahmen bilden kleine Defekte des Processus lenticularis, die durch Zwischenschieben einer Knorpelscheibe überbrückt werden können. Aus akustischer Sicht besser geeignet ist in diesen Fällen jedoch ein Knochenspan.
Kontaktieren dicke, auf den Stapeskopf eingebrachte Knorpelscheiben das Trommelfell, ist die Rekonstruktion mit einer Typ-3-Tympanoplastik zu vergleichen. Obwohl auch hier anfangs gute Hörergebnisse beschrieben werden, sind die Langzeitergebnisse vom Reizzustand und den Belüftungsverhältnissen abhängig. Wird der Knorpel bei einer wiederkehrenden Entzündung resorbiert oder verändert sich seine Konsistenz muss mit Störungen in der Ankopplung gerechnet werden.
Als Implantat zur Rekonstruktion des langen Ambossschenkels steht die Winkelprothese nach Plester zur Verfügung [123]. Sie erlaubt als fast einziges Implantat eine weitestgehend physiologische Rekonstruktion der Kette. Die Ankopplung an den langen Ambossschenkel ist jedoch nicht immer einfach zu bewerkstelligen. Die relativ steifen Titanspangen lassen sich bei nur kurzem Ambossschenkel oftmals nicht sicher befestigen. Dagegen gelingt die Ankopplung der Goldplättchen am Stapeskopf deutlich besser. Beim Festklemmen sollten Verspannungen des Ringbandes durch Verkippen des Stapes vermieden werden.
#3.5 Rekonstruktion mit Ambossinterponaten
Am reizlosen Mittelohr wird häufig die Interposition des körpereigenen Amboss favorisiert, sofern dieser nicht vom Cholesteatom befallen ist. Bei sachgerechter Anwendung sind die akustischen Ergebnisse der Ambossinterposition mit denen moderner Implantate durchaus zu vergleichen. Geyer untersuchte an 354 Patienten in einer retrospektiven Studie über einen Beobachtungszeitraum von durchschnittlich 1,5 Jahren und verglich Amboss, Ionomerzement und Titanimplantate anhand der Restschallleitungskomponenten. Nach Ambossinterposition sank die durchschnittliche Restschallleitung unter 10 dB, nach Titan PORP unter 10 - 15 dB und nach Ionomerzement-PORP unter 15 dB [100].
Kritisch zu bewerten sind dennoch die langfristige Tendenz zur Resorption des Knochens sowie die Gefahr des Verwachsens mit der Umgebung. Der interponierte Ambosskörper ist in der Regel sehr voluminös und kann das Promontorium oder den knöchernen Rahmen des Trommelfells berühren. Damit können langfristig Verluste in der Schallübertragung durch Reibung oder Fixation entstehen (s. Abb. [10]). Ein weiteres Problem ist die Ankopplung an den Stapeskopf, die gegenüber Titanimplantaten nicht unter Sicht erfolgen kann. Für eine sichere Verankerung gegenüber atmosphärischen Druckschwankungen ist eine tiefe Bohrung in den Ambossrest nötig (s. Abb. [11]). Gelingt dies, sind feste Verwachsungen zu befürchten, so dass bei Revisionsoperationen eine Luxation des Stapes droht. In diesem Punkt steht der Amboss modernen Implantaten nach.
Um die komplizierte Ankopplung des Ambosses zu vereinfachen, wurden Teflonimplantate entwickelt, die in den Ambossrest eingebohrt werden und mit einer Kappe auf dem Stapeskopf sitzen [140]. Dabei wird jedoch der Vorteil des eigenen Materials gemindert, sodass in diesen Fällen auch gänzlich auf ein Implantat ausgewichen werden kann.
Aus heutiger Sicht sollte ein Ambossinterponat nur dann eingesetzt werden, wenn die Wahrscheinlichkeit einer Revision als gering einzuschätzen ist und völlig reizlose Mittelohrverhältnisse vorliegen. Bei fehlendem Stapesoberbau und engen Verhältnissen in der ovalen Nische ist die Erfolgschance moderner, graziler TORP-Implantate höher einzuschätzen als bei Verwendung des Amboss.
#3.6 Rekonstruktion mit Implantaten bei intaktem Stapesoberbau
#3.6.1 Ankopplung an den Stapeskopf
Die meisten Implantate werden in ihrem Design entweder präoperativ oder intraoperativ der Form des Stapeskopfes angepasst. Dabei entstehen entweder Hülsen-, Pfannen-, oder Glockenformen. Unklar ist, wie fest ein Implantat an den Stapeskopf gefesselt werden sollte. Der Kontaktbereich zwischen Prothese und Knochen ist bisher kaum systematisch untersucht worden. Wenige experimentelle Arbeiten zeigen den Effekt einer mehr oder weniger starren Prothesenankopplung. Eiber konnte die Steifigkeit der Verbindung zwischen Glocke und Stapeskopf messen und fand heraus, dass sich die Prothese mit 50 mN um das Köpfchen klammern sollte, damit Resonanzen und Obertöne vermieden werden [141]. Nach subjektiven Beobachtungen wird vermutet, dass nach Einheilung des Implantates auch auf natürlichem Weg eine feste Verbindung zwischen Glocke und Stapeskopf durch bindegewebige Fesselung des Metalls an das Köpfchen entstehen könnte [55]. Tierexperimentelle Untersuchungen dieser bindegewebigen Verbindung mit Messung der Übertragungsfunktion sind bisher nicht bekannt. Nach histologischen Untersuchungen am Tiermodell (Kaninchen) wird Titan im Mittelohr lediglich mit einer regulären Mucosa überzogen [120].
Bei Titanimplantaten kann das Anklemmen an den Stapeskopf riskant sein, weil für das Verbiegen der Glockenschenkelchen höhere Kräfte nötig sind als bei dem vergleichsweise weichen Gold. Hier bieten Titanimplantate mit federelastischen Schenkeln die Möglichkeit eines durch das Material und Design vorgegebenen Kraft- und Formschlusses [127]. Die Gefahr der Osseointegration, wie sie für Titan aus der Implantologie bekannt ist, ergibt sich aus diesem nur oberflächlichen Kontakt zum Knochen nicht, sodass die Möglichkeit eines risikoarmen Implantataustausches erhalten bleibt [121].
#3.6.2 Ankopplung an das Trommelfell
Neben der Kontaktzone zwischen Prothesenglocke und Steigbügel gibt es einen weiteren Kontaktbereich zwischen Trommelfell und Prothesenteller, der auf die akustischen Übertragungseigenschaften Einfluss hat. Nishihara untersuchte den Einfluss des Prothesenwinkels bei Ankopplung einer PORP an das Trommelfell. Dabei wurde eine auf den Steigbügel aufgesetzte Prothese mit geradem Teller und eine Prothese mit 30° abgewinkeltem Teller verglichen [139]. Es fanden sich nach Flächenkontakt mit dem Trommelfell Übertragungsverluste um 1 kHz und Gewinne zwischen 1 und 3 kHz um jeweils 10 dB gegenüber der abgewinkelten Prothese. Somit ist ein flächiger Kontakt des Prothesentellers mit dem Trommelfell anzustreben.
Zwischen Trommelfell und Prothesenteller wird in der Regel eine Knorpelscheibe interponiert. Bisher gibt es lediglich beispielhafte Rechnungen am Modell, die ein Glätten von Resonanzen durch den Knorpel beschreiben [142]. Erste experimentelle Untersuchungen mittels Laser-Dopplervibrometrie zeigen einen nur geringen Einfluss des Knorpelinterponates auf das Schwingungsverhalten [143]. Es kann jedoch angenommen werden, dass der Effekt von dem Verhältnis der Knorpelmasse zur Prothesenmasse abhängig ist. Concha- oder Tragusknorpel sollten deshalb ausgedünnt werden. Ein Knorpelinterponat mit einer Originalschichtdicke von 1 mm und einem Durchmesser von 4 mm wiegt 8 mg. Demgegenüber besitzt ein Knorpel mit 0,5 mm Schichtdicke bei gleichem Durchmesser nur 4 mg Masse. Dicker Knorpel sollte deshalb mit einem leichten Transplantat kombiniert werden, um Übertragungsverluste in den hohen Frequenzen zu vermeiden.
Der zwischen Prothese und Trommelfell interponierte Knorpel nimmt eine Schlüsselstellung in der Rekonstruktion ein, wenn er eine Brücke zwischen Prothesenteller und Knochenrand bildet. Bei der Anwendung von dicken Knorpelplatten kann es dabei zu einer indirekten Fixation der Prothese und Übertragungsverlusten kommen. Eine dafür besonders kritische Situation ist die Tympanoplastik nach Radikalhöhlenanlage. Hier ist der Abstand zwischen Prothese und lateralem Bogengang sehr gering. In diesen Fällen sollten für die Rekonstruktion dünne Knorpelplatten oder Knorpelinseln verwendet werden, sofern es die Belüftungsverhältnisse zulassen (s. Abb. [12]).
#3.6.3 Ankopplung an den Hammergriff
Vlaming und Nishihara ermittelten die Hammergriffmitte als Vorzugsposition [139] [144]. Berechnungen am Finite Element-Modell konnten diese experimentellen Ergebnisse bestätigen [145] [146]. Allerdings gibt es Situationen, in denen eine Prothese nicht an den Hammergriff, sondern besser an das Trommelfell angekoppelt werden sollte. Bei schlecht belüfteter Pauke, steil stehendem Hammergriff und hoch stehendem Steigbügelkopf wird der Prothesenschaft gegenüber der Hochachse des Steigbügels abgekippt, wodurch das in seitlicher Richtung nachgiebigere Ringband vermutlich verspannt wird. Nishihara ermittelte dabei einen Winkel von 45°, der nicht überschritten werden sollte, um Übertragungsverluste zu vermeiden [139]. In dieser Situation ist eine Trommelfellposition neben dem Hammergriff zu bevorzugen, wobei der Prothesenteller den Hammergriff seitlich kontaktieren sollte. So können die Vorteile der Hammergriffankopplung in den hohen Frequenzen besser genutzt werden (s. Abb. [13]) [99].
#3.6.4 Ankopplung an die Fußplatte
Die Position der Prothese auf der Fußplatte sowie die Stabilität des Knochenkontaktes sind weitere Faktoren bei der Schallübertragung. Bisherige Untersuchungen zeigen eine Position in Fußplattenmitte als Optimum [147]. Bei Ankopplung vorn finden sich Verluste in den hohen, bei Ankopplung hinten in den tiefen Frequenzen. Die Prothese sollte möglichst senkrecht auf der Fußplatte stehen bzw. nicht mehr als 5 - 15° von der Senkrechten abweichen.
Schwierig ist es, den Prothesenfuß auf dem glatten Knochen der Fußplattenmitte in Position zu halten. Verschiedene Lösungsansätze wurden dafür vorgeschlagen. Die Verwendung von Spikes- oder Spandreltechniken können für eine gute mechanische Verankerung sorgen [148], tragen jedoch das Risiko der Liquorfistel oder des Fußplattenbruches in sich, weshalb die Anwendung am kontaminierten Ohr nicht empfohlen werden kann. Als ungefährlich dagegen kann die Stabilisation des Prothesenfußes auf der Fußplatte durch Knorpel eingeschätzt werden (s. Abb. [14]). Für die Anfertigung eines Knorpelschuhs zur Aufnahme der Prothese stehen bereits Mikrostanzen zur Verfügung [149]. Nach eigenen experimentellen Untersuchungen dämpft ein so eingebrachter Knorpelschuh auch bei fester Verwachsung mit der Umgebung die Fußplattenschwingung nur um maximal 6 dB. Allerdings sollte auch hier der Knorpel auf 0,5 mm ausgedünnt werden.
#3.7 Wiederherstellung der Hörfunktion bei Fixation der Ossikelkette und Bandfixation
#3.7.1 Fixationen durch Bändersklerosierung
Bei Prüfung der Kettenbeweglichkeit sollten auch die Bänder mit der Präpariernadel abgetastet werden. Sklerotische Fixationen des vorderen Hammerbandes können die Schallübertragung erheblich beeinflussen. In experimentellen Untersuchungen mittels Laser-Dopplervibrometrie wurde eine Abnahme der Schalltransmission durch das Mittelohr nach künstlicher Fixation des vorderen Hammerbandes von 0 - 12 dB gemessen [150] [151]. Berechnungen am FE-Modell zeigen Werte um 6 dB nach 1000facher Versteifung des vorderen Hammerbandes [152]. Über die Häufigkeit dieser Fixation gibt es bisher nur wenige Erkenntnisse. Es wird vermutet, dass in 38 % der Fälle mit Restschallleitungskomponenten nach Stapesplastik das vordere Hammerband schuld ist [153]. Zur Lösung der Bandfixation sollte das Band mit dem Sichelmesser oder dem Laser durchtrennt und anschließend der knöcherne Bänderansatz mit dem Houselöffel abgetragen werden, so dass ein breiter Spalt zwischen vorderen Hammerfortsatz und knöchernen Rahmen entsteht. Die Zwischenlage einer Silikonfolie kann im Einzelfall erneute Verwachsungen verhindern.
Unproblematischer ist das Vorgehen bei sklerosierter Tensorsehne. Sie kann mit Scherchen durchtrennt werden, ohne dass sich nachteilige Schwingformen am Trommelfell ausbilden. Oft kann dadurch auch eine Steilstellung des Hammergriffs mit Kontakt zum Promontorium beseitigt werden.
#3.7.2 Hammerkopffixation
Die Diagnostik einer idiopatischen Hammerkopffixation gelingt meistens über Beweglichkeitsprüfungen unter dem Siegle-Trichter. Für die Behandlung stehen grundsätzlich 2 verschiedene Lösungswege zur Verfügung. Der aufwändigere, aber physiologischere Weg besteht in einer Entfernung der knöchernen Brücke zwischen Epitympanon und Hammerkopf via Mastoidektomie. Dabei sind jedoch Bohrarbeiten direkt am Hammerkopf zu vermeiden. Der Knochen kann zunächst mit dem Bohrer mit niedriger Drehzahl im Epitympanon ausgedünnt werden, die Entfernung der knöchernen Brücke zum Hammerkopf sollte jedoch besser mit dem Houselöffel oder mit dem Laser erfolgen, um Lärmschädigungen des Innnenohres vorzubeugen. Es sei daran erinnert, dass bei Berühren des Hammers mit dem Bohrer Schallpegel von 120 dB und mehr entstehen [154].
Ein zweiter Weg besteht in der Entfernung des Amboss mit Abstanzen des Hammerkopfes und Zurechtschleifen des Amboss zu einem Interponat. Wenngleich bei diesem Vorgehen eine Mastoidektomie vermieden wird und das Risiko eines Innenohrtraumas als gering einzuschätzen ist, stellt der Eingriff die Destruktion einer intakten Kette dar.
#3.7.3 Ringbandfixation
Fixationen des Ringbandes stellen aufgrund des Ertaubungsrisikos und der oft engen Verhältnisse in der ovalen Nische eine chirurgische Herausforderung dar, obwohl sich die Stapesplastik als eine weitestgehend standardisierte Operationstechnik etabliert hat. Während in der Vergangenheit bei Otosklerose auch Stapesmobilisationen oder Bogengangsfensterungen vorgenommen wurden, hat sich seit den 50er-Jahren die Insertion eines Pistons durchgesetzt [155]. Durch diese Technik konnten die Risiken des Eingriffs verringert und die Langzeit-Hörergebnisse verbessert werden. Grundsätzlich kann heute die Durchführung einer Stapedotomie empfohlen werden, bei der in die Fußplatte ein kleines Loch für die Aufnahme des Pistons eingebracht wird [156] [157] [158] [159]. Gegenüber der partiellen oder vollständigen Entfernung der Fußplatte bietet diese Technik den Vorteil einer weitestgehend atraumatischen Eröffnung des Innenohres, einer im Vergleich zur Stapedektomie kleineren Perilymphfistel und somit Senkung des Infektionsrisikos. Da die Perforation der Fußplatte kleiner als der Fußplattendurchmesser 1,33 ± 0,11 mm [160] sein muss um einen Fußplattenquerbruch zu vermeiden, haben sich Pistondurchmesser von 0,4 mm bis maximal 0,8 mm durchgesetzt. Wie in den Übersichtsarbeiten von Häusler und Hüttenbrink angegeben, gibt es in klinischen Studien keine Übereinkunft darüber, welcher Pistondurchmesser die besten Hörerfolge verspricht [158] [161]. Berechnungen zeigen, dass in den tiefen Frequenzen (bis etwa 2 kHz) mit zunehmendem Pistondurchmesser eine bessere Schalltransmission erwartet werden kann, was auch in einigen klinischen Untersuchungen bestätigt wurde [8] [162]. Ob dagegen oberhalb dieser Frequenz Verluste in der Schallübertragung mit zunehmendem Pistondurchmesser, wie theoretisch zu vermuten, tatsächlich eintreten, kann anhand der widersprüchlichen klinischen Untersuchungen und der zurzeit nur bis 2 kHz aussagekräftigen Modellrechnungen nicht sicher entschieden werden.
Das am häufigsten eingesetzte Material bei Stapesplastiken ist der Platin-Teflon-Piston. Neuerdings werden jedoch auch Titanpistons eingesetzt. Bei dem chirurgischen Vorgehen unterscheidet man die konventionelle Technik der Stapespräparation von der Lasertechnik. Befürworter der Laserchirurgie loben die kontaktfreie, blutarme Präparation, Gegner weisen auf die Gefahr des Wärme- oder Lärmtraumas sowie des Zeit- und Kostenaufwandes hin. Die Ergebnisse konservativ instrumentellen Vorgehens und der Laserchirurgie sind miteinander vergleichbar [163]. Zu den modernen instrumentellen Techniken und dem Einsatz des Lasers kann auf die Referate von Häusler und Jovanovic verwiesen werden [158] [163].
Interessante Neuerungen gibt es in der Ankopplung von Stapesprothesen an den langen Ambossschenkel. Mikromechanische Clipmechanismen ersparen nicht nur das bei Titan oft mühevolle Festklemmen der Prothese, sondern ermöglichen auch einen definierten Kraft- und Formschluss an den Amboss. Damit dürften sich die akustischen Verhältnisse am langen Ambossschenkel stabilisieren. Wie Untersuchungen mittels Laser-Dopplervibrometrie zeigen konnten, hat der Kraftschluss des Pistons am Ambossschenkel einen signifikanten Einfluss auf das Schwingungsverhalten. Bei nur losem Kontakt sind Übertragungsverluste von durchschnittlich 10 dB und im Einzelfall bis zu 28 dB zu erwarten (s. Abb. [15]) [164].
#4 Aussichten
Betrachtet man die Implantatentwicklungen der letzten Jahre, so ist durch neue Technologien in der Herstellung von Titanimplantaten eine Verbesserung der mechanischen Eigenschaften zu beobachten. Die Implantate sind nicht nur leichter und graziler geworden, sondern ermöglichen durch Clip-Mechanismen auch eine bessere Ankopplung an die Ossikel. Ein bisher ungelöstes Problem herkömmlicher Implantate ist die Starrheit der Columella. Die gesunde Ossikelkette hat neben der akustischen Übertragungsfunktion die Aufgabe, atmosphärische Druckschwankungen zu kompensieren und somit Schädigungen des Innenohres zu vermeiden. Diese Funktion wird von bisherigen Implantaten nicht wahrgenommen. Obwohl in den meisten Fällen das Trommelfell und das Ringband stark genug sind, atmosphärische Druckschwankungen zu kompensieren, ist diese Funktion für zukünftige Implantatentwicklungen wünschenswert, um Dislokationen der Prothese, Protrusionen oder Einbrüche in das Vestibulum insbesondere bei vorgeschädigtem Ringband zu vermeiden (s. Abb. [16]). Lösungsansätze bestehen in der Integration von mikromechanischen Gelenken in die Prothese. Beispielsweise kann ein Gelenk zwischen Teller und Schaft dazu beitragen, dass bei atmosphärischen Druckänderungen der unter dem Hammergriff platzierte Prothesenteller bei den Bewegungen des Hammers mitgeführt wird. Nach experimentellen Untersuchungen sollten dabei die Reibungskräfte im Gelenk etwa 3 mN betragen, um bereits bei atmosphärischen Druckänderungen im Gehörgang von 25 mmWS (daPa) zu reagieren (s. Abb. [17]). Andere Vorschläge sehen eine Integration des Gelenkes in den Prothesenschaft vor (s. Abb. [18]). Dadurch kann die Prothese bei Ein- und Auswärtsbewegung des Hammergriffs ausknicken. Das Gelenk muss dabei so gestaltet sein, das keine Schallübertragungsverluste im Gelenk entstehen. Mittels Laser-Dopplervibrometrie lassen sich die Eigenschaften von Implantaten mit integrierten Gelenken optimieren. Für die Mittelohrchirurgie würden diese Implantate mehr Sicherheit zum Schutz des Innenohres bedeuten und das Risiko einer Prothesendislokation vermindern helfen.
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Priv.-Doz. Dr. med. Dr. h. c. Thomas Zahnert
Universitäts-HNO-Klinik Dresden
Fetscherstraße 74 · 01307 Dresden
Email: thomas.zahnert@uniklinikum-dresden.de
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Priv.-Doz. Dr. med. Dr. h. c. Thomas Zahnert
Universitäts-HNO-Klinik Dresden
Fetscherstraße 74 · 01307 Dresden
Email: thomas.zahnert@uniklinikum-dresden.de