Jahr für Jahr wählt eine Jury aus unabhängigen Sprachwissenschaftlern und Schriftstellern
das „Unwort des Jahres”: 2004 lautete es „Humankapital”. Ökonomen verwenden diesen
Begriff in ihrer Fachsprache schon länger, im Jahr 2004 katapultierte sich die Europäische
Union damit jedoch sozusagen in den Brennpunkt des Geschehens. Wenn auch eher unter
sprachwissenschaftlichen Aspekten ausgesucht, unterliegt das Wort, herausgelöst aus
dem Bereich der Ökonomie, verschiedensten Deutungen. Und darin liegt potenziell auch
das Problem. Falsch verstanden wäre der Begriff als Degradierung der Menschen zu nur
noch ökonomisch interessanten Größen auszulegen. Gilt das auch im Krankenhaus, in
dem ja die Ökonomie das Zepter voll in die Hand genommen hat?
Wer ist eigentlich das „Humankapital” einer Klinik? Die Patienten, die ja schon zu
Kunden und schließlich zu Kostenverursachern mutierten, oder das Personal, das unter
ökonomischen Aspekten das Kapital ausmacht, das es über seinen reinen Kostenwert hinaus
erwirtschaftet? Letzteres meinen die Ökonomen, was man ihnen aus wissenschaftlicher
Sicht nicht einmal vorwerfen kann. Auch andere Fachdisziplinen benutzen ihre eigenen,
spezifischen Begriffe - wie zum Beispiel die Medizin mit ihren vielen Anglizismen
und Abkürzungen, die für Nichtsachverständige verschiedenste Deutungen zulassen. Genau
das passiert vielfach unterbewusst mit dem Wort „Humankapital”, das in einer Zeit
des wirtschaftlichen und ökonomischen Druckes eher emotional als rational interpretiert
wird. Und das macht es dann wirklich zum Unwort.
Diese Tatsache beleuchtet auch den Zwiespalt, in dem sich viele Krankenhausmitarbeiter
befinden. Die Ärzteschaft wird als eine der drei Säulen im Krankenhaus ohne Scham
am stärksten durch die Gesetzgebung belastet - und das natürlich möglichst ohne Ausgleich,
wie durchaus bei der Pflege und der Verwaltung üblich. Letztendlich sind die Ärzte
gezwungen, einen großen Teil ihrer Arbeitskraft und -zeit in einzig bürokratische
Betätigungen zu investieren. Wenn schon, dann müsste die für den Betrieb zum Überleben
erforderliche Mehrarbeit endlich auf die drei Schultern gleichmäßig verteilt werden!
Das Wort „Humankapital” suggeriert zu unrecht, dass die Humanität im Krankenhaus durch
die Notwendigkeit, das erforderliche Kapital zu erwirtschaften, zu kurz kommen müsse.
Aber Empfindungen, auch falsche, sind eben schwer zu steuern. Demnach setzt sich das
Unwort fest und trägt dazu bei, dass man sich in erster Linie als „Leistungserbringer”
für ein zu erwirtschaftendes Kapital empfindet und erst dann als Arzt oder Pfleger.
Vor diesem Hintergrund hat man seinen Beruf jedoch nicht angetreten! Prof. K. Bergdolt,
Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik in der Medizin an der Universität
Köln, warnte in diesem Zusammenhang: „Die Ärzte werden zu passiven Teilnehmern eines
ökonomischen Systems, das bereits zu vielen Menschen schadet.” Resultat dieses Prozesses
sei eine bereits erkennbare „schleichende Zerstörung” der Beziehung zwischen Arzt
und Patient.
Muss man fürchten, dass zukünftig eine ökonomisch gesteuerte „Verrohung” einkehrt,
die besonders den heranwachsenden Mitarbeitern im Krankenhaus gar nicht gut täte,
besonders im Sinne ihrer Patienten? Junge Kollegen würden von Anfang an lernen, vordergründig
zu fragen, was hat mein Krankenhaus finanziell von dem zu Behandelnden, dem „Kostenverursacher”,
zu erwarten? Damit ist der Weg nicht weit zur Frage nach dem Eigenvorteil! Und dies
wiederum bringt eher das Gegenteil des Humanen, nämlich Lieblosigkeit ins Krankenhaus
- eine effiziente, liebevolle Medizin, die jeder an sich ausschließlich praktiziert
haben möchte, wird unwahrscheinlicher. Um diese große Gefahr können oder mögen sich
Ökonomen eher nicht kümmern.
So sollte das Unwort des Jahres 2004 vielleicht auf allen Seiten dazu beitragen, zu
reflektieren und sich in dem im Krankenhaus politisch mitgesteuerten Zusammenspiel
von Ökonomie und Menschlichkeit richtig einzuordnen. Dann kann das Unwort auch etwas
Gutes an sich haben.