Für jede ärztliche Maßnahme gilt der Grundsatz, dass ausschließlich der Patient mit
seiner Einwilligung entscheidet, ob er eine konkrete medizinische Behandlung in Anspruch
nehmen will. Dies ergibt sich aus dem verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbestimmungsrecht
des Menschen. Weder die Krankheit an sich noch der ärztliche Heilauftrag begründen
für den Arzt ein eigenständiges Behandlungsrecht. Dabei spielt es keine Rolle, ob
die Entscheidung des Patienten aus medizinischer Sicht vernünftig ist oder nicht.
Insbesondere gilt, dass die Einwilligung während der gesamten Behandlungsdauer fortbestehen
und auch für jede Weiterbehandlung vorliegen muss. Nicht alle Menschen wünschen ein
Aufrechterhalten ihres Organismus unter Ausschöpfen alles medizinisch Machbaren. Erfolgt
eine Behandlung eines Patienten ohne dessen Einwilligung, ist dies eine strafbare
rechtswidrige Körperverletzung (§§ 223 ff. StGB) und kann darüber hinaus zivilrechtliche
Schadensersatzansprüche (§§ 823 ff. BGB) begründen.
Patientenverfügung - was ist das?
Patientenverfügung - was ist das?
Die Notwendigkeit der Einwilligung des Patienten in eine medizinische Behandlung gilt
auch dann, wenn der Patient nicht mehr in der Lage ist, persönlich einzuwilligen.
In solchen Situationen kann - sofern vorhanden - eine Patientenverfügung zum Tragen
kommen. Darunter versteht man Willensbekundungen eines entscheidungsfähigen Menschen
zur zukünftigen medizinischen und/oder begleitmedizinischen Behandlung für den Fall
der Äußerungs- und Einwilligungsunfähigkeit.
In einer Patientenverfügung kann selbstverständlich auch der Wunsch nach Ausschöpfung
aller medizinischen Möglichkeiten geäußert werden. Allerdings begrenzen das Vertragsarztrecht
oder versicherungsrechtliche Bestimmungen wie auch das ärztliche Standesrecht diesen
Wunsch. Der einwilligungsunfähige Patient hat folglich keinen Anspruch auf eine aus
ärztlicher Sicht nicht indizierte Behandlung. Indes werden Patientenverfügungen meist
ein Behandlungsverbot dokumentieren.
Grundsätzlich darf der Patient jedoch nicht auf ein verbotenes Tun durch den Arzt
bestehen. Die aktive Sterbehilfe, die auf die Einleitung einer lebensbeendenden Maßnahme
gerichtet ist, ist in Deutschland nach wie vor verboten (§ 216 StGB). Abgesehen von
diesem Ausnahmefall stellt sich für den behandelnden Arzt die Frage, ob und in welchem
Umfang er an eine solche Patientenverfügung gebunden ist.
Grundsätzlich verbindlich
Grundsätzlich verbindlich
Nachdem der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 17. März 2003 (AZ XII ZB 2/03)
die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen bestätigt hat, wird die Frage des Selbstbestimmungsrechts
des einwilligungsunfähigen Patienten und dessen Regelungsbedürftigkeit wieder verstärkt
diskutiert. Am 05.11.2004 präsentierte das Bundesjustizministerium schließlich Eckpunkte
eines Gesetzesentwurfs, der zukünftig für mehr Klarheit im Umgang mit Patientenverfügungen
sorgen soll. Demnach soll in erster Linie das im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verankerte
Betreuungsrecht geändert - und unter anderem durch eine ausdrückliche Aufnahme des
Rechtsinstituts der "Patientenverfügung" in § 1901 a BGB erweitert werden. Im Wesentlichen
normiert der Gesetzesentwurf, was bislang die Fachgruppen zum richtigen Umgang mit
Patientenverfügungen empfehlen.
Der Entwurf schließt sich der derzeitigen Auffassung in Literatur und Rechtsprechung
an, dass eine Patientenverfügung gilt, solange keine konkreten Anhaltspunkte dafür
vorliegen, dass der Patient diese widerrufen hat. Damit ist sie als Ausdruck des fortwirkenden
Selbstbestimmungsrechts, aber auch der Selbstverantwortung des Betroffenen grundsätzlich
für den Arzt verbindlich.
Eine vom Patienten getroffene Entscheidung liegt jedoch nur vor, wenn die Patientenverfügung
eine Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte Untersuchungen des Gesundheitszustandes,
Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe enthält, die auf die konkrete Situation
zutreffen. In der Praxis kommt es daher häufig darauf an, wie die Patientenverfügung
zu interpretieren ist. Nur in den seltensten Fällen wird es so sein, dass die eingetretene
Situation und der Wunsch nach Behandlungsabbruch konkret vorformuliert wurden.
Bei der Klärung, ob die Festlegungen der Patientenverfügung bindend sind, muss ihre
Übertragbarkeit auf die im Einzelfall konkrete Entscheidungssituation eindeutig und
situationsbezogen feststehen. Zweifel können unter Heranziehung von Umständen außerhalb
der Patientenverfügung geklärt werden. Doch hat der Arzt vor allem bei Beratungen
und Gesprächen mit Dritten auch den Willen des Patienten zur Weitergabe persönlicher
krankheitsrelevanter Daten zu respektieren. Die Einwilligungsunfähigkeit des Patienten
entbindet den Arzt nicht grundsätzlich von seiner ärztlichen Schweigepflicht, es sei
denn etwas anderes ergibt sich aus der Patientenverfügung selbst!
Wurden in der Patientenverfügung keine Festlegungen für eine konkrete Behandlungssituation
getroffen, soll nach dem Gesetzesentwurf der Betreuer oder ein von dem Patienten bestellter
Bevollmächtigter an dessen Stelle entscheiden, ob er in die ärztliche Maßnahme einwilligt.
Dabei ist die Patientenverfügung als Indiz für die Entscheidung heranzuziehen. Besteht
die Gefahr, dass das Unterbleiben oder der Abbruch einer medizinischen Maßnahme dazu
führen kann, dass der Betreute stirbt oder einen schweren gesundheitlichen Schaden
erleidet, so muss das Vormundschaftsgericht die Verweigerung der Einwilligung genehmigen,
es sei denn Arzt und Betreuer stimmen hinsichtlich des behandlungsbezogenen mutmaßlichen
Patientenwillens überein.
Weder Formvorschriften noch Befristung
Weder Formvorschriften noch Befristung
Nach dem Gesetzesentwurf soll es für die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung
bewusst nicht auf die Einhaltung bestimmter Formvorschriften ankommen. Insbesondere
müssen Änderungen und Widerruf einer Patientenverfügung jederzeit möglich sein und
dürfen nicht durch Formerfordernisse erschwert werden. Allerdings erleichtert die
Schriftlichkeit den Nachweis des Inhaltes einer Patientenverfügung.
Darüber hinaus geht auch der Gesetzesentwurf davon aus, dass allein aus dem Umstand,
dass die Erklärung der Patientenverfügung zeitlich schon länger zurückliegt, nicht
mit Sicherheit auf einen nicht mehr geltenden Willen geschlossen werden kann. Doch
selbstverständlich müssen länger zurückliegend verfasste Patientenverfügungen im konkreten
Fall auch schon jetzt besonders sorgfältig auf ihre aktuelle Relevanz geprüft werden.
Beschränkung auf ein bestimmtes Krankheitsstadium?
Beschränkung auf ein bestimmtes Krankheitsstadium?
Nach den Vorstellungen des Bundesjustizministeriums soll die Reichweite von Patientenverfügungen
nicht auf ein bestimmtes Krankheitsstadium beschränkt sein. Damit folgt das Ministerium
nicht der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der in seinem Beschluss
vom 17.03.2003 (AZ: XII ZB 2/03) die Reichweite von Patientenverfügungen auf die Fälle
einschränkte, in denen das Grundleiden einen irreversiblen und tödlichen Verlauf angenommen
hat.
Es bleibt abzuwarten, wie sich dieser strittige Punkt im Gesetzgebungsverfahren entscheiden
wird. Das Bundesjustizministerium vertritt jedenfalls die Auffassung, das Selbstbestimmungsrecht
des Menschen sei auch dann zu achten, wenn dieser eine Heilbehandlung ablehne, die
eine zum Tode führende Krankheit besiegen oder den Eintritt des Todes hinausschieben
kann. Bei einem einwilligungsfähigen Patienten würden keine Zweifel daran bestehen,
dass dieser einen solchen medizinischen Eingriff verweigern könnte. Das gleiche Recht
der Verweigerung müsse von einem Menschen im Voraus für den Fall der Entscheidungsunfähigkeit
getroffen werden können.
Wann ist eine Patientenverfügung obsolet?
Wann ist eine Patientenverfügung obsolet?
Vor der Heranziehung einer Patientenverfügung ist zu verifizieren, ob sich der Patient
zwischenzeitlich von seiner früheren Verfügung mit erkennbarem Widerrufswillen distanziert
hat oder sich die Bedürfnislage des Betreffenden geändert hat. In Zweifelsfällen darf
nicht ohne weiteres der in einer Patientenverfügung festgehaltene Wille umgesetzt
werden.
Um Sicherheit über den tatsächlichen Willen des Patienten zu erlangen, sollte zusätzlich
nach Äußerungen der Person zu dem von ihr gewünschten Umgang am Lebensende recherchiert
werden. Relevant sind beispielsweise Meinungsäußerungen zum Thema Tod, Sterben und
medizinische Aufrechterhaltung, die religiöse Einstellung des Patienten, seine Einstellung
zum Leben und seine seelische Verfassung. Doch auch hier ist erneut die ärztliche
Schweigepflicht zu beachten!
Existiert eine Patientenverfügung, in der die Einwilligung in eine Behandlung abgelehnt
wird, ist der Patient aber noch in der Lage, sich sprachlich mitzuteilen, dann hat
natürlich dieser aktuell geäußerte Wille und Wunsch auf Weiterbehandlung immer Vorrang
vor der früher geäußerten Bekundung. Die Einwilligung oder Verweigerung in eine ärztliche
Behandlung kann natürlich auch gestisch oder körpersprachlich erfolgen. Erst wenn
der Patient keinen aktuellen Willen mehr äußern kann, darf auf einen früher geäußerten
Willen des Patienten in Form einer Patientenverfügung zurückgegriffen werden.
Sondersituation Notfallbehandlung
Sondersituation Notfallbehandlung
Die Grundsätze zum Umgang mit Patientenverfügungen, vor allem die Erforschung des
konkreten Willens des entscheidungsunfähigen Patienten, können selbstverständlich
nicht in gleichem Umfang in Notfallsituationen gelten. Duldet eine Behandlung keinen
Aufschub, darf und muss der Arzt bis zur Abwendung des Notfalls medizinisch indizierte
Behandlungen durchführen. Es ist davon auszugehen, dass die medizinisch indizierte
Maßnahme dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht.
Dieses Vorgehen kommt jedoch nur bei solchen Indikationen in Betracht, bei denen ein
Aufschub eine Gefährdung des Lebens bedingen würde. Mit weitergehenden Behandlungen
ist deshalb abzuwarten. Bleibt der Patient einwilligungsunfähig und existiert eine
Patientenverfügung, so ist für die weitere Behandlung grundsätzlich das darin manifestierte
Selbstbestimmungsrecht zu beachten.
Lässt es der Notfall zu, sollten jedoch die zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft
werden, um den wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten herauszufinden. Dies
kann sich beispielsweise durch die Befragung anwesender Angehöriger ergeben, die allerdings
auch nur einen Hinweis auf den subjektiven Willen geben können, nicht aber den mutmaßlichen
Willen ersetzen können.
Dr. iur. Isabel Häser,
Rechtsanwaltssozietät Ehlers,
Ehlers und Partner, München