Das Landgericht Bielefeld hatte mit Berufungsurteil vom 31.3.2004 (Az.: 6 Ns 5 Ds 170 Js 904/01 - A 1/04 VI) einen niedergelassenen Arzt, der den Krankenkassen nicht mitgeteilt hatte, dass er von dem Hersteller des von ihm bezogenen Röntgenkontrastmittels Vergünstigungen in Form der kostenlosen Entsorgung von Praxissondermüll erhielt, vom Vorwurf des Abrechnungsbetruges freigesprochen (vgl. RöFo 2004, S. 1850 f.). Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Dortmund hin wurde diese Entscheidung nunmehr durch das Oberlandesgericht Hamm (Urt. v. 22.12.2004, Az.: 3 Ss 431/04) aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Einführung
Einführung
Die Übernahme der Entsorgungskosten für Praxissondermüll durch Herstellerunternehmen und Großhändler zugunsten niedergelassener Ärzte, die bei diesen Röntgenkontrastmittel beziehen, war bereits Gegenstand mehrerer strafgerichtlicher Entscheidungen, die - soweit ersichtlich - alle eine Strafbarkeit des jeweils angeklagten Arztes bislang verneint haben. Im vorliegenden Fall hatte das Amtsgericht Minden (Urt. v. 29.9.2003, Az.: 5 Ds 170 Js 904/01) in erster Instanz zwar abweichend von den bisher hierzu ergangenen Entscheidungen erstmalig die Erfüllung des objektiven Tatbestandes des Betruges durch Unterlassen durch den Arzt angenommen, andererseits aber den Arzt mangels Vorsatzes von dem Anklagevorwurf freigesprochen. In der zweiten Instanz hatte das Landgericht Bielefeld die Erfüllung des objektiven Betrugstatbestandes wiederum verneint, da für den Arzt im Hinblick auf die Verordnung von Sprechstundenbedarf keine Aufklärungspflicht gegenüber den Krankenkassen bestehe, diese von der unentgeltlichen Entsorgung des Praxisabfalls in Kenntnis zu setzen. Auch den Straftatbestand der Untreue hatte der Arzt nach Auffassung der Bielefelder Strafkammer nicht erfüllt, denn der Arzt habe nur notwendige Röntgenkontrastmittel zu Lasten der Krankenkassen verordnet und damit die Befugnis zur Verpflichtung der Krankenkassen nicht treuwidrig ausgeübt.
Die mit Urteil vom 22.12.2004 nunmehr erfolgte Aufhebung dieses Urteils hat das Oberlandesgericht Hamm u. a. damit begründet, dass die Berufungskammer des Landgerichts Bielefeld die tatsächlichen und rechtlichen Besonderheiten des kassenärztlichen Abrechnungs- und Sachleistungssystems, die der Prüfung der Vorwürfe der Untreue und des Betruges durch Unterlassen zugrunde zu legen sind, teilweise außer Acht gelassen habe.
Untreue, § 266 StGB
Untreue, § 266 StGB
Nach Auffassung des Oberlandgerichtes habe die Strafkammer rechtsfehlerhaft die Prüfung unterlassen, ob hier der Tatbestand der Untreue durch den Missbrauch der Vertretungsmacht des niedergelassenen Arztes gegenüber der Krankenkasse bei der Bestellung der Röntgenkontrastmittel beim Hersteller erfüllt sein könne. Insoweit führt das Oberlandesgericht aus, dass der Kassenarzt bei der Verordnung des Sprechstundenbedarfs an Röntgenkontrastmitteln als Vertreter der Krankenkassen auftrete und mit der Bestellung der Mittel mit Wirkung für und gegen die Krankenkasse Willenserklärungen zum Abschluss eines Kaufvertrages über die verordneten Medikamente abgebe. Durch die Bestellung der Röntgenkontrastmittel zu Lasten und auf Rechnung der Krankenkasse verpflichte der Arzt diese möglicherweise zur Zahlung um den Wert der Entsorgungsleistungen überhöhter Rechnungsbeträge für die Röntgenkontrastmittel an den Hersteller.
Ob die durch den Hersteller in Rechnung gestellten Beträge im vorliegenden Fall tatsächlich um diesen Betrag erhöht waren, hatte das Landgericht Bielefeld nicht festgestellt. Nach Auffassung des Oberlandesgerichtes spreche für diesen Umstand nach der Lebenserfahrung aber sehr viel, da ein wirtschaftlich handelndes Unternehmen regelmäßig Unkosten auf seine Preise niederschlagen werde. Im Rahmen der erneuten Hauptverhandlung wird das Landgericht Bielefeld daher hierzu entsprechende Feststellungen zu treffen haben.
Soweit der Kassenarzt die Krankenkasse tatsächlich zur Zahlung überhöhter Rechnungsbeträge verpflichtet habe, so läge hierin nach Auffassung des Oberlandesgerichtes auch ein Verstoß gegen die dem Arzt aufgrund seiner Stellung im kassenärztlichen Abrechnungssystem gegenüber der Krankenkasse obliegende Vermögensbetreuungspflicht.
Zur Frage, ob der Angeklagte in dem zu entscheidenden Fall vorsätzlich gehandelt habe, stellte das Oberlandesgericht fest, dass es von geringerer Bedeutung sein dürfte, dass dem Angeklagten die genauen Abrechnungsbeträge zwischen dem Kontrastmittelhersteller und der Krankenkasse betreffend die Röntgenkontrastmittel nicht bekannt gewesen seien. Entscheidend sei vielmehr, ob der Angeklagte davon ausging, dass die ihm vom Kontrastmittelhersteller unentgeltlich erbrachten Entsorgungsleistungen sich preisbildend auf den Preis der Röntgenkontrastmittel auswirkten. Auch hier spreche nach Auffassung des Strafsenats beim Oberlandesgericht bereits die Lebenserfahrung deutlich dafür, dass dem Angeklagten dies bewusst gewesen sei. Immerhin nehme er als Arzt aktiv am geschäftlichen Leben teil und dürfte sich deshalb nur schwer der Erkenntnis verschließen können, dass mit dem Absatz von Produkten am Markt verbundene Unkosten sich bei einem am Markt wirtschaftlich betätigenden Unternehmen in aller Regel auch preisbildend auswirken würden
Betrug durch Unterlassen, §§ 263, 13 StGB
Betrug durch Unterlassen, §§ 263, 13 StGB
Nach Ansicht des Oberlandesgerichtes Hamm hat die Berufungskammer weiter nicht hinreichend geprüft, ob sich der Angeklagte in dem zu entscheidenden Fall des Betruges durch Unterlassen dadurch schuldig gemacht hat, dass er der Krankenkasse nicht die ihm als verdeckten Rabatt gewährten kostenlosen Entsorgungsleistungen des Kontrastmittelherstellers gemeldet hat.
Hierzu führt das Oberlandesgericht aus, dass die Gewährung unentgeltlicher Entsorgungsleistungen eine Bezahlung eines Schmiergeldes ähnliche und wirtschaftlich einer solchen Zahlung gleichwertige Leistung des Kontrastmittelherstellers darstelle. Insbesondere handele es sich nicht um ein reines Geschenk, da die unentgeltlichen Entsorgungsleistungen in Erwartung konkreter Bestellungen erbracht worden sein dürften. Bei der Entgegennahme von Schmiergeldern sei aber anerkannt, dass zivilrechtlich und öffentlich-rechtlich die Verpflichtung bestehe, solche Schmiergelder an den Geschäftsherrn herauszugeben. Zwar begründe diese Verpflichtung keine spezifische Treuepflicht i.S.v. § 266 StGB. Jedenfalls aufgrund der Verpflichtung des Kassenarztes zum wirtschaftlichen Handeln gemäß § 12 Abs. 1 SGB V, § 5 Abs. 1 der Sprechstundenbedarfsvereinbarung ergebe sich aber die Verpflichtung, solche erhaltenen Schmiergelder gegenüber der Krankenkasse offen zu legen, mithin die für die Begehung des Betruges durch Unterlassen erforderliche Handlungspflicht. Hinzu komme, dass Ärzte und Krankenkassen gemäß § 72 Abs. 1 SGB V verpflichtet seien, zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung der Versicherten zusammenzuwirken, und zwar nach Maßgabe des sich aus den eben zitierten Bestimmungen ergebenden Wirtschaftlichkeitsgebotes. Endlich sei es dem Kassenarzt nach § 34 Abs. 1 der Musterberufsordnung der deutschen Ärztinnen und Ärzte nicht gestattet, für die Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln von dem Hersteller oder Händler eine Vergütung oder sonstige wirtschaftliche Vergünstigung zu fordern oder anzunehmen. Auch hieraus dürfte sich nach Auffassung des Oberlandesgerichtes Hamm eine Garantenpflicht gegenüber der Krankenkasse ergeben.
Fazit
Fazit
Mit dem Urteil des Oberlandesgerichtes Hamm vom 22.12.2004 liegt nun ein erstes obergerichtliches Urteil zur Frage der Strafbarkeit bei der Gewährung kostenloser Entsorgungsleistungen im Zusammenhang mit dem Bezug von Röntgenkontrastmitteln vor, das im Gegensatz zu den bisherigen Entscheidungen von der Strafbarkeit des Arztes ausgeht, wenn er kostenlose Entsorgungsleistungen von dem Hersteller des von ihm bezogenen Kontrastmittels in Anspruch nimmt. Die Strafbarkeit hängt jedoch entscheidend davon ab, ob der Arzt die Krankenkassen tatsächlich durch seine Verordnung von Röntgenkontrastmitteln zur Zahlung um die Entsorgungsleistungen erhöhter Rechnungsbeträge verpflichtet hat. Für den der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Hamm zugrundeliegenden Zeitraum (6.1.1998 bis 9.10.2000) ist davon auszugehen, dass dies nicht der Fall war, denn im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe erfolgte die Abrechnung von Röntgenkontrastmitteln zwischen den Lieferanten und den Krankenkassen generell auf der Grundlage einer jährlich den Kassen neu vorgelegten Preisliste, der so genannten Lauer-Taxe. Für die Krankenkassen entstanden daher bei der Verordnung von Röntgenkontrastmitteln unabhängig davon, ob der einzelne Arzt von dem Entsorgungsangebot Gebrauch gemacht hat oder nicht, die gleichen Kosten. Unter diesen Umständen kann von einem Missbrauch der Befugnis zur Verpflichtung der Krankenkasse nicht ausgegangen werden, wenn der Arzt in Übereinstimmung mit den Regeln der Sprechstundenbedarfsvereinbarung nur die notwendigen Röntgenkontrastmittel verordnet hat. Auch die zur Erfüllung des objektiven Tatbestandes erforderliche Zufügung eines Nachteils dürfte insoweit nicht gegeben sein.
Soweit das Oberlandesgericht Hamm den Tatbestand des Betruges durch Unterlassen als erfüllt ansieht, da es entgegen der Auffassung des Landgerichtes Bielefeld eine Aufklärungspflicht des Arztes dergestalt bejaht, dass die Annahme unentgeltlicher Entsorgungsleistungen gegenüber der Krankenkasse offen zu legen sei, so begegnet die Annahme einer solchen Garantenpflicht aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot und aus § 72 Abs. 1 SGB V sowie aus § 34 der (Muster-)Berufsordnung Bedenken. Zwar nimmt der Arzt bei der Verordnung von Arzneimitteln im System der vertragsärztlichen Versorgung eine Schlüsselrolle ein. Beim so genannten unechten Unterlassungsdelikt folgt die Handlungspflicht aber aus einer dem Schutz des jeweiligen Rechtsgutes dienenden Garantenstellung. Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob sich aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V oder dem in § 72 Abs. 1 SGB V normierten Sicherstellungsauftrag eine Garantenstellung des Arztes zum Schutze der Krankenkassen für den vorliegenden Fall ableiten lässt, denn durch die Gewährung unentgeltlicher Entsorgungsleistungen wird weder die Wirtschaftlichkeit der Verordnung notwendiger Kontrastmittel noch der Sicherstellungsauftrag berührt. Auch § 34 der (Muster-)Berufsordnung dient nicht dem Schutz der Krankenkassen, sondern der Wahrung der Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung bei der Verordnung von Arzneimitteln zum Schutze der Patienten. Im Übrigen ist aber auch hier davon auszugehen, dass aufgrund der Abrechnung auf der Grundlage der Lauer-Taxe ein Schaden der Krankenkassen nicht feststellbar und damit der objektive Tatbestand des Betruges nicht erfüllt ist.
Nach der Aufhebung und Zurückverweisung der Berufungsentscheidung durch das Oberlandesgericht Hamm an eine andere Strafkammer des Landgerichtes Bielefeld ist diese allerdings nach § 358 Abs. 1 StPO an die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichtes gebunden, so dass das Landgericht Bielefeld bei seiner erneuten Entscheidung von einer Garantenstellung des Arztes, die ihn zur Offenlegung der kostenlosen Übernahme der Entsorgungsleistungen durch den Hersteller verpflichtet, auszugehen hat. Soweit den Krankenkassen jedoch, wie oben dargelegt, kein Schaden entstanden ist, scheidet eine strafrechtliche Verurteilung aus. Allerdings begründet die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Hamm in bedenklicher Weise eine umfassende strafrechtliche Haftung des Arztes, so dass zu hoffen bleibt, dass es keine Übertragung auf andere Sachverhalte erfährt.