Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-2005-861703
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Landgericht Bielefeld verneint Strafbarkeit des Arztes wegen kostenloser Abfallentsorgung durch Kontrastmittelhersteller
Rechtsanwälte Dr. Wigge
Rechtsanwalt Michael Frehse
Ostring 15
59065 Hamm
Email: m.frehse@ra-wigge.de
URL: http://www.ra-wigge.de
Publication History
Publication Date:
12 January 2005 (online)
- Bisherige Rechtsprechung
- Urteil des LG Bielefeld
- Täuschungshandlung des Arztes
- Vermögensschaden der Krankenkasse zweifelhaft
- Keine Untreue i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB
- Fazit
Das Landgericht Bielefeld hat durch Berufungsurteil vom 31.3.2004 (Az.: 6 Ns 5 Ds 170 Js 904/01 - A/04 VI) eine erfreuliche Entscheidung für niedergelassene Radiologen getroffen, welche die von Herstellern bzw. Lieferanten von Röntgenkontrastmitteln angebotene kostenlose Entsorgung medizinischen Praxissonderabfalls zum Gegenstand hat. Dem betroffenen Arzt wurde vorgeworfen, einen Abrechnungsbetrug gegenüber den Krankenkassen begangen zu haben, indem er den Krankenkassen nicht mitgeteilt hatte, dass er von dem Hersteller der von ihm verwendeten Röntgenkontrastmittel derart Vergünstigungen erhielt, dass die Entsorgung medizinischen Sonderabfalls aus seiner Praxis auf Kosten des Kontrastmittelherstellers vorgenommen wurde, und der Arzt es versäumt hatte, die Krankenkassen über die gewährten Entsorgungsleistungen aufzuklären.
Bereits in der RöFo 2002, S. 44 f. sind wir bei diesem Sachverhalt zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Arzt ein Strafbarkeitsvorwurf nicht gemacht werden kann, da eine Verpflichtung des Arztes, etwaig eingesparte Entsorgungskosten an die Krankenkassen weiterzugeben oder sie den Krankenkassen mitzuteilen, nicht besteht.
#Bisherige Rechtsprechung
Nachdem diese Auffassung zunächst sowohl vom Amtsgericht Dortmund (Beschluss v. 11.12.2001, Az.: 95 Ds 94 Js 36/00) und vom Amtsgericht Lünen (Beschluss v. 25.4.2002, Az.: 19 Ds 170 Js 522/00) bestätigt worden ist, da die Gerichte sowohl eine aktive Täuschung der Ärzte als auch eine Täuschung durch pflichtwidriges Unterlassen der Ärzte abgelehnt hatten, hatte das Amtsgericht Minden mit Urteil vom 29.9.2003 (Az.: 5 Ds 170 Js 904/01) erstmalig festgestellt, dass der dortige Angeklagte objektiv den Tatbestand des Betruges durch Unterlassen erfüllt habe. Zwar hat auch das Amtsgericht Minden die Strafbarkeit wegen fehlenden Vorsatzes des Arztes abgelehnt, das Amtsgericht ist jedoch mit der Bejahung des objektiven Tatbestandes des Abrechnungsbetruges der insbesondere von den Spitzenverbänden der Krankenkassen vertretenen Meinung gefolgt, wonach in diesen Fällen von einem Betrugsvorwurf ausgegangen werden kann (vgl. hierzu auch RöFo 2004, S. 773 f.).
#Urteil des LG Bielefeld
Die mit diesem Urteil des Amtsgerichts Minden erneut eingetretene Rechtsunsicherheit über die strafrechtliche Beurteilung der Vorgehensweise bei der Entsorgung von verbrauchtem Kontrastmittel ist nunmehr durch das Berufungsurteil des Landgerichts Bielefeld vorerst zu Gunsten der betroffenen Ärzte geklärt worden, da die von der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Minden eingelegte Berufung durch das Landgericht Bielefeld verworfen wurde.
Das Landgericht Bielefeld hat entgegen den Feststellungen des Amtsgerichts Minden festgestellt, dass der Angeklagte nicht den objektiven Tatbestand des Betruges gemäß § 263 StGB verwirklicht habe.
#Täuschungshandlung des Arztes
Nach Ansicht des Landgerichts Bielefeld habe der Arzt insbesondere keine Täuschungshandlung begangen. Ausweislich des vom Landgericht festgestellten Sachverhaltes liege eine Täuschungshandlung zunächst nicht in der Verordnung der Röntgenkontrastmittel, weil er nur solche Röntgenkontrastmittel verordnet habe, die er in dieser Menge zuvor durch die Behandlung von Patienten tatsächlich verbraucht hatte. Der Angeklagte habe aber auch im Zusammenhang mit der Abrechnung der Röntgenkontrastmittel keine Täuschungshandlung vorgenommen, da die Abrechnung nicht von ihm, sondern entsprechend der gängigen Vorgehensweise von der Herstellerfirma der Kontrastmittel erfolgt sei. Da die Staatsanwaltschaft insoweit ursprünglich die Auffassung vertreten hatte, der Angeklagte habe die Täuschungshandlung bei der Abrechnung in mittelbarer Täterschaft (§ 25 Abs. 1 2. Alt. StGB) durch die Herstellerfirma bzw. deren Mitarbeiter vorgenommen, hat das Landgericht Bielefeld diese rechtlich nicht nachvollziehbare Auffassung überzeugend abgelehnt. Denn Voraussetzung für die Annahme einer mittelbaren Täterschaft ist eine überlegene, die Handlung des Tatmittlers steuernde Handlung des mittelbaren Täters. Dies kommt u.a. in Betracht, wenn bei dem unmittelbar Handelnden, dem sog. Tatmittler, ein Defizit vorliegt, etwa der Tatmittler sich in einem Irrtum befindet oder schuldunfähig ist, oder der Tatmittler innerhalb einer staatlichen, unternehmerischen oder geschäftlichen Organisation so eingebunden ist, dass er Befehlsempfänger ist, und deshalb die objektive Täterschaft beim Hintermann liegt. Dass diese Voraussetzungen im Verhältnis des angeklagten Arztes zu der Herstellerfirma der Kontrastmittel nicht ansatzweise vorlagen, bedurfte auch seitens des Landgerichts Bielefeld keiner weiteren Begründung.
Des weiteren widerspricht das Landgericht Bielefeld auch der im angefochtenen Urteil des Amtsgerichts Minden vertretenen Auffassung, dass der Angeklagte eine Täuschung durch Unterlassen begangen habe. Eine Täuschung durch Unterlassen setzt eine Aufklärungspflicht als rechtliche Handlungspflicht voraus. Eine solche sog. Garantenpflicht des Arztes gegenüber der Krankenkasse bestand bezüglich der Abrechnung von Sprechstundenbedarf nach Ansicht des Landgerichts Bielefeld nicht. Insbesondere lehnt das Landgericht eine Garantenpflicht aus der geltenden regionalen Sprechstundenbedarfsvereinbarung ab, die das Amtsgericht Minden unter Hinweis auf die besondere Vertrauensstellung des Arztes im Rahmen des Abrechnungssystems noch angenommen hatte. Nach Auffassung des Landgerichts Bielefeld ergebe sich schon aus dem Titel der Verordnung selbst, dass dort lediglich die "Verordnung von Sprechstundenbedarf" geregelt wird. Überhaupt sei der Arzt mit der Abrechnung nur dann befasst, wenn er den Sprechstundenbedarf aus anderen Quellen, nämlich nicht direkt vom Hersteller oder Großhändler beziehe. Bezieht der Arzt demgegenüber den verordneten Sprechstundenbedarf entsprechend der Sprechstundenbedarfsvereinbarung direkt vom Hersteller, erfolge die unmittelbare Berechnung der Kontrastmittel durch die Herstellerfirma bei der Krankenkasse.
#Vermögensschaden der Krankenkasse zweifelhaft
Da das Landgericht Bielefeld insoweit bereits eine Täuschungshandlung des Arztes mangels Einbindung des Arztes in die Abrechnung abgelehnt hat, konnte es auch dahin stehen lassen, ob bei den Mitarbeitern der Krankenkasse, welche die Zahlung an die Herstellerfirma bewirkt haben, überhaupt eine Fehlvorstellung vorgelegen hat, die zu einer Vermögensverfügung geführt hat und ob der Krankenkasse insoweit ein Schaden entstanden ist. Das Landgericht hat es sich jedoch nehmen lassen, seine Rechtsauffassung zu diesem Punkt insofern aufzuzeigen, als dass es angeführt hat, dass sowohl das Vorhandensein einer Fehlvorstellung als auch das Eintreten eines Schadens "zweifelhaft erscheint". Das Vorliegen eines Schadens dürfte im Übrigen tatsächlich sehr zweifelhaft sein, da die Preise für die Kontrastmittel ohnehin nach einer im Voraus festgelegten Preisliste abgerechnet werden, so dass für die Krankenkassen die gleichen Kosten entstehen, unabhängig davon, ob der einzelne Arzt von dem Entsorgungsangebot Gebrauch macht oder nicht.
#Keine Untreue i. S. d. § 266 Abs. 1 StGB
Da die Staatsanwaltschaft in der Berufungsverhandlung schließlich unter Hinweis auf den Beschluss des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 25.11.2003 (Az.: 4 StR 239/03) angeführt hat, dass der Arzt jedoch den Straftatbestand der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB verwirklicht habe, musste sich das Landgericht Bielefeld im Zusammenhang mit der kostenlosen Übernahme von Entsorgungskosten erstmalig mit diesem Urteil des BGH auseinander setzen. Dort hatte ein Arzt im kollosiven Zusammenwirken mit den Patienten unter Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot vertragswidrige Verordnungen vorgenommen, worin der BGH eine Verletzung der Vermögensinteressen der Krankenkassen und damit eine Verwirklichung des Tatbestandes des § 266 Abs. 1 StGB sah.
Abweichend von dem dem Beschluss des BGH vom 25.11.2003 zugrunde liegenden Fall habe der Arzt nach Ansicht des Landgerichts Bielefeld im zu entscheidenden Fall die Befugnis zur Verpflichtung der Krankenkassen demgegenüber nicht bestimmungswidrig ausgeübt, da er sämtliche Verordnungen von Röntgenkontrastmitteln, durch welche die Krankenkasse verpflichtet worden war, bestimmungsgemäß vorgenommen habe, da er nur notwendige Mittel verordnet habe. Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Gebot der Wirtschaftlichkeit durch den Arzt waren für das Landgericht Bielefeld nicht ersichtlich. Schließlich habe der Arzt auch keine Treuepflicht im Rahmen der Abrechnung verletzt, da er, wie oben bereits ausgeführt, in die Abrechnung der verordneten Röntgenkontrastmittel gar nicht eingebunden war.
#Fazit
Dem Urteil des Landgerichts Bielefeld ist im vollen Umfang zuzustimmen, da nach zutreffender Ansicht insbesondere eine Rechtspflicht der Ärzte gegenüber den Krankenkassen, diese von der unentgeltlichen Entsorgung des Praxisabfalls in Kenntnis zu setzen, nicht besteht. Es bleibt zu hoffen, dass die inzwischen von der Staatsanwaltschaft Dortmund beim Oberlandesgericht Hamm eingelegte Revision die zutreffende Rechtsauffassung des Landgerichts Bielefeld bestätigen wird, so dass die Rechtsfrage durch eine obergerichtliche Entscheidung weitestgehend geklärt wird.
#Rechtsanwälte Dr. Wigge
Rechtsanwalt Michael Frehse
Ostring 15
59065 Hamm
Email: m.frehse@ra-wigge.de
URL: http://www.ra-wigge.de
Rechtsanwälte Dr. Wigge
Rechtsanwalt Michael Frehse
Ostring 15
59065 Hamm
Email: m.frehse@ra-wigge.de
URL: http://www.ra-wigge.de