Die Palliativmedizin hat sich in den letzten Jahren auch in Deutschland zu einem anerkannten Fachgebiet entwickelt. In über 90 Palliativstationen werden Patienten mit weit fortgeschrittenen, lebensbedrohlichen Erkrankungen und ihre Angehörigen mit dem Ziel betreut, die Lebensqualität der Patienten durch die Kontrolle der Symptome und psychosoziale Begleitung zu verbessern. Obwohl die palliativmedizinische Betreuung sich nicht auf spezielle Erkrankungsgruppen beschränkt, werden traditionell überwiegend Patienten mit Krebserkrankungen begleitet. In Deutschland sind dies über die letzten Jahre hinweg um 98 % [9]. Aber auch in Ländern mit viel längerer palliativmedizinischer Tradition, wie beispielsweise England, ist die Gruppe der nichtonkologischen Patienten in stationären Einrichtungen immer noch sehr klein (etwa 6 %; 4).
In Deutschland verstirbt jeder vierte Mensch an einer bösartigen Erkrankung, im Jahr 2002 waren dies allein 215441 Menschen [11]. Betrachtet man nur einige Erkrankungen aus dem internistischen Bereich, versterben jährlich ungefähr 95000 Menschen an einer ischämischen Herzerkrankung, 57000 an einer terminalen Herzinsuffizienz und etwa 20000 an einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung [11]. Bei der Entwicklung der Haupttodesursachen weltweit von 1990 bis 2020 [Tab. 1] zeigt sich, dass Herz- und Lungenerkrankungen auch weiterhin eine führende Position einnehmen, noch vor den malignen Grunderkrankungen liegen und voraussichtlich auch weiterhin liegen werden [7].
Nichtonkologische Erkrankungen
Die Gruppe der nichtonkologischen Patienten umfasst viele Krankheiten. Viele internistische Erkrankungen wie chronische Herzinsuffizienz, koronare Herzerkrankung, chronisch obstruktive Lungenerkrankungen oder terminale Niereninsuffizienz führen in oft sehr kurzer Zeit zum Tod. Viele neurologische Patienten leiden an unheilbaren Erkrankungen. In der Palliativmedizin ist bisher die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) die häufigste nichtonkologische Erkrankung. Leiden die Patienten an dieser Motoneuron-Erkrankung mit aufsteigenden Lähmungen, versterben sie meist an einer Ateminsuffizienz. Aber auch Patienten im Endstadium einer Multiplen Sklerose (MS) oder einer Parkinson-Erkrankung weisen körperliche Symptome oder psychosoziale Probleme auf. Schließlich darf auch die große Gruppe der Demenzkranken nicht vergessen werden, die für alle in der Betreuung eine große Herausforderung darstellt. Seit Einführung antiretroviraler Therapien versterben nicht mehr so viele Patienten an den Folgen ihrer AIDS-Erkrankung, allerdings gibt es aufgrund der chronischen Verläufe mehr Patienten mit neuropsychiatrischen Symptomen.
Unterschiedlicher Krankheitsverlauf
Die Herausforderung für die Palliativmedizin liegt nicht nur in der hohen Zahl an nichtonkologischen Patienten, die ebenso wie Tumorpatienten Anspruch auf qualifizierte palliativmedizinische Betreuung haben, sondern auch in den unterschiedlichen Krankheitsverläufen. Die meisten Patienten mit Krebserkrankungen haben häufig über eine relativ lange Zeit einen relativ guten Allgemeinzustand mit gutem funktionellen Status. Schreitet die Erkrankung weiter fort, verschlechtert sich der Zustand des Patienten in den letzten Wochen und Tagen vor dem Tod meist relativ rasch ([Abb. 1]; [6]).
Im Gegensatz hierzu verläuft die Erkrankung bei Patienten mit chronischem Organversagen (Herz-, Nieren-, pulmonale Insuffizienz) über einen relativ langen Zeitraum mit nur minimalen Einschränkungen im Alltagsleben. Exazerbationen der Erkrankung oder Komplikationen führen jedoch rezidivierend zu akuten Verschlechterungen, zum Beispiel bei Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung zu einem pulmonalen Infekt. Viele dieser Episoden werden überlebt, letztlich versterben die Patienten dann aber auch relativ rasch an einer solchen Komplikation ([Abb. 2]; [6]) Aus diesem Grund ist die Einschätzung der Prognose bei diesen Patienten wesentlich schwieriger. Die Behandlung der Grunderkrankung reicht, zum Teil anders als bei onkologischen Patienten, in die terminale Phase mit hinein.
Patienten, die nicht an einer Tumorerkrankung oder chronischem Organversagen sterben, sterben wahrscheinlich in höherem Alter an neurologischen Erkrankungen (Alzheimer oder andere Demenzen) oder an einer generellen Gebrechlichkeit ([Abb. 3]; [6]).
COPD und terminale Herzinsuffizienz
Am Beispiel von zwei internistischen Erkrankungen - der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) und der chronischen Herzinsuffizienz sollen im Folgenden die Situation der Patienten und einige der palliativmedizinischen Fragestellungen erläutert werden
Chronisch obstruktive Lungenerkrankung
Die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) ist die häufigste Lungenerkrankung. Betroffen sind derzeit 20 % der erwachsenen Männer. Ohne Langzeit-Sauerstofftherapie versterben die Patienten innerhalb von drei Jahren. In einer Bedarfsanalyse wurden 63 Patienten über ihre Erfahrungen mit der Erkrankung befragt [10]. Die Hauptsymptome unter denen die Patienten litten waren:
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Atemnot (95 %)
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Fatigue (68 %)
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Schmerzen (68 %)
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Schlafstörungen (55 %).
Darüber hinaus beklagten die Patienten Durstgefühl, Mundtrockenheit, Husten, Obstipation, Anorexie und körperliche Schwäche. 87 % der befragten Patienten waren unfähig das Haus zu verlassen, 57 % brauchten Hilfe beim Waschen, Anziehen oder bei der Benutzung der Toilette. Zusätzlich litten 37 % unter einer Depression. Neben diesen multiplen körperlichen Symptomen konnte gezeigt werden, dass Patienten mit einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung sozial isoliert waren und eine niedrige körperliche Funktion aufwiesen.
Zwar stehen den Betroffenen medizinische Angebote zur Verfügung - besonders zur Behandlung akuter Exazerbationen, selten dagegen für die dauerhafte Versorgung. Bei der Betreuung dieser Patienten fehlt bisher in den meisten Einrichtungen ein ganzheitlicher Ansatz. Im Vergleich zu Patienten mit Lungenkrebs versterben Patienten mit einer COPD in England eher im Krankenhaus, Patienten mit Lungenkrebs eher zu Hause oder in einer palliativmedizinischen Einrichtung [2]. Physische und psychische Symptome sind bei diesen beiden Patientengruppen gleich ausgeprägt.
Neben medikamentösen antiobstruktiven Therapiemaßnahmen spielt bei der Behandlung von COPD-Patienten die Sauerstofftherapie eine große Rolle, da Patienten mit einer ausgeprägten Hypoxie eine schlechtere Prognose haben. Allerdings ist der Effekt einer Langzeit-Sauerstofftherapie auf die Lebensqualität nicht sicher nachgewiesen. Durch eine nichtinvasive Heimbeatmung kann es insbesondere bei Exazerbationen zu einer schnelleren Besserung kommen, invasive Beatmungen sind seltener notwendig und die Mortalität im Krankenhaus sinkt.
Eine wichtige Rolle in der symptomatischen Therapie der Atemnot spielen Opioide. In einer Metaanalyse konnte Evidenz sowohl für die orale als auch die parenterale Gabe gezeigt werden, für den Einsatz von inhalativen Opioiden gibt es allerdings keinen ausreichenden Beleg [5]. Bei pulmonalen Rehabilitationsangeboten erfahren die Patienten mehr über ihre Erkrankung. Es werden psychosoziale Aspekte angesprochen sowie Entspannungsübungen und Atemtherapie angeboten.
Chronische Herzinsuffizienz
Trotz neuerer Entwicklungen in der Therapie und im Management von Herzerkrankungen, leiden immer mehr Patienten an einer chronischen Herzinsuffizienz und versterben auch daran. Insgesamt haben diese Patienten eine schlechte Prognose: Etwa 40 % versterben innerhalb eines Jahres nach der Diagnose, zirka jede Vierte erleidet einen plötzlichen Herztod. Wenig ist bisher über die Symptome der Patienten bekannt. Im Rahmen einer retrospektiven Studie bei 80 Patienten beschrieben die Autoren insgesamt 21 Symptome unter denen die Patienten litten ([Tab. 2]; [8]). Im Schnitt wies jeder Patient 6,7 Symptome auf.
Befragt nach den Bedürfnissen von Patienten und ihren Angehörigen konnten Boyd K et al. zeigen, dass die Betroffenen kaum Unterstützung von medizinischen Einrichtungen bekamen und wenig über ihren eigenen Zustand, Behandlungsziele oder die Prognose ihrer Erkrankung wussten. Ihre Lebensqualität war durch körperliche Beschwerden und psychische Morbidität stark eingeschränkt [10]. Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz hatten Schwierigkeiten ihren Alltag zu bewältigen und waren auf Familie und Freunde angewiesen. Sie leiden unter Einsamkeit, Isolation oder dem Gefühl, zur Last zu fallen [3].
Zur Therapie der Herzinsuffizienz sind eine Vielzahl von Medikamenten notwendig: ACE-Hemmer, Betablocker, Spironolacton, Angiotensin-II-Blocker und Statine helfen, die Prognose zu verbessern. Eine Verbesserung der Symptome kann durch Diuretika, Digoxin, Hydralazin, Nitrate und Opioide erreicht werden. Es ist wichtig zu beachten, dass einige in der Palliativmedizin häufig verschriebene Medikamente wie nichtsteroidale Antirheumatika, trizyklische Antidepressiva oder Steroide die Beschwerden dieser Patienten verschlechtern und daher vermieden werden sollten.