Dtsch Med Wochenschr 2005; 130(6): 300
DOI: 10.1055/s-2005-863049
Leserbriefe

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Leitlinienkonforme interventionelle Therapie des akuten ST-Hebungsinfarktes in ländlichen Regionen durch Netzwerkbildung - Erwiderung

H. SchneiderF. WeberC. A. Nienaber
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Publication Date:
03 February 2005 (online)

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Wir danken den Kollegen Silber und Degen für ihre konstruktive Kritik. Die Darstellung einer leitliniengerechten Therapie des ST-Hebungsinfarktes (STEMI) in unserem Artikel [7] bezieht sich auf die Möglichkeit und Durchsetzung einer konsequent-interventionellen Behandlung von Patienten mit STEMI in den vorgegebenen Zeitintervallen auch außerhalb von Ballungszentren. Unbestritten ist, dass die interventionelle Therapie des STEMI entsprechend dem derzeitigen Wissensstand den in internationalen und nationalen Leitlinien präferierten Therapieansatz darstellt [2] [8]. Die Akut-PCI sichert gegenüber der Lysetherapie bei STEMI nicht nur eine effizientere Akut-Revaskularisation der infarktrelevanten Arterie bei signifikant mehr Patienten und rettet 25 - 30 % mehr gefährdetes Myokard [5], sondern realisiert dieses Therapieprinzip auch bei mehr als 90 % der angebotenen Patienten. Hingegen zeigen praxisnahe Registerdaten, dass im Rahmen einer Lysestrategie 40 - 50 % der präsentierten Patienten aus den verschiedensten Gründen letztlich ohne Revaskularisationstherapie verbleiben [3] und gerade diese Patienten eine besonders schlechte Prognose aufweisen [10]. Darüber hinaus zeigt die Lyse mit zunehmendem Zeitintervall nach Symptombeginn einen erheblichen Wirkungsverlust, wohingegen die PCI auch nach mehr als 12 Stunden einen konstanten Anteil des gefährdeten Myokards retten kann [1] [6] [11].

Natürlich ist der Vorteil der Akut-PCI gegenüber der Lyse von der Zeitverzögerung des Einsatzes beider Methoden abhängig. Daher empfehlen die Leitlinien der deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) folgende Rangfolge der Revaskularisationsverfahren.

1. Vorrang hat die Akut-PCI, wenn diese durch ein erfahrenes Team mit einem maximalen Zeitverlust von 90 min gegenüber einer möglichen Lysetherapie durchführbar ist (Empfehlungsstärke I, Evidenzgrad A).

2. Kann dieses Zeitintervall nicht eingehalten werden, wird an zweiter Stelle die prästationäre Lysetherapie mit nachfolgender Verbringung in ein Krankenhaus mit PCI-Möglichkeit empfohlen (I/B).

3. Steht kein Krankenhaus mit PCI-Möglichkeit zur Verfügung, sollte ein prästationäre Lyse mit Verbringung in ein Krankenhaus ohne PCI-Möglichkeit erfolgen (I/A).

4. Erst als letztrangige Therapieoption verbleibt bei Nichtvorhandensein der Therapieoptionen 1 - 3 die Empfehlung zur stationären Fibrinolysetherapie (I/A) [2].

Gleichzeitig empfehlen die aktuellen Leitlinien der DGK die Schaffung von Infarkt-Netzwerken mit effizienter Organisationsstruktur und klaren Therapiepfaden zur Durchsetzung einer interventionellen Infarkttherapie [2]. Dass eine solche Netzwerkstrategie nicht nur in Studien, sondern auch in der Praxis realisierbar ist, konnten wir durch unserer Daten belegen. Die jeweilig optimale Therapiestrategie muss im Interesse der Patienten sicherlich entsprechend den lokalen Gegebenheiten ausgestaltet werden. Jedoch sollte die Tatsache, dass im Einzellfall die vorgegebenen Zeitintervalle scheinbar nicht einzuhalten sind, nicht dazu führen die Lysetherapie zu präferieren, sondern Anlass sein, die Logistik für die Akut-PCI zu verbessern, wie es uns Nachbarländer wie Tschechien und Polen derzeit demonstrieren.

Die von Degen monierte Standardabweichung des Zeitintervalls zwischen Aufnahme und PCI der transferierten STEMI Patienten von 122 Minuten entspricht nicht den im Artikel dargelegten Daten (75 ± 43 Minuten). Die eigentliche Transportzeit betrug 54 ± 34 Minuten. Die zusätzliche Verzögerung resultiert überwiegend aus diagnostischen Unsicherheiten. Diese verzögert diagnostizierten STEMI-Patienten hätten jedoch nicht einer frühzeitigeren Lysetherapie zugeführt werden können und aufgrund des vorhandenen Zeitverlustes auch von dieser wahrscheinlich nicht zusätzlich profitiert. Selbstverständlich halten auch wir im seltenen Fall eines absehbar nichteinhaltbaren Transport-Zeitintervalls zur Akut-PCI eine Lysetherapie mit gleichzeitiger Verlegung ins PCI-Zentrum für sinnvoll.

Das von Silber angesprochene erfreulich günstige „door-to-balloon“ Zeitintervall im PCI-Zentrum resultiert insbesondere aus der Einrichtung einer Infarkt-Hotline, wodurch jeder STEMI telefonisch vorangekündigt und dann vom Notarzt/Transferarzt via Notaufnahme (EKG, Aufklärung) direkt ins räumlich benachbarte Herzkatheterlabor verbracht werden kann, wo ein Kathetertisch mit Interventionsteam freigehalten wird.

Hinsichtlich der prähospitalen Gabe des Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptor-Antagonisten Abciximab (ReoPro®) wurde bereits in unserem Artikel [7] darauf hingewiesen, dass bezüglich der optimalen Überleitungstherapie zur Akut-PCI eine noch unsichere Datenlage besteht. Wir stimmen der Aussage zu, dass hier die Ergebnisse weiterer randomisierter Studien (z. B. FINESSE, ASSENT 4-PCI) abgewartet werden müssen, um verbindliche Aussagen treffen zu können. Die periinterventionelle Gabe von Abciximab bei der Akut-PCI des STEMI wird in Auswertung mehrerer Studien in den Leitlinien [2] [8] bei Nichtverwendung eines Stents mit Empfehlungsstärke/Evidenzlevel I/A bei Stentimplantation mit IIa/A durchaus positiv bewertet und in unserer Einrichtung routinemäßig durchgeführt. Da aus den vorhandenen Daten zur prästationären Gabe [3] [9] [12] keine vermehrten Komplikationen, jedoch signifikant verbesserten TIMI-Flussraten und eine bessere ST-Resolution abzuleiten sind, ist aus unserem pathophysiologischen Verständnis heraus nichts gegen eine prästationäre Gabe bei gesichertem STEMI und geplanter Akut-PCI einzuwenden.